Gruppenchats verändern die Luzerner Politik

WhatsApp? «Für die Bürgerlichen greife ich lieber zum Telefon»

Im Stadtparlament wurde das Parkhaus Musegg abgeschmettert – WhatsApp half bei der Vorbereitung.

(Bild: Montage zentralplus)

Die Öko-Allianz im Luzerner Stadtparlament tritt geschlossen auf. Auch dank geschickter interner Kommunikation. Via WhatsApp-Gruppen tauscht sie sich aus und stimmt sich ab. Vielen bürgerlichen Politikern ist diese Kommunikation noch nicht geheuer. Und auch die Linke verzichtet in besonderen Fällen auf das neue Medium.

Es war im Dezember und der Showdown nahte. Die entscheidende Abstimmung zum Parkhaus Musegg im Luzerner Stadtparlament stand an. Die Öko-Allianz hatte erstmals die Chance, der Luzerner Verkehrspolitik ihren Stempel aufzudrücken. Sie wollte ihre neue Mehrheit nutzen und den Stadtrat zwingen, sich aus dem Grossprojekt zu verabschieden.

Dass es knapp werden würde, wusste man. Nur zwei Sitze mehr haben SP, Grüne und GLP als die bürgerlichen Parteien FDP, CVP und SVP. Also galt es, die Reihen zu schliessen, die Argumente zu schärfen und Abwesenheiten zu vermeiden. Über die Parteigrenzen hinweg hat man sich in den Tagen vor der Abstimmung rege ausgetauscht – und oft geschah das via Gruppenchat. Es hat schliesslich gefruchtet, das Parkhaus wurde hauchdünn versenkt (zentralplus berichtete).

Einfach, schnell, diskret

Das Beispiel illustriert, wie Gruppenchats in der Politik Einzug halten. Rückfragen in der Fraktion, kurzfristige Terminabsprachen oder inhaltliche Abstimmungen – nie war das einfacher, schneller und diskreter als mit dem Messenger WhatsApp.

Die «Schweiz am Sonntag» hat kürzlich berichtet, wie Gruppenchats in der nationalen Politik Einzug halten und die politische Arbeit im Bundeshaus verändern. Aber nicht nur in Bern, auch in der Luzerner Politik setzt sich WhatsApp langsam durch. Dies zeigt eine Umfrage von zentralplus unter den Fraktionschefs im Stadt- und Kantonsparlament.

Innert zwei Stunden die Fraktion befragt

Es sind vor allem die Fraktionen der SP, der Grünliberalen und der SVP, die WhatsApp-Gruppen offiziell nutzen. Die Grünen, CVP und FDP scheinen der neuen Technologie noch nicht zu trauen und setzen weiterhin auf E-Mail, Telefon oder direkte Gespräche.

«Ich schicke eine Nachricht an die gesamte Fraktion, innert zwei Stunden habe ich eine Mehrheitsmeinung.»

Nico van der Heiden, Fraktionschef SP

Doch jene, die WhatsApp nutzen, möchten es nicht mehr missen – zum Beispiel Nico van der Heiden, Fraktionschef der SP im Stadtparlament. Für ihn ist der Messenger-Dienst zu einem zentralen Kommunikationsinstrument geworden: «Es ist einfach extrem praktisch. Ich bin jetzt seit vier Jahren Fraktionschef, anfangs haben wir kaum über WhatsApp kommuniziert, dann mit einzelnen, mittlerweile haben es alle in der Fraktion.»

Und so stellen wir uns den WhatsApp-Chat vor – einen Tag vor der Abstimmung über das Musegg-Parking 😉

Fiktiver WhatsApp-Chat zwischen SP, GLP und Grünen.

Fiktiver WhatsApp-Chat zwischen SP, GLP und Grünen.

Die SP nutzt WhatsApp, wenn es sehr dringend ist, etwa für Medienanfragen. «Bei einer Anfrage schicke ich eine Nachricht an die gesamte Fraktion und innert zwei Stunden habe ich eine Mehrheitsmeinung», sagt er. Daneben nutzt er mit dem Parteipräsidium und innerhalb der Baukommission eigene WhatsApp-Gruppen.

Seit die linksgrüne Allianz ihre neu gewonnene Mehrheit nutzt, kommt WhatsApp auch für parteiübergreifende Absprachen zum Einsatz. Im Vorfeld der Abstimmung über das Musegg-Parking im Dezember war das erstmals der Fall, seither gibt es eine Gruppe mit den Fraktionschefs von SP, GLP und Grünen sowie den Mitgliedern der Baukommission. Die parteiübergreifende WhatsApp-Kommunikation hat aber Grenzen: «Wenn ich von Bürgerlichen etwas will, greife ich eher zum Telefon», sagt van der Heiden.

Chats vor Fraktions- und Kommissionssitzungen

Auch Jules Gut, Fraktionschef der kleinen GLP, würde WhatsApp für die politische Arbeit nicht mehr hergeben – und beweist es sogleich: Er antwortet auf eine E-Mail-Anfrage innert weniger Sekunden per WhatsApp.

«Am Tag vor der Abstimmung haben wir uns per WhatsApp versichert, dass niemand abwesend ist.»

Jules Gut, GLP

Auch zur Vorbereitung von Debatten, Fraktions- oder Kommissionssitzungen wird gechattet. Wobei: «Während Parlamentsdebatten weniger, da kann man sich kurz umdrehen oder schnell aufstehen, um sich abzusprechen, wir sind ja nur zu viert in der Fraktion.»

Gut bestätigt, dass die Koordination gegen das Parkhaus Musegg zwischen den Parteien via WhatsApp lief. «Am Tag vor der Abstimmung haben wir rückgefragt und uns versichert, dass niemand abwesend ist. Das ging so am einfachsten», sagt er.

Und weiter im Chat zwischen SP, Grünen und GLP:

Fiktiver WhatsApp-Chat zwischen SP, GLP und Grünen.

Fiktiver WhatsApp-Chat zwischen SP, GLP und Grünen.

Eher für belanglose Kommunikation

Auch die SVP «pflegt einen WhatsApp-Gruppenchat», wie Fraktionschef Marcel Lingg auf Anfrage mitteilt. Einerseits in der Fraktion, andererseits in der Parteileitung.

Wenn es sehr schnell gehen müsse, laufen über diesen Kanal zwar auch formelle Diskussionen, in erster Linie steht er aber «für die belanglose Kommunikation, für eine lustige Bemerkung, ein persönlicher Kommentar oder einen Feriengruss» zur Verfügung.

Lingg relativiert die Bedeutung von WhatsApp für seine Partei: «Das Medium ist weit davon entfernt, um als meistgenutztes und unentbehrliches Kommunikationsmittel angesehen zu werden», so Lingg. Die offizielle Kommunikation laufe nach wie vor über E-Mail.

«Durch WhatsApp ergibt sich ein starkes Gruppengefühl, inhaltliche Diskussionen aber sind schwierig.»

Mirjam Fries, CVP

Bei CVP, FDP und Grünen verzichtet man auf offizielle WhatsApp-Gruppen in der Fraktion, man nutzt es höchstens bilateral. Offiziell hält man an den bewährten Kanälen fest. «Durch WhatsApp ergibt sich ein starkes Gruppengefühl, inhaltliche Diskussionen aber sind schwierig», begründet Mirjam Fries, Fraktionschefin der städtischen CVP. Sie ist persönlich in keiner Gruppe.

Entweder sehen die Parteien den Nutzen von WhatsApp-Gruppen als zu gering, oder man zweifelt an der Sicherheit des Dienstes. «Für mich persönlich sind Sicherheitsbedenken ausschlaggebend», sagt Sonja Döbeli Stirnemann, Fraktionschefin der FDP im Stadtparlament.

Nur WhatsApp ist mehrheitsfähig

Jules Gut und Nico van der Heiden sind sich der Sicherheitsrisiken bewusst, aber nehmen sie in Kauf. «Ach, das ist ja bei E-Mails auch nicht besser. Aber es wäre in der Tat ärgerlich, wenn die internen Diskussionen oder die Absprachen zum Musegg-Parking öffentlich würden», sagt der SP-Fraktionschef. «Wir haben das in der Fraktion diskutiert, aber leider ist nur WhatsApp mehrheitsfähig», sagt er. Persönlich verwende er den Schweizer Nachrichtendienst «Threema», der als sicherer gilt.

Marcel Lingg sagt, Risiken würden auch bei E-Mails herrschen. «Ein falscher Klick, eine falsche Weiterleitung kann immer mal passieren. Da die eher formellen Infos und Absprachen bis hin zu vertraulichen Dokumenten aber über E-Mail geführt werden, liegt das Risiko eher da.»

Im Kantonsrat noch wenig verbreitet

Im Kantonsrat nutzen lediglich SP und GLP WhatsApp-Gruppen. Die SP hat Chat-Gruppen in der Fraktionsleitung und in den Kommissionen. Sie kommen vor allem vor Sessionen zum Einsatz. «Wenn es schnell gehen muss und ich nicht allen 15 persönlich telefonieren kann», sagt Fraktionschefin Ylfete Fanaj. Heikle Informationen würden in der SP-Fraktion weder per E-Mail noch WhatsApp ausgetauscht, «da bleibt nur das Telefonieren», so Fanaj.

«Ich persönlich kommuniziere wenig bis gar nicht mit WhatsApp in der Politik.»

Andreas Moser, Fraktionschef der kantonalen FDP

Die kantonale GLP hat zwar eine WhatsApp-Gruppe, führt darüber aber keine fachlichen Diskussionen oder fällt Entscheide. «Wir haben unsere Unterlagen und Notizen zentral gespeichert, jedes Fraktionsmitglied hat Zugang dazu», sagt Fraktionschefin Michèle Graber.

Auch FDP-Fraktionschef Andreas Moser sagt: «Ich persönlich kommuniziere wenig bis gar nicht mit WhatsApp in der Politik.» Man habe eine sehr schnelle und gute interne Kommunikation. «Die zentralen Themen und strategischen Entscheide fallen in Workshops oder in Fraktionssitzungen. Stellungnahmen, die in den Medien kommuniziert werden, gehen über meinen Tisch.»

CVP-Fraktionschef Ludwig Peyer outet sich selber als «kein so grosser Chat-Fan», E-Mails hätten bis jetzt immer gereicht, Vertrauliches lieber mündlich. Auch die kantonale SVP, FDP und Grünen kennen keine WhatsApp-Gruppen in der Fraktion. «Ich brauche WhatsApp nur im privaten Umfeld, weder für den Beruf noch für die Politik», sagt Monique Frey, Fraktionschefin der Grünen im Kantonsrat.

Chatprotokolle können öffentlich werden

Dass Sicherheitsbedenken nicht ganz abwegig sind, zeigt ein Beispiel aus dem Ausland. Wie die «Schweiz am Sonntag» schrieb, kann es nämlich durchaus sein, dass Chatprotokolle eines Tages öffentlich würden.

In Irland hatte die Regierung im Nachgang zur Brexit-Abstimmung ihre Krisenkommunikation über WhatsApp koordiniert. Eine Zeitung verlangte danach, gestützt auf das irische Öffentlichkeitsgesetz, Einsicht in die Protokolle und hatte damit Erfolg.

Zumindest das müssen aber Luzerner Politiker bis auf Weiteres nicht fürchten: Ein Öffentlichkeitsgesetz ist auf Kantons- und Stadtebene noch nicht absehbar (zentralplus berichtete) – Luzern ist einer von fünf Kantonen, in denen noch das Geheimhaltungsprinzip gilt.

Übersicht: Welche Fraktionen nutzen WhatsApp-Gruppen

Nutzt Ihre Fraktion offizielle WhatsApp-Gruppen und wofür? Diese Frage stellten wir allen Fraktionen im Stadt- und Kantonsparlament. Hier die zusammengefassten Antworten.

Stadtparlament:

CVP: Nein. Austausch via E-Mail oder Telefon; SMS und WhatsApp nur bilateral.

FDP: Nein. Keine Gruppenchats, Kommunikation läuft via E-Mail, Telefon oder Meetings.

Grüne: Nein. Per E-Mail oder Face to Face, wenn es komplizierter ist. SMS und Telefon nur bilateral.

GLP: Ja klar 😉

SVP: Ja. Vor allem, wenn es eilt. Gruppe mit Parteileitung und Fraktion. Offizielle Kommunikation weiterhin über E-Mail und persönliche Gespräche.

SP: Ja. Für dringliche Entscheide: Absprache Medienarbeit und Vorbereitung auf Baukommissionsgeschäfte. Drei Gruppen: 1. Gesamte Fraktion, 2. Präsidium und Fraktionschefs (Simon Roth, Claudio Soldati und Nico van der Heiden), 3. Baukommissions-Delegation der Fraktion (Yannick Gauch, Mario Stübi und Nico van der Heiden).

Kantonsrat:

CVP: Nein. E-Mail hat sich bewährt. Gruppen je nach Zweck und Zusammensetzung, aber keine offizielle

SVP: Nein. Kommunikation über internes SVP-Portal

FDP: Nein. E-Mail, Telefon oder direkt, WhatsApp nur privat

SP: Ja. Fraktionschat für Notfälle, fast täglicher Kontakt zwischen Fraktionschefin und Vize-Fraktionschefs. Zudem Chats unter den Mitgliedern der Zweierkommissionen. Heikle Informationen weder per E-Mail noch WhatsApp – dafür bleibe das Telefonieren.

Grüne: Nein. E-Mails wegen besserem Schutz. WhatsApp nur im privaten Umfeld

GLP: Ja. In der Fraktion, bilateral auch zu Stadtparlamentariern und Vorstand. In Kommissionen per E-Mail. Für politische Geschäfte, Absprache bei Medienanfragen, Terminfindung für Feierabendbier 😉

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon