Der zentralplus-Faktencheck

Zug: Geht es um Mundart, wird geflunkert

Schüler sprechen immer schlechter Mundart, sagt die Zuger SVP. Stimmt das wirklich?

(Bild: zentralplus/bas)

Politiker haben keinen guten Ruf. Meist behaupten die einen etwas, wovon die anderen finden: stimmt nicht. So auch während der Debatte um die Zuger SVP-Initative «Ja zur Mundart». Deshalb haben wir die wichtigsten Aussagen einem Faktencheck unterzogen – und dabei eine ganze Menge Halbwahrheiten gefunden.

«Chriesi» statt Kirschen will die Zuger SVP. Denn wie die Kirschen zu Zug gehöre das Schweizerdeutsch zur Schweiz. Mundart sei Teil unserer Identität, unserer Kultur, drohe aber, verlorenzugehen, weil Hochdeutsch eine so grosse Plattform erhalte. Deshalb müsse man unsere Muttersprache fördern, sagt die SVP. Erreichen will das die Partei über die Initiative «Ja zur Mundart», die am 25. September an die Urne kommt (siehe Box).

Chriesi oder Zwängerei?

Die SVP-Initiative fordert, dass im Kindergarten sowie in den Primarschulfächern Musik, Bildnerisches Gestalten, Handwerkliches Gestalten und Sport ausschliesslich Mundart gesprochen wird. Das führte zu einem politischen Aufschrei, der weit über die Kantonsgrenzen hinaus nachhallte. In der ganzen Schweiz berichteten Medien von der Zuger Initative. Die lokalen Politiker schreiben sich in Leserbriefen gleich reihenweise die Seele aus dem Leib. Der Ton: emotional. «Unglaublich, dass man über so etwas überhaupt abstimmen muss. Mundart ist unsere Muttersprache und wenn wir so weiter machen, sprechen in ein paar Jahren nur noch die Alten einwandfrei Mundart», schrieb beispielsweise die SVP-Parteisekretärin Vreni Althaus (hier finden Sie den ganzen Leserbrief). Der Gegenvorschlag will mehr oder weniger den Status quo im Gesetz festschreiben: Im Kindergarten soll grundsätzlich Mundart und in der Schule grundsätzlich Hochdeutsch gesprochen werden.

Am Donnerstag, 1. September, um 19 Uhr findet an der Pädagogischen Hochschule Zug in der Aula eine Podiumsdisskussion zur Initiative und dem Gegenvorschlag statt.

Mumpitz, fanden alle anderen Parteien und lancierten einen Gegenvorschlag zur Initiative. Damit soll unter anderem die Mundart gestärkt werden, ohne das Hochdeutsch zu verdrängen. Ausserdem sei damit eine flexible Unterrichtsgestaltung möglich und der Übergang vom Kindergarten in die Primarschule würde vereinfacht.

Experten gegen Halbwahrheiten

Soweit ist das kein neues Szenario: Politiker aus unterschiedlichen Lagern behaupten in einer Sache genau das Gegenteil. Aussage steht gegen Aussage und was stimmt, weiss keiner mehr. Deshalb ist es an der Zeit, mit Halbwahrheiten und falschen Argumenten aufzuräumen.

Wir haben uns die Abstimmungsunterlagen zur Brust genommen. Je vier Aussagen, welche die Stimmbürger von der Initiative «Ja zur Mundart» oder vom Gegenvorschlag überzeugen sollen, haben Brigit Eriksson-Hotz, Rektorin und Co-Leiterin Zentrum Mündlichkeit, Katarina Farkas, Fachschaftsleiterin Deutsch und Deutsch als Zweitsprache, sowie Ursula Gloor, Dozentin Fachdidaktik Deutsch und Deutsch als Zweitsprache, von der Pädagogischen Hochschule Zug (PH Zug) wissenschaftlich geprüft. Die Grafiken verdeutlichen, wie stark die einzelnen Aussagen der Wahrheit entsprechen.

«Ja zur Mundart» – die Argumente der Initianten

Die Integration von fremdsprachigen Kindern gelingt wegen des konsequenten Anwendens von Hochdeutsch «in einzelnen wiederkehrenden Situationen» im Kindergarten nicht. Denn so lernen diese Kinder Hochdeutsch und benötigen noch länger, um Mundart zu lernen und sich in unsere Gesellschaft zu integrieren.

Die Expertinnen sagen: «Der Aussage kann nicht zugestimmt werden.» Hier würden Dinge ohne empirische Belegbarkeit behauptet. «Zudem gibt der zweite Satz Sachverhalte verkürzt wieder und stellt damit falsche Zusammenhänge her.» Die soziale Integration von fremdsprachigen Kindern passiere auf verschiedenen Ebenen – die sprachliche Integration sei ein wichtiger, aber nicht der einzige Faktor, so die Expertinnen. «Integration ist eine soziale Verpflichtung der gesamten Gesellschaft. Die Familien und ihre Kinder müssen sich akzeptiert fühlen, müssen in die Arbeitswelt integriert sein, müssen Anschluss haben.»

zentralplus-Fazit:

Die Initiative ist eine leichte Korrektur zur Stärkung der Mundart.

«Diese Aussage stimmt nicht», sagen die Expertinnen auch hier. Der Stellenwert der Mundart werde durch die Initiative deutlich erhöht – mit folgenden Konsequenzen: Beim Schreiben- und Lesenlernen spiele das Heraushören von einzelnen Lauten eine zentrale Rolle. «Gerade da – und viel weniger bei den Wörtern und der Grammatik – unterscheiden sich Mundart und Hochdeutsch stark.» Wie könne ein Kind, das keine Hochdeutschkenntnis hat, die Laute des Hochdeutschen beim Lesen und Schreiben heraushören, fragen sie rhetorisch.

zentralplus-Fazit:

 

Gerade im Kindergartenalter lernen fremdsprachige Kinder unseren Dialekt spielend schnell.

Die Expertinnen sind sich einig: «Dieser Aussage kann mit Ergänzungen zugestimmt werden.» Kinder würden tatsächlich vieles spielend lernen. So auch Sprachen. «Für einen gelingenden Spracherwerb sind aber viele Faktoren entscheidend.» Wichtig seien insbesondere folgende zwei Punkte: Ein gut entwickelter Erstspracherwerb in der Vorschulzeit sei eine wichtige Basis für den Erwerb einer weiteren Sprache. «Zudem ist eine sprachförderliche Umgebung – gerade auch für fremdsprachige Kinder – wichtig.» Dazu gehöre eine gute soziale Einbettung, ausreichende Sprachkontaktmöglichkeiten mit einheimischen Kindern, Angebote in der Freizeit et cetera.

zentralplus-Fazit:

 

Fremdsprachige Kinder sollten so oft wie möglich Mundart hören und sprechen. Tun sie das nicht, bleiben sie fremdsprachig, die Integration fällt schwer und ihr Selbstwertgefühl schwindet.

Die Expertinnen verneinen: «Zwar ist der erste Satz nicht falsch, die im zweiten Satz vorgenommene Schlussfolgerung gibt jedoch einen verkürzten Sachverhalt wieder.» Die soziale Integration von fremdsprachigen Kindern passiere nicht nur aufgrund der Sprache (wie auch bei der ersten Aussage ausgeführt). «Das Problem der sozialen Integration von Kindern mit Migrationshintergrund zeigt sich nicht im Kindergarten und der Unterstufe, sondern später.»

Jugendliche aus unterprivilegierten Familien fänden aufgrund mangelnder Schulleistungen häufig keine Lehrstelle – es sei die Aufgabe der Schule, auf einen besseren Bildungserfolg hinzuarbeiten, so die Expertinnen von der PH Zug. «Eine gute Hochdeutschkompetenz ist deswegen eine unabdingbare Grundlage für den Wissenserwerb. Den Jugendlichen wird heute oft vorgehalten, ihre Kompetenzen beim Lesen und Schreiben seien zu gering. Beides erfolgt im beruflichen Kontext auf Hochdeutsch.»

zentralplus-Fazit:

 

Argumente des Gegenvorschlags 

Es trifft nicht zu, dass sich fremdsprachige Kinder nur mit und auf «Schwiizerdütsch» integrieren. Für die Integration braucht es viel mehr, nämlich eine ganzheitliche Vermittlung unserer Werte und unserer Kultur.

Die Expertinnen sind sich einig: «Diese Aussage ist so korrekt.» Sie verweisen auf die erste Aussage.

zentralplus-Fazit:

Fremdsprachige Kinder müssen unsere offizielle Landessprache – Hochdeutsch – lernen. Nur so haben sie Zugang zur Bildung und letztlich zu unserer Gesellschaft.

«Diese Aussage stimmt», konstatieren die drei Forscherinnen. Alle Kinder und Jugendlichen würden gute Kenntnisse in der Standardsprache benötigen, damit sie in der Berufsschule oder am Gymnasium bestehen könnten. «Für gute Schulausgangskompetenzen im Hochdeutsch braucht es eine solide Entwicklung beim Schuleingang und eine darauf aufbauende, kontinuierliche und kohärente Förderung.»

zentralplus-Fazit:

 

Die Befürchtung, Mundart werde mehr und mehr verdrängt, ist unbegründet. Beim Kindergarteneintritt sprechen die allermeisten Kinder bereits Mundart. Sie lernen sie also ausserhalb der Schule.

Die Expertinnen sagen: «Die erste Aussage stimmt: Es ist überhaupt nicht so, dass die Mundart aus unserem Alltag verdrängt wird.» Das Gegenteil sei der Fall: «Mundart ist in unserem Alltag breit verankert und breitet sich sogar in den Medien und sozialen Netzwerken – auch beim Schreiben – aus», so Eriksson-Hotz, Farkas und Gloor.

Die zweite Aussage ziele in die richtige Richtung, müsse aber präzisiert werden: «Kinder, deren Familiensprache nicht Mundart ist, bringen unterschiedliche Kompetenzen in der Mundart in den Kindergarten mit. Wenn man von ‹allermeisten Kindern› spricht, gilt das für Quartierschulen mit einer gut durchmischten Bevölkerung.» In Quartieren mit hohem Ausländeranteil und allenfalls Asylzentren gelte der Satz nicht, sagen die Expertinnen.

zentralplus-Fazit:

 

Das Festmachen der Sprache an Fächern ist nicht sinnvoll.

«Dieser Aussage kann aus folgenden Gründen zugestimmt werden», erklären die Expertinnen: Um einen unverkrampften Umgang mit Hochdeutsch zu erreichen, solle man Hochdeutsch nicht den kognitiven Fächern und Mundart den ‹Herz-und-Hand-Fächern› zuweisen. Hochdeutsch würde sonst mit Prüfung und Leistung assoziiert und Mundart mit Emotion und Spiel, sagen sie. «Eine solche Zuweisung heisst, eine Chance nicht zu nutzen.»

«Zudem wird das Wissen in der Schule systematisch in allen Fächern aufgebaut.» Sprachförderung beschränke sich nicht alleine auf den Deutschunterricht; Sprachkompetenz sei die Basis für den Wissenserwerb in allen Fächern. «Lernende erwerben in allen Fächern neben vielem anderen einen Fachwortschatz, den sie lesen und schreiben können müssen. Dieser Fachwortschatz bereitet sie auf eine differenzierte Ausdrucksweise in den späteren Lehrbetrieben vor», sagen die drei Expertinnen.

zentralplus-Fazit:

Wissenschaft positioniert sich klar

Die Quintessenz des Faktenchecks: Drei der vier Argumente der «Ja zur Mundart»-Initative halten dem wissenschaftlichen Check nicht stand und sind nicht ganz oder gar nicht wahr. Hochdeutsch und Mundart haben im Kindergarten nur einen marginalen Einfluss auf die Integration fremdsprachiger Kinder, obwohl die «Ja zur Mundart»-Initative das Gegenteil glauben machen will. Die Integration an sich ist ein sehr vielschichtiges Konstrukt. Demzufolge hängt der Erfolg einer Integration – gemäss den Expertinnen der PH Zug – nicht alleine von den Sprachkenntnissen der Kinder ab.

Hingegen stimmen drei der vier Argumente zur Gegeninitiative, das vierte stimmt fast. Aus einer wissenschaftlichen Perspektive ist deshalb davon auszugehen, dass der Status quo sinnvoller ist als die neuen Forderungen. So schreiben auch die Expertinnen: «Aufgrund des vorhandenen Wissens und der Praxiserfahrungen ist davon auszugehen, dass die negativen Effekte der Initative stärker sind als die erzielten positiven Effekte.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Hans Peter Roth
    Hans Peter Roth, 31.08.2016, 14:06 Uhr

    Diä Argumänt vo de Initiante bringed mich zum Weine. Falsch? Ja! OK, nomol: Diä Argumänt vo de Initiante bringed mich zum Hüüle. Oder: Diä Argumänt vo de Initiante bringed mich zum Brüele. Oder: Diä Argumänt vo de Initiante bringed mich zum Bäägge. Oder: Diä Argumänt vo de Initiante bringed mich zum Brieggä.
    Fazit: Es gibt viele Dialekte. Müsste man deshalb alle KindergärtnerInnen, die nicht perfekt Zuger, Baarer oder Chomer Dialäkt sprechen, disqualifizieren und entlassen? Oder möchten die Eltern lieber riskieren, dass ihr Kind plötzlich Wollisser Titsch mit ihnen spricht und sie nur noch Bahnhof verstehen?
    Kurzum: Die Mundart Initiative ist völliger Quatsch! Lasst die Kindergärtner ruhig Hochdeutsch lernen, Dialekt lernen sie sowieso beim Spielen mit ihren Gschpänli.

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