Polemik um neue Luzerner Velostrasse

Kleiner Schritt für das Velo, grosser Aufschrei bei Autofahrern

Dieses Piktogramm auf der Bruchstrasse bedeutet Velostrasse.  (Bild: jwy)

Seit dem 1. August hat Luzern eine Velostrasse. Das tönt bombastisch, aber in Wirklichkeit wurden einfach zwei Stoppstrassen aufgehoben. Die Velofahrer können jetzt ungebremst vom Eichhof bis zum Kasernenplatz durchradeln, müssen sich dafür aber allerhand anhören. Höchste Zeit, für das Velo eine Lanze zu brechen.

Im Prinzip ist es keine grosse Sache: Die Stadt Luzern macht mit fünf anderen Schweizer Städten an einem nationalen Pilotprojekt mit. Getestet werden Velostrassen – etwas das in anderen Ländern seit Jahrzehnten Usus ist. In den Genuss kommt in Luzern der Abschnitt Taubenhaus- und Bruchstrasse (zentralplus berichtete).

Keine grosse Sache deshalb, weil diese Achse schon heute vor allem von Velos befahren wird. Diese 30er-Zone ist nicht für den motorisierten Durchgangsverkehr vorgesehen. Und keine grosse Sache auch, weil sich im Prinzip fast nichts ändert. Zwei Stoppstrassen sind aufgehoben, so dass man auf dieser Achse immer Vortritt hat gegenüber einmündenden Autos, Töffs oder Velos. Der Rest ist Kosmetik: Grosse gelbe Velosymbole wurden auf die Strasse gemalt, aber Autos sind natürlich weiterhin geduldet.

Und eben der neue Name: Velostrasse. Und alleine diese Symbolik muss eine solche Provokation darstellen, dass das Gezeter und Gejammer wieder hundertfach losgeht. Als hätte man eine ganze Autobahn zur Begegnungszone erklärt. Dabei hat man schlicht etwas zu dem gemacht, was es de facto schon lange ist.

Links-grüne Diktatur! Klar!

Wie immer, wenn sich für Velofahrer etwas verbessert, geht ein Aufschrei durch die Luzerner Kommentarspalten. Man liest von Velofahrern, die Trottoirs zur Kampfzone machen. Von einer links-grünen Diktatur, die Wirtschaft und Autofahrer an Leib und Leben bedroht. Allerhand Giftpfeile schiessen gegen den grünen Stadtrat Adrian Borgula. Kurz: Es wird geflucht und gedroht, dass man um die friedliche Koexistenz auf den Strassen fürchten muss.

Aufschlussreich ist dazu ein Blick in die Kommentarspalte von «20 Minuten»: weniger aufgrund der stichhaltigen Argumente, sondern vielmehr, um dem schäumenden Internetvolk den Puls zu fühlen.

Und auch bei zentralplus führte die Velostrasse zu Diskussionen – zum Glück aber mehrheitlich friedlich:

 

Noch viel friedlicher geht es zum Glück auf der Strasse zu und her. zentralplus ist am Dienstag die Taubenhaus- und Bruchstrasse rauf- und runtergeradelt, wo sich das neue Verkehrsregime (auch so ein grosses Wort!) das erste Mal im Alltag bewähren muss. Es herrscht noch Verwirrung: Autos und Velos bremsen dort, wo sie neu nicht mehr müssten, und Fussgänger fragen sich, was die riesigen, gelben Velopiktogramme auf der Strasse zu bedeuten haben.

Zwei Luzerner Bike-Polizisten sind präsent, klären auf und beobachten die Szenerie. Speziell an den zwei Kreuzungen – Pilatus- sowie Klosterstrasse –, wo Velofahrer auf der Bruchstrasse neu Vortritt geniessen. Und es ist auch nicht so, dass die sogenannte Velorowdys jetzt himmelhoch jauchzend mit 50 Sachen die Strasse runterbrettern und Stinkefinger verteilen.

Warum nur stellt diese Velostrasse für so viele Autofahrer eine solche Provokation dar? Wieso nur erhitzen zwei geänderte Stoppstrassen momentan die Gemüter dermassen? Als Velofahrer, gelegentlicher Autofahrer und vor allem als Bewohner dieser Stadt ist es Zeit, wieder mal einige Dinge zurechtzurücken.

Das Volk will es so

Was ist eine Velostrasse?

Die Stadt Luzern beteiligt sich an einem nationalen Pilotprojekt des Bundesamts für Strassen (ASTRA). Von August 2016 bis Mai 2017 ist auf der Bruch- und auf der Taubenhausstrasse neu eine Velostrasse signalisiert und markiert. Velostrassen sind gegenüber den einmündenden Quartierstrassen vortrittsberechtigt – Velofahrer geniessen dadurch eine zügigere und sichere Fahrt. Die Bruch- und Taubenhausstrasse sind für den Versuch prädestiniert, weil der Anteil an Velos am Gesamtverkehr heute schon deutlich über 50 Prozent liegt. Bewähren sich die Pilotversuche, werden auf Bundesebene die Gesetze danach angepasst. Neben der Stadt Luzern beteiligen sich die Städte Bern, Basel, Zürich, St. Gallen und La Chaux-de-Fonds am Projekt. Für Fussgänger bedeutet die Velostrasse keine Veränderung: Diese haben auf den Zebrastreifen nach wie vor Vortritt.

Es ist ein Gebot der Vernunft, in der Stadt Luzern den Veloverkehr (genauso wie den ÖV und den Fussverkehr) schrittweise, aber konsequent zu fördern. Und es ist darüber hinaus der Wille der Luzerner Bevölkerung, die das an der Urne mehrfach zum Ausdruck brachte. Zudem ist im Sorgenbarometer der Stadtbevölkerung der Verkehr regelmässig ganz oben zu finden – und mit Verkehr sind hier nicht Velos gemeint.

Dass in der Stadt Luzern keine links-grüne Diktatur herrscht, muss man zumindest zentralplus-Lesern nicht mehr erklären. Und dass das Volk die Verkehrspolitik des Stadtrates stützt, sieht man auch daran, dass das Parlament bei den Wahlen vom 1. Mai etwas linker geworden ist – und somit auch velofreundlicher.

Fertig mit Mini-Verbesserungen

Genügend lange gab es für Velos nur Mini-Verbesserungen. Dann nämlich, wenn man ohnehin Strassen saniert, Brücken gebaut und Plätze neu gestaltet hat. Logisch tat das niemandem weh, macht aber auch keinen glücklich. Wenn man es aber mit ÖV und dem Veloverkehr ernst meint, kommt man nicht umhin, den knappen Raum irgendwann umzuverteilen: zugunsten von Bussen und Velos. Das mag eine Provokation sein für viele Autofahrer, aber es ist zunehmend eine Realität, die man nicht mehr wegdiskutieren kann.

Anfangs Bruchstrasse weist ein Schild auf das neue Verkehrsregime hin.  (Bild: jwy)

Anfangs Bruchstrasse weist ein Schild auf das neue Verkehrsregime hin.  (Bild: jwy)

Die Zukunft der Stadt liegt nicht im Autoverkehr. Die Velostrasse ist ein Anfang, das Zentralbahn-Trassee für Velos von Kriens bis in die Neustadt folgt bald (zentralplus berichtete), die autofreie Bahnhofstrasse ebenfalls (zentralplus berichtete). Wer das nicht sieht, propagiert eine Verkehrspolitik der 50er-Jahre.

Denn im Prinzip ist es ganz einfach: Autoverkehr nimmt unverhältnismässig viel Platz weg, macht unverhältnismässig viel Lärm und nimmt die Luft zum Atmen. Kurz: Es macht das Leben in der Stadt weniger lebenswert.

Klar gibt’s Velorowdys

Die Velorowdys muss man nicht wegdiskutieren, die gibt es. Ich persönlich nerve mich auch täglich über ungeübte E-Bike-Fahrer, die wohl bis vor Kurzem kein Velo angefasst haben und jetzt halsbrecherisch und auf leisen Pfoten mit 45 km/h durch die Begegnungszone flitzen. Wenn er dafür aber auf den Töff oder das Auto verzichtet, ist er trotzdem ein Gewinn.

Freie Fahrt auf der Bruchstrasse: Der aufgehobene Stopp ist noch zu sehen – von rechts hat man jetzt keinen Vortritt mehr.  (Bild: jwy)

Freie Fahrt auf der Bruchstrasse: Der aufgehobene Stopp ist noch zu sehen – von rechts hat man jetzt keinen Vortritt mehr.  (Bild: jwy)

Und was es eben immer noch viel zu häufig gibt: Cars, die ungesühnt Velostreifen zuparkieren, Rechtsabbieger, die sich einen Dreck um Velos scheren, und Velos die zwischen Bussen und BWMs beim Schwanenplatz förmlich in die Mangel genommen werden. So sieht der Alltag im Veloluzern immer noch aus – zu häufig mit verheerenden Folgen. Aber wehe dem Velofahrer, der einmal aufs Trottoir ausweicht!

Nebeneinander? Bitteschön!

Wie immer in Diskussionen «Velo contra ÖV contra Auto» propagiert man letztlich das Miteinander und Nebeneinander auf der Strasse – ja, bitteschön! Aber das Nebeneinander ist noch weit entfernt: Im Moment ist der Verkehr immer noch eine einseitige Bevorzugung des Autos auf Kosten der Velos und des ÖV.

Wer also mag den Velofahrern nun das Bisschen mehr Freiheit in der Bruchstrasse nicht gönnen?

PS: Ich wage folgende Prognose: Die Wogen glätten sich schon in den nächsten Tagen, Frieden kehrt ein, die Velostrasse bewährt sich und wird nach 10 Monaten Testphase im Mai 2017 definitiv eingeführt.

Das ist die Velostrasse auf einer Karte:

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