«Papieri»-Abstimmung: Widerstand regt sich

Die Gegner finden, dass vor allem der Investor profitiert

Die alten Fabrikanlagen der «Papieri» werden momentan  zwischengenutzt. In den nächsten Jahren wollen die Eigentümer hier Wohnungen und Arbeitsplätze realisieren, wenn die Chamer Bevölkerung ihren Segen gibt.

(Bild: Claudia Hirt)

Am 25. September stimmt Cham über die Zukunft des Papieri-Areals ab. Gegner haben jetzt ein Nein-Flugblatt in alle Haushaltungen verteilt. Sie kritisieren, dass hohe Infrastrukturkosten auf die Gemeinde zukämen. Die Bevölkerung bekomme als Gegenwert wenig. Der Gemeinderat sieht das anders.

Diese Tage fanden die Chamer Stimmbürger die Abstimmungsunterlagen in ihrem Briefkasten. Gleichzeitig machen Gegner der Vorlage mobil. Relativ spät. «Wir sagen Nein zum Bebauungsplan Papieri-Areal», lautet der Titel eines Flugblatts, das kürzlich in alle Haushaltungen verteilt wurde. Das Areal der ehemaligen Papierfabrik mit 120’000 Quadratmetern soll umgezont werden (zentralplus berichtete).

Unterschrieben haben das Flugblatt die SP Cham, das «Kritische Forum Alternative Cham» (Krifo) und der Verein «Mehr Wert Cham». Der Verein gehörte im Frühling 2016 zu den Einwendern. Man erinnert sich: Die gleichen Absender hatten 2007 die Neubauten im Schlosspark St. Andreas gebodigt. Auch dort ging es um einen Bebauungsplan. Obwohl breite Kreise aus Gewerbe und Politik das Vorhaben unterstützten, folgten rund zwei Drittel der Chamer Stimmbürger den Argumenten der Gegner und stimmten Nein.

Gemeindepräsident ist zuversichtlich

Könnte das Gleiche beim Papieri-Areal passieren? Was sagt der Chamer Gemeindepräsident zur Kritik? «Wir haben natürlich erwartet, dass das Projekt auch Gegner hat», sagt Georges Helfenstein (CVP) auf Anfrage. Er sehe der Abstimmung Ende September aber zuversichtlich entgegen. «Diejenigen Leute, mit denen ich rede, finden das Vorhaben positiv.»

Die Gegner des Bebauungsplans Papieri-Areal führen sechs Gründe auf, warum sie für ein Nein sind am 25. September. Sie befürchten, dass in Cham ein «Retortenquartier ohne Soziokultur» hochgezogen werde. Für die Belebung des entstehenden Quartiers brauche es Zeit. Diese fehle dem neuen Quartier «Papieri». Als Gegenbeispiel, wo diese Belebung funktioniere, wird das Suurstoffi-Areal in Rotkreuz genannt.

Verkehrschaos an die Wand gemalt

Die Kritiker prognostizieren ebenso ein Verkehrschaos. Die 1710 Parkplätze, davon 201 oberirdisch, stünden «in einem krassen Missverhältnis zur Anbindung an den öffentlichen Verkehr».

Die Überbauung werde sodann die Abhängigkeit Chams vom Zuger Finanzausgleich vergrössern, weil für die 700 bis 1000 Wohnungen Infrastrukturbauten nötig seien. Gemeint sind Strassen, Schulen, Kindergärten, Krippen etc.

«Kein realer Mehrwert für Gemeinde»

Die Gegner bezeichnen den Gegenwert für die Bevölkerung Chams ausserdem als «Mikro-Mehrwertabschöpfung». «Eine Mehrwertabschöpfung, die diesen Namen verdient, gibt es nicht», heisst es. Mit den Landstücken, welche die Cham Paper Group der Gemeinde im Gegenzug für die Umzonung schenken will, erhalte die Gemeinde keinen realen Mehrwert.

Kritisiert wird von den drei Organisationen ebenso, dass eine zweckmässige Etappierung im Bebauungsplan fehle. Einwendungen mit Zwischenzielen habe der Investor abgelehnt. Beispielweise im Bereich Energie und Verkehr, mit der Kompensation eliminierter Arbeitsplätze. Aber auch mehr preisgünstige Wohnungen sowie die Ansiedlung innovativer Leadfirmen und Ausbildungsstätten (Gymnasium Ennetsee) fanden keine Gnade.

«Der Gemeinderat ist zu rasch eine enge und unkritische Kooperation mit dem Investor eingegangen.»
Die Gegner der Papieri-Abstimmung

«Enge und unkritische Kooperation mit dem Investor»

Die Kritiker finden, der Gemeinderat habe seine Pflicht verletzt, sich für eine lebenswerte Stadt und die Quartierbewohner einzusetzen. «Er ist zu rasch eine enge und unkritische Kooperation mit dem Investor eingegangen», schreiben sie. Als letzter Punkt wird kritisiert, dass «ein vollziehbares Energiekonzept» im Bebauungsplan fehle.

Keine Mehrwertabschöpfung in Zug

Claudio Meisser gehört zur «Kerngruppe» des Vereins Mehr Wert Cham. Die Umzonung bringe vor allem der Arealbesitzerin einen Mehrwert, findet er. Industrieland koste rund 500 bis 600 Franken pro Quadratmeter. «Nach der Umzonung wird der Preis auf zirka 1500 Franken pro Quadratmeter steigen, so viel kostet Bauland in Cham.»

Ist das Areal heute rund 60 Millionen Franken wert, wird der Wert also auf 180 Millionen Franken steigen. Meisser: «Andere Kantone haben im Gegensatz zu Zug ein Gesetz für die Mehrwertabschöpfung. Die Abschöpfung muss dort rund 20 Prozent betragen.» Die Landstücke, welche die Gemeinde von der Cham Paper Group geschenkt bekomme, hätten aber nie diesen Wert, so der Chamer.

Er kritisiert ausserdem, dass die Stimmbürger überfordert seien von der Informationsflut in der Abstimmungsbroschüre. Der Papieri werden über 50 Seiten gewidmet. «Das ist schlicht nicht lesbar», sagt Meisser.

«Man darf die Stimmbürger nicht unterschätzen.»
Georges Helfenstein, Gemeindepräsident Cham

Gemeindepräsident bestreitet den Vorwurf

Zum Vorwurf von «Mehr Wert Cham», die Leute seien überfordert von der Informationsfülle in der Abstimmungsbroschüre, findet der Chamer Gemeindepräsident Georges Helfenstein, natürlich sei das anspruchsvoll. «Man darf die Stimmbürger aber nicht unterschätzen.»

Wenn die Gemeinde zu wenig informiere, werde dieser Vorwurf erhoben, jetzt das Gegenteil. Wer nicht gerne so viel liest, hat Alternativen. Georges Helfenstein weist auf den Infotag der Gemeinde vom 3. September hin, bei dem man sich von kompetenten Personen vor Ort informieren lassen kann.

Helfenstein bringt auch eine politische Kritik ein. Es sei doch verwunderlich, wenn die gleichen Kreise, die stets preisgünstige Wohnungen fordern, jetzt gegen das Projekt seien (zu den Vorwürfen im Flugblatt nahm Gemeinderat Rolf Ineichen gegenüber zentralplus Stellung, siehe Kasten unten).

Die SP Cham steht für ein Nein am 25. September ein. «Wir haben Bedenken zu diesem Projekt», sagt der ehemalige SP-Kantonsrat Markus Jans auf Anfrage. Der Vorstand habe das Flugblatt genehmigt und stehe hinter dessen Argumenten.

Haas: «Langhaus muss aufwendig saniert werden»

Die Chamer Kantonsrätin Esther Haas vom Krifo stört vor allem, dass die Befürworter nicht auf die Folgekosten für die Gemeinde hinwiesen. «Wenn 700 bis 1000 Wohnungen gebaut werden, braucht es Infrastrukturbauten, die Cham bereitstellen muss.»

Damit werde Cham noch mehr vom Zuger Finanzausgleich abhängig, so Haas. Natürlich begrüsse sie die preisgünstigen Wohnungen, aber die Infrastrukturfrage gehöre auch dazu. «Man sollte das den Stimmbürgern auch klar sagen», so Esther Haas.

«Die Grundstücke, welche Cham geschenkt bekommt, haben alle einen Haken.»
Esther Haas, Vorstandsmitglied Krifo und Kantonsrätin

Das Krifo-Vorstandsmitglied kritisiert aber auch, dass der Mehrwert für die Gemeinde in keinem Verhältnis zur Mehrwertabschöpfung der Arealeigentümerin steht. «Ich bin nicht dagegen, Mehrwert zu generieren», sagt Haas, «aber die Grundstücke, welche Cham erhält, haben alle einen Haken.»

Das Langhaus müsse aufwendig saniert werden, damit man es brauchen könne. Private Kulturveranstalter könnten dieses Geld nicht aufbringen. Das Gleistrassee sei hübsch. «Aber was soll Cham damit anfangen?» Das Grundstück im Teufibach schenkten die Besitzer der Gemeinde ebenfalls. «Dieser Teil ist aber für den Investor wegen der Wald- und Gewässerabstände nicht sehr interessant. Somit stehen der generierte Mehrwert und das, was die Gemeinde dafür bekommt, in keinem Verhältnis.»

 

Was sagt die Gemeinde Cham zu den Vorwürfen?

Rolf Ineichen, Chamer Gemeinderat und Vorsteher Planung und Hochbau. Er ist überzeugt vom Grossprojekt und blickt der Urnenabstimmung guten Mutes entgegen.

Rolf Ineichen, Chamer Gemeinderat und Vorsteher Planung und Hochbau. Er ist überzeugt vom Grossprojekt und blickt der Urnenabstimmung guten Mutes entgegen.

(Bild: Fransiss)

Wir haben den Vorsteher Planung und Hochbau der Gemeinde Cham, Rolf Ineichen, mit Vorwürfen der Papieri-Gegner konfrontiert. Im nachfolgenden Kurzinterview nimmt er Stellung.

zentralplus: Herr Ineichen, die Gemeinde muss die Infrastruktur für das neue Quartier bereitstellen. Die Gegner befürchten hohe Folgekosten, welche die zusätzlichen Steuereinnahmen nicht kompensieren werden. Was sagen Sie dazu?

Rolf Ineichen: Wie bei jedem grösseren Bauprojekt gibt es direkte und indirekte Auswirkungen auf die Finanzen der Gemeinde. Zum Beispiel Erschliessungskosten für Verkehrswege und Leitungen, Unterhaltskosten für die neuen öffentlichen Wegverbindungen und Plätze. Im Weiteren wird der mögliche Zuzug von bis zu 2000 Einwohnerinnen und Einwohnern in den nächsten 15 Jahren einen Einfluss bei der langfristigen Schulraumplanung haben. Positiv auf der Ertragsseite darf aber nicht vergessen werden, dass neue Arbeitsplätze und Einwohner auch zusätzliche Steuererträge generieren.

Zudem werden durch das Bauvolumen in der Höhe von einigen Hundert Millionen Franken verschiedenste KMU und Industriebetriebe in der Region direkt oder indirekt profitieren können. Deshalb sind wir überzeugt, dass die reinen finanziellen Auswirkungen für die Gemeinde positiv sein werden.

zentralplus: Die Gegner behaupten, die Abhängigkeit Chams vom Finanzausgleich werde sich dadurch vergrössern.

Ineichen: Der Zuger Finanzausgleich basiert auf dem Pro-Kopf-Steuerertrag. Durch Neuzuzüger und neue Firmen wird sich der Steuerertrag pro Kopf eher erhöhen und dadurch bewirken, dass wir weniger aus dem Zuger Finanzausgleich (ZFA) erhalten. Ein steigender Aufwand in der Gemeinderechnung hat grundsätzlich keinen Einfluss, wie viel wir aus dem ZFA künftig erhalten werden. Eine entsprechende Ausgabenkontrolle und vorsichtige Investitionsplanung ist eine wichtige Aufgabe des Gemeinderates und der Verwaltung.

zentralplus: Kritisiert wird ebenfalls, dass ein nachvollziehbares Energiekonzept fehle. Stimmt das?

Ineichen: Das Kraftwerk in der Lorze wird zur Energiegewinnung genutzt werden. Das Gesuch und die Bauanfrage dafür sind bereits eingereicht. Das gesamte Papieri-Areal, inklusive Bestandsbauten, sind dem Chamer Wärmeverbund anzuschliessen oder mit einer ökologisch gleichwertigen Lösung zu versorgen. Ein Zwang für einen Anschluss an den Wärmeverbund ist zurzeit aus gesetzlichen Gründen nicht möglich.

 

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Roman Ambuehl
    Roman Ambuehl, 15.09.2016, 07:31 Uhr

    Der Chamer Gemeinderat hat mit dem Investor verhandelt, die Bevölkerung befragt und legt nun einen Bebauungsplan mit einem Planungsausgleich zum Papierigelände vor. Trotz einiger spannender Ansätze bleiben zu viele Fragen offen:
    – Impulse für die soziokulturelle Entwicklung des neuen Stadtraumes oder visionäre Konzepte des Zusammenwohnens suche ich in den Erläuterungen vergebens und in der Realität des Planungshorizonts von (mindestens) 15 Jahren ist zu erwarten, dass ihnen angesichts des ökonomischen Profitdrucks zu wenig Entwicklungszeit gegeben wird. Wissen wir denn wirklich, was die Bedürfnisse der Gemeinde Cham in 15-25 Jahren sind?
    – Wo ist der ÖV Impuls, der weitere, der immer noch zu vielen Parkplätze überflüssig macht? – Wo sind die grossen Bezüge im Langsamverkehr (insbesondere Velobahn) in Ost-West-Richtung, die nicht nur hinein und hinaus, sondern auch über das Papierigelände hinaus führen (Röhrliberg, Papieri, Bahntrasse, Neudorf, Seestrasse, ev. sogar Alpenblick)?
    – Wie viele der «grosszügigen Freiräume» werden wirklich öffentlich zugänglich sein?

    Es braucht für dieses Zukunftsprojekt nicht «Lösungen» von heute mit einer Geisteshaltung von gestern, die sich in einer rein ökonomischen Betrachtungsweise erschöpft. Es braucht mehr auch gesellschaftlich denkende Visionen für morgen! Im Beteiligungsprozess waren diese noch sichtbar, jetzt sind sie leider fast total verschwunden! Darum: NEIN am 25. September!

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  • Profilfoto von Roman Ambuehl
    Roman Ambuehl, 13.09.2016, 13:39 Uhr

    Trotz unbestritten spannenden und positiven Ansätzen im Bebauungsplan Papieri, vermag das Gesamtprojekt nicht zu überzeugen. Im gefühlt 200 Gramm schweren Abstimmungsbüchlein kommt alles rosarot und grün bemäntelt daher. Mögliche Kritikpunkte tauchen nur im Kleingedruckten der Einsprachenbehandlung auf. Und auch dort werden diese nur teilweise entkräftet und in den Erwägungen des Chamer Gemeinderates taucht nicht ein einziger möglicher Nachteil explizit auf. Ausserdem wird in verschiedenen Punkten Augenwischerei betrieben:
    – Es wird von einer grossen Zahl von Arbeitsplätzen (bis über 1200) gesprochen, die mit dem Projekt laut Vertrag erreicht werden müsse. Tatsächlich ist die Sache mit den Arbeitsplätzen nur über einen verbindlichen Flächenanteil für gewerbliche Nutzung geregelt. Es gilt keine konkrete und verbindliche Zahl von Arbeitsplätzen. Könnten nicht auch ein paar genügend grosse automatisiert betriebene Lagerräume den Vertrag billig erfüllen?
    – In der grün hinterlegten Aufzählung von «Vorteilen» wird das «Flusskraftwerk, das 100 Prozent erneuerbare Energie produziert» hervorgehoben. Energie wird erneuerbar oder nicht erneuerbar produziert. Der Ausdruck «100% erneuerbare Energie» suggeriert, dass das Flusskraftwerk den gesamten Energiebedarf der Überbauung deckt. Auf Rückfrage am Infomorgen auf dem Papierigelände sprach der Chamer Bauchef auf Rückfrage von «100% des Strombedarfs». Der Anteil des Flusskraftwerks am gesamten Strombedarf dürfte vielleicht bei optimistischen 50% liegen. Beim Gesamtenergiebedarf der Überbauung wohl eher bei maximal 20%.
    – Es ist leider zu befürchten, dass die 100 preisgünstigen Wohnungen durch ein Vielfaches von überteuerten und primär für den Investor profitablen Wohneinheiten «kompensiert» werden.

    Der Gemeinderat scheint sich zu stark der rein ökonomischen Betrachtungsweise des Investors angepasst zu haben. In dieser einmaligen Chance braucht es gerade vom Gemeinderat her mehr gesellschaftlich und kulturell denkende Visionen für morgen! Im Beteiligungsprozess waren diese noch sichtbar, jetzt leider fast vollständig verdunstet! Ein NEIN am 25. September zwingt Gemeinderat und Investoren noch einmal ernsthaft über die Bücher zu gehen.

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