Luzerner Hausbesetzung: Vorwürfe der Polizeigewalt

Nach Festnahme: Die Luzerner Polizei filmen, darf man das?

Die Aktivisten wehrten sich vor dem besetzten Haus mit Parolen gegen die anwesende Polizei.

(Bild: uze)

Muss man damit rechnen, im Gefängnis zu landen, nur weil man einen Polizeieinsatz filmt? Während der «Gundula»-Demo wurde letzte Woche eine filmende Person festgenommen. Die Kamera war allerdings nicht der Grund, sagt die Polizei. Dass Aufnahmen der Polizei aber gar nicht passen, zeigt ein Fall in Zürich. 

Die Vorwürfe hatten es in sich: Am Freitag schrieben die «Gundula»-Besetzer in einem Communiqué, dass es während der Hausräumung und den anschliessenden Protesten zu mehreren Fällen von Polizeibrutalität kam. So seien Personen gegen ihren Willen die Treppe «hinunter geschleift», Menschen seien «schikaniert, bedroht, psychisch fertiggemacht, unter finanziellen und sozialen Druck gesetzt» worden (zentralplus berichtete). Konkret wird die Mitteilung nur in einem Punkt: «Eine Passantin, die filmte, wurde zu Boden geschlagen.»   

Am Dienstag griffen die Jungen Grünen diesen Vorwurf in einem offenen Brief an Polizeichef Adi Ackermann auf. Der Kommandant soll sich dazu äussern, dass eine filmende Person von der Polizei mittelschwer verletzt und anschliessend mit dem Vorwand einer Personenkontrolle über Nacht festgehalten worden sei. 

Die Polizei bestreitet Vorwürfe

Kurt Graf von der Luzerner Polizei sagt zu den Vorwürfen: «In unmittelbarer Nähe des besetzten Hauses bei den meist vermummten Personen hat man filmende Personen kontrolliert oder weggewiesen.» Von übertriebener Gewalt sei ihm nichts bekannt. Graf: «Einvernommene Personen haben während der Einvernahme die Möglichkeit, sich zu äussern, wenn sie die Behandlung seitens der Polizei als unverhältnismässig empfinden. Ich habe die Einvernahmen gelesen und mir ist keine Beanstandung seitens der Beschuldigten bekannt, sei es wegen übertriebener Gewalt oder wegen einer allfälligen Verletzung.»

Die Jungen Grünen veröffentlichten einen Offenen Brief an Polizeichef Achermann:

 

Ausserdem: «Bei dem Vorfall an der Obergrundstrasse wurden mehrere filmende und demonstrierende Personen kontrolliert», so Graf. Die meisten hätten die Kontrolle ohne Probleme über sich ergehen lassen. «Bei diesen Personen wurden auch keine weiteren Schritte eingeleitet.» Zur Festnahme sei es gekommen, weil zwei Demonstranten sich einer Personenkontrolle widersetzten, so Graf. Die Filmer seien seiner Meinung nach auch keine einfachen Passanten gewesen, wie man das jetzt darstelle, sondern waren Teil der Sympathisanten.

Kontrolle verweigert

Dass die Personen über Nacht festgehalten wurden, wie die jungen Grünen nun kritisieren, sei Usus: «Laut Gesetz dürfen wir festgenommene Personen bis zu 24 Stunden festhalten, wenn ein Rechtsgrund vorhanden ist. Der Staatsanwaltschaft kann diese Frist um weitere 24 Stunden verlängern, wenn die Notwendigkeit besteht.» In dem angesprochenen Fall sei dies nicht nötig gewesen. Also: Festnahme, ja, aber nicht wegen dem Filmen, sondern wegen der Verweigerung einer Kontrolle.

Auch die restlichen Vorwürfe weist Graf zurück. Auf die Frage, ob finanzieller oder sozialer Druck auf verhaftete Personen ausgeübt wurde, sagt Graf: «Nein, das wäre rechtswidrig.» Auch der Vorwurf der Schikane lässt er nicht gelten: «Bei Einvernahmen werden Beschuldigte auf ihre Rechte aufmerksam gemacht. Gemäss Strafprozessordnung ist dies Pflicht. Alle haben das Recht auf einen Verteidiger, um die Rechte zu wahren.»

Verhandlung nicht Sache der Polizei

Dass bei solchen Polizeieinsätzen reperessive Mittel zum Zuge kommen, schliesst Graf nicht aus. Er betont aber, die Verantwortung dafür liege bei den Besetzern: «Wenn sich Personen an die Anweisungen der Polizei halten, muss kein Zwang angewendet werden.» Die Polizei sei generell interessiert, Konflikte friedlich zu lösen. «Bei Widerstand, aktiv und passiv, ist dies nicht immer möglich.»

«Da sich nur zwei Besetzer im Haus befanden, haben wir entschieden, die Räumung auf Anweisung der Staatsanwaltschaft hin sofort durchzuführen.»

Kurt Graf, Polizeisprecher

Gespräche zu führen, sei indes nicht die primäre Aufgabe der Polizei bei einem solchen Einsatz: «Bei einem Räumungsauftrag ist die Polizei beauftragt, den rechtmässigen Zustand wieder herzustellen. Bei einer Häuserbesetzung fordert dies der Hauseigentümer bei der zuständigen Staatsanwalschtaft.» Es sei eine Frage der Verhältnismässigkeit, so Graf: «Da sich nur zwei Besetzer im Haus befanden, haben wir entschieden, die Räumung auf Anweisung der Staatsanwaltschaft hin sofort durchzuführen.» Dies sei in dem Fall absolut verhältnismässig gewesen.

Filmen von Polizeieinsätzen grundsätzlich erlaubt

Zu klären gibt es aber doch die Frage: Darf man die Polizei während eines Einsatzes filmen und was darf die Polizei allenfalls dagegen tun? Polizeisprecher Graf sagt: «Auf öffentlichem Grund darf man Polizeiaktionen filmen. Die Polizei kann jedoch Einschränkungen machen, wenn polizeiliche Handlungen behindert werden.»

Martin Steiger, Rechtsanwalt und Spezialist für Rechtsfragen im digitalen Raum, bestätigt dies. Auf Anfrage von zentralplus sagt er, filmen sei seines Wissens erlaubt, solange das Filmen oder Fotografieren den Polizeieinsatz nicht behindert. Und selbst dann sollten die Personen nicht festgenommen werden. Steiger: «Polizisten können beispielsweise Personen, deren Filmen oder Fotografieren einen Einsatz behindert, darauf hinweisen – in einem ersten Schritt mündlich und mit einer kurzen, verständlichen Begründung.»

Irina Studhalter (Junge Grüne) stellte öffentlich die Frage:


Dabei passe sich auch die Schulung der Polizisten an: «Gemäss meinem Kenntnisstand ist es mittlerweile Teil der Polizei-Ausbildung, wie man damit umgeht, als Polizistin oder Polizist im Einsatz gefilmt oder fotografiert zu werden.»

Was bisher geschah

Am Dienstag, 4. April, wurde die besetzte Villa an der Obergrundstrasse 101 von der Polizei geräumt. Beim Einsatz wurden insgesamt vier Personen verhaftet, davon zwei innerhalb des besetzten Hauses (zentralplus berichtete). Die Besetzer waren während vier Tagen in der Obergrundstrasse 101 einquartiert.

Deshalb rät auch Martin Steiger, «aus genügend Distanz zu filmen und zu fotografieren, vor allem auch, wenn man nicht Journalist ist». Zur Kontrolle einer filmenden Person sei die Polizei aber sehr wohl befugt: «Grundsätzlich ist jedermann verpflichtet, Polizisten gegenüber auf Verlangen seine Personalien anzugeben, einen Ausweis vorzulegen oder auf andere Weise seine Identität feststellen zu lassen.» Verweigere man sich einer Kontrolle, könne man auf den Polizeiposten mitgenommen werden. «Für Betroffene kann sich dies wie eine Verhaftung anfühlen», so der Rechtsexperte.

Ein ähnlicher Fall in Zürich

Vor einem Jahr wurde in Zürich ein sehr ähnlicher Fall abgeschlossen – nach acht Jahren Prozess. Nach einem Bericht der NZZ fotografierte Klaus Ròzsa 2008 eine Hausräumung in Zürich. Daraufhin kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen der Polizei und Ròzsa, der Fotograf wurde festgenommen. Ròzsa erlitt psychische und physische Verletzungen. Er warf den zwei Polizisten willkürliche Gewalt vor.

Die Polizisten sagten aus, Ròzsa habe ihren Einsatz behindert und sich anschliessend der Autorität der beiden Polizisten widersetzt. Obwohl Ròzsa dem Vorwurf der Hinderung einer Amtshandlung freigesprochen wurde, und das Bundesgericht Zweifel an der Rechtmässigkeit der Festnahme äusserte, wurden die Polizisten letztlich freigesprochen.

Die Richter begründeten, Ròzsas Aussagen seien übertrieben und zum Teil nachweislich falsch. Ròzsa wurde 2010 wegen übler Nachrede und Beschimpfung eines Polizisten zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt – dies dürfte Einfluss auf das Richterurteil gehabt haben, so die Zürcher Tageszeitung.

Bodycams – Lösung für Polizisten?

Es ist ein Fall, bei dem Aussage der Demonstranten gegen Aussagen der Polizei stehen. In solchen Fällen kommt immer wieder die Frage nach Bodycams bei Polizisten auf. Diese würden in solchen Fällen eindeutige Aufschlüsse über die Abläufe eines heikleren Einsatzes geben. Trotzdem sind Bodycams in Luzern momentan kein Thema.

Kurt Graf erklärt: «In der Schweiz sind Bodycams erst vereinzelt bei Polizeikorps im Einsatz.» In Luzern ist dies jedoch nicht der Fall. Ein Postulat, welches die Einführung von Bodycams prüfen sollte, wurde 2014 mit 76 zu 30 Stimmen abgelehnt. Ausserdem: «Auch der Schweizerische Polizeiverband steht Bodycams kritisch gegenüber», so Graf. Tatsächlich listet der VSPB in einer Stellungnahme eine ganze Reihe von Gründen auf, weshalb man beim Polizeiverband gegen die Einführung der Körperkameras ist.

Zu guter Letzt gibt es eine Studie der Universität Cambridge, die besagt: Polizisten, welche Bodycams tragen, werden 15 Prozent öfter Opfer eines Übergriffs oder Angriffs. Weiter waren auch linke Parteien gegen die Einführung von Bodycams, wegen des Persönlichkeitsschutzes von gefilmten Personen – und weil die Polizei weniger Augenmass walten lasse könne, wenn sie sich bei Personenkontrollen selber filme.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Bruno Hermann
    Bruno Hermann, 15.04.2017, 17:42 Uhr

    Die Villa war nach der ersten Besetzung durch Gundula in einem völlig normalen Sanierungszustand mit bester Ausgangslage für eine sorgfältige Neubelebung.

    Als direkter Nachbar und Architekt mit Umbauerfahrung erlaube ich mir diese Richtigstellung zur Qualität der Bausubstanz.
    In gutem Verhältnis zum Vorbesitzer war ich etliche Mal in diesem Haus. Da dieser bereits tatkräftig und selbständig mit einer Sanierung begonnen hatte, hatte das Haus auch als Baustelle die Hand gewechselt.

    Dass dadurch eine Unverhältnismässigkeit für eine Sanierung konstruiert werden kann und folgedessen eine Abbruchbewilligung erwirkt wird ist völlig unverständlich.

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