Dokumentationsprojekt am Luzerner Theater

Gerne nochmals die «Mütter» – aber ohne Bühne

Minu Tighi amüsiert sich ob der Geschichte von Energiebündel Shery Davtalab.

(Bild: Ingo Hoehn)

Im Luzerner Theater ist die Premiere des Dokumentationsprojekts «Mütter» über die Bühne gegangen. Ein Stück voller wahrer Geschichten von Luzerner Frauen. Magen und Herz sind danach mehr als befriedigt. Doch der Kopf sagt «Aber».

Luzernerinnen aus aller Welt erzählen aus ihrem Leben – die Erwartungen an die Produktion «Mütter» im Luzerner Theater sind hochgesteckt. Nicht nur, weil es das Projekt in Holland zu einer zehnjährigen Erfolgsgeschichte brachte (zentralplus berichtete).

Im Luzerner Theater wird mit «Mütter» ein Dokumentationstheater gespielt. Frauen (keine Schauspielerinnen) erzählen aus ihrem Leben, es wird gegessen, es wird getanzt, gesungen und es wird diskutiert. Man bleibt noch eine ganze Weile sitzen nach der Vorstellung – die Darstellerinnen setzen sich dazu – Stück und «Realität» verschwimmen.

Dass man als Publikum mit den Darstellerinnen an langen Tischen auf der Bühne sitzt, bekocht wird und echte Geschichten aufgetischt bekommt, zeigt, dass es sich nicht um ein gewöhnliches Theater handelt. Das wird auch bei der ausführlichen und herzlichen Verdankung am Ende der Premiere klar, als Regula Schröter, Leiterin der Sparte Schauspiel und Dramaturgin des Stücks, stets von einem «Projekt» spricht.

Aufgeteilt, aufgestellt

Das «Stück» ist aufgeteilt in kurze und längere Anekdoten aus dem Leben, welche die 13 Darstellerinnen abwechslungsweise zum Besten geben. Das tun sie thematisch gebündelt: so, wie es auch bei einer gemütlichen Frauenrunde oder dem gemeinsamen Kochen oft passiert.

Die grossen Themen sind damit auch das Kochen, ihr Beziehungen zur Mutter und Grossmutter und deren schräge und tragischen Geschichten. Die Geburten, die Kinder, der Alltag als Mutter und Hausfrau – all diese Themen dominieren den Abend.

Musik für die Seele

Aufgelockert wird der Ablauf immer wieder mit Musikstücken, welche die Frauen offensichtlich entweder sehr gut kennen oder selbst ausgesucht haben. Der Eindruck jedenfalls entsteht beim Beobachten der teilweise inbrünstigen Tanzeinlagen.

Auf und hinter der Bühne

Die Darstellerinnen: Wahida Aissaoui, Mirza Beciragic, Susanna Burger, Gloria Buser, Shery Davtalab, Jasmina Hodzic, Emina Kovačević, Aura Ocampo, Rathika Thevakumar, Minu Tighi, Rita Ueberschlag, Larysa Vetsch, Brigit Zehnder

Inszenierung: Alize Zandwijk
Bühne: John Thijssen
Licht: Clemens Gorzella
Dramaturgie: Liet Lenshoek
Dramaturgie: Regula Schröter
Bühne: Lidwien van Kempen
Musikalische Einstudierung: Katrin Gurtner
Produktionsleitung: Selina Beghetto

Die Stimmung auf der Theaterbühne ist von Beginn an ausgelassen und familiär, das Publikum lässt sich mitreissen. Es scheint jedoch auch ein grosser Teil der wirklich lauten Besucher aus der Theaterszene selbst zu stammen. Neben vielen Angestellten des Luzerner Theaters ist auch ein grosser Teil von Theaterschaffenden aus der Freien Szene und dem Laientheater anwesend.

Beeindruckende Charaktere

Nach wenigen Takten des ersten Bollywood-Songs ist bei «Mütter» klar, welche der 13 Frauen richtige Rampensäue sind. Besonders mit Shery Davtalab hat das Luzerner Theater einen Volltreffer gelandet. Die Frau sprudelt über vor Energie, Spontaneität und Lebenslust. Und besonders wenn sie tanzt, zieht sie alle Blicke auf sich.

Auch Gloria Buser beeindruckt nicht nur mit ihren Geschichten, die so weit von unserem Alltag entfernt zu sein scheinen, sondern auch mit ihrer natürlichen Autorität und einer ruhigen Eleganz. Jede einzelne der Frauen lernt man an diesem Abend ein bisschen kennen – mit ihrer trockenen oder überschwänglichen Art, mit ihrer Hippie-Vergangenheit oder ihren Schuldgefühlen. Auch Mirza Beciragic, die nicht nur gesanglich heraussticht, oder Jasmina Hodzic erzählen emotional und natürlich ganz private Geschichten.

Jasmina Hodzic geht in die Tiefe.

Jasmina Hodzic geht in die Tiefe.

(Bild: Ingo Hoehn)

Die Natürlichkeit weggeskriptet?

Doch damit sind wir bei den beiden «Aber» des Abends angelangt: Oft sind die Frauen schwer zu verstehen. Mehr Übung zur Bühnenpräsenz, zur lauten und deutlichen Sprechweise wären definitiv wichtig gewesen. Denn das oft gebrochene Deutsch verträgt sich schlecht mit einer leisen Stimme, die sich im grossen Raum verliert.

Manchmal wirken die Geschichten der Frauen auch aufgesagt – der Sprachrythmus ist nicht natürlich –, als hätten sie ihre «Rollen» und Geschichten auswendig lernen müssen und würden sie nun im Theater «spielen». In solchen Momenten muss man sich selbst in Erinnerung rufen, dass es tatsächlich ihre eigenen Geschichten sind, die die Frauen erzählen. Wenn man dies tut, haben sie einen aber gleich wieder im Sack.

Zum Schluss hin wird es auch nochmals wirklich berührend mit tragischen und brutalen Geschichten von Rita Ueberschlag und Rathika Thevakumar.

 

Überraschungen und Klischees

Es ist ein internationaler Frauenabend – und wie solche Frauenrunden auch sind, gibt es spannendere und weniger spannende Anekdoten, lustigere und ernstere Themen. Und manchen Frauen hört man lieber zu und anderen weniger.

Oft werden Anekdoten mit kleinen Witzen über die eigenen Männer gespickt. Manchmal überraschend erfrischend, manchmal aber auch abgelutscht klischiert. Schade auch, dass die Berufe der Frauen, ihre Berufungen oder zumindest ihr Leben ausserhalb des heimischen Haushalts wenig zum Tragen kommen. Es scheint deshalb fast so, als sei man als Frau und Mutter vor allem Mutter.

Gloria Buser beeindruckt nicht nur optisch.

Gloria Buser beeindruckt nicht nur optisch.

(Bild: Ingo Hoehn)

Aufregung und Skript

Wahrscheinlich hätte die tatsächliche «Probezeit» für die Laiendarstellerinnen mehr Zeit beanspruchen dürfen. Und doch muss man der Premiere zugutehalten, dass es für die meisten der Frauen das erste Mal vor einem Publikum war. Die Aufregung wird ihren Teil beigetragen haben. Trotzdem sind es spannende Frauen mit unterschiedlichen, oft überraschenden Hintergründen.

Ein Besuch der «Mütter» im Luzerner Theater ist trotz aller technischen Kritik ein Muss: Ein schöner Abend mit beeindruckenden Frauen, mit welchen ich aber eigentlich gerne fern der Bühne einen Abend verbringen würde. Ohne Skript.

Gekocht wird vor der Vorstellung, während und nach der Vorstellung.

Gekocht wird vor der Vorstellung, während und nach der Vorstellung.

(Bild: Ingo Hoehn)

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