Interview mit Autor Pirmin Bossart

Bass und Gras liegen in der Luft

Der Luzerner Kulturjournalist Pirmin Bossart ist nun unter die Autoren gegangen. (Bild: zvg)

Luzerns Kulturjournalist Nummer 1 hat sein erstes Buch herausgegeben. Gemeinsam mit den Herren vom Verlag «Der Kollaboratör» lässt Pirmin Bossart uns an seiner siebenmonatigen Reise im Jahr 1977 durch Asien teilhaben. Ein Trip in eine andere Welt und eine andere Zeit.

Im ersten Stock des Restaurants Magdalena in der Luzerner Eisengasse sind an diesem Donnerstagabend alle Tische besetzt. Auch an der Bar und um die Ecke bis hin zur Treppe stehen die Leute, um bei der Buchtaufe von Pirmin Bossarts Erstling «Trip 77» dem Autoren zu lauschen.

Das bunt gemischte Publikum wird an diesem Abend im Magdi nicht enttäuscht. Bossart liest über eine Stunde – mit Unterbrechung – aus seinem Buch vor, einem Reisebericht aus dem Jahr 1977. Bildgewaltige, mystische, aber auch witzige Anekdoten vermitteln einen Eindruck der damaligen Zeit und davon, was einen im Buch erwartet.

Wortwörtliche Taufe

Untermalt wird die Lesung an diesem Abend durch Percussion-Improvisationen des legendären Fredy «Drumsticks» Studer.  Die Atmosphäre, welche die beiden gemeinsam erzeugen, zieht einen trotz Bossarts sehr schweizerischem Deutsch in den Bann. Und plötzlich riecht es an der Bar nach Cannabis – äusserst passend zu den Erzählungen aus Indien. Aber ist der Duft blosse Einbildung, ausgelöst durch die Geschichten Bossarts, ein Teil der Performance, oder kommt er einfach nur von dem Herrn, der in der Ecke versteckt einen Joint dreht?

«Wenn man heute reist, ist man nicht mehr weg.»
Pirmin Bossart

Am Ende des Abends blickt Verleger Patrick Hegglin zufrieden auf den leeren Büchertisch und Pirmin Bossart stösst mit Fredy Studer an. Mit Bier aber – der Schampus ist bereits – unter Applaus der Zuhörer und erschrecktem Lachen von Verleger Patrick Hegglin – in die Seiten des Buches geflossen. Wortwörtlich.

Es wird Zeit, den Autoren noch etwas genauer über sein Buch auszufragen.

Der frischgebackene Luzerner Buch-Autor Pirmin Bossart macht bei seiner Buchtaufe keine halben Sachen. (Bilder: jav)

Der frischgebackene Luzerner Buch-Autor Pirmin Bossart macht bei seiner Buchtaufe keine halben Sachen. (Bilder: jav)

zentralplus: Aus welcher Motivation heraus entstanden die Texte, die jetzt in «Trip 77» abgedruckt sind, damals?

Pirmin Bossart: Ich habe schon immer geschrieben, schon vor dieser Reise. Mich erstmals in einer völlig fremden Welt zu bewegen, war Motivation und Anlass genug, das Erlebte festzuhalten. Ich konnte gar nicht anders.

zentralplus: Wolltest Du die Texte schon immer veröffentlichen?

Bossart: Ich habe damals sehr viele Details und auch Alltägliches und Gewöhnliches festgehalten. Das geschah nicht zuletzt mit der Absicht im Hinterkopf, um irgendwann mal später diese Reise möglichst genau wieder nacherleben zu können. Damals dachte ich eher an Material für eine Fiktion oder eine freiere Form des Verarbeitens. Jetzt habe ich mich für eine einfachere und direktere Form entschieden.

«Ich will das heutige Reisen nicht verunglimpfen, es hat sich einfach verändert.»

zentralplus: Wie kam es nun dazu?

Bossart: Pablo Haller und Patrick Hegglin vom Verlag «Der Kollaboratör» machten mir von allem Anfang an das Angebot, etwas zu veröffentlichen. Pablo hat mich immer motiviert, Patrick hat das Buch gemacht. Es war der Anstoss des Verlags, der mich sozusagen ermuntert und auch motiviert hat. «Tagebücher aus Asien» war ein Stichwort. Da ich so viel in Asien gereist bin, lag es für mich auf der Hand, diese erste Reise zu thematisieren. Sie war entscheidend für vieles, was ich später gemacht oder nicht gemacht habe. «The first cut is the deepest!» Er lacht.

zentralplus: Was ist Dir am wichtigsten bei der Veröffentlichung dieser Texte?

Bossart: Dass sie eine Atmosphäre schaffen für eine Form des Reisens, die es heute so nicht mehr gibt. Nach einigem Hin und Her hatte ich mich entschlossen, die Tagebuch-Texte weitgehend so zu veröffentlichen, wie sie waren. Ich wollte eine Art «Dokument» liefern, wie man vor 40 Jahren gereist ist, spezifisch auf diesem «Hippie-Trail», mit wenig Geld und viel Urvertrauen.

«Trip 77 – Unterwegs in Asien»

Pirmin Bossarts Erstling ist beim Luzerner Verlag «Der Kollaboratör» erschienen.

1977 trat Pirmin Bossart eine siebenmonatige Reise durch den asiatischen Kontinent an. Aus den dicht beschriebenen Heften, die er mitbrachte, entstand der Reisebericht. Mit seiner Mischung aus Beschreibung und poetischer Reflexion ist Trip 77 das Dokument einer Zeit, in der Reisen bedeutete, wirklich weg zu sein. Zugleich zeigt es die Haltung des Suchenden, der sich mit offenen Augen und Ohren durch die menschenleeren Strände und hektischen Megacities eines fremdartigen Kontinents bewegt. Die Freiheit, an der einen Trip 77 teilhaben lässt, wird heute zunehmend utopisch. Die Sehnsucht nach ihr bleibt real.

zentralplus: Gibt es im Buch eine Grundaussage für Dich?

Bossart: Wenn man heute reist, ist man nicht mehr weg, sondern via Social Media ständig mit allen Anderen verbunden. Man tauscht sich täglich aus, schickt Fotos, weiss, wie es den Liebsten zuhause geht und so weiter. Damit fällt für mich der entscheidende Faktor, was mich am Reisen immer interessiert hat, weg: Der besondere Thrill, das Ungewisse, das mit sich selber Auseinandersetzenmüssen. Zudem treibt die Globalisierung überall die gleichen Blüten, kulturelle Eigenheiten verschwinden, überall die gleichen Fussgängerzonen, Brands, Screens, Konsumtempel. Ich will das heutige Reisen nicht verunglimpfen, es hat sich einfach verändert. Gemessen an meinen Erfahrungen ist das ein extremer Verlust und macht das Reisen eigentlich völlig uninteressant. Aber natürlich reise ich weiterhin, einfach anders, spezifischer, gezielter. «Einfach so herumzureisen», wie das früher Spass gemacht hat, reizt mich heutzutage viel weniger. Dann lieber drei Wochen zu Fuss durch die Alpen. Dort lässt sich für mein Empfinden unter Umständen mehr Welt entdecken als auf den Massentouristenpfaden.

zentralplus: Deine Lieblingsanekdote oder Dein Lieblingsmoment?

Bossart: In Pokhara in Nepal schrieb ich ins Tagebuch: «Gestern reiste ein Typ von Pokhara nach Kathmandu zurück, der seit 21 Jahren travelt. 21 Jahre, so lange, wie ich jetzt schon lebe. Er soll um die 50 sein. Mein Gott, was für ein Alter.» Heuter bin ich selber schon lange drüber. Diese Relativität von Zeit, und was darin verborgen liegt, erzeugt in mir noch immer eine Gänsehaut. Zu den liebsten «Momenten» damals gehörte das Unterwegssein per se: Ich bin sehr oft 15 bis 20 Stunden am Stück Bus oder Zug gefahren und habe mich kaum je eine Sekunde gelangweilt. Das Wahrnehmen all dessen, was jeden Moment geschah und die damit verbundenen Assoziationen und Gefühle machten mich enorm glücklich. Eingebrannt sind auch die Momente, in denen ich frühmorgens von irgendeinem Hotel zu irgendeiner Busstation gelaufen bin: Der erwachende Tag, die Frische am Morgen, die zeternden Krähen, die vielen Menschen, die schon geschäftig unterwegs waren und die Aussicht, dass dieser Tag wieder neue Begegnungen, Landschaften und Welten ermöglicht. Das war oft ein Hochgefühl.

zentralplus: Wie fühlt es sich an, mal selbst im Fokus zu stehen und nicht jemand anderen zu befragen und beschreiben?

Bossart: Man merkt, wie beschränkt man etwas vermitteln kann.

zentralplus: Ist es nicht seltsam so viele Jahre später, nachdem sich Dein Stil bestimmt auch stark entwickelt hat – die eigene Schreibe von damals zu lesen? Und sie dann auch so zu veröffentlichen.

Bossart: Es ist immer seltsam, etwas zu veröffentlichen, das man als «Buch» bezeichnet. Vor allem natürlich ein «Tagebuch». Aber ich verspüre nicht dieses «Tagebuch-Schämen», zumal ich einige persönliche Erlebnisse und Überlegungen gar nicht erst ins Buch aufgenommen habe. Ich habe mich immer als Schreibender verstanden, der sich damit die Welt erklärt. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich heute ganz anders schreibe als mit 20 oder 25. Ich behaupte, dass sich die wesentlichen Sachen des Schreibens schon in jungen Jahren entwickelt haben. Was sich verändert, ist die Haltung zu einem Stoff, wie man etwas angeht und so weiter. In diesem Sinne ist dieses Buch vielleicht noch ein «unentwickeltes», dafür aber auf andere Weise wirkendes.

«Ich fühle mich oft zu nah an der sogenannten Gegenwart, um fiktiv darüber schreiben zu wollen.»

zentralplus: Hast Du noch weitere Texte in deinem Estrich, die nach einer Veröffentlichung schreien? 

Bossart: Ja. Ich habe sehr viele Bücher und Hefte vollgeschrieben in meinem bisherigen Leben, die alle ausserhalb oder während meines journalistischen Alltags entstanden sind. Es ist so viel, dass auch bei 90 bis 95 Prozent Schrott noch ein gewisser Anteil von «Brauchbarem» vorhanden ist. Ich denke nicht, dass dieses Material danach «schreit», veröffentlicht zu werden. Aber es könnte zu einem Teil als Rohstoff dienen, etwas Neues und Weitergehendes damit zu machen.

zentralplus: Es hat Dich also gepackt, ein weiteres Buch zu schreiben?

Bossart: Ja, das möchte ich weiterverfolgen. Ich könnte ein paar weitere Asien-Bücher folgen lassen, falls das überhaupt jemanden interessiert. Er lacht. Oder den Stoff anders verarbeiten: Ich habe schon eine vage Idee, die Begegnung mit einer reisenden Frau aus London im indischen Himalaya zu einer fiktiven Geschichte auszubauen. Ich habe aber auch schon einige lyrische Texte beisammen. Thematisch interessieren mich vor allem vergangene und zukünftige Welten. Ich fühle mich oft zu nah an der sogenannten Gegenwart, um fiktiv darüber schreiben zu wollen. Mir ist der Lärm der Politiker, Trendsurfer, Medienstationen und sonstigen Meinungsmachern viel zu gross, um diesbezüglich einen klaren Kopf zu behalten. Lieber ist mir die Endlosigkeit von Raum und Zeit. Und das leere Papier dazu.

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