Spontan-Demo war auch ohne Bewilligung zulässig

Richter spricht Luzerner Demo-Teilnehmer frei

Aufnahmen der Demonstration vom 22. April 2015 in Luzern – die Kundgebung führte zu mehreren Anklagen.

(Bild: zvg)

Es war nur eine kleine Versammlung, zudem gewaltlos. Aber die Demonstration vom April 2015 gegen die europäische Flüchtlingspolitik war unbewilligt – und aus Sicht der Behörden illegal. Mehrere Teilnehmer wurden angeklagt. Der Richter widerspricht nun: Spontan-Demonstrationen sind zulässig, auch ohne Bewilligung.

Luzern ist für Demonstranten ein hartes Pflaster. Die Polizei ist in der Vergangenheit öfters unzimperlich gegen Aktivisten vorgegangen und die Luzerner Regierung beschloss, Polizeikosten bei Ausschreitungen auf die Demonstranten abzuwälzen – wurde aber vom Verwaltungsgericht kürzlich zurückgepfiffen (zentralplus berichtete).

Am Montag gab’s nun ein weiteres Gerichtsurteil, das wegweisenden Charakter haben könnte. Das Bezirksgericht sprach einen Teilnehmer einer spontanen, unbewilligten Demonstration frei und kam zum Schluss: Es gibt in Luzern keine Pflicht, eine Bewilligung einzuholen.

Polizei wurde ignoriert

Am 22. April 2015 kam es in Luzern zu einer Spontan-Demonstration. Ein paar Dutzend Teilnehmer folgten einem Aufruf gegen die europäische Flüchtlingspolitik. Eine Bewilligung holten die Verantwortlichen nicht ein, ein Vertreter der Dienstabteilung Stadtraum und Veranstaltungen der Stadt Luzern und die Polizei hatten jedoch Kenntnis von der Demonstration und waren an besagtem Mittwochabend vor Ort.

Die Luzerner Polizei begleitete die Kundgebung mit zivilen und uniformierten Kräften und machte die Aktivisten darauf aufmerksam, dass die Aktion illegal sei. «Grösstenteils wurden wir von den anwesenden Personen ignoriert», steht im Rapport. Die Demonstration verlief aber friedlich und – abgesehen von Knallern und Leuchtpetarden – ohne Zwischenfälle.

«Wir haben aufgezeigt, dass es ein Recht auf Spontan-Demonstrationen gibt.»

Freigesprochener Demo-Teilnehmer

Trotzdem reichte die Stadt Luzern respektive die Abteilung Stadtraum und Veranstaltungen daraufhin Strafanzeige ein. Aufgrund von Foto- und Videoaufnahmen der Polizei wurden sieben beteiligte Personen identifiziert – die Staatsanwaltschaft eröffnete das Verfahren. Der Vorwurf: Widerhandlung gegen das Reglement und die Verordnung über die Nutzung des öffentlichen Grundes der Stadt Luzern.

Nun wurde am Montag das erste Urteil gegen einen der Beteiligten verkündet: Der Einzelrichter hat den angeklagten L. (Name der Redaktion bekannt) in erster Instanz freigesprochen.

Bewilligung kann nicht verlangt werden

Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig und kann weitergezogen werden, aber es könnte durchaus Modellcharakter haben: Denn wie der Einzelrichter bei der Verkündung sagte, gab es im Kanton bisher noch kein Urteil zu einer Spontan-Demonstration. Und er kommt zum Schluss: Es gibt in Luzern keine Bewilligungspflicht für solche spontan einberufenen Versammlungen.

«Für Spontan-Demonstrationen kann das Einholen einer vorgängigen Bewilligung nicht verlangt werden.»

Gerichtsurteil

«Für Spontan-Demonstrationen, die im Rahmen der verfassungsmässig garantierten Meinungsäusserungsfreiheit zulässig sein müssen, kann das Einholen einer vorgängigen Bewilligung nicht verlangt werden», steht im Urteil. Der Richter beruft sich dabei auf ein Bundesgerichtsurteil vom März 2009.

Es gebe zwar im Kanton die Möglichkeit zu einer Meldepflicht, jedoch: «Eine solche ist in der Rechtsordnung der Stadt Luzern nirgends statuiert und es besteht auch keine Strafnorm, die die Missachtung einer solchen Meldepflicht sanktioniert», argumentiert der Richter.

Einen Antrag von L., sämtliche polizeilichen Fotos und Videoaufnahmen aus den Akten zu entfernen, hat der Richter jedoch abgelehnt. Auch wenn ein Urteil dazu aufschlussreich wäre: Nach dem Freispruch spielte dieser Punkt schlicht keine Rolle mehr und war irrelevant für das Urteil, so der Richter.

Ein «wichtiges Zeichen»

Der Angeklagte L. ist mit dem Urteil erwartungsgemäss «sehr happy», er habe den Freispruch erwartet. «Wir haben aufgezeigt, dass es ein Recht auf Spontan-Demonstrationen gibt, es spricht nichts dagegen», sagt er. Es sei weniger ein Erfolg für ihn persönlich, sondern ein «wichtiges Zeichen» dafür, dass Spontan-Demonstrationen in Luzern weiterhin möglich seien. «Denn die Rechtssprechung im Kanton ist ansonsten sehr repressiv», so L.

Einen kleinen Rüffel gab es vom Richter dennoch. Dass L. seine Aussagen im Prozess verweigerte, sei zwar zulässig, der Richter fand es aber «daneben». Denn unter Umständen hätte man sich den ganzen Prozess ersparen und das Verfahren vorzeitig beenden können. Doch L. hält diese Strategie auch im Nachhinein für richtig, weil er vor allem verhindern wollte, dass andere miteinbezogen werden.

Die Prozesskosten von total 1190 Franken gehen nun zulasten des Staates, zudem kriegt der Beschuldigte eine Entschädigung von 3200 Franken. Die Staatsanwaltschaft hat zehn Tage Zeit, um gegen das Urteil Berufung einzulegen.

Interessant ist auch die Frage, was mit den restlichen sechs Anklagen geschieht. Auf Anfrage sagt Simon Kopp, Informationsverantwortlicher der Staatsanwaltschaft, man nehme das Urteil zur Kenntnis und prüfe das weitere Vorgehen. Auch bei der Stadt Luzern will man noch keine Stellung nehmen, bevor man das Urteil gelesen hat.

Lediglich zwischen 30 und 80 Personen

Bei der Demonstration vom 22. April 2015 ging es um die in den Augen der Aktivisten unmenschliche europäische Flüchtlingspolitik. Rund 30 Personen versammelten sich um 18.30 Uhr auf dem Theaterplatz und marschierten über die Bahnhofstrasse und Seebrücke in die Altstadt. Es gab Spruchbänder, einen Musikwagen und Leuchtpetarden. Es kam zu kleineren Verkehrsbehinderungen, Sachbeschädigungen gab es keine. Via Theaterplatz und Pilatusstrasse ging’s schliesslich zum Bahnhofplatz, wo sich etwa 80 Personen versammelten. Nach einigen Abschlussreden war um 19.20 Uhr Schluss.

Auszug aus der Anzeige nach der Demonstration vom 22. April 2015.

Auszug aus der Anzeige nach der Demonstration vom 22. April 2015.

(Bild: zvg)

Der spontane Aufruf zu einem Flashmob fand via WhatsApp statt: «Über 1000 ertrunkene Flüchtlinge in einer Woche? – Eure rassistische Gleichgültigkeit kotzt uns an! Kommt alle zum antirassistischen Flashmob … Bringt Sachen zum Lärmmachen mit. Bitte weiterleiten.» Die Demo verlief ruhig, die Teilnehmer trugen zwar Kapuzen und Sonnenbrillen, waren aber nicht vermummt. Die Polizei schritt schliesslich nicht ein, verhinderte jedoch den geplanten Flashmob auf dem Bahnhofplatz.

Eine falsche Medienmitteilung

Den Ordnungshütern gelang es zunächst trotz Nachfrage nicht, eine verantwortliche Person auszumachen. An der Front des Umzugs befanden sich jedoch «bekannte Leute aus der linken Szene», wie es in der Strafanzeige heisst.

Später am selben Abend verschickten die Aktivisten eine Medienmitteilung, die «absichtlich und unkorrekterweise» den Absender von Stefan Geisseler, Bereichsleiter Stadtraum und Veranstaltungen, trug, wie es in der Anklage heisst. Auf eine Antragsstellung wegen Verleumdung wurde aber verzichtet.

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