Finanzexperte der Hochschule Luzern im Interview

«Die Steuerstrategie hat etwas bewirkt. Aber …»

Christoph Lengwiler kennt die Mechanismen des Neuen Finanzausgleichs (NFA). Dem Kanton Luzern wird immer weniger Geld ausgeschüttet, weil er immer stärker wird.

(Bild: Montage zentralplus)

Stark gewachsene Privateinkommen und höhere Firmengewinne – die umstrittene Steuerstrategie des Kantons hat etwas bewirkt, sagt Finanzexperte Christoph Lengwiler. Der Preis dafür sei jedoch höher als erwartet, die Zukunftsaussicht unsicher. Und ohne weitere Abbaumassnahmen und eine Steuerfusserhöhung werde es wohl nicht gehen.

So ein Dilemma. Eigentlich können wir Luzerner uns freuen. Die Steuerbelastung für Firmen und Private ging in den letzten Jahren markant zurück, der Kanton wird wirtschaftlich immer stärker. Jedoch erhält er deswegen immer weniger Millionen aus dem Topf des Neuen Finanzausgleichs (NFA). Dieser sorgt für eine Umverteilung von den starken Kantonen zu den schwachen.

Nächstes Jahr erhält Luzern aus dem NFA-Topf noch 189,8 Millionen Franken. Das sind 63,5 Millionen weniger als im Vorjahr – und 37 Millionen weniger als erwartet. Das stürzt die Politik in die Krise. Denn diesen Herbst muss bestimmt werden, wie in den nächsten drei Jahren 330 Millionen eingespart/weniger ausgegeben werden. Die CVP etwa verlangt als Notlösung ein Ausgabenmoratorium (hier geht’s zum Artikel).

Wie die Regierung nun diesen Dienstagmorgen mitteilte, kommt alles noch schlimmer. Neu müssen aufgrund aktueller Berechnungen betreffend sinkender NFA-Zahlung bis Ende 2019 total rund 280 Millionen zusätzlich eingespart werden (siehe Box).

UPDATE: Es fehlen total 280 Millionen Franken

Bad News zum Thema Finanzen: Diesen Dienstagmorgen orientierte die Luzerner Regierung, dass aufgrund neuester Prognosen noch viel weniger Geld aus dem NFA zu erwarten ist. Konkret sei mit 190 Millionen Franken weniger als bislang budgetiert zu rechnen. Zusammen mit der Lücke aus dem Planungsbericht KP17 über 90 Millionen Franken fehlen bis Ende 2019 nun also 280 Millionen. Die Regierung fasst nun auch eine Steuerfusserhöhung ins Auge – hier geht's zum Artikel.

Viel höhere Ausfälle als befürchtet?

Einen starken Rückgang der NFA-Zahlungen prognostiziert auch Christoph Lengwiler. Er ist Leiter des Instituts für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) der Hochschule Luzern. Früher engagierte er sich während 15 Jahren für die CVP im Kantonsrat.

zentralplus: Christoph Lengwiler, die Regierung hat diesen Dienstag die Notbremse gezogen und neue Massnahmen bekannt gegeben, um die Kantonsfinanzen wieder ins Lot zu bringen. Was sagen Sie dazu?

Christoph Lengwiler: Wenn sich derart hohe Ausfälle bei den Einnahmen abzeichnen, wie nun bekannt geworden ist, sollte man rasch handeln und griffige Massnahmen ergreifen. Dazu gehören weitere Sparmassnahmen und wohl auch Steuerfusserhöhungen. Denn die Zeit läuft gegen den Kanton: Die fehlenden Einnahmen führen zu einem Anstieg der Verschuldung. Wenn man mit Massnahmen zu lange wartet, braucht es später enorme Anstrengungen, um diese aufgetürmten Schuldenberge wieder abzubauen. Aus meiner Sicht gehen die beschlossenen Massnahmen in die richtige Richtung.

zentralplus: Luzern erhält nun noch weniger Geld aus dem NFA, weil der Kanton wirtschaftlich stärker geworden ist. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Lengwiler: Ich habe mir die Entwicklung der «aggregierten Steuerbemessungsgrundlage» der Jahre 2008 bis 2013 angeschaut. Diese Zahl ist für die Berechnung des Ressourcenausgleichs massgebend. Für den Kanton Luzern ist sie innert fünf Jahren von 22’941 Franken auf 29’856 Franken pro Einwohner angestiegen.

zentralplus: Welche Auswirkungen hat das?

Lengwiler: Dieser Anstieg von 30 Prozent liegt weit über dem Durchschnitt aller Kantone von 11 Prozent. Damit hat sich das Ressourcenpotenzial des Kantons Luzern überdurchschnittlich erhöht und das führt – mit zeitlicher Verzögerung – zu einer Reduktion des Ressourcenausgleichs. Nur in den Kantonen Obwalden (51 Prozent) und Nidwalden (37 Prozent) stieg die Steuerbemessungsgrundlage noch stärker.

zentralplus: Welches waren die treibenden Faktoren hinter diesem Wachstum der Steuerkraft? 

Lengwiler: Es sind vor allem zwei Treiber: Zum einen ist das massgebende Einkommen der natürlichen Personen pro Einwohner zwischen 2008 und 2013 um 8 Prozent gewachsen. Diese Wachstumsrate lag weit über dem schweizerischen Durchschnitt von 1 Prozent.

«Die Firmengewinne verzeichneten zwischen 2008 und 2013 das höchste Wachstum aller Kantone.»

zentralplus: Und der zweite Treiber?

Lengwiler: Der zweite Treiber sind die massgebenden Gewinne der juristischen Personen pro Einwohner. Diese verzeichneten zwischen 2008 und 2013 mit 74 Prozent das höchste Wachstum aller Kantone. Der schweizerische Durchschnitt lag nur bei 11 Prozent.

zentralplus: Ist dieses überdurchschnittliche Wachstum – wie die Regierung sagt – ein Erfolg der umstrittenen Luzerner Steuerstrategie?

Lengwiler: Die Berechnungen für den NFA 2017 basieren auf dem Durchschnitt der Bemessungsgrundlagen der Jahre 2011 bis 2013. Die Senkung der Unternehmenssteuern wirkte sich erstmals 2012 auf die Steuererträge aus. Und tatsächlich stieg die Steuerbemessungsgrundlage der juristischen Personen von 2011 auf 2012 um 44 Prozent und im Folgejahr nochmals um 4 Prozent an. Die Steuerstrategie hat offenbar etwas bewirkt.

Allerdings dürfte ein Teil dieses Effektes mit dem Erwartungsmanagement zu tun gehabt haben (Verschiebung von Gewinnen in die Jahre 2012 und 2013, Offenlegung nicht versteuerter stiller Reserven etc.). Denn die Entwicklung der Steuererträge der juristischen Personen deutet darauf hin, dass die Bemessungsgrundlage in den Jahren 2014 und 2015 wieder zurückgegangen ist.

zentralplus: Aber der finanzielle Effekt ist ja bislang unter dem Strich für den Finanzhaushalt des Kantons negativ?

Lengwiler: Die Halbierung der Unternehmenssteuern konnte durch die vorübergehend höheren Gewinne der juristischen Personen und damit durch das grössere Steuersubstrat teilweise kompensiert werden. Allerdings mit den zeitlich verzögerten negativen Konsequenzen beim Ressourcenausgleich. Langfristig ist zu hoffen, dass die Strategie mit den tiefen Unternehmenssteuern trotzdem aufgeht.

«Wenn die SP-Steuerinitiative angenommen würde, dürfte dies dem Kanton als Unternehmensstandort und als Wohnort für vermögende Privatpersonen schaden.»

zentralplus: Was würde eine Abkehr von der Steuerstrategie mit der Erhöhung von Steuern, wie es die Linken fordern, bedeuten?

Lengwiler: Ich denke, für die Wirtschaft und für «sensible» Steuerzahler ist nichts schlimmer als Unsicherheit und politische Instabilität. Schon die Initiative selbst verunsichert. Und wenn dann die Initiative sogar angenommen würde, dürfte dies dem Kanton Luzern als Unternehmensstandort und als Wohnort für vermögende Privatpersonen schaden. Dies kann zu Wegzügen führen oder das Potenzial für Zuzüge einschränken.

zentralplus: Als Folge der Steuerstrategie fehlen dem Kanton nicht nur Steuereinnahmen. Weil er als stärker eingestuft wird, erhält er wie erwähnt auch weniger Geld aus dem NFA-Topf. Luzerner Politiker kritisieren nun, fleissige Kantone würden zu hart bestraft anstatt belohnt. Zu Recht?

Lengwiler: Ja, das ist halt der Preis der Steuerstrategie. Der gleiche Effekt zeigte sich ja auch beim Kanton Obwalden. Das System des NFA verfolgt ja das Ziel, die Unterschiede zwischen den Kantonen beim Ressourcenpotenzial auszugleichen. Und wenn das Ressourcenpotenzial wegen einer günstigen Steuerstrategie relativ zu den anderen Kantonen steigt, dann reduzieren sich halt die Finanzausgleichszahlungen.

zentralplus: Die Luzerner Regierung hat sich heftig verschätzt. Der Kanton erhält viele Millionen Franken weniger als erwartet. Politiker monieren, das Finanzdepartement unter Marcel Schwerzmann habe versagt. Wie sehen Sie das?

Lengwiler: Die Berechnungen erfolgen durch die Eidgenössische Finanzverwaltung. Sie sind recht komplex und erst möglich, wenn die genauen Daten zum Folgejahr vorhanden sind. Deshalb ist die Kritik wohl etwas zu hart ausgefallen.

«Die Betroffenen fühlen sich verschaukelt, wenn sie im Nachhinein erfahren, dass ihnen Informationen vorenthalten wurden.»

zentralplus: Wie vor Kurzem herausgekommen ist, hat der Finanzdirektor die provisorischen Zahlen schon gegen Ende April erfahren, jedoch die mit dem «Konsolidierungsprogramm 2017» beschäftigten Arbeitsgruppen und Kommissionen nicht informiert. Finden Sie das richtig?

Lengwiler: Wenn das wirklich so war, finde ich das ungeschickt. Die Betroffenen fühlen sich verschaukelt, wenn sie im Nachhinein erfahren, dass ihnen Informationen vorenthalten wurden. Das belastet das Vertrauen in die Regierung und Verwaltung.

zentralplus: Wie geht es weiter? Sind für das Jahr 2018 weitere Rückgänge beim Ressourcenausgleich zu erwarten?

Lengwiler: Ja, der Kanton Luzern wird mit einem weiteren Rückgang der Finanzausgleichszahlungen rechnen müssen. Nächstes Jahr wird das Bemessungsjahr 2011 wegfallen und dafür kommt das Bemessungsjahr 2014 hinzu. Die Zahlen dafür sind allerdings noch nicht bekannt. Würde man davon ausgehen, dass die Bemessungsgrundlage 2014 in allen Kantonen ähnlich hoch ausfällt wie 2013, läge der Kanton Luzern wiederum unter den drei Kantonen mit der höchsten Wachstumsrate.

zentralplus: Was könnte das in Franken bedeuten?

Lengwiler: Gemäss den vorherigen Annahmen würde beim Ressourcenausgleich nochmals ein zweistelliger Millionenbetrag ausfallen. Nach meiner Hochrechnung dürften 2018 – im Vergleich zum neuen Wert von 2017 – somit weitere 30 bis 40 Millionen Franken in der Kantonskasse fehlen. Wie gesagt, werden die genauen Zahlen aber erst in einem Jahr vorliegen.

zentralplus: Eine mögliche Option ist die Aufhebung der Schuldenbremse fürs Jahr 2017. Das würde gemäss Kantonsratsentscheid 50 Millionen Franken ausmachen. Eine gute Idee?

Lengwiler: Das ist natürlich eine Option, allerdings sollte eine solche Massnahme – wenn überhaupt – nur vorübergehend erfolgen. Ziel  muss es sein, ein finanzielles Gleichgewicht zu erhalten, ohne die Verschuldung stark ansteigen zu lassen.

Christoph Lengwiler, Hochschule für Wirtschaft Luzern

Christoph Lengwiler, Hochschule für Wirtschaft Luzern

(Bild: zVg )

zentralplus: Die Regierung weist in ihrem Massnahmenpaket auch auf die Wichtigkeit des engen Einbezugs der Gemeinden hin. Unter anderem will sie die Aufgaben- und Finanzreform auf Antrag der Gemeinden sistieren. Macht das Sinn?

Lengwiler: Die NFA-Zahlungen gehen an den Kanton. Wenn diese nun dramatisch zurückgehen, sind die Einnahmen der Gemeinden vorerst nicht direkt betroffen. Deshalb liegt es auf der Hand, einen Teil der Einnahmenausfälle auf die Gemeinden überzuwälzen. Es wird also nötig sein, die Aufgabenteilung und die Finanzströme zwischen dem Kanton und den Gemeinden unter der neuen Ausgangslage nochmals genauer unter die Lupe zu nehmen.

zentralplus: Eine weitere Option ist eben doch eine Steuererhöhung. Die Linken möchten etwa Firmen wieder stärker besteuern (Abstimmung am 25. September) – oder Reiche. Warum nicht die Reichen in die Verantwortung nehmen?

Lengwiler: Aus meiner Sicht müsste man notfalls den Steuerfuss erhöhen und nicht am Steuergesetz rumschrauben. Der Kanton Luzern muss  bei der Unternehmenssteuer attraktiv bleiben und die Steuerlast für Vermögende und Gutverdienende soll in Grenzen bleiben. Sonst riskiert der Kanton Luzern durch Wegzüge Steuerausfälle.

«Noch bleibt der Ansturm von Firmen aus.»

Wie erwähnt ist es wichtig, dass eine einmal gewählte Steuerstrategie durchgezogen wird. Es gilt auch zu beachten, dass der Kanton Luzern im Hinblick auf die Unternehmenssteuerreform III des Bundes in einer guten Ausgansposition ist, weil er im gesamtschweizerischen Vergleich schon heute sehr tiefe Unternehmenssteuern verlangt. Nach der Steuerreform müsste er deswegen wohl mit weniger grossen Ausfällen rechnen als andere Kantone.

zentralplus: Wie beurteilen Sie aus finanzpolitischer Sicht die nächsten Jahre?

Lengwiler: Die grosse Frage wird sein, ob sich dank der Steuerstrategie des Kantons Luzern in den nächsten Jahren die Steuereinnahmen nach Abzug der Ausfälle beim Finanzausgleich steigern lassen. Und da sind aufgrund der aktuellen Entwicklung einige Fragezeichen angebracht.

zentralplus: Zum Beispiel?

Lengwiler: Noch bleibt der Ansturm von Firmen, welche wegen der steuerlichen Attraktivität in den Kanton ziehen, aus, und die Initiative «für faire Unternehmenssteuern» ist diesbezüglich kontraproduktiv. Der Kanton wird somit auch in Zukunft vor grossen finanzpolitischen Herausforderungen stehen. Entsprechend werden, wie erwähnt, weitere Entlastungspakete und wohl auch eine Erhöhung des Steuerfusses notwendig sein. Letztlich braucht es dann wohl in der Politik auch Grundsatzdiskussionen darüber, ob Leistungen abgebaut werden sollen oder ob durch Steuererhöhungen die Einnahmen erhöht werden sollen.

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Garthster
    Garthster, 17.07.2016, 17:33 Uhr

    Stimme ich zu, aber verschleiernd ist nicht wie bei andere Charts irreführend (LZ Charts)…
    Ich finde es ein recht gutes Interview in Vergleich mit was wir sonst lesen müssen…
    Leider wurde die Chance verpasst nach einer Korrelation zu fragen obwohl dies relativ einfach zu sehen ist:
    – Es sind vor allem zwei Treiber: Zum einen ist das massgebende Einkommen der natürlichen Personen pro Einwohner zwischen 2008 und 2013 um 8 Prozent gewachsen. Diese Wachstumsrate lag weit über dem schweizerischen Durchschnitt von 1 Prozent…
    – Der zweite Treiber sind die massgebenden Gewinne der juristischen Personen pro Einwohner. Diese verzeichneten zwischen 2008 und 2013 mit 74 Prozent das höchste Wachstum aller Kantone.
    Höhere Firmengewinne erlauben auch höhere Löhne – siehe da, beide Seiten profitieren.
    Ich habe noch nie gehört von Firmen wo bei Gewinnrückgang höhere Löhne zahlen -können-, oder? Tessin überlegt sich jetzt die Firmensteuer auf 6.5% fest zu setzen…
    Bewegung bleibt also ‹im Markt› und wenn man sich aus ideologische Gründe davon verabschieden möchte weil man ein Ausgabenproblem hat, na dann gute Nacht.

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  • Profilfoto von Philipp Federer
    Philipp Federer, 15.07.2016, 16:05 Uhr

    Die grafische Darstellung ist verschleiernd. Ab 2016 ist der starke Anstieg spekulativ und mehr ein Wunschdenken als Fakten. Die Frankenstärke, BREXIT und andere Faktoren können ganz andere Auswirkungen haben als dargestellt.
    Ohne die Steuererhöhung 2014 UND ohne das starke Wachstum der Bevölkerung wäre die Linie bei den natürlichen Personen praktisch flach.
    Die Steigerungszahlen von Lengwiler bei den juristischen Personen beziehen sich auf die Erträge mit der Halbierung. Auf die realen Einnahmen treffen sie leider nicht zu. Insgesamt sind die Einnahmen kleiner als früher.

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  • Profilfoto von Urs Eggler
    Urs Eggler, 13.07.2016, 15:32 Uhr

    Offensichtlich könnte man die NFA-Zahlungen schon eingermassen hochrechnen. Aber der Kanton Luzern ist ja eh im finanziellen Blindflug.

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