Luzerner Autor kämpft gegen Verbote

Buch über pädophilen Vater ist zu viel für die Verwandtschaft

Dominik Riedo und sein Buch haben für grosses Interesse gesorgt – und für grossen Ärger.

(Bild: zVg)

Das Buch über seinen pädophilen Vater schlug richtig ein. Doch nun soll Verfasser Dominik Riedo keine weiteren Exemplare drucken dürfen – auf jeden Fall, wenn es nach den 14 Geschwistern seines Vaters geht. Diese wollen das Thema schnellstmöglich begraben.

Der Luzerner Schriftsteller Dominik Riedo bringt ein neues Buch heraus: Das ungezähmte Seepferd. Gleichzeitig sollte die zweite Auflage seines letzten Werkes in Druck gehen. Im Buch «Nur das Leben war dann anders. Nekrolog auf meinen pädophilen Vater» hatte Riedo ein ganz privates Kapitel seiner Familiengeschichte aufgeschlagen (zentralplus berichtete).

Es ist ein Thema, das viele Menschen lieber totschweigen. Doch Riedo schreibt in seinem Buch nicht nur über die eigenen Erinnerungen an seinen Vater, der 1992 mit elf weiteren pädophilen Männern in Luzern verurteilt wurde. Er lässt auch seinen verstorbenen Vater zu Wort kommen – durch die Tagebücher, welche dieser ihm vermacht hatte. Dazu kommen Polizeiprotokolle, Artikel, psychiatrische Gutachten.

14 Geschwister auf den Barrikaden

Das Thema bewegt. Die Innensicht und Riedos ganz persönlicher Bezug machte das Buch zum Erfolg. Die erste Auflage ist ausverkauft. Nun sollte die zweite in den Druck – was jedoch auf unbestimmte Zeit vertagt ist. «Die 14 Geschwister meines Vaters fordern, dass das Buch so nicht mehr herausgegeben werden darf», erklärt Riedo auf Anfrage von zentralplus.

Eine schwierige Situation für den 42-jährigen Autor und eine überraschende. «Ich habe mich sehr gewundert, denn mit vielen meiner Onkel und Tanten stehe ich in Kontakt. Wir hatten uns noch gesehen, teilweise haben sie das Buch gleich bei mir persönlich bestellt, noch bevor es in den Läden war. Mein Götti ist dabei, das Gotti meines Bruders. Das ist eine sehr seltsame Situation», so Riedo.

«Man kann so etwas nicht einfach totschweigen.»

Seltsam sei auch der Zeitpunkt. Denn das Buch ist letztes Jahr herausgekommen, das Einschreiben kam im Oktober 2016 – also ganze 15 Monate später. «Und ich bin auch ehrlich sauer, dass sie keine Anstalten gemacht haben, zuerst mit mir darüber zu sprechen, mit mir gemeinsam nach einer Lösung zu suchen.» Es wurde nur über einen Anwalt Kontakt aufgenommen. Die Forderungen: Passagen sollen gestrichen werden, die auf den Erinnerungen Riedos beruhen. Er soll keine Lesungen mehr machen dürfen, keine Interviews mehr geben, keine Werbung machen.

Kuschen vor dem Anwalt

Der Schriftsteller versteht die Forderungen nicht. Er hoffe aber, dass man sich noch irgendwie finde, um des Friedens willen. Momentan sieht es jedoch nicht so aus. Riedos Verleger will keinen Rechtstreit riskieren und wird nun doch keine zweite Auflage drucken lassen. Die Rechte am Buch bleiben jedoch momentan noch beim Verlag, welcher gegenüber von zentralplus keine Stellung nehmen möchte. Genauso wie der Anwalt von Riedos Verwandten.

Riedo ist enttäuscht: «Dass man mit einem Anwalt drohen kann und schon kuschen die Leute – das ist traurig.» Einen neuen Verlag zu suchen ist für ihn gerade keine Option. Zu schwierig sind die Voraussetzungen, wenn die Rechte nicht bei ihm sind und dann ein zusätzlicher Rechtsstreit droht.

Der Schriftsteller Dominik Riedo hat ein Buch über seinen pädophilen Vater geschrieben.

Der Schriftsteller Dominik Riedo hat ein Buch über seinen pädophilen Vater geschrieben.

(Bild: jav)

Schweigen und Verdrängen

Gekuscht wurde in Bezug auf Riedos Buch schon einmal, im Juni 2015. Die SRF-Sendung «Schweiz aktuell« hatte einen Bericht ausgestrahlt, welcher jedoch innerhalb von 24 Stunden wieder vom Netz genommen wurde. «Ich wurde informiert, dass sich meine Verwandten beschwert hatten. Der Bericht reisse alte Wunden auf.» Diese Haltung ist für Riedo nichts Neues. «Meine Verwandten denken so: Wenn man über etwas nicht spricht, dann existiert es nicht.»

Das Thema sei in der Familie ein grosses Tabu. «Sie sagen, meine Aussagen seien nicht wahr, sie bestreiten alles.» Dies sei jedoch eine neue Taktik. «Damals, als es rauskam, alles in der Presse stand und als mein Vater vor Gericht verurteilt wurde, hatten sie alle Kontakte abgebrochen. Er war für sie gestorben.» Auch für ihn und seinen Bruder sei es nicht einfach gewesen, «aber man kann so etwas nicht einfach totschweigen. Damit verschwindet die Situation nicht.»

Drohanrufe und «Brieffreundschafen»

Darüber zu reden sei ihm sehr wichtig. Und vielen anderen Menschen offensichtlich auch. Das habe er nochmals durch die vielen Reaktionen gemerkt, die er auf das Buch erhalten hat. «Es waren ungewöhnlich viele – im positiven, aber auch im negativen Sinn», sagt Riedo. Mittlerweile habe er eine ganze Kiste voller Briefe zuhause.

«Vielen ging es darum, die Schere im Kopf loszuwerden – nicht in Schwarz und Weiss zu denken.

Erst kamen die Drohanrufe und -briefe, viele Beschimpfungen. Diese erhielt Riedo jedoch vor allem, bevor das Buch erschien. «Die Leute glaubten, ich verteidige Pädophile und ihre Taten. Als das Buch dann draussen war, veränderte sich der Tonfall. Die Leute verstanden, dass es nicht darum geht, die Taten meines Vaters zu verteidigen.»

«Kein Täter werden»

Viele Opfer – darunter auch sehr viele Frauen – hätten sich gemeldet. Es gehe ihnen nicht darum, zu verzeihen, aber sich irgendwie zu versöhnen. Auch einige Pädophile haben aus dem Gefängnis heraus Kontakt zu Riedo aufgenommen. Teilweise pflegt er noch immer einen intensiven Briefkontakt mit ihnen. «Es gibt auch offizielle Selbsthilfegruppen, die mir geschrieben haben. Gruppen von Pädophilen, welche ihre Neigungen nicht ausleben wollen. Wie in Deutschland die Vereinigung «Kein Täter werden», bei welcher ich vor Kurzem auch einen Vortrag hielt.»

Das Buch mit der Innensicht eines Pädophilen durch die Tagebucheinträge seines Vaters zeige viele Probleme auf – wie die Isolation und das Selbstmitleid von Pädophilen – und dementsprechend wichtig ist es als Spiegel. Einige der Gruppen hätten das Buch bereits für Sitzungen hinzugezogen, um Pädophilen, die keine Täter werden wollen, aufzuzeigen, was wichtig ist, um nicht in eine solche Spirale zu geraten.

«Doch auch nicht Betroffene haben mir sehr positive Briefe geschrieben. In vielen ging es darum, die Schere im Kopf loszuwerden – nicht in Schwarz und Weiss zu denken. Das hat mich sehr berührt.»  Und gerade deshalb sei es schade, dass das Buch nun nicht mehr verlegt werden könne, bedauert Riedo.

Dominik Riedo mit seinem Vater Otto. (Bild: zvg)

Dominik Riedo mit seinem verstorbenen Vater Otto. (Bild: zVg)

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