Zwei Wochen lang haben sie gekrampft, gemalt und gesprayt – nun ist das Neubad wieder bis oben voll mit Kunstwerken von 50 Künstlern aus aller Welt. Das Festival Neusicht zeigt, wie das Thema Wasser künstlerisch inspiriert. Viele Werke sind aber nur von kurzer Dauer.
Eveline Schaffner ist froh um die 30 Minuten Verschnaufpause während des Interviews. Hinsetzen und durchatmen. Die letzten zwei Wochen wurde das Neubad zu ihrem Wohnzimmer, fast ununterbrochen hat das anstehende Festival sie gefordert. «Wir haben zwei Wochen lang gekrampft, ich kann es nicht anders sagen», sagt die Kommunikationsverantwortliche von Viva con Agua, dem Verein, der das Festival Neusicht organisiert.
Dutzende Künstler sind hier in den letzten Tagen ein- und ausgegangen, haben gemalt, gesprayt, geklebt. Und da sich Künstler bekanntlich nicht an Bürozeiten halten, war die Neusicht-Vorbereitung ein 24-Stunden-Betrieb.
Wandgemälde trifft Luzerns Geschmack
«Die grösste Galerie Luzerns» schrieb zentralplus vor einem Jahr bei der Premiere des Festivals Neusicht. Und es ist nochmals gewachsen: Neu kam ein über 100 Quadratmeter grosses Wandbild dazu. Seit ein paar Tagen ziert ein Wal des international hoch gehandelten Luganeser Streetart-Duos Nevercrew die Aussenfassade des Neubads (zentralplus berichtete). Das Riesengemälde hat sich bereits zum neuen Liebling in Luzern gemausert. Es verschafft dem Festival zusätzlich Publicity und macht die Stadt etwas farbiger.
«Wir sind enorm gewachsen im Vergleich zum letzten Jahr», sagt Eveline Schaffner. Es sind mehr Künstler, viel mehr Helfer, und es ist besser organisiert. «Wir haben jetzt mehr Erfahrung, letztes Jahr kam die Idee etwa fünf Monate vor dem Festival auf», sagt Schaffner. Nun habe man auf die Vorarbeit und das Netzwerk bauen können.
Kunst bis unter die Decke
Das zweite Kunst- und Kulturfestival Neusicht findet am Freitag (ab 17 Uhr) und Samstag (ab 14 Uhr) im Neubad statt. Erwartet werden rund 1500 Besucher. Neben den zahlreichen Kunstwerken im und am ganzen Haus gibt’s auch ein Rahmenprogramm, das sich sehen lassen kann: am Freitag Konzerte des syrischen Musikers Palmyra sowie des Zürchers Dave Eleanor.
Am Samstag gibt’s am Nachmittag Live-Kunst und am Abend dann spielen Noti Wümié (Benjamin Noti & Greis), der junge Amerikaner Conner Youngblood sowie Leslie Clio aus Deutschland. Tickets gibt’s über die Webseite.
Es wartet wieder ein bis unter die Decke mit Kunst gefülltes Neubad auf die Besucher. Mit Tape steht am Eingang auf dem Boden «Art Creates Water»: Aus Kunst wird Wasser. Diese auf den Boden geklebte Tape-Art zieht sich durch die ganze Ausstellung bis hinauf in den Pool weiter.
Künstler aus vier Kontinenten
Ab Freitagabend und am Samstag sind die Werke zu bestaunen (siehe Box). Und natürlich auch zu kaufen, denn der Verein Viva con Agua will mit dem Festival letztlich Geld sammeln für Trinkwasserprojekte in Nepal, Guatemala oder Mosambik.
Es sind wiederum über 50 Künstler, die im Neubad auf 800 Quadratmetern ausstellen. Querbeet regional bis international, sie reisen aus vier Kontinenten an. Viele von ihnen waren letztes Jahr schon dabei. «Einige sind inzwischen enge Freunde von Viva con Agua», sagt Schaffner. Luzerner Künstler wie das Duo Queen Kong, Kaspar Wyss alias Noirt oder Linus von Moos aka Rips 1.
Zu den Freunden gehört auch Rebelzer aus Deutschland: Er hat am Hamburger Millerntor-Stadion, dem Zuhause des Kult-Clubs FC St. Pauli, die Aussenfassade gestaltet. Denn das Vorbild für das Neusicht kommt aus der Hansestadt, dort findet ein ähnliches Festival jeweils im Fussballstadion statt und Künstler nehmen Jahr für Jahr die Katakomben in Beschlag.
«Auf der gleichen Wellenlänge»
Die Künstler kommen von allein – überreden muss Viva con Agua niemanden. «Unsere Vision ist, mit Kunst und Kultur und Musik das Thema Wasser zu vermitteln», sagt Schaffner. So hat der Verein inzwischen ein grosses Netzwerk im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus.
Selbst der französische Star Zaz ist gratis aufgetreten – die Chasonnière ist sogar von sich aus auf Viva con Agua zugekommen. Sie unterstützt selber karitative Projekte und war anlässlich ihres Blue-Balls-Auftritts 2015 auf Viva con Agua aufmerksam geworden – der Rest hat sich dann ergeben. «Sie hat uns kontaktiert, wir haben uns kennengelernt und gemerkt, dass wir voll auf der gleichen Wellenlänge sind, das ist extrem toll», sagt Eveline Schaffner. 70 Prozent des Verkaufserlöses fliesst in Wasserprojekte, 30 Prozent erhalten die Künstler. So kamen letztes Jahr rund 30’000 Franken zusammen – dieses Jahr hofft man auf noch mehr.
Fünf Tage gesprayt
Die meisten Werke hängen an den Wänden, andere sind direkt auf Fassaden aufgemalt oder geklebt. Sie sind im Pool, im Treppenhaus oder in den Duschkabinen. Einige Werke sind im Neubad entstanden, doch den Grossteil machen bestehende Werke aus, welche die Künstler zur Verfügung stellen. Einer, der sein Werk im Neubad angefertigt hat, war der Zürcher Graffiti-Künstler Redl: «Er war fünf Tage hier und hat am Bild gearbeitet und hier gesprayt», sagt Schaffner.
Das diesjährige Motto «Wasser ist Leben» ist bei einigen Werken offensichtlicher, bei anderen gar nicht. «Wir wollen die künstlerische Freiheit nicht einschränken», sagt Schaffner. «Aber es hat schon einen blauen Faden durchs Ganze.»
Der Wow-Moment
Nun öffnet die Ausstellung für das Publikum, doch für Eveline Schaffner war das eigentliche Highlight schon zuvor: «Mein persönlicher Wow-Moment war in der Aufbauphase, weil zeitweise 20 Künstler am Malen und Sprayen waren und dazu alle die freiwilligen, grösstenteils jungen Helfer.»
Über 80 Helfer seien es für das ganze Festival hier, alle ehrenamtlich und sogar aus Deutschland angereist. Auch die Musiker und Künstler verzichten allesamt auf Gagen. «Dass hier so viele junge Leute so inspiriert und motiviert sind, ist grossartig, das zeigt den Viva-con-Agua-Spirit.»
Ein Festival auf Zeit?
Am Sonntag wird alles wieder vorbei sein, und man glaubt es kaum, doch die Werke und Graffitis auf den Wänden verschwinden dann auf Nimmerwiedersehen – die Wände werden wieder weiss übermalt, da auch das Neubad nicht unbegrenzt freie Flächen hat. «Da blutet uns schon etwas das Herz, da steckt so viel Arbeit drin», sagt Sabrina Nick, die für die Künstlerkoordination verantwortlich ist.
Nur der Riesenwal an der Aussenfassade darf länger bleiben – zumindest solange das alte Hallenbad noch steht, sicher also bis 2020. Ist also das Neusicht wie auch das Neubad ein Festival auf Zeit? Schaffner dazu: «So weit denken wir noch nicht, wir nehmen Jahr für Jahr, aber ich glaube nicht, dass es unbedingt ans Neubad gebunden ist, es gäbe sicher andere geeignete Locations, die ihre Wände anmalen lassen.» Auch wenn natürlich die Wasserthematik nirgends so gut hinpasst wie ins alte Hallenbad.
Mehr Bilder aus dem Neubad gibt’s in der Galerie:
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