Suizid-Drama in Malters

«Ein Polizeikommandant, der lügt, ist fehl am Platz»

Der Sohn der in Malters verstorbenen Frau hat den Zürcher Rechtsanwalt Oskar Gysler als Verteidiger verpflichtet.

(Bild: zVg)

Der tragisch verlaufene Polizeieinsatz in Malters hätte verhindert werden können. Das behauptet Oskar Gysler. Er amtet als Anwalt des Sohnes jener Frau, die sich bei der Aktion erschossen hat. Gysler übt scharfe Kritik am «unprofessionellen» Vorgehen der Luzerner Polizei, hält die Absetzung des Polizeikommandanten und des Kripochefs für unumgänglich – und stützt ein wildes Gerücht.

Die ausser Kontrolle geratene Razzia vom 8. und 9. März in Malters zieht immer weitere Kreise. Bei der Tragödie nahm sich eine 65-jährige schizophrene Frau das Leben, nachdem die Polizei gewaltsam in ihre Wohnung eingedrungen ist (siehe Box).

Ein «Rundschau»-Beitrag von diesem Mittwoch hat nun vermeintlich eklatante Ungereimtheiten enthüllt. Etwa, dass der Luzerner Polizeikommandant Adi Achermann die Öffentlichkeit hinters Licht geführt habe. Er habe verschwiegen, dass ihm während des Einsatzes der Polizeipsychologe mehrmals klar davon abgeraten habe, die Wohnung der Frau zu stürmen. Auch habe Achermann die Begründung für den Zugriff irreführend dargestellt.

Personelle Konsequenzen

Würden die Vorwürfe zutreffen, müssten Achermann und Kripochef Daniel Bussmann wohl um ihren Job bangen. Und auch der zuständige Regierungsrat Paul Winiker müsste sich ein paar Fragen gefallen lassen. Doch die Untersuchung durch den Aargauer Staatsanwalt Christoph Rüedi dauert noch bis mindestens Ende Jahr. Es gilt deshalb die Unschuldsvermutung. Wegen des laufenden Verfahrens nehmen Kanton und Polizei keine Stellung mehr.

Weit gesprächiger ist der Zürcher Rechtsanwalt Oskar Gysler. Er amtet als Verteidiger des Sohnes der verstorbenen Frau. Der Sohn wurde am 8. März in Zürich wegen Drogengeschäften verhaftet. Er hat nun (vom Gefängnis aus) Anklage wegen fahrlässiger Tötung und Amtsmissbrauchs gegen die Luzerner Polizei erhoben.

zentralplus: Oskar Gysler, Sie sagen: Der Einsatz der Luzerner Polizei in Malters hat den Tod der Frau verursacht. Ist diese Aussage nicht zu gewagt? Die Untersuchung läuft noch, es könnten neue Hinweise ans Tageslicht kommen.

Gysler: Es gibt erhebliche Hinweise, die meinen Schluss zulassen: Die Frau hat zugesichert, ruhig zu bleiben, solange die Polizei nicht einschreite. Zudem hat der Psychologe davor gewarnt, dass sie sich bei einem Zugriff erschiessen könnte. Deshalb kann man durchaus sagen, dass die Polizei den Tod verschuldet hat.

zentralplus: Aber ob sich die Frau nicht eh das Leben genommen hätte, ist Spekulation.

Gysler: Das ist so. Aber der Einsatz hat nun mal dazu geführt, dass sie sich erschossen hat. Das ist unbestritten. Und nichts hat darauf hingedeutet, dass sie es auch sonst getan hätte.

Um sie dreht sich alles: Polizeikommandant Adi Achermann (von links), Regierungsrat Paul Winiker und Kripochef Daniel Bussmann (Bild: SRF-Rundschau).

Um sie dreht sich alles: Polizeikommandant Adi Achermann (von links), Regierungsrat Paul Winiker und Kripochef Daniel Bussmann (Bild: SRF-Rundschau).

zentralplus: Sie werfen der Polizei vor, dass vor dem Zugriff nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden. Aber die Polizei war insgesamt 19 Stunden vor Ort. Seit sieben Stunden wurde verhandelt. Das ganze Areal musste evakuiert werden. Die paranoide Frau war bewaffnet und hat anfangs zwei Mal mit ihrem Revolver geschossen.

Gysler: Man hätte einfach noch länger zuwarten und verhandeln können. Die Frau hat sich ja auch Zeit bis zum nächsten Morgen, den 10. März, ausbedungen. Die hätte man ihr gewähren sollen. Sie wäre, das sagt ja auch der Polizeipsychologe, mit der Zeit erschöpft gewesen. Dann wäre es einfacher gewesen, reinzugehen.

Der Luzerner Polizeikommandant hat noch argumentiert, dass wegen der Evakuierung ein benachbarter Landwirtschaftsbetrieb stillstehen musste. Aber ist ein Menschenleben nicht wichtiger als ein Bauernhof? Achermann hat hier eine vollkommene Fehlgewichtung vorgenommen.

zentralplus: Die Frau wollte mit ihrem Sohn sprechen. Doch die Luzerner Polizei hat dies nicht ermöglicht. Können Sie das nachvollziehen?

Gysler: Der Sohn, mein Mandant, wurde am 8. März in Zürich wegen Drogendelikten verhaftet und war danach, wie dies häufig vorkommt, sehr unruhig. Dass an diesem Tag eine Kontaktaufnahme nicht ideal war, ist nachvollziehbar. Aber dass dies am nächsten Tag nicht möglich war, ist unverantwortlich.

zentralplus: Die Polizei hatte offenbar Angst, dass der Sohn seine Mutter gleich selbst zum Suizid drängen könnte.

Gysler: Es hiess, einen Kriminellen wie ihn könne man in solch einer Situation nicht beiziehen, weil er nicht beeinflussbar sei. Aber das hätte man versuchen sollen. Ich als sein Verteidiger etwa hätte das beeinflussen können. Verhaftete Person sind häufig ruhiger anzusprechen, wenn sie einen Verteidiger haben. Allerdings wusste ich am 9. März, als ich die Verteidigung übernahm, gar nicht, dass die Mutter belagert wurde.

«Ob den Sohn eine Mitschuld an der Tragödie trifft, ist eine andere Frage.»

zentralplus: Ihr Mandant scheint nun mal kein Kind von Traurigkeit zu sein. Als Beistand seiner Mutter liess er diese in seinem Drogenlabor in Malters mit einer Waffe allein. Gehörte ihm die Waffe, mit der sich seine Mutter dann erschoss?

Gysler: Woher die Waffe kommt, ist für den Polizeieinsatz nicht massgebend. Zudem wusste die Polizei davon. Ob den Sohn eine Mitschuld an der Tragödie trifft, ist eine andere Frage, zu der ich keine Stellung nehmen kann.

Szenen aus der «Rundschau»-Reportage: Die Waffe mit der sich die Frau erschoss; das Badezimmer, in dem sie sich das Leben nahm; Spuren eines Schusses an der Wand; die verstorbene Mutter.

Szenen aus der «Rundschau»-Reportage: Die Waffe mit der sich die Frau erschoss; das Badezimmer, in dem sie sich das Leben nahm; Spuren eines Schusses an der Wand; die verstorbene Mutter.

zentralplus: Gemäss dem aktuellen Stand scheint relativ klar zu sein, dass Adi Achermann der Öffentlichkeit nicht die Wahrheit gesagt hat: sowohl bezüglich den Aussagen des Polizeipsychologen wie auch den Umständen des Eingriffs. Wie erklären Sie sich das? Falls es stimmt, hätte er doch wissen sollen, dass bei einer Untersuchung alles rauskommt?

Gysler: Dass man versucht, die Wahrheit zu vertuschen, ist menschlich und alltäglich. Aber Achermann versuchte offensichtlich, die Sache schönzufärben. Ob er wirklich mit einer Untersuchung gerechnet hat, weiss ich nicht. Offenbar nicht.

zentralplus: Es wird abenteuerlich spekuliert, dass er von einer Untersuchung bloss durch den Luzerner Staatsanwalt ausging. Und dass er die Unwahrheiten so einfacher hätte unter den Tisch wischen können.

Gysler: Das kann ich nicht ausschliessen. Ein Hinweis darauf wäre, dass in den Berichten der Luzerner Polizei die Mahnungen des Psychologen überhaupt nicht erwähnt wurden. Basierend auf diesen Berichten hätte der Luzerner Staatsanwalt möglicherweise keine Hinweise für ein Fehlverhalten feststellen können.

zentralplus: Gegen diese These spricht, dass die Luzerner ja selber gleich einen ausserkantonalen Staatsanwalt mit der Sache beauftragt haben?

Gysler: Aber erst, nachdem ich es beantragt habe. Sonst hätte der bereits involvierte Luzerner Staatsanwalt den Fall übernommen.

«Jemand, der derartige Einsätze gutheisst, entgegen den klaren Ratschlägen eines Fachmanns, ist nicht tragbar.»

zentralplus: Nach wie vor gilt die Unschuldsvermutung. Aber angenommen, die schweren Vorwürfe würden stimmen – müssten Ihrer Meinung nach der Polizeikommandant und der Einsatzleiter entlassen werden?

Gysler: Alles in allem muss man nun festhalten: Der Einsatz verlief unprofessionell. Jemand, der derartige Einsätze gutheisst, entgegen den klaren Ratschlägen eines Fachmanns, ist nicht tragbar. Und ein Polizeikommandant, der lügt, ist sowieso fehl am Platz.

zentralplus: Dass vermutlich gelogen wurde, ist zweifellos untragbar. Aber dass Achermann nicht auf den Psychologen gehört hat, daraus kann man ihm nicht zwingend einen Strick drehen. Er ist dazu nicht verpflichtet und muss schlussendlich selber entscheiden. Und wir wissen zum heutigen Zeitpunkt ja nicht im Detail, weshalb er genau zu diesem Schluss kam.

Gysler: Das mag sein. Aber an der Medienkonferenz konnte er nun mal keine Gründe vorbringen, die den Zugriff zur Wohnung gerechtfertigt hätten: Seit 19 Stunden war nichts mehr passiert. Und wenn man in einer solchen Situation einen Experten fragt und unsicher ist, dann sollte man halt einen zweiten Experten zuziehen. Das wäre professionell.

Polizeikommandant Adi Achermann am 9. März, kurz nach dem Suizid, gibt nach der Medienkonferenz den Journalisten Auskunft (Bild: SRF-Rundschau).

Polizeikommandant Adi Achermann am 9. März, kurz nach dem Suizid, gibt nach der Medienkonferenz den Journalisten Auskunft (Bild: SRF-Rundschau).

zentralplus: Unklar ist auch die Rolle des verantwortlichen Regierungsrates Paul Winiker. Dieser sagte 20 Tage nach dem Vorfall in einem Interview mit uns: «Beim Einsatz ist nichts schiefgelaufen. Der Entscheid der Einsatzleitung ist nachvollziehbar.» Die mutmasslichen Unwahrheiten seines Polizeikommandanten hat er mit keinem Wort erwähnt, obschon er davon gewusst haben muss.

Gysler: Ich gehe auch davon aus, dass er davon wusste, und zwar bereits in der Anfangsphase. Warum er diese Aussage trotzdem gemacht hat, kann ich nicht beurteilen.

zentralplus: Wenn er davon gewusst hätte – hätte er nicht längst reagieren müssen, anstatt fast ein halbes Jahr auf die Empfehlung von Hanspeter Uster, die Ende August vorliegen soll, zu warten?

Gysler: Ein Entscheid über allfällige Massnahmen soll sicher nicht überstürzt erfolgen, in Anbetracht der Schwere des Ereignisses jedoch unverzüglich, nachdem die notwendigen Informationen vorliegen.

zentralplus: Der mit dem Fall beauftragte Aargauer Staatsanwalt Christoph Rüedi will die Untersuchungen bereits bis Ende Jahr abschliessen. Ist das realistisch?

Gysler: Diesen Zeitplan erachte ich als sehr optimistisch. Rüedi macht zwar zügig vorwärts, aber es gibt viele Eventualitäten, welche eine Strafuntersuchung verzögern können. Das Bezirksgericht Bremgarten hat im April ein Urteil gegen drei Polizisten gefällt; das Verfahren dauerte zirka sieben Jahre. Ich erwarte den Abschluss der Strafuntersuchung erst im Verlauf des nächsten Jahres.

Schwieriger Einsatz endet im Debakel

Am Dienstag, 8. März 2016, hatte die Luzerner Polizei im Rahmen eines ausserkantonalen Strafverfahrens den Auftrag, in Malters eine Wohnung zu durchsuchen. Aus Zürich kam der Hinweis, dass dort eine Hanfplantage betrieben werde (was sich als korrekt erwies). Denn der Besitzer der Wohnung wurde in Zürich wegen entsprechender Delikte verhaftet.

Doch vor Ort drohte überraschend eine in der Wohnung anwesende Frau – die Mutter des Drogenhändlers –, auf die Polizei und andere Personen zu schiessen oder sich das Leben zu nehmen. Sie war mit einem Revolver bewaffnet und feuerte zwei Mal damit. Die Frau verlangte, mit ihrem Sohn sprechen zu können, was ihr aber verweigert wurde. Dafür konnte sie mit ihrem Anwalt telefonieren und teilte diesem mit, dass sie noch etwas Zeit zum Überlegen benötige. Sie könne sich der Polizei noch nicht stellen. Ansonsten werde sie sich erschiessen (nachzuhören im Originalton in dieser Rundschau-Sendung.)

Frau machte Ankündigung wahr

Doch weder informierte der Anwalt die Polizei über diese Suiziddrohung noch erkundigte sich die Polizei beim Anwalt über den Inhalt des Gesprächs. Während des Einsatzes hat die Polizei zudem erfahren, dass die Frau psychisch krank war und sich vor einer erneuten Einweisung in eine Psychiatrie fürchtete.

Nach insgesamt 19 Stunden ergebnisloser Verhandlung beschloss die Einsatzleitung der Polizei am 9. März, die Wohnung durch die Sondereinheit Luchs aufzubrechen. Dabei erschoss sich die Frau wie angekündigt.

In diesem Zusammenhang hat der Sohn der Frau Strafanzeige gegen den Kommandanten der Luzerner Polizei, Adi Achermann, und gegen den Chef der Kriminalpolizei, Daniel Bussmann, eingereicht. Und zwar wegen fahrlässiger Tötung sowie Amtsmissbrauchs. Die Untersuchung wurde dem ausserkantonalen, unabhängigen Staatsanwalt Christoph Rüedi übertragen. Er will bis Ende Jahr klären, ob ein strafbares Verhalten seitens der Einsatzleitung vorliegt. Es gilt die Unschuldsvermutung.

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