Luzerner kassierten bis zu 420’000

Wofür erhalten Luzerner Mediziner ihre Pharmagelder?

Das Vertrauen fehlt bei vielen Patienten. Deswegen macht die Pharmaindustrie immer mehr Geldflüsse öffentlich. (Bild: fotolia)

138 Millionen Franken erhielten Schweizer Ärzte letztes Jahr von Pharmafirmen. Auch in Luzern liess man sich von der Chemie unterstützen, ein Betrieb gar mit annähernd einer halben Million. zentralplus wollte von Empfängern wissen, weshalb sie diese Geldsegen erhalten.

Die Beziehung zwischen Pharmafirmen und Praktikern bietet Raum für fragwürdiges Verhalten. Ärzte können zum verlängerten Marketing-Arm eines Unternehmens werden, und sie sind diesem Generalverdacht ständig ausgesetzt. Doch dass Ärzte auch für das Erbringen von Leistung wie Vorträge und Studien entlöhnt werden müssen, ist eigentlich völlig selbstverständlich.

Seit diesem Jahr müssen Pharmafirmen in der Schweiz öffentlich machen, welchen Ärzten und Spitälern sie Gelder bezahlen und wie viel. Auf internationalen politischen Druck hin wird der neue Pharma-Kooperations-Kodex durchgesetzt.

Das Ziel ist es, Transparenz zu schaffen und damit auch das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Ärzte und die Pharmaindustrie zu stärken.

Ein öffentlicher Pranger?

Viele Ärzte sehen das jedoch anders und fühlen sich durch die Veröffentlichungen an den Pranger gestellt. Das ist nicht unverständlich, ist die Öffentlichkeit doch oft skeptisch und hält Ärzten gerne vor, sich von der Pharmaindustrie instrumentalisieren zu lassen.

Es handelt sich auch um viel Geld, das die Pharmafirmen jährlich auf die Konten der Praktiker überweisen. Der «Beobachter» hat ausgerechnet: Pharmafirmen bezahlten 2015 über 138 Millionen Franken an Akteure des Schweizer Gesundheitswesens. Auf den Listen der Pharmafirmen wird schliesslich unter Stichworten aufgeteilt, wofür diese Gelder überwiesen wurden (siehe Box). «Fees», «Sponsorship agreements with HCOs» oder «Related expenses agreed in the fee for service or consultancy contract» steht da beispielsweise. Was diese Ausdrücke jedoch genau bedeuten und was alles darunter fällt, bleibt für Laien oft völlig unklar.

«Öffentlich» ist nicht gleich «übersichtlich»

Und dazu bietet die Offenlegungspflicht noch einige Schlupflöcher – gewisse Geldempfänger werden daher nicht mit Namen öffentlich gemacht. Denn das Geschenkverbot und die Deklarationspflicht gelten nicht für «handelsübliche Abgeltungen» bei Bestellungen und Lieferungen von Arzneimitteln. Ebenso wenig für Gratismuster von Medikamenten, Gegenstände und Informationsmaterial von «bescheidenem Wert», die ausschliesslich für die medizinische oder pharmazeutische Tätigkeit bestimmt sind. Auch die Bezahlung von Mahlzeiten bis zu einem Betrag von 150 Franken pro Mahlzeit sind ausgenommen.

«Die Offenlegung muss obligatorisch erklärt werden.»
Margrit Kessler, Patientenschützerin

Beim Basler Pharmariesen Novartis bleiben so 91 Empfänger anonym, welchen insgesamt 338’000 Franken ausbezahlt wurden. Weitere 1,4 Millionen gingen an unbekannte Organisationen wie Universitätsspitäler oder Vereine. Bei Roche waren es rund 300’000 Franken. Das kritisieren Konsumentenschützer. So werde zwar ein Schritt in Richtung Transparenz gemacht, doch ein vollständiges Bild ergebe es noch lange nicht.

Und wer wissen möchte, ob der Hausarzt oder das Spital seines Vertrauens von der Pharmaindustrie Gelder bekommt, muss die Informationen bei jeder einzelnen Pharmafirma auf den unübersichtlichen Listen suchen.

Eine neue Datenbank von Correctiv.org mit Suchfunktion für Namen und Postleitzahlen macht die Liste übersichtlicher. Ein Klick und man sieht, dass alleine in der Stadt Luzern über 100 Ärzte und Spitäler Gelder von den Pharmafirmen erhalten haben. Die Beträge bewegen sich dabei zwischen mehreren zehntausend Franken und hundert Franken.

Transparenz mit Namen, aber nicht mit Antworten

zentralplus hat rund zwanzig dieser gelisteten Ärzte und Spitäler in Luzern kontaktiert und angeschrieben. Wir wollten beispielsweise wissen, wofür sie die Gelder konkret erhalten haben. Die Antworten fielen mehr als spärlich aus. Teilweise erhielten wir ein, zwei Stichworte als Antwort, die meisten aber reagierten gar nicht auf unsere Anfrage.

Ein angeschrieber Arzt war jedoch bereit, Auskunft zu geben. Der Neurologe Max Wiederkehr aus Luzern betont: «Die neu geschaffene Transparenz finde ich als vertrauensbildende Massnahme sehr wichtig und ein erster Schritt. Aufschlussreich wäre natürlich, man würde sehen, ob es sich um eine bezahlte Auftragsarbeit  – eine Studie, eine Kongressorganisation – oder um reines Sponsoring nach Heilmittelgesetzvorgaben handelt.»

Er, seine Kollegen und Ärzte aus seinem Bekanntenkreis seien alle mit Namen auf der Liste. Die Dienstleistungen, welche dabei entlöhnt wurden, sind ganz unterschiedlicher Natur. «Bei Meetings oder Kongressorganisationen fallen Kosten an wie Zeitaufwand, Vorbereitung, Mailings, Honorare für Vorträge und Reden, eventuell gehören auch Übernachtung und Anreise dazu. Bei der Durchführung einer Studie an Patienten wird eine Aufwandentschädigung für Raum, Zeit und Personal vergütet», so Wiederkehr, der an der Hirslanden Klinik St. Anna selbstständig und als Belegarzt in einer neurologischen Gruppenpraxis mitarbeitet.

«Unbegründet sind die Verdachte nicht, aber die Sachlage hat sich verbessert.»
Margrit Kessler, Patientenschützerin

Auch das Luzerner Kantonsspital, welches mit rund 413’000 Franken den höchsten Betrag in Luzern erhielt, zeigte sich offen gegenüber der Anfrage von zentralplus. Ramona Helfenberger, Mediensprecherin, erklärt: «Die Beiträge kommen primär der Forschung und Entwicklung sowie Veranstaltungen zugute, die der medizinischen Fort- und Weiterbildung dienen.» Unter Ersteres falle die finanzielle Unterstützung von klinischen Studien, beispielsweise in der Krebsforschung. Zweiteres umfasse beispielsweise die Entschädigung von Fachpersonen für das Halten von Referaten an öffentlichen Veranstaltungen inklusive Reise und Unterkunft.

Offengelegte Leistungen

Pharmafirmen vergüten Ärzten und Spitälern folgende Dienstleistungen:

  • Veranstaltungskosten
  • Tagungs- und Teilnahmegebühren
  • Reise- und Unterkunftskosten
  • zusätzliche Spesen wie Taxifahrten
  • Honorare für Referate
  • Beratungsleistungen in Gremien («Advisory Boards»)
  • Spenden und Zuwendungen an Organisationen
  • Gelder für Forschung und Entwicklung

Nicht deklariert sind die Gratisabgabe der Muster verschreibungspflichtiger Medikamente, Rabatte beim Arzneimitteleinkauf und Mahlzeiten bis zu 150 Franken.

«Klinische Forschung wird mit Patienten oder gesunden Probanden durchgeführt, um Medikamente, bestimmte Untersuchungen oder Behandlungsformen auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit zu überprüfen», so Helfenberger. Dabei sei das Ziel, die medizinische Behandlung der aktuellen und zukünftigen Patienten zu verbessern. Und für diese zusätzliche Arbeit werden das Spital und damit die angestellten Ärzte von den Pharmafirmen entschädigt.

Durch das Geld beeinflusst

Doch, ob veröffentlicht oder nicht: Untersuchungen aus den USA belegen, dass wer Geld erhält – für welche Dienstleistung auch immer –, in der Regel auch mehr teure Originalmedikamente der spendierfreudigen Firmen statt der günstigeren Generika verschreibt. Sogar Essenseinladungen können demnach einen Einfluss haben.

Max Wiederkehr hält dies nicht für abwegig: «Grundsätzlich sind sicherlich auch Ärzte beeinflussbar, und es wäre denkbar, dass vermehrte Anstrengungen von Seiten der Pharmaindustrie – in welcher Form auch immer – sich im Verschreibungsverhalten niederschlagen.» Allerdings sind amerikanische Verhältnisse nicht zwangslos auf die Schweiz übertragbar und bestehen unterschiedliche Anreizsysteme.

Schlupflöcher müssen beseitigt werden

Die gebürtige Luzernerin Margrit Kessler, Patientenschützerin und Alt-Nationalrätin, betont die Wichtigkeit der Offenlegungspflicht. Dass Pharmafirmen Einfluss auf Ärtze und Spitäler haben, sei nicht abzustreiten. «Unbegründet sind die Verdachte nicht, aber die Sachlage hat sich verbessert, schon seit es Richtlinien der SAMW gibt, wie Ärzte sich gegenüber Pharmafirmen verhalten sollen.»

Die Effizienz der neu geltenden Offenlegungspflicht sei aber zu hinterfragen. Wie transparent die Offenlegung sein wird, wenn die betroffenen Ärzte ihre Einwilligung zur Offenlegung geben müssen, sei fraglich. Auch die sogenannten «Schlupflöcher» seien zu beseitigen. «Die Offenlegung muss obligatorisch erklärt werden», fordert Kessler. Es dürfe keine Ausnahmen geben und keine Möglichkeit, sich zu verweigern.

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