Zuger Clown mit Liebe zum Konflikt

Stocker knetet dein Herz

Welt kaputt, Clowns auf Kollisionskurs: Das Stück «Nach Eden» kommt ab 2017 auf die Bühne – einen kleinen Vorgeschmack gab’s schon in der Zuger Gewürzmühle.

(Bild: zvg)

Nicht viele Zuger sind geborene Clowns. Solche mit Ideen wie «Gute Clownarbeit ist heilsam». Er aber schon. Und jetzt hat der Zuger Nikolas Stocker bald sein erstes Bühnenprogramm in petto. Zeit für ein Gespräch über Clownereien. Und was sie wirklich auslösen.

Nikolas Stocker macht eine Szene. Zerknautscht sein Gesicht, flennt wie ein Kleinkind. Wird plötzlich so laut im Café, wo wir uns treffen, dass die Gäste zu tuscheln beginnen. Dann macht er grosse Augen, versinkt halb im Tisch, reisst die Brauen rauf, transportiert ein Gefühl. Wenn Stocker sein Gesicht verknotet, knetet er eigentlich dein Herz.

Das Herz seiner Zuschauer. Stocker ist ein Clown. Einer von der intensiven Sorte. Gute Clownarbeit, sagt er, ist es dann, wenn das Spiel im Zuschauer ein Seufzen auslöst. Oder ein Lachen. «Und im besten Fall Tränen. Alle diese drei Regungen bedeuten nur eines: loslassen», sagt er. Spannungen lösen, alte Verletzungen loslassen. «Das passiert, wenn das Spiel im Zuschauer ein Trauma berührt, etwas zum Schwingen bringt. Und sich das dann lösen kann.» Gute Clownarbeit, sagt er, ist heilsam.

Und gute Clownarbeit dreht sich um Konflikt. Davon hat Stocker offenbar genug im Blut. War lange rastlos. Und schon in vielen Dingen im Kanton schwer aktiv: Hat Schweizermeisterschaften im Judo gewonnen, war dann Airboard-Profi-Sportler. Hat dann eine Schreinerlehre gemacht, weil man was Richtiges lernen muss, sagt er und lacht. Und ist dann von der Bildfläche verschwunden. «Ich habe ein Zigeunerleben geführt, war überall unterwegs, im Zelt, möglichst im Ausland, wo das Leben billiger ist.»

«Beziehung ist immer Konflikt», sagt Nikolas Stocker (rechts), hier als Clown «Piotr». Links seine Spielpartnerin Aziza Bouizedkane als Clown «Pamouk».

«Beziehung ist immer Konflikt», sagt Nikolas Stocker (rechts), hier als Clown «Piotr». Links seine Spielpartnerin Aziza Bouizedkane als Clown «Pamouk».

(Bild: zvg)

Auch jetzt gerade lebt er wieder im Zelt, auf dem Zuger Campingplatz beim Brüggli, aber nur für eine Woche: Er arbeitet mit den Kindern vom Kinderzirkus Grisini. Das ist Vorgeplänkel. Denn richtig lostreten will er seine Clownkarriere Anfang nächsten Jahres. Dann startet seine erste Tournee mit seinem Duo «Compagnie Amlou».

Er und seine Berliner Spielpartnerin Aziza Bouizedkane bringen ihr erstes eigenes Stück auf die Bühne. Es heisst: «Nach Eden». Der Beschrieb klingt nach Krach: Zwei Menschen versuchen in einer apokalyptischen Welt zueinander zu finden – und verpassen, missverstehen und verletzen sich stattdessen so ausgiebig, dass das Ganze zum Kleinkrieg ausartet. Woher kommt die Lust am Knatsch? «Theater ist immer Konflikt», sagt Stocker. «Harmonie ist todlangweilig. In jedem Disney-Kinderfilm kommt nach fünf Minuten Vorspiel der Konflikt auf den Tisch.»

Fertig Airboard, fertig Judo

Das gilt nicht nur fürs Theater: «Jede Beziehung ist Konflikt», sagt Stocker und verwirft die Hände. «Und als Clown kannst du sie so darstellen, dass jeder das versteht.» Sprache? Zu präzise. «Mit Sprache erzählst du, wie es dir geht. Dann kann dein Zuhörer sagen: Ich habe etwas Ähnliches erlebt. Mit Spiel erzählst du die Geschichte so, dass der Zuschauer mitfühlt und sagt: Genau so ist es mir gegangen.»

«He, du machst ja genau das, was ich will! Du lebst mein Leben!»

Nikolas Stocker, Clown

Solche Sätze sagt er. Klingt bei ihm so, als hätte er sie gerade eben frei erfunden und sei selber erstaunt darüber, was er da an sich beobachtet. Stocker hat sich die Clownerie abgerungen. Hat sie sich endlich erlaubt. «Ich wusste eigentlich schon als Kind, dass ich ein Clown bin. Aber dann schiebt man solche Sachen auf die Seite.» Bis sie wieder kommen: «Ich habe auf einer Reise einen Clown kennengelernt», sagt er. Und gemerkt: «He, du machst ja genau das, was ich will! Du lebst mein Leben!» Fertig Airboard, fertig Judo, alles abgeschnitten, etwas ganz Neues angefangen. Stocker hat das Inserat des Zirkus Wunderplunder gesehen. Und gedacht: «Ich bin ja auch ein Clown. Also los.»

Melancholie: im Alltag unpraktisch, als Clown wertvoll

Mittlerweile lebt Stocker von der Clownerie. Hat an einer Clownschule studiert. Zurück in die Schreinerei geht nicht mehr. «Du hast so schnell einen Alltag», sagt er, «und findest gar keine Zeit mehr, dich zu beobachten.» Dann sind Gefühle eher hinderlich. Wenn du am Morgen aufstehst und dich melancholisch fühlst, dann ist das im Alltag schnell verdrängt. «Du kannst im Alltag nicht gründlich herumdenken, worum es da gerade geht. Sonst kommt dein Chef und sagt: Seit einer halben Stunde stehst du da mit dem Brett in der Hand, und die Kante ist immer noch nicht geschliffen.»

Nikolas Stocker wusste schon immer: Er ist ein Clown. Dann hat ers vergessen.

Nikolas Stocker wusste schon immer: Er ist ein Clown. Dann hat ers vergessen.

(Bild: zvg)

Aber als Clown sei dieser melancholische Morgen sehr wertvoll. «Dann setze ich mich auf einen Stuhl und gehe dem Gefühl nach. Und plötzlich kommen noch andere Gefühle. Wut, Zorn, Trauer», sagt er und macht das Gesicht dazu. «Und dann kommt eine Bewegung. Und schon spielt sich da eine ganze Geschichte ab, ein Thema, das ich gerade habe.» Ein Thema, das sich immer klarer zeigt. «Und das alles in einer Beziehung zwischen mir und dem Stuhl. Manchmal kapiere ich erst viel später, worum es in einer Szene wirklich geht, erst wenn ich sie ein paar Mal gespielt habe.»

«Völlig reingerutscht»

Das ist der spannende Teil der Clownarbeit. Den harten Teil hat Stocker auch schon kennengelernt. Eigentlich hätte seine Compagnie schon dieses Jahr spielen wollen. «Aber wir sind da völlig reingerutscht», sagt er und grinst. «Wenn du anfängst, so was zu planen, dann bist du zuerst mal völlig überfordert.» Und dann viel zu spät dran. Deshalb: Lieber noch ein Jahr warten. Ein bisschen Geld konnten die beiden für ihr Projekt schon auftreiben, haben es in die Produktion eines Trailers gesteckt. Ende Juli kommt der kurze Film raus. Stocker trinkt seinen Kaffee aus, rollt eine Zigarette und sagt so laut, dass die Leute im Café wieder tuscheln: «Und über was schreibst du jetzt? Clownerie ist so ein grosses Thema, da könnte man über alles Mögliche noch stundenlang sprechen.»

 

 

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