Das sagen Private und Fachleute zum Brexit

Luzerner zum Brexit: «Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft»

Der Austritt Grossbritanniens aus der EU wird auch Folgen für den Kanton Luzern haben.

(Bild: zVg)

Schock für Europa: England will raus aus der Europäischen Union. Was sagen Engländerinnen und Engländer dazu, die in der Region Luzern leben? Fachleute aus Wirtschaft und Tourismus sehen Risiken. Und überraschenderweise auch einige Chancen.

Der Engländer Murray McCreadie kommt aus der Nähe von London, lebt seit 24 Jahren in der Schweiz und hat ein Grafik-/Designbüro in Luzern. Hierhin gekommen ist er aus beruflichen Gründen. «Ich arbeitete als Freelancer, bin aber auch wegen des Skifahrens gerne in die Schweiz gekommen», sagt er. Selber bezeichnet er sich als völlig unpolitisch, auch abgestimmt hat der Engländer nicht. 

«Brexit finde ich super! Dieses Resultat habe ich zwar erhofft, aber nicht erwartet.»
Murray McCreadie, Ignition Design Luzern

Murray McCreadie aus Luzern findet den Brexit super.

Murray McCreadie aus Luzern findet den Brexit super.

(Bild: zVg)

Allerdings verfolgte er am Abstimmungstag schon frühmorgens die Berichterstattung in den Medien – und wurde überrascht: «Den Brexit finde ich super! Dieses Resultat habe ich zwar erhofft, aber nicht erwartet», sagt McCreadie. «Es ist besser, nicht in der EU zu sein, weil man weniger kontrolliert ist von Brüssel und die Sachen so machen kann, wie man will. Darum ist der Austritt richtig.»

Problematisch findet er in Grossbritannen schon seit langer Zeit das Sozialwesen, die Arbeitslosigkeit und die Einwanderungspolitik. «Da werden viele Vorgaben von der EU diktiert. Selber bestimmen ist aber besser.»

Dass Grossbritannien darum Probleme mit den anderen EU-Ländern bekomme, kann er sich zwar vorstellen. «Aber dann nur aus Sturheit. Grossbritannien hat gute Produkte und allgemein gilt: Die finden ihre Abnehmer – egal, ob man in der EU ist oder nicht. Das beste Beispiel dafür ist ja die Schweiz: Sie gehört auch nicht zur EU und trotzdem geht es ihr gut.»

Resultat hat nicht wirklich überrascht

Zurückhaltender zeigt sich die Engländerin Andrea Berger, die seit 12 Jahren in der Schweiz lebt und hier die Sprachschule für Kinder «Fun english» betreibt. «Das Resultat hat mich überhaupt nicht überrascht, das hat sich im Vorfeld so abgezeichnet», sagt sie.

«Die jungen Leute hätten das anders gewollt und für sie ist es schade.»
Andrea Berger, «Fun english» Luzern

Verantwortlich für den Ausgang der Abstimmung macht sie die ältere Generation. «Die jungen Leute hätten das anders gewollt und für sie ist es schade. Was die Konsequenzen sind, wird sich zeigen und damit muss man dann halt leben.» Selber haben sie in den Medien die kontroversen Diskussionen mit Interesse mitverfolgt. «Aber ein grosses Thema war es für mich persönlich nicht.»

Treue Gäste aus dem Königreich

Obschon sich so kurz nach der Abstimmung zum Brexit kaum jemand auf Prognosen einlassen will, sind sich alle von zentralplus angefragten Stellen darin einig: Der Brexit wird im touristischen und wirtschaftlichen Bereich auch Auswirkungen auf den Kanton Luzern haben.

«Es ist möglich, dass darum Ferien für Gäste aus Grossbritannien teurer werden.»
Sibylle Gerardi, Luzern Tourismus

«Aus touristischer Sicht besteht die Gefahr, dass das Pfund weiter an Wert verliert und somit Ferien für Gäste aus Grossbritannien teurer werden, was weniger Buchungen zur Folge haben könnte», sagt Sibylle Gerardi von Luzern Tourismus. «Andererseits sind die Briten treue Gäste in unserer Region, es gibt eine lange Tradition und enge historische Beziehungen. Die vergleichsweise teure Schweiz konnte sich zudem bis heute vorwiegend über die Qualität und spezifische Ferienerlebnisse positionieren und nicht über den Preis. Kurzfristig sind eher keine extremen negativen Entwicklungen zu erwarten, da die Sommerferien bereits gebucht sind.»

Verhandlungen mit der Schweiz zweitrangig

«Die nächsten zwei Jahre bleibt Grossbritannien ja mit Sicherheit noch in der EU. In dieser Zeit gibt es bilaterale Verhandlungen mit der EU und erst wenn diese abgeschlossen sind, lässt sich mehr sagen», sagt Rouven Willimann, Wirtschaftsförderung Luzern. Eine kleine Prognose wagt er dennoch: «Vermutlich werden in dieser Zeit der Unsicherheit viele Investoren davon absehen, in Grossbritannien (weiter) zu investieren – was wiederum für die Schweiz als alternativer Investitionsstandort in Europa eher positiv sein könnte. Andererseits könnten die Verhandlungen über die Personenfreizügigkeit für die EU nun eher zweitrangig werden, da die Verhandlungen mit Grossbritannien nun mit Sicherheit mehr Priorität geniessen.»

Ängste und Überreaktion der Märkte

Regierungsrat Robert Küng sagt auf Nachfrage: «Die Luzerner Wirtschaft hat zwar gut auf die Aufhebung des Euro-Mindestkurses reagiert. Jetzt bleibt der Franken aber stark und da der europäische Raum einer unser Hauptpartner ist, wird wohl die nächste Herausforderung auf unsere Exportwirtschaft zukommen.»

«Da der europäische Raum einer unser Hauptpartner ist, wird wohl die nächste Herausforderung auf unsere Exportwirtschaft zukommen.»
Robert Küng, Regierungsrat Luzern

Regierungsrat Robert Küng.

Regierungsrat Robert Küng.

(Bild: ZVG)

Bei der Finanzdirektion der Stadt Luzern schätzt man die Situation ähnlich ein: «Sicher ist, dass das Ergebnis der Volksabstimmung zu Ängsten und Überreaktionen auf den Märkten führt. Ein Austritt eines Landes aus der EU ist ein langer Prozess, dessen Auswirkungen sich schwer überblicken lassen. Tendenziell wird der Franken gestärkt. Dies schadet der Exportwirtschaft und dem Tourismus. Die Nationalbank sieht sich bei der Kurspflege des Frankens vor zusätzlichen Herausforderungen», sagt Christoph Nick
, Stabschef
 Finanzdirektion Stadt Luzern.

«Die Unsicherheit ist Gift für das wirtschaftliche Klima.»
Felix Howald, Direktor IHZ Zentralschweiz

Bei der Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz IHZ sieht man spontan mehrere negative Auswirkungen: «Die Unsicherheit ist Gift für das wirtschaftliche Klima: Investitionen werden gehemmt und das wird wohl längerfristig anhalten», sagt Direktor Felix Howald. «Der Druck auf den Schweizer Franken wird weiter zunehmen, das trifft auch die Luzerner Wirtschaft. Das Gleiche gilt für die konjunkturellen Einbussen: weniger Wirtschaftswachstum in Grossbritannien und der Europäischen Union und somit auch für die Schweiz und Luzern. Zudem ist die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative gefährdet, die sehr wichtig für Luzern ist.»

Krise kann auch Chance sein

«Der Austritt könnte ein Anlass sein, die grassierende Regulierungswut und Zentralisierungsaktivität zu drosseln.»
Gaudenz Zemp, Direktor Gewerbeverband Kanton Luzern

Gaudenz Zemp, Direktor Gewerbeverband Kanton Luzern.

Gaudenz Zemp, Direktor Gewerbeverband Kanton Luzern.

Diese Einschätzungen teilt man beim Gewerbeverband des Kantons Luzern voll und ganz, wie Direktor Gaudenz Zemp sagt: «Bezüglich der Risiken und Probleme gibt es nichts zu ergänzen. Hingegen vielleicht noch eine Bemerkung zu den Chancen», sagt Direktor Gaudenz Zemp. «Es wäre immerhin möglich, dass die EU den Austritt zum Anlass nimmt, die grassierende Regulierungswut und Zentralisierungsaktivität wenigstens zu drosseln. Es könnte sein, dass man die Technokraten in den Brüsseler Verwaltungskomplexen durch etwas pragmatischere und bürger- beziehungsweise wirtschaftsnähere Konstrukte ersetzt. Insofern kann die Krise auch eine Chance sein. Es ist nun bewiesen, dass man auch austreten kann. Das schafft Druck auf künftige Entwicklungen. Kurzfristig hat dies natürlich keinen Einfluss auf die Luzerner Wirtschaft – aber vielleicht langfristig.»

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