Dancemakers Series #7 des Luzerner Theaters

Wenn nicht die Perfektion zählt

Choreografie «They Shoot Single People, Don’t They?»: Rachel Lawrence, Abbildung: Davidson Farias

(Bild: Ingo Hoehn)

Jeweils zum Saisonende lädt das Luzerner Theater das Publikum ein, seinen Tänzern auf eine andere Art zu begegnen. Sowohl für Tänzer wie Zuschauer ein lehrreicher Abend. Am Mittwoch war es zum siebten Mal so weit – mit einem grandiosen Davidson Farias, aber auch einigen etwas gar experimentellen Momenten.

Die Tänzer einer Company machen nur einen Bruchteil einer Produktion aus. Ebenso dazugehören auch Lichttechniker, Regisseure, Choreografen, Musiker, Tontechniker, Bühnenbildner, Kostümbildner, Dramaturgen, Produktionsleitung und noch viele mehr. So viele, dass oftmals der eine nicht genau weiss, was der andere nun macht.

Umfangreicher Auftrag

Um dem Abhilfe zu schaffen, ist eine Produktion wie Dancemakers perfekt. Jeder Tänzer erhält den Auftrag, ein Miniaturstück von Anfang bis Ende zu planen, zu proben und einzurichten. Damit wird jeder mit Entscheidungen konfrontiert, denen er in anderen Grossproduktionen schnell aus dem Weg gehen kann. Tatkräftig unterstützt durch die jeweiligen Verantwortlichen der Bereiche des Luzerner Theaters mussten die Tänzer so selbst bestimmen, welche Musik erklingt, mit welchen Requisiten gearbeitet wird und wie der Auftritt auf die Bühne geschieht.

Dass nicht jeder Tänzer ein Gespür für Lichtstimmungen oder musikalische Übergänge hat, war zu erwarten. Ähnlich einem Koch, der nicht unbedingt der beste Kellner ist, ist ein Tänzer nicht automatisch der beste Choreograf.

Neun ganz unterschiedliche Umsetzungen

So fallen die insgesamt neun Stücke sehr unterschiedlich aus. Beim Duett «Ma(m)ma» von Shota Inoue zeigte sich schnell, dass es sich um ein Erstlingswerk handelt, das von Ideen nur so sprüht. In der Umsetzung fehlte aber das scharfe Auge eines geübten Choreografen und Dramaturgen. Die beiden Tänzer (Juan Ferré Goméz und Richèl Wieles) spielen darin bei Saallicht und ohne Musik eine Probesituation nach. Noch dazu abstrahiert durch verschlungene Contact-Figuren, die sich aus vermeintlich zufälligen Bewegungen ergeben und oft ein komödiantisches Ende finden. Die Zwischenräume werden gefüllt von vermeintlich spontanen Dialogen und sozialen Interaktionen, am Schluss wird sogar noch gesungen.

Inoue lässt sich zu sehr von den Möglichkeiten beeindrucken und vergisst dabei, dass der Zuschauer ihm nicht bedingungslos überall hin folgt. Um ein Muster zu brechen, muss man das Muster erst kennen. Das ungewohnte Saallicht, das normalerweise nur vor oder nach dem Stück brennt, versetzt die Zuschauer in einen halb-privaten Zustand, mit dem nicht jeder umgehen kann, so dass eine Dame in meiner Reihe tatsächlich ihr klingelndes Handy abgenommen hat.

Alter Hase begeisterte

Am entgegengesetzten Ende des Spektrums findet sich «You’re not Alone» von Davidson Farias. Als «alter Hase» unter den Dancemakern hätte er mit seiner Choreografie den Zusatz «Er ist eigentlich Tänzer» nicht verdient. Der Tanz über die Besessenheit eines Menschen mit seinem Alter Ego (fantastisch: Juan Ferré Goméz und Aurélie Robichon) liess jeden Zuschauer vergessen, dass es sich bei der Aufführung eigentlich um eine kleine Werkschau, eine augenzwinkernde Vorstellungsrunde des Ensembles Tanz Theater Luzern, handelte. Mit präzis-geplanten Bewegungen stülpte Davidson die innere Selbstverliebtheit nach aussen und zeigte dem Publikum einen Kampf, über den die meisten Menschen nicht zu sprechen wagen.

Sorgte beim Publikum für Erheiterung: «Tip Toe Thru’ the Tulips with Me» mit Richèl Wieles und Eduardo Zúñiga.

Sorgte beim Publikum für Erheiterung: «Tip Toe Thru’ the Tulips with Me» mit Richèl Wieles und Eduardo Zúñiga.

(Bild: Ingo Hoehn)

Dazwischen fanden sich Stücke wie «What Happens in the Woods…» für Solo-Tänzer oder ein Video von Mercédes Maria Christina Go, in dem Go selbst zu Björks «Hunter» versucht, die Archaik der Natur darzustellen. In «They Shoot Single People, Don’t They?» von Rachel Lawrence zeigte sich auch eine gewisse Sehnsucht, aus dem rein Tänzerischen auszubrechen und sich dem Schauspiel respektive dem Geschichtenerzählen zu nähern.

Wenn nicht die Perfektion alleine zählt

Zwischen diesen emotionalen Stücken fand sich aber auch das dreigeteilte Stück «Tip Toe Thru’ the Tulips with Me» von Richèl Wieles und Eduardo Zúñiga, das beim Publikum für allgemeine Erheiterung sorgte. (An dieser Stelle bedankt sich die Autorin auch gerne für den furchtbaren Ohrwurm.)

Der Abend ist konzipiert für Tanzliebhaber, Enthusiasten oder Tänzer, die einen Einblick in die verschiedenen Stadien einer Choreografie wollen. Zuschauer, die nicht am perfekten Endergebnis interessiert sind, sondern an den Personen und Prozessen dahinter. Es ist sowohl für die Tänzer wie auch die Zuschauer ein lehrreicher Abend, der vielleicht auch ungewollt die Blicke und das Bewusstsein auf andere Aspekte einer Bühnenproduktion lenkt.

Dancemakers Series #7: Die Termine finden Sie in unserem umfangreichen Eventkalender. Jeweils auf der Probebühne 1, Südpol Kriens.

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