Vsitor taufen im Neubad ihr neustes Werk

Luzerner Band auf den Spuren von The xx und Björk

Die Sängerin Lea Maria Fries führt ein Leben zwischen Luzern und Berlin – das behagt ihr.

(Bild: zvg)

Sie absolvierten hier die Jazzschule, es zog sie nach Berlin und dort formten sich zur Band Vsitor. Für seine neue EP reiste das Trio gar nach Island. Das Resultat? Bestechender Pop auf der Höhe der Zeit. zentralplus hat sich mit Sängerin Lea Maria Fries kurz vor der Plattentaufe in Luzern unterhalten.

Lea Maria Fries sitzt auf einer Bank im Bahnhof Südkreuz, Berlin, neben ihr ein junger Mann. Ein Typ setzt sich neben ihn, die beiden zögern keine Sekunde und beginnen zu knutschen. Innig, drei Minuten lang, unablässig. Wenn da keine Musik wäre, man würde es knistern hören.

Und was tut die junge Frau? Gar nichts. Ungerührt und unbeeindruckt starrt sie ins Leere, später aufs Handy und bewegt irgendwann die Lippen zu den Songzeilen: «Boy, you don’t know what you give me …»

Die Szene stammt aus dem Video zum Song «Pheromones» von Vsitor:

 

Angesprochen auf den Clip, lacht Sängerin Lea Maria Fries amüsiert. Jetzt nicht auf einer Berliner Sitzbank, sondern vor einem Ingwertee im beschaulichen Sursee. Sie erzählt: «Wir wollten den Clip zuerst mit zwei Schauspielern drehen. Aber dann fanden wir: Am konsequentesten wär’s, wenn wir das selber machen. Und mit der Kamera voll draufhalten.»

So sieht man da also das Trio Vsitor sitzen, das sich in Berlin angesiedelt hat. David Koch (Gitarre, Elektronik), Lea Maria Fries (Stimme, Keys) – beide aus Luzern – sowie Valentin Liechti (Schlagzeug) aus Genf. «Valentin war zuerst so mittelbegeistert von der Video-Idee», sagt Fries. «Aber für die Kunst, für den Song, machte er es schliesslich.»

Der Clip ist ein bewusster Kontrast zum stereotypen Text, in dem eine Frau von einem Mann schwärmt. «Es war die Idee, das mit zwei Typen genau umzukehren», sagt sie. Die Idee dazu stammt von Olivia Sturny, einer weiteren Luzernerin, die in Berlin gestrandet ist.

Der Clip ist so einfach wie wirkungsvoll. Man bleibt hängen, starrt hin – und fühlt sich gleichzeitig peinlich berührt, dass man gafft. Nur Lea Maria Fries sitzt daneben und bleibt ungerührt.

Pop für Soundästheten

Vsitor haben im November ihre zweite EP «Holakòt» veröffentlicht. Songs wie «Pheromones» oder «Core» zeugen von der Strahlkraft dieser Band. Da ist die Stimme von Lea Maria Fries: einnehmend, glasklar und ungeheuer facettenreich. Vsitor spielen unaufdringliche, elektronische Popmusik auf der Höhe der Zeit. Das ist fragile Musik für Soundästheten, die aber äusserst leicht ins Gehör geht. Kurzum: Es ist Popmusik, wie man sie aus Luzern in dieser Qualität schon lange nicht mehr gehört hat.

«Die Landschaft in Island hat uns alle ziemlich geflasht.»

Lea Maria Fries, Sängerin

Da sind drei Experten und Soundfreaks am Werk, alle drei mit Jazzhintergrund, die sich hier der anspruchsvollen Popmusik verschrieben haben. «David ist ein extremer Nerd, was seine Gitarrensounds und Effekte anbelangt. Er schraubt und lötet tagelang an seinen Effektgeräten», sagt Fries. Mit dem Schlagzeuger Valentin Liechti ist das ursprüngliche Duo schliesslich zum Trio gereift.

Die Stimme als tragendes Element

Lea Maria Fries hat in Luzern Jazzgesang studiert und machte 2014 einen Masterabschluss in Performance. Sie kam während ihrer Ausbildung mit Grössen aus der Schweizer Musikszene zusammen – Susanne Abbuehl, Hans-Peter Pfammatter oder Lauren Newton. Ihre Stimme ist eines der tragenden Elemente des Vsitor-Soundkosmos. «Wir haben immer mehr gemerkt, dass unsere Musik neben all den Sounds auf der Stimme basiert», sagt Fries.

Ihre neue EP haben sie im Rahmen des kantonalen Förderpreises «Tankstelle Musik» aufgenommen. Dieser ermöglicht einer Band, mit einem Produzenten nach Wunsch zusammenzuarbeiten, der die Band weiterbringt.

Das Trio Vsitor: David Koch (links), Lea Maria Fries und Valentin Liechti.

Das Trio Vsitor: David Koch (links), Lea Maria Fries und Valentin Liechti.

(Bild: zvg)

Ab nach Island

So kam es, dass Vsitor im Frühling 2016 für zwei Wochen nach Island gereist sind und dort in den renommierten Greenhouse-Studios des Produzenten Valgeir Sigurðsson aufgenommen haben. Da sind immerhin schon Björk, Sigur Rós oder The xx ein- und ausgegangen – keine schlechten Referenzen.

Plattentaufe im Neubad

Die EP «Holakòt» von Vsitor ist im November erschienen (Red Brick Chapel Records). Nun steht die Plattentaufe in Luzern an: FR 20. Januar im Neubad-Keller. Als Support spielt East Sister, eine weitere Band aus dem Kollektiv Red Brick Chapel – und ebenfalls eine Band mit mehrheitlich Luzerner Beteiligung.

«Wir hatten Sigurðsson angefragt, weil es vom Sound her gut zu ihm passt», sagt Fries. Bei ihm gehe es immer um die Verknüpfung von akustischen und elektronischen Sounds, wie auch bei Vsitor. «Unser Sound hat ihm gefallen», sagt sie. Weil der Produzent aber nur im eigenen Studio in Island arbeitet, fuhren sie also zu ihm.

Bevor es ins Studio ging, hat sich die Band in einer Hütte ausserhalb von Reykjavík eine Woche eingenistet, um an den Sounds zu feilen. Daher auch der Name der EP: «Holakòt» heisst auf Isländisch so viel wie «Kleines Häuschen auf dem Hügel». «Wir wollten den Mood spüren und genug Zeit haben, um uns von Island inspirieren zu lassen. Wir gingen spazieren, kochten zusammen und sprachen über Musik», erzählt Fries. Die Landschaft habe sie alle «ziemlich geflasht».

Debütalbum folgt 2018

Den ersten Schritt machte Vsitor 2015 mit der ersten EP, damals noch als Duo. Es folgte eine Tour durch Europa, sie arbeiteten weiter an ihren Sounds, und dann kam die Chance mit Island. Warum eine weitere EP und noch kein Album? «Wir haben uns das schon überlegt, wir hatten einen Pool an Songs, fanden dann aber, dass wir noch auf dem Weg sind, dass wir noch weiterschreiben und weiterarbeiten müssen.»

«Wir sind eine Band, die sehr intensiv und sehr nahe zusammenarbeitet.»

Lea Maria Fries

«Try and Error», nennt Lea Maria Fries die Zeit des Ausprobierens und des Sammelns von Erfahrungen. «Wir sind als Band einen grossen Schritt weitergekommen», sagt sie. Der Klangkosmos habe sich verfeinert, «wir verschmelzen als Trio immer besser».

Nun ist die EP eine weitere Momentaufnahme, ein weiterer Fixpunkt auf dem Weg zum Debütalbum, das auf Frühling 2018 geplant ist. Und bis dahin? «Schaffen, schaffen, schaffen», sagt Fries unprätentiös. 2017 sei keine Tour geplant, die Band will neue Songs schreiben und ihren Sound nochmals schärfen.

Immer dran bleiben

Ihre Ambitionen sind hoch, sie meint das mit Vsitor ernst, das spürt man im Gespräch mit der Sängerin. Und Vsitor ist auch nicht einfach eine Projektband neben vielen, wie das bei Profimusikern nicht selten ist, sondern für alle drei die Hauptsache: «Wir sind eine Band, die sehr intensiv und sehr nahe zusammenarbeitet», sagt Fries. Das habe die Band im letzten Jahr – auch dank Island – nochmals extrem vorwärtsgebracht.

Der Song «Core», ebenfalls von Vsitors neuer EP:

 

Einfacher, das weiss man ja inzwischen, ist das Musikbusiness nicht geworden. Da hilft sicher das Kollektiv Red Brick Chapel, zu dem Vsitor gehören, wo man sich gegenseitig unterstützt und Erfahrungen austauscht.

Doch das persönliche Engagement bleibe das A und O. «Wir sind immer am Arbeiten und Weibeln; wenn du nicht die ganze Zeit dran bist, dann kannst du’s vergessen», sagt sie. Und trotzdem brauche alles seine Zeit, das mussten wir lernen. «Das Musikbusiness ist einfach recht absurd geworden, alle hören Musik, aber kaum jemand zahlt dafür, damit muss man sich arrangieren», sagt sie.

Pendeln zwischen Berlin und Luzern

Lea Maria Fries’ Lebensmittelpunkt bleibt bis auf weiteres Berlin, sie führt ein Nomadenleben, pendelt zwischen den Wohnorten hin und her. In Luzern arbeitet sie als Gesangslehrerin und macht noch einen zweiten Master – aber dieses Pendlerleben behagt ihr durchaus. «Ich kann es so organisieren, dass Vsitor immer zuerst kommt, ich bin sehr happy damit.» 

Sie hat ein klare Arbeitsteilung. Berlin ist dabei Kreativort: schreiben, proben, ausprobieren. Alles Organisatorische und Administrative versucht sie in der Schweiz zu erledigen. «So habe ich den Kopf frei, wenn ich nach Berlin gehe und kann besser kreativ arbeiten», sagt sie.

Keine Computer

Nun steht das Konzert im Neubadkeller an, ein Ort, der ganz ihrem Sound entspricht. Trotzdem sind Konzerte für eine solche Band mit viel Elektronik und komplexen Sounds immer eine Gratwanderung.

«Unser Credo ist: keine Computer auf der Bühne», sagt Fries. Das mag angesichts des vielschichtigen, elektronischen Sounds überraschen. Aber ab Computer wirke das für sie oft kühl. «Das hört man einfach, wir versuchen einen organischen Sound hinzubekommen, mit alten Synthies, die eigenwillig tönen, rauschen und knacksen», sagt Fries. Und nicht zuletzt ist es ein schönes Statement in der heutigen Zeit, wo kaum mehr eine Band ohne Laptop auftritt.

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