Ein Besuch in der Besetzung «Gundula»

Auf ein Bier mit Besetzern und Alt-68ern

Überall im Haus haben sich Besetzer und Besucher kreativ ausgetobt. (Bild: jav)

Die Villa an der Obergrundstrasse 99 ist seit der Besetzung am 9. April Dauerthema in der Stadt Luzern. Nun steht eine Räumung wohl kurz bevor. Höchste Zeit für zentralplus, hinter die Fassade zu schauen.

Am Mittwoch ging ein Hilferuf auf zahlreichen Luzerner Handys ein: «Verhandlungen sind gescheitert, Räumungsgefahr wieder sehr hoch!!!! Haltet euch bereit oder kommt her.» Das liessen wir uns nicht zweimal sagen und gingen hin. Hin zur besetzten Villa an der Obergrundstrasse 99 in der Stadt Luzern (zentralplus berichtete), um uns ein Bild zu machen.

Kein Wasser, dafür Bier

Kaum angekommen, gibt’s auch schon Abendessen – jeden Abend wird gekocht. Es schmeckt – Couscous und Erdnuscurry mit Gemüse und Tofu. Dazu ein Bier. Wir setzen uns auf einem Liegestuhl in eine Runde im Garten. Die Stimmung ist beschwingt, trotz der Neuigkeit, dass es bald vorbei sein wird mit der Besetzung. Viele der Anwesenden gehen mit Galgenhumor mit der Situation um.

Diskutiert wird beim Essen über Schnecken im Garten, Pheromone, über Theater und Politik. Und natürlich über die Dinge, welche in den letzten Tagen in der Obergrundstrasse vor sich gegangen sind. Ein älterer Herr schaut vorbei – schick im weissen Hemd – und stellt sich erstmal stumm dazu. Er habe früher auch Häuser besetzt, erzählt er plötzlich. «Alt-68er!», fügt er lachend hinzu.

Einer der Securitas, welche seit Anfang der Besetzung am 9. April auf dem Nachbarsgrundstück patrouillieren, linst über die Mauer. Das Essen scheint auch gut zu riechen.

Einbauen, einrichten und Stopp

«Erst vor zwei Tagen haben wir die improvisierte Küche eingebaut», erzählt einer der Besetzer. Und tatsächlich wirkt sie zwar improvisiert, aber doch recht gut eingerichtet: Regale voller Geschirr, ein Kühlschrank voller Essen, eine improvisierte Bar mit Bierzapfhahn neben dem schicken Kamin im Wohnzimmer.

Das Haus selbst ist an vielen Ecken unfertig, hat unverputzte Wände und herausgerissene Böden. Andere Räume hingegen könnte man fast sofort beziehen. Schöne, alte Parkettböden, Nischen und Stukkaturen zeugen von der schicken Vergangenheit des Hauses. Besonders diese Räume haben die Besetzer, auch mithilfe von Leuten aus der Nachbarschaft, eingerichtet: Möbel wurden hereingetragen, Bilder aufgehängt und die Zimmer eingerichtet.

Durchschnittlich zehn Personen seien nachts im Haus, heisst es. Tagsüber sind es einige mehr. Besonders an den Workshops und Kursen, bei den Essen und den Darbietungen an den Abenden ist das Haus richtig gut gefüllt.

Improvisation ist alles

Doch jetzt ist Schluss mit Weiterplanen und Einrichten. Die Information, dass vom Besitzer eine sofortige Räumung verlangt werde, kam für die Besetzer am Mittwoch überraschend. «Wir waren nach dem Gespräch am Freitag zuversichtlich, dass eine befristete Zwischennutzung möglich sei.» Deshalb wurde weiter eingerichtet, das Wochenprogramm weiter geplant. Sogar eine hauseigene Zeitung ist entstanden.

Der Strom sei zwar schon seit Beginn abgestellt, die Wasserleitung wurde von der ewl jedoch erst am Mittwochnachmittag gekappt. Etwas mühsam zwar, aber dann werde halt improvisiert. Der Strom wird über lange Kabel ins Haus gebracht und so sind die Zimmer auch jetzt noch hell erleuchtet. Abgewaschen wird in einem grossen Topf im Keller.

Sofort ist dort jemand mit Taschenlampe zur Stelle, als wir zum Abwaschen unserer Teller die Treppe heruntersteigen wollen. Kaum unten – im Kellerraum mit WC und Schachbrettboden – nehmen zwei junge Frauen uns die Teller aus der Hand. Sie haben sich spontan selbst zum Abwaschen eingeteilt.

Weg mit den Telefonen

Nun wird’s ernst: Es wird zum Plenum gerufen. Auf dem Weg in den oberen Stock, wo neben der Siebdruckwerkstatt und dem Hohl-Bring-Raum ein Aufenthaltsraum mit Sofas und Teppichen eingerichtet ist, müssen alle Telefone abgegeben werden. Geheimhaltung ist angesagt: Es sollen keine Aufnahmen von den Besprechungen gemacht werden. Etwas ungewohnt für uns – für alle anderen scheinbar nicht.

Ein Fan von moderner Technik scheint man hier sowieso nicht zu sein. Fotos im Haus zu machen ist verboten, wie auf verschiedenen Plakaten zu lesen ist. Doch ganz so strikt hält man es dann doch nicht, auf jeden Fall beim Fotografieren. Solange keine Menschen auf den Bildern zu erkennen sind.

Zahlreiche Kleidungsstücke, wie dieses T-Shirt, und Taschen werden derzeit im Haus mit dem Logo bedruckt. (Bild: jav)

Zahlreiche Kleidungsstücke, wie dieses T-Shirt, und Taschen werden derzeit im Haus mit dem Logo bedruckt. (Bild: jav)

Freiwillig gehen?

Rund 50 Leute sitzen im Kreis auf den Sofas und dem Boden – es nehmen nicht alle am Plenum teil. Doch die, die hier versammelt sind, die sind informiert und an der Besetzung beteiligt.

Die Diskussion läuft geregelt ab: Ein Protokoll wird verfasst, der Moderator bestimmt. Erst wird über die aktuelle Situation informiert, dann über mögliche Szenarien und Vorschläge diskutiert. Obwohl das Wort «diskutiert» fast zu viel gesagt ist. Um gegenüber eines Vorschlags, den man nicht ideal findet, seine Bedenken zu äussern, braucht es nur ein Handzeichen – ein Handerheben mit abwiegelnder Bewegung aus dem Handgelenk – und es ist klar: Dazu herrscht keine Einstimmigkeit. Kein Reinreden, keine Ausrufe oder störende Zwiegespräche – selten haben wir eine solch ruhige Sitzung erlebt.

Zum Lachen bringt die Runde ein Zitat aus der eigenen Medienmitteilung: Das Haus werde nicht in dem Zustand verlassen, in welchem es angetroffen wurde. Man werde weder Staub und Dreck in das Haus zurückschaffen noch werde man die gepflanzten Blumen ausreissen.

Nach einer Stunde werden einige unruhig. Die Pause ist fällig. Ein Bier kippt um und läuft über den Teppich. Sofort wird geputzt. In der Runde wird daran erinnert: Geraucht wird jetzt in der Pause und nach dem Plenum – und meist draussen.

Aussagen verweigern

Nach der kurzen Pause wird besprochen, wie bei einer Räumung reagiert wird. Wer soll informiert werden? Wer befindet sich im Haus? Was kann sonst getan werden? Und besonders wichtig: Was tun, wenn man befragt oder gar verhaftet wird? Der Plan steht in groben Zügen, viele der Anwesenden sind keine Laien – sie kennen ihre Rechte und geben Tipps im Umgang mit der Polizei. Über «saubere» Handys und Notfallkontakte wird gesprochen. Man ist sich einig. Es gibt kaum Einwände.

Nun heisst es warten und weiter kreativ planen. Warten darauf, dass die Polizei kommt. Nachts wird verbarrikadiert, Wachtposten werden aufgestellt. Denn auch wenn die Besetzer noch einige E-Mails an die Stadt, an die Anwälte der Bodum Invest AG und an die Denkmalpflege geschrieben haben und sich weiter für Gespräche offen zeigten: Es wird keine Einigung mehr erwartet.

Ein kleiner Schrein für die Besetzung in einer Wandnische. (Bild: jav)

Ein kleiner Schrein für die Besetzung in einer Wandnische. (Bild: jav)

Bis zur Räumung, oder bis zur Ankündigung derselben, sollen jedoch weitere Aktivitäten stattfinden. Die auf Plakaten an den Wänden skizzierten Ideen sind zahlreich und einiges ist bereits organisiert: Konzerte, Workshops, Spiele, Kurse und so weiter.

Immer mehr Leute

Während des Plenums tauchen ständig weitere Leute im Haus und auf dem Gelände auf. Interessierte Passanten, Luzerner, die sich das Ganze näher anschauen wollen, und Unterstützer und Freunde der Besetzer. Um die 80 Menschen sind es jetzt ungefähr.

Es ist dunkel geworden, auf der Veranda hat jemand Kerzen angezündet. Der Securitas patrouilliert auf der anderen Seite des Zauns. Die Stimmung ist gemütlich und unverkrampft. Man stellt sich gegenseitig vor, trinkt Bier und diskutiert. Auch oben im Plenum – noch immer.

Spätabends – im oberen Stock werden noch immer die Pläne besprochen. (Bild: jav)

Spätabends – im oberen Stock werden noch immer die Pläne besprochen. (Bild: jav)

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