Zug: Mit Asylbewerbern unterwegs

Das Wandern ist des Ramzis Lust

Die Wanderung durch die Hügel von Menzingen führt an so manchem Gartenzwerg vorbei. Isa leistet ihm Gesellschaft.

Was gibt es Besseres, um Ausländern die Schweiz zu zeigen, als miteinander auf Wanderschaft zu gehen? Das haben wir gemacht. Sind mit einem Libanesen, einem Türken und einem Georgier über die Hügel gezogen. Und liessen uns erklären, wie eine Kuh funktioniert.

Samstagnachmittag, Viertel nach eins vor der Asylunterkunft Gubel. Einige Afrikaner liegen im Schatten eines schmächtig gewachsenen Bäumleins. Drei weitere Männer – kommen sie aus dem Nahen Osten? – sitzen vor einem schattenspendenden Baucontainer. Sind sie alle aus dem gleichen Grund hier wie ich? Wollen auch sie in dieser brütenden Hitze – es herrschen satte 30 Grad – mit auf die Wanderung? Von der Organisatorin, der Nonne Gisela Maria, noch keine Spur.

Die Gruppe Afrikaner macht sich mittlerweile auf den Weg ins Dorf nach Menzingen. Alleine diese Strecke hin und zurück (90 Minuten) könnte bereits als Miniwanderung durchgehen (zentralplus berichtete). Dazu kommt, dass einige der hier wohnhaften Asylbewerber wohl hunderte Kilometer zu Fuss zurücklegen mussten, um von dort wegzukommen, wo sie einst zuhause waren. Da ist die Frage berechtigt, wer da noch freiwillig länger laufen will. Schwester Gisela Maria kommt an, gemeinsam mit Barbara Müller Hoteit, Co-Präsidentin der CSP Zug, welche die Wandertruppe begleiten wird.

Ein Kreis, ein Tennisball, oh oh …

Tatsächlich sind es letztlich nur die drei Männer, die mitwandern werden. «Offenbar hatte auch eine Gruppe von Afrikanern Interesse, sie waren sich jedoch unsicher wegen des Treffpunkts und sind ins Dorf gelaufen», erklärt die Nonne. Nun denn, mit einem weiteren Begleiter, Peter Häsler, sind es nun vier Schweizer und drei Asylbewerber, die den geplanten Weg unter die Füsse nehmen wollen. Doch erst einmal machen wir auf Schwester Gisela Marias Geheiss einen Kreis, und sie holt einen Tennisball hervor. Oh oh, ob es zuerst ein peinliches Spiel gibt? Zum Glück nicht. Es geht einzig darum, seinen Namen zu sagen und zudem, woher man kommt.

«Ramzi, I’m from Lebanon», sagt ein Mann mit Mütze und Wohlstandsbauch. «Isa, I’m a Kurd from Turkey», sagt ein kleinerer, dunkler Typ mit schwarzen, kräftigen Brauen, vollem Bart und freundlichem Gesichtsausdruck. Der Ball wird dem dritten Mann zugeworfen. Seinen Namen vergesse ich peinlicherweise gleich wieder, sobald ich ihn gehört habe. Von Georgien sei er. Wie auch der Türke spricht er kaum Englisch oder Deutsch. Dürfte interessant werden, denke ich. Und werde nicht enttäuscht.

«Die Hisbollah ist uns bis nach Spanien gefolgt.»

Ramzi, ein Asylbewerber aus dem Libanon

Wir wandern erst einmal in Richtung Gottschalkenberg und alle schweigen leicht betreten. Einzig der Libanese plaudert auf Englisch, erzählt, warum er in der Schweiz gelandet ist. «Ich komme aus gutem Haus. Wärst du aus dem Libanon, würdest du meinen Namen kennen. Als Schriftsteller habe ich mich jedoch zu kritisch zur Hisbollah geäussert», sagt er. Diese hätte ihm und seinen Nächsten daraufhin mit dem Tod gedroht. Er und seine Familie mussten nach Spanien flüchten. «Ich habe zwei Kinder und war verheiratet», ergänzt er. Die Frau habe sich scheiden lassen, weil es ihr zu viel geworden sei. «Denn die Hisbollah ist uns bis nach Spanien gefolgt», sagt Ramzi und wirkt dabei abgeklärt.

Isa, Ramzai, Peter und der Georgier, dessen Name schwer merkbar war.

Isa, Ramzai, Peter und der Georgier, dessen Name schwer merkbar war.

Alle drei Männer bringen zum Ausdruck, dass ihnen die Schweiz sehr gut gefalle. «This», der Georgier zeigt auf die Umgebung, «good, good!». Er lacht dabei verschmitzt. Überhaupt sind «food», «Problem» und «no Problem» die einzigen Wörter, die er auf Englisch kennt. Und ich bin erstaunt, wie weit er damit kommt. Er und der Kurde scheinen eine Art Freundschaft zu haben. Sie lachen häufig – obwohl auch sie sich mit Worten nicht unterhalten können – und legen einander den Arm um die Schulter. Eine Schicksalsgemeinschaft?

Die türkische Polizei: «Problem»

Während wir übers Feld wandern, schaut Isa in den blauen Himmel und pfeift durch die Zähne. Es klingt wie der Schrei eines Raubvogels. Er bedeutet uns, dass er in seiner Heimat Falkner war. Alle sind beeindruckt. Auch darüber, dass uns der Kurde jedes Mal, wenn wir einen Elektrozaun passieren müssen, den Draht in die Höhe hält. Das leise Ticken verrät, dass da tatsächlich Strom drauf ist. «No Problem» ist auch seine Antwort auf vieles. Und erklärt uns mit Händen und Füssen, dass die Stromstösse nicht schlimm seien, solange man beide Füsse am Boden hat. Und dann erzählt er auf Türkisch, oder ist es Kurdisch?, dass die Elektroschocks der türkischen Polizei «Problem» seien. Aber das hier: «No Problem».

Isa hält den unter Strom stehenden Draht in die Höhe, damit die Truppe gemütlich unten durch kann. Der Georgier traut der Sache offenkundig nicht.

Isa hält den unter Strom stehenden Draht in die Höhe, damit die Truppe gemütlich unten durch kann. Der Georgier traut der Sache offenkundig nicht.

Es ist nicht das erste Mal, dass Häsler, Müller und die Nonne gemeinsam mit Asylbewerbern auf Wanderung gehen. «Letztes Mal waren wir fast 20 Leute. Es war noch heisser als heute und der Weg war lang. Doch niemand beklagte sich, auch wenn alle ein wenig beissen mussten», erklärt die Nonne.

Mandelkrapfen: «Good»

Und auch wir erreichen nach circa eineinhalb Stunden unsere Gastgeber. Das Ehepaar Beat und Brigitte wurde von Schwester Gisela Maria angefragt, ob sie die Gruppe verpflegen würden. Ihr Hof liegt in Edlibach, als wir ankommen, stehen die Tische und schattenspendenden Schirme schon bereit. Es gibt Most, Kaffee und Wasser, alle sind durstig. Eine Menzinger Nonne hat zudem Mandelkrapfen für eine ganze Armee gebacken.

«Zum Dank für das Zvieri begannen die Menschen, Lieder aus ihrer Heimat zu singen. Das war sehr rührend.»

Barbara Müller Hoteit, Wander-Begleiterin

Der Zurückhaltung unserer Gastgeber ist zu entnehmen, dass sie sich solche Gäste nicht gewohnt sind. Doch hören sie aufmerksam zu, wenn Ramzi von seiner Heimat berichtet, wenn er gar ein arabisches Lied anstimmt – «Ich bin eigentlich ziemlich scheu» – und wenn Müller von aussergewöhnlichen Erlebnissen während den Wanderungen erzählt. «Einmal wurden wir von Bauern beim Zvieri regelrecht mit Essen und Getränken verwöhnt. Das hat alle sehr gefreut. Zum Dank dafür begannen die Menschen, Lieder aus ihrer Heimat zu singen. Das war sehr rührend», erzählt sie weiter.

Erdogan: «No good, no good, Terrorist!»

Am Tisch wendet sich jemand an Isa, den Kurden, und sagt «Erdogan». Isas Gesicht, sonst sehr freundlich, verdüstert sich schlagartig, und er ruft «Erdogan, no good, no good, Terrorist!». Wir lachen. Es ist das gleiche unbeholfene Lachen, welches erklang, als Isa von den Elektroschocks sprach. Die Situation lässt keine Alternative zu.

Irgendwann sind Hunger und Durst gestillt, und der wortkarge Bauer, der Herr ist über eine Vielzahl von Geissen, Kühen und Schweinen, zeigt uns den Stall.

Die Männer freuen sich. Alle streicheln die frisch geborenen Kälber, lachen, besonders Isa scheint aufzublühen. Es ist unschwer zu erkennen, dass er hier im richtigen Element ist. Die Kuh, die er hinterm Ohr krault, scheint seine Gegenwart richtig zu geniessen, legt den Kopf schräg und schliesst die Augen halb. Isa erzählt aufgeregt, leider auf Kurdisch. Ich versuche, das eine oder andere Wort zu erkennen. Vergeblich.

So geht das mit dem Kühekraulen.

So geht das mit dem Kühekraulen.

Dann zeigt er mir, wo man eine Kuh am besten krault. Wieso er das alles wisse? Als er mithilfe seiner Finger zeigt, dass er in seiner Heimat selber 16 Kühe hatte, wird klar, dass er früher Bauer war. An dem Ort, wo seine Frau und sein Kind noch heute leben.

Der Bauer ist verdutzt

Isa findet eine Bürste und beginnt, die Kuh, die ihm so vertraut ist, zu striegeln. Das verdutzt alle. Am allermeisten aber den Bauern, der nicht so recht zu wissen scheint, wie ihm geschieht. Doch die Kuh lässt den Kurden gewähren. Auch, als dieser sich am Euter zu schaffen macht, kurz melkt, bis ein satter Milchstrahl kommt, und dann sagt «Yes, good, good!». Isa erklärt mir in Zeichensprache, dass diese Kuh kein geeignetes Becken habe, um Kälber zu gebären. Nie hätte ich gedacht, dass mir ein türkischer Kurde je erklären würde, wie es um die Anatomie einer Kuh steht.

Wir alle sind ausgelassen, als wir aus dem Stall kommen. Der Georgier tuschelt Isa etwas zu, beide lachen. Noch immer ist es viel zu heiss zum Wandern. Wir sind darum froh, als wir im Dorf von Müllers Sohn abgeholt und in Richtung Gubel zurückgefahren werden. Vorbei an Iranern, Afghanen, Eritreern, die in Gruppen oder alleine in Richtung Gubel wandern.

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