So war der erste Abend auf dem Sonnenberg

Wer hat am B-Sides die Nebelmaschine laufen lassen?

The Notwist brachten etwas Farbe in die triste Nacht. (Bild: Silvio Zeder)

Kann man über ein Open-Air schreiben, ohne das Wetter zu erwähnen? Leider nein. Also: Es regnete am Donnerstagabend am B-Sides. Viel wichtiger aber: Es könnte durchaus sein, dass das beste Konzert des Festivals schon vorbei ist.

In den Tagen vor dem B-Sides schwebt ein böses Wort über dem Festival: Dauerregen! Die Wetterfrösche wiederholen es mantraartig, inklusive Warnungen vor Sintflut und Hochwassern. Man muss das Schlimmste befürchten. Wird der Sonnenberg unter einer Schlammlawine begraben? Muss er gar umbenannt werden: in Regenberg? (Die Leserschaft möge mir das schlechte Wortspiel verzeihen.)

Donnerstag, 17.30 Uhr: verlorene Seelen

Mit Pelerine bepackt und den guten, imprägnierten Schuhen umgeschnürt, warte ich mit ein paar weiteren verlorenen Seelen bei der Talstation aufs hölzerne Bähnli. Werden wir die Einzigen sein? Die älteren Herren von der Sonnenbergbahn sind freundlich und herzlich, sie geben jedem Festivalgänger einen Gruss mit auf den Weg. Zuverlässig ächzt und knarzt das über 100 Jahre alte Gefährt den Hügel hinauf.

18 Uhr: Den wenigen Nasen gefällt’s

Die Einzigen sind wir nicht, aber erst einige Dutzend Besucher tummeln sich auf dem Kiesplatz. Und also wirklich, wenn das alles ist, was der angekündigte Dauerregen zu bieten hat, dann sind doch all die gelben Mäntel und Pelerinen fast schon vergebens. Es tröpfelt gerade mal.

18 Uhr: Beim Konzert von Cross Records  hat's noch wenige Besucher.  (Bild: jwy)

18 Uhr: Beim Konzert von Cross Records  hat’s noch wenige Besucher.  (Bild: jwy)

Das erste Konzert auf der Zeltbühne mit dem neuen, grösseren, höheren Vordach, das sich im Verlaufe des Abends noch sehr bewähren sollte, weil es deutlich mehr Leuten trockenen Unterschlupf gewährt als in den Jahren zuvor, hat schon begonnen. Es spielen die Amis Cross Records, die zuerst gar nicht auf dem Programm standen, aber da sie eh mit den später aufspielenden Shearwater unterwegs waren, bekamen sie einen Slot (30 Minuten).

Emily Cross und Dan Duszynski, die da auf der Bühne stehen und sitzen, sind ein Ehepaar – und so ist auch ihre Musik recht intim. Und, passend zur Stimmung, schön vernebelt. Sie spielen einen verhuschten, hallenden Folk mit zwei Gitarren, ein wenig Perkussion und der schönen Stimme von Emily Cross. Sie wärmt zwar nicht meine Finger, aber doch meine Seele. Für die Finger braucht’s Kafi Schnaps, was wiederum auch der Seele guttut. Wie auch immer: Den wenigen anwesenden Nasen gefällt’s, mich eingeschlossen.

18.40 Uhr: Shearwater

Der wahre Grund, wieso ich so früh hier oben bin: die Band Shearwater aus Austin, Texas. Sie spielten bereits anno 2008 in Luzern im Théâtre La Fourmi – und ich geb’s zu: Seither bin ich Fan. Ich kaufe und höre ihre Alben, die fast im Jahrestakt erscheinen. Drum: ein nettes Wiedersehen auf dem Sonnenberg. Nett auch, dass der Regen inzwischen komplett aufgehört hat. Sänger Jonathan Meiburg muss sich wohlfühlen hier – umgeben von Wald und Wiesen –, ist er doch nicht nur Musiker, sondern auch Ornithologe.

Beim Konzert von Shearwater füllt es sich langsam.  (Bild: jwy)

Beim Konzert von Shearwater füllt es sich langsam.  (Bild: jwy)

Shearwater spielen Songs voller Sehnsucht: über Heimat, übers Weggehen und wieder Heimkommen, aber ebenso über die amerikanische Politik. Zugegebenermasen mit viel Pathos, aber wer über eine solche Stimme wie Meiburg verfügt, darf ruhig etwas dick auftragen. Es ist das erste diesjährige Konzert auf der Hauptbühne – und ist es bereits das grosse Festival-Highlight?

Die Besucher trudeln nun im Minutentakt ein und mischen sich gleich unter die Besucher vor der Bühne. Pelerinen hüpfen, Köpfe wagen sich unter der Kapuze hervor und wohin man schaut: gut gelaunte Menschen. Shearwater spielen Stadionrock für die Indie-Rock-Hörer, mit ebenso stampfenden Hymnen wie melancholischen Songs. Die ausufernden, weiten Songs schmiegen sich perfekt in die nebelverhangene Waldlichtung. Jemand habe die Nebelmaschine über Nacht laufen lassen, scherzt Sänger Meiburg. Das Wetter, pure Ansichtsache.

19.45 Uhr: Speisen mit Würde

Der Magen knurrt, ein paar Schritte und man ist bereits beim Verpflegungszelt. Viele Helfer stehen hinter Pfannen und bereiten Menüs zu, die wenig mit der üblichen Open-Air-Verpflegung zu tun haben. Es ist kein Zufall, dass das B-Sides letztes Jahr ein Kochbuch herausgab. Dieses Jahr stehen zur Auswahl: profane Würste, Champignons mit Ratatouille, Erbseneintopf, Orecchiette, Köfte oder Chili-Chicken mit Kokosreis und allerlei Kleineres.

Und hier die feine Speise mit dem schwierigen Namen:  Orecchiette. (Bild: jwy)

Und hier die feine Speise mit dem schwierigen Namen:  Orecchiette. (Bild: jwy)

Mmmmh, ich entscheide mich für «Orie…, äh: Orche…, nein: Orecchiette». Es wird mit fortgeschrittenem Abend auch nicht einfacher, dieses Menü zu bestellen. Verfeinert ist das Ganze mit Broccoli, Zitrone, Knoblauch und Mandelsplittern.

Es hat gedeckte Sitzplätze, es lässt sich also am B-Sides durchaus mit Würde speisen – sitzend und mit Messer und Gabel. Aber es wird eng auf den Bänken, weil es unterdessen wieder regnet, also geben wir den begehrten Sitzplatz nach verputzter Speise frei und bewegen uns wieder zur trockenen Zeltbühne.

20.15: lautstarkes Gequatsche

Dort spielen die Zürcher The Fridge: der Zürcher Singer/Songwriter Chregi Müller, unterstützt durch eine Band samt Bläser. Es wird eng unter dem Dach, die Stimmung ist gut. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich aus den genannten Wettergründen Volk vor der Bühne versammelt, das eindeutig mehr am trockenen Platz als an der Musik interessiert ist. Kurz: Es wird lautstark gequatscht. Und es wird einmal mehr deutlich, was das B-Sides eben auch ist: ein grosses Klassentreffen, an dem man sich viel zu erzählen hat.

Es liegt aber auch an der Musik, dass geredet wird, sie vermag kaum durchzudringen. Ob es die richtige Band zum richtigen Zeitpunkt ist? Eher nein. Irgendwann droht eine Kunstinstallation inmitten der Zuschauer umzukippen – Festivalleiter Marcel Bieri steht daneben. Er rettet das Stück, indem er es an den Rand schiebt. (Hihi: «Ist das Kunst oder kann das weg?»)

20.45: Drummer im Kafizelt

Es bleibt etwas Zeit, das Gelände zu erkunden. Etwas oberhalb des Hauptplatzes steht das igluartige Zelt für die warmen Getränke, keine schlechte Idee. Denn der angedrohte Dauerregen ist inzwischen drauf und dran, uns mit seiner Anwesenheit zu beglücken. Doch oha, unter der kleinen Kuppel trommeln zwei Schlagzeuger, die sich vis-à-vis sitzen. Es handelt sich um das Tchakatakapam Duo, wie ich später erfahre. Am B-Sides gibt’s ganz offensichtlich keinen Ort, wo man nicht spielen kann, es musste in anderen Jahren auch schon das WC herhalten.

Zwei Trommler im Kafi-Zelt. (Bild: jwy)

Zwei Trommler im Kafi-Zelt. (Bild: jwy)

21.00 Uhr: Das Gewitter kommt von The Notwist

Nun aber The Notwist. Die Band aus der Nähe von München existiert bereits seit den frühen 90ern und geniesst in Indierock-Kreisen einen exzellenten Ruf. Weil sie ihren klugen, durchdachten Pop mit dem charmanten Englisch immer wieder neu definieren und erfinden. Die Musik wurde über die Jahre elektronischer, beatiger – und das zeigte das Konzert auf dem Sonnenberg deutlich. Für Bands wie diese hat man irgendwann das Genre «Indietronic» erfunden.

Auch The Notwist spielten schon einmal ganz in der Nähe: 2010 im Südpol – funktioniert ihre Musik auch an einem verregneten Open Air? Es ist inzwischen dunkel, nass, kalt auch. Und The Notwist zünden die Party, um es mal ganz profan auszudrücken. Ohne das Verspielte, Melodiöse und Feinarrangierte zu verlieren, das ihre Musik eben auch auszeichnet. Die sechs Männer scheuen sich nicht, gegen Ende ihrer Songs ein Elektronikgewitter auf die Masse zu lassen.

Der fulminante Höhepunkt vom Donnerstag: The Notwist. (Bild: jwy)

Der fulminante Höhepunkt vom Donnerstag: The Notwist. (Bild: jwy)

Der Platz vor der Hauptbühne ist auch bei The Notwist nicht ganz gefüllt, gut 1000 Besucher sind es. Ausverkauft ist das Festival erst am Freitag und Samstag. Aber die Konzerte von Shearwater und The Notwist bewiesen eines: Der Donnerstagabend ist der beste B-Sides-Abend – auch das wird sich irgendwann noch herumsprechen.

Das B-Sides-Festival auf dem Krienser Sonnenberg dauert noch zwei Tage: Am Freitag, 17.6. spielen unter anderem Destroyer (CAN) und Beak>(GB) – am Samstag dann Valdimar (ISL) oder Palmyra (CH /SYR). Beide Festivaltage sind ausverkauft.

Weitere Bilder vom ersten B-Sides-Abend in der Galerie:

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