Clavadetscher's neustes Werk an zwei Spielorten

Mehr Gift für die Sauberkeit

Patric Gehrig, Jürg Plüss und Prisca Gaffuri. (Bild: zvg)

Später weiss man immer alles besser. Das ist uns allen bestens bekannt. Aber vielleicht wüsste man es auch früher schon besser. Wenn man denn nur wollte. In «Später.Früher.Meister», einem Stück in zwei Teilen für zwei Spielorte, zeigen die Autorin Martina Clavadetscher und die Regisseurin Sophie Stierle, wie eine Dorfgemeinschaft verzweifelt versucht, den Schein zu wahren. Eine Kritik.

An der Wasseroberfläche schwimmt ein kleines Drecksklümpchen. Für jedermann sichtbar stört es die Reinheit, die Friedlichkeit, die Ruhe des Wassers. Was jetzt? Das Drecksklümpchen muss unsichtbar gemacht werden. Vertuschen – so würde man das wohl nennen. Und Wasser kann das, Wasser kann das sehr gut sogar. Wasser nimmt alles in sich auf, es absorbiert die Geräusche, die Geschehnisse, den Dreck. Und vermengt alles zu einer einzigen, dreckigen Masse.

In «Später. Früher. Meister» geschieht genau das. Das Drecksklümpchen ist niemand Geringeres als der Bademeister selbst. Er, der eigentlich für die Reinigung und damit die Reinheit des Wassers zuständig ist. Nur gut, gibt es die Dorfgemeinschaft. Ob am Stammtisch bei Bier und Schnaps oder an einer Heldenfeier bei Lachs und Prosecco: Sie will nichts hören und nichts sehen. Genau so geht das mit dem Vertuschen. Schliesslich ist Marco, der Meister, ja ihr Held. Vor Jahren hat er einen ausländischen Jungen aus dem See gerettet. Eine Heldentat just zum richtigen Zeitpunkt. Nämlich damals, als das Dorf als «fremdenfeindliches Drecksloch» Schlagzeilen machte. Der Meister bewies allen, was die Dorfbewohner selbstverständlich schon immer wussten: In diesem Dorf wird kein Unterschied gemacht. Mensch ist Mensch. Aber die Helden-Rolle passt nicht zum Meister und Held-Sein kann man nicht spielen. Das weiss er, nur die Dorfgemeinschaft will es nicht wahrhaben.

Stimmig sind die Atmosphäre und der gesamte Theaterabend. Stimmig, ausgeglichen wie das Wasser und rund. Zu rund vielleicht?

Später im Kleintheater

Der Beginn des Stücks im Kleintheater ist das eigentliche «später». Die Zuschauer sitzen um den Stammtisch herum, es herrscht eine vielsagende Stimmung. Am Stammtisch sitzt das immer gleiche Grüppchen: Bruno, Frau Gisler, Marco und Marlis, die Servierdüse. Lustig wollen sie sein, ausgelassen und fröhlich. Saufen wollen sie und singen. Marco, ihr Meister, versucht mitzuhalten. Doch immer wieder spült es den Dreck stückchenweise an die Oberfläche. Je mehr er versucht, das Wasser zu reinigen, desto mehr bäumt sich der Dreck dagegen auf. Immer noch mehr Chlor, mehr Gift für die Sauberkeit muss her. Mit vereinter Kraft versuchen die Dorfbewohner, den Dreck unter die Oberfläche zu drücken. Aber allen ist klar: Irgendetwas stimmt nicht – nur was?

Früher im Neubad

Im zweiten Teil, wahrlich auf dem Grund (im ehemaligen Pool) angekommen, werden die Geschehnisse der Vergangenheit ergründet. Zu den vier Stammtisch-Besuchern gesellt sich Helen, die im «früher» noch lebt. Schon vorher war klar, dass Helen was mit dem Drecksklümpchen zu tun hat, doch die Spannung wird bis zum bitteren Ende des Stückes hochgehalten. Die fünf Schauspieler agieren dabei als harmonierendes Kollektiv. Ihre Präsenz genügt, um die Zuschauer in den Bann zu ziehen; Requisiten benötigt dieses Stück so gut wie keine. Auch hier, im «früher» – als das Neubad noch Hallenbad war – wird gesungen, gewettert, geredet. Aber auch geschwiegen, über vieles.

Textlich ist das Stück flüssig gestaltet, es wird alles gesagt, aber niemals zu viel und zu schnell oder zu wenig und zu langsam. Stimmig ist wohl das Wort, welches das Stück am besten beschreibt. Stimmig sind die Spielorte, für welche Clavadetscher und Stierle «Später. Früher. Meister» entwickelt haben. Stimmig ist das Stück in sich, alles geht auf. Stimmig sind die Atmosphäre und der gesamte Theaterabend. Stimmig, ausgeglichen wie das Wasser und rund. Zu rund vielleicht?

Simone Keller

Weitere Vorstellungen: FR 16.09, SA 17.09, SO 18.09

Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit kulturteil.ch entstanden und kann dort ebenfalls gelesen werden.

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