40 Giftboxen installiert – Nutzen ist unklar

Bedenklich: Luzerner Ratten werden «der Bevölkerung zuliebe» vergiftet

In Städten grundsätzlich unerwünscht: Ratten.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

In der Stadt Luzern werden seit Jahren Ratten mit Ködern vergiftet. Doch stellen sie auch wirklich ein Problem dar? Die Verantwortlichen winken ab. Und wissen weder, wie viele Tiere vergiftet werden, noch weshalb.

Die kleinen, grünen Boxen mit Rattengift sind in der Stadt Luzern seit Jahren immer wieder Thema. Da fragt man sich als Passant, ob das Gift überhaupt effektiv ist.

«Ratten sind schlaue Tiere», schiebt Thomas Schmid vom Strasseninspektorat der Stadt Luzern voraus. «Es geht auch nicht darum, alle Ratten aus der Stadt haben zu wollen. Sondern es geht darum, den Bestand unter Kontrolle zu haben.» Wie viele Ratten jedoch am Gift sterben, ist dem Strasseninspektorat nicht bekannt. «Ratten ziehen sich nach dem Verzehr des Giftes an einen Ort zurück, an dem sie sich wohlfühlen – ins Verborgene, in die Kanalisation oder ihre Behausungen. Eine Zählung ist nicht möglich.»

Wenig Handlungsbedarf

Derzeit sind es 30 bis 40 Köderboxen mit Rattengift, die von Spezialisten aufgestellt wurden. «Sie befinden sich entlang der Ufer und an stark belebten Orten, wo ein grosses Nahrungsangebot für die Ratten vorhanden ist», erklärt Schmid. Momentan bestehe wenig Handlungsbedarf. «Doch mit dem Frühling wird wieder mit einer Zunahme gerechnet.» Von einer Plage oder Überpopulation könne in der Stadt jedoch nicht die Rede sein.

«Ein konfliktarmes Nebeneinander zwischen Mensch und Ratte müsste eigentlich möglich sein.»
Thomas Schmid, Strasseninspektorat Stadt Luzern

Die Stadt Luzern sei trotz der grossen Uferfläche nicht mehr betroffen als andere Städte. Doch einen Überblick über die Population zu gewinnen, sei ebenfalls nicht wirklich möglich. «Die Situation wird aber laufend beobachtet. Und die Eingriffe erfolgen dort, wo sie nötig sind.» Man reagiere dabei auf Meldungen aus der Bevölkerung und darauf, was den Mitarbeitern auffällt.

Sara Wehrli vom Schweizer Tierschutz kritisiert dieses Vorgehen: «Leider ist es tatsächlich so, dass die Städte Bekämpfungsmassnahmen meist routinemässig ergreifen, nur weil irgendwo wiederholt ein paar Ratten gesichtet wurden und überhaupt nicht in Abwägung von tatsächlichen Schäden und allfälligem Nutzen der Bekämpfung.» Häufig würden dabei aufgerissene Abfallsäcke oder die blosse Angst gewisser Leute zur Rechtfertigung aufgeführt, etwas gegen Ratten zu unternehmen. «Es müssen gar keine echten, wirtschaftlichen oder gesundheitlichen Schäden nachgewiesen sein.» Ein weiteres Problem sei die Tatsache, dass die Bestände gar nicht überwacht werden können, man also nicht einmal wisse, inwiefern die Bekämpfungsmassnahmen nachhaltig sind, so Wehrli

Viel Gift: Den Ratten wird mit etlichen Köderboxen zu Leibe gerückt.

Viel Gift: Den Ratten wird mit etlichen Köderboxen zu Leibe gerückt.

(Bild: dvm)

Keine Gefährdung bekannt

Doch was genau ist eigentlich das Problem mit den Ratten? Er wisse es auch nicht wirklich, gibt Thomas Schmid zu. «Allenfalls der Mensch selber. Denn von den Ratten geht an sich kaum eine Gefährdung in Sachen Gesundheit aus. Ein konfliktarmes Nebeneinander zwischen Mensch und Ratte müsste eigentlich möglich sein», so Schmid.

Welche Ratte ist bei uns unterwegs?

Bei der Rattenart, welche in der Stadt gesichtet werden kann, handelt es sich um die sogenannte Wanderratte. Ursprünglich war sie in Zentral- und Nordasien beheimatet, wurde aber mit dem reisenden Menschen auf der gesamten Welt heimisch. «Sie ist ein ausgezeichneter Schwimmer und guter Kletterer und lebt in Städten am Wasser, in Deponien, Kanälen und Parks. Sie ist dämmerungs- und nachtaktiv», erklärt Thomas Schmid.

Es müsste Bisse oder Verletzungen bei Menschen mit schwachem Immunsystem geben, damit eine Ratte zur Gefährdung würde. Ein solcher Vorfall ist in Luzern jedoch keiner bekannt – seit Jahrzehnten scheint also nichts derartiges vorgekommen zu sein.

Das Image-Problem

Die Ratte selber kenne keine Grenze, sie unterscheide nicht zwischen Stadt und Land. «Ratten sind sehr intelligent und anpassungsfähig. Und sie haben Mittel und Wege gefunden, sich in Städten wohlzufühlen und zu überleben. Sie haben sich an uns gewöhnt.» Doch anscheinend will sich der Mensch im Gegenzug nicht an die Ratte gewöhnen. Von Ekel und diffusen Ängsten bekommt man zu hören, wenn man nachfragt. «Die Ratte hat ein Image-Problem», weiss auch Schmid. Doch, ob Gift deshalb vertretbar ist, sei jedoch eine grössere ethische und moralische Diskussion, so Schmid.

«Es ist bedenklich, dass die Stadt sogar selber zugibt, dass man Ratten bloss ‹der Bevölkerung zuliebe› und wegen ihres schlechten Rufs bekämpft.»
Sara Wehrli, Schweizer Tierschutz

«Es ist aus Tierschutzsicht sehr bedenklich, dass die Stadt Luzern sogar selber zugibt, dass man Ratten bloss ‹der Bevölkerung zuliebe› und wegen ihres schlechten Rufs und nicht aufgrund von tatsächlichen Problemen bekämpft», so Wehrli. Das bestätigt sich auch, wenn man einen Blick ins Gesetzbuch wirft. Denn das Tierschutzgesetz verbietet es, dass Wirbeltieren – zu denen Ratten gehören – ungerechtfertigt Schmerzen oder Leid zugefügt werde und dass sie qualvoll getötet werden. «Der Nutzen der Schädlingsbekämpfung für Tier und Umwelt muss schwerer wiegen, als das den Schadnagern zugefügte Leiden», heisst es im Gesetz.

Eine Wanderratte in freier Wildbahn.

Eine Wanderratte in freier Wildbahn.

(Bild: fotolia)

Weshalb das Gift?

«Ratten gehören zu den Tieren in der Stadt wie Tauben, Schwäne oder Füchse », gibt Schmid zu. Da stellt sich die Frage, weshalb gegen die Ratten mit Gift vorgegangen wird, jedoch nicht gegen Tauben? Gegen die «geflügelten Ratten», wie diese Vögel so gerne genannt werden, setzt man zwar Mittel wie Schallwellen zur Vertreibung ein, oder man hindert sie mit Installationen auf den Fenstersimsen am Landen. Doch systematisch getötet werden sie nicht.

Abgesehen vom Strasseninspektorat scheint bei der Stadt und beim Kanton Luzern dazu niemand weiter Auskunft geben zu können. Vom Veterinärdienst wird man ans Amt für Landwirtschaft verwiesen, denn Ratten seien Wildtiere. Vom Amt für Landwirtschaft weiter an die Umweltfachstelle, denn Ratten sind nicht geschützt. Dort kann derzeit ebenfalls niemand weiterhelfen. Es bleibt daher unbeantwortet, weshalb die Ratten vom Kammerjäger auch ohne «Überpopulation» mit Boxen vergiftet werden – im Gegensatz zu den anderen «Stadt-Tieren».

 Die Giftboxen

2009 wurden beim Bahnhof Luzern rund 250 Boxen aufgestellt. In den vergangenen zwei, drei Jahren waren zwischen 50 und 70 Boxen in der Stadt verteilt.

Beim Gift in den Boxen handelt es sich um Köder auf Weizenbasis, welche einen Wirkstoff enthalten, der die Blutgerinnung hemmt. Die Ratte verblutet somit innerlich. Das sei für die Tiere schmerzlos, sagen Kammerjäger. «Die Ratte wird durch den allmählichen Blutverlust immer schwächer, zieht sich in ihren Bau zurück und schläft schliesslich ein», erklärte ein Kammerjäger gegenüber zentralplus (zum Artikel). Das Gift wirke aber auch auf Mäuse und alle anderen Nagetiere, die durch das Loch in der Box passen. Allerdings komme es nur sehr selten zu solchen «Kollateralschäden».

«Der Vergiftungstod durch die gängigen Rattengifte ist grausam, und der Einsatz von Gift ist aus Tierschutzsicht klar abzulehnen», betont hingegen Sara Wehrli vom Schweizer Tierschutz. «Wenn schon Ratten getötet werden sollen, dann wären Totschlagfallen vorzuziehen, die sofort töten.» Der Schweizer Tierschutz plädiere jedoch ganz klar für Prävention und Ursachenbekämpfung und nicht für die grausamen und wenig nachhaltigen Tötungen von Ratten.

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