Jagd-Repo vom Kleidertauschen im Neubad

Wer zu spät kommt, den beissen die … beigen Blazer

Das Neubad war am Sonntagnachmittag gut gefüllt. (Bild: jav)

zentralplus war Kleidertauschen im Neubad und hatte dabei trotz oder gerade wegen des Ansturms recht Erfolg. Der «Walk-in-Closet» bestach mit erfrischenden sozialen Interaktionen und nervte mit nervösem Latinsound.

Am Sonntagmittag machen wir uns auf den Weg durch den Regen, mit zehn ausgemisteten Kleidungsstücken und einem Fünfliber im Sack. Nach Shoppen fühlt sich das irgendwie so gar nicht an.

Doch wenn man nicht unbedingt Kleider aus Blut und Schweiss von ausgebeuteten und gesundheitlich ruinierten Menschen aus Schwellenländern am Körper tragen möchte, ist Kleidertauschen eine gute Alternative – neben Flohmarkt, Brocki und der kleinen Auswahl an Fairer Mode.

Kleiderberge im Pool

Und die Vorteile von Kleidertauschen scheinen so einige entdeckt zu haben. Als wir kurz nach 14 Uhr in der Nähe des Neubads auftauchen, sieht man schon lauter Tauschfreudige mit Rucksäcken, Ikea-Taschen und prall gefüllten Abfallsäcken aus allen Richtungen ankommen.

Im Pool herrscht bereits Hochbetrieb: Berge von Kleidungsstücken, die beim Eingang aufgetürmt werden, wandern durch die Hände der Helfer an Kleiderbügel, runter in den Pool und ran an die improvisierten Kleiderstangen aus Schnüren und Spanset.

(Bild: jav)

200 Besucher kamen zum Kleidertauschen. (Bild: jav)

Die Einen stehen noch verwirrt in der Gegend herum und beobachten, wie Kleider fliegend aus Händen an die Schnüre und zurück in neue Hände wechseln.

Andere haben bereits den «Brocki-Flohmarkt-Blick» aufgesetzt und filtern gekonnt. Die zu 90 Prozent weibliche, gut durchmischte Jägerschaft ist zu Beginn so fokussiert, dass Freunde teilweise mehrmals aneinander vorbeilaufen, bevor sie sich erkennen. Die Gesichter-Erkennung scheint im Austausch für den modischen Qualitätsblick auf Stand-by geschaltet.

Die Jägerinnen sind los

Die ganz Gefizzten positionieren sich direkt beim Tisch, bei welchem die stetig neu ankommenden Kleider vom Eingangsbereich in den Pool runtergereicht werden.

Jagdgefühl liegt in der Luft. Man wird fast nervös und dem wirkt die Musik nicht gerade entgegen. Das poppige Salsa-Gedudel ist schon nach wenigen Minuten nervtötend. Ich hoffe für alle Walk-in-Closets, dass das Neubad diese Musikauswahl verbrochen hat und beim nächsten Mal ein anderer Musikverantwortlicher zuständig ist. Vielleicht einer mit einer etwas entspannteren Plattensammlung. Denn ein Sonntagnachmittag, 200 Tauschfreudige und ungefähr fünfmal so viele Kleidungsstücke würden etwas ruhigere Musik gut vertragen.

Kleider mit Gesichtern

Andererseits entsteht schnell auch eine sehr freundschaftliche Atmosphäre. Man bekomplimentiert nicht nur Freunde und Bekannte, sondern auch Wildfremde für ihre Wahl. Man plaudert mit den Leuten, die man mit den Kleidern sieht, welche man selbst mitgebracht hat und wird von denen angequatscht, deren Sachen gerade über der eigenen Schulter hängen. Ein Top, welches die nette Dame aus Wien nach Luzern mitbrachte oder ein Shirt aus Tel Aviv wandern dann gleich noch lieber in den Rucksack.

Ein Kompliment muss hier auch an die Helfer gehen – wie bei solchen Bergen an Bekleidungsstücken und wuselnden Menschen stets Ordnung und Ruhe herrscht, das ist wirklich beeindruckend.

(Bild: jav)

Gegen 16 Uhr gings schon dem Ende zu. (Bild: jav)

Immer mehr vielbepackte Menschen verlassen das Neubad in Scharen und nach nur zwei Stunden ist der Spuk schon fast wieder vorbei.

Und der Rest?

Nicht mitgenommene Kleider, Taschen und Schuhe werden wohltätigen Organisationen gespendet oder je nach Aktualität in die jeweiligen Krisengebiete geschickt. So konnten beispielsweise schon die Winterhilfe, Flüchtlinge in Calais oder die Caritas unterstützt werden.

Ein Wunder, dass überhaupt noch Klamotten an den Schnüren hängen. Doch besonders die beigen Blazer und die hautengen Kleidchen in Leopardenprint und Blumenmuster in schreienden Farben bleiben hängen.

Mit vollen Taschen machen wir uns auf den Heimweg – wie so viele andere, die heute mit gutem Gewissen Mode «konsumiert» haben. Oder ging’s den Meisten einfach nur darum, dass das ganze «Shoppingerlebnis» praktisch gratis ist?

Und wenn – es trübt diesen Sonntagnachmittag nicht.

(Bild: jav)

Die Ausbeute. (Bild: jav)

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