Grenzerfahrung Saft-Woche

Nichts als Saft – ein Selbstversuch

Die schöne Vorstellung, den Körper eine Woche lang durch Säfte zu entgiften, hatte nur wenig mit der Realität zu tun. (Bild: Montage/zentral+)

Sich mal was Gutes tun, den Körper entgiften und ein paar überschüssige Kilo loswerden – eine Saft-Woche verspricht alles in einem. Doch der Weg ans Ziel ist hart. Echt hart, wie der Selbstversuch von zentralplus zeigt. Unsere Autorin hat sich durch die Woche gequält, fiel durch asoziales Verhalten auf und muss sich noch bei der einen oder anderen Person entschuldigen.

Die Temperaturen werden allmählich wärmer, die Tage länger und die Kleider leichter: der Frühling ist da! Zeit für einen Neuanfang; Zeit, alten Ballast abzuwerfen und die Wohnung dem alljährlichen Frühlingsputz zu unterziehen, um dem Sommer unbeschwert entgegentreten zu können. Doch dass der Winter seine Spuren hinterlassen hat, zeigt sich nicht nur an dreckigen Fensterscheiben – auch an den Hüften sind gewisse «Ablagerungen» zu sehen, die dort nicht bleiben sollten.

Ein paar überschüssige Kilo loszuwerden und den Körper erst noch von Altlasten zu entgiften, das verspricht eine «Wellness-Woche» von einem Schweizer Saft-Hersteller. Eine Art Frühlingsputz für den Körper also. Genau das Richtige für alle, die während der Fastenzeit nicht kürzertreten wollten und nun die radikale Variante bevorzugen. Denn was sich hinter der «Wellness-Woche» versteckt, hat – zumindest dem geläufigen Verständnis entgegen – nicht sonderlich viel mit Wellness zu tun. Im Gegenteil: Es ist eine Grenzerfahrung. Denn es ist echt hart, für gut eine Woche auf feste Nahrung zu verzichten.

Dessen war ich mir nicht wirklich bewusst, als ich mich auf das Experiment einliess – zum Glück, denn ansonsten hätte ich es wohl kaum auf mich genommen. Zwar habe ich mich bereits vor einigen Jahren auf die «Wellness-Woche» eingelassen, aber wie viel Durchhaltevermögen sie effektiv benötigt, habe ich offenbar ausgeblendet. Es sind andere Gefühle, die schliesslich in Erinnerung bleiben. Das hat sich auch heuer wieder bestätigt. Doch eins ums andere.

Aller Anfang ist schwer

Aus diesem Paket werde ich mich eine Woche lang ernähren.

Aus diesem Paket werde ich mich eine Woche lang ernähren.

Vorerst gilt es, die «Wellness-Woche» als Paket nach Hause zu schleppen. Ohne Auto ist auch das schon beinahe eine Grenzerfahrung. In der Kartonkiste befinden sich 11 Halbliter-Flaschen Bio-Säfte, eine Packung Kräutertee und Leinsamen. Zudem ist eine Anleitung mit herausnehmbarem Wochenplan enthalten. Wer nämlich denkt, dass man eine Woche nach Belieben Säfte trinken kann, liegt falsch. Alles ist genau durchgeplant, wann man wie viel von welchem Saft trinken soll, ist präzise vorgegeben. Und viel ist es nicht.

Zu Hause angekommen, gilt es nun, den geeigneten Startpunkt für die Kur festzulegen. Verabredungen und insbesondere Einladungen sollten in der Wellness-Woche umgegangen werden. Schliesslich will man sich ja nicht ständig erklären müssen – oder sich unnötig quälen, indem man Freunden beim Pizza-Essen zuschaut, während man selbst an einem Fruchtsaft nippt. Eine weise Entscheidung, wie sich im Nachhinein herausgestellt hat. Denn Tiefpunkte gab es während der Woche ohnehin zur Genüge.

Der gross in der Agenda markierte Montag rückt näher. Nach und nach werden Vorräte im Kühlschrank aufgebraucht, um allfällige Verführungen bereits im Vorfeld auszuschalten. Und dann ist es so weit, der Vorbereitungstag kann beginnen.

Die «Wellness Woche» enthält insgesamt elf Halbliter-Flaschen Saft, eine Teemischung und Leinsamen.

Die «Wellness Woche» enthält insgesamt elf Halbliter-Flaschen Saft, eine Teemischung und Leinsamen.

Vorbereitungstag: alles halb so wild

Der Vorbereitungstag soll den Körper auf die kommende Woche einstimmen. Motiviert brühe ich den Tee auf, von welchem ich ab nun 2 Liter täglich trinken soll. Zum Glück schmeckt die Teemischung gut. Anders hält es sich mit dem Digest-Saft, der nun täglich mein Frühstück ersetzen wird. Nicht gerade mein Fall, aber mit ein bisschen Wasser verdünnt durchaus geniessbar. Hinzu kommen zwei gestrichene Teelöffel Leinsamen, die unzerkaut mit Wasser eingenommen werden.

Am Mittag gibt’s ein leichtes Essen ohne Fleisch und wiederum etwas Saft, abends dann zwei gekochte Kartoffeln und zwei Rüebli – und wer hätte es gedacht: nochmals einen Deziliter Saft. Alles halb so wild, diese Woche wird ein Klacks, denke ich, als ich schlafen gehe.

Tag 1: Der Optimismus schwindet

Ab jetzt gehört feste Nahrung der Vergangenheit an – zumindest für die nächsten fünf Tage. Nach dem «Frühstück» packe ich zwei Flaschen Saft in die Tasche und gehe zur Arbeit. Eine der beiden Flaschen darf über den Tag verteilt getrunken werden, von der anderen wird es in den nächsten Tagen jeweils einen Deziliter zum Zmittag geben. Und dann gibt’s ja noch Tee zu trinken – quasi à discrétion, obwohl ich Mühe habe, auf die erforderlichen 2 Liter pro Tag zu kommen.

Der Tag zieht sich. Insbesondere der Verzicht auf Kaffee, den ich ansonsten in Mengen herunterkippe, fällt schwer. Ohne eine richtige Mahlzeit schmeckt auch die Zigarette danach nicht wirklich gut. Die Folge: Es wird deutlich weniger geraucht. Insbesondere mein Arbeitgeber freut sich über die ausbleibenden Rauchpausen. Und ich mich irgendwie auch. Ist ja ohnehin eine schlechte Angewohnheit.

Umso mehr freue ich mich auf die 2 Deziliter Tomatensaft zum Znacht. Doch der Hunger bleibt. Und die Energie für ein grosses Abendprogramm zur Ablenkung fehlt. Also gehe ich um halb zehn schlafen und freue mich, dass ich den ersten Saft-Tag überstanden habe. Gleichzeitig bedaure ich, dass es erst Tag eins war. Die Aussicht auf vier weitere Tage stimmt mich nicht gerade optimistisch.

Tag 2: Kopfweh, Antriebslosigkeit, Aggressionen

Kopfweh, Antriebslosigkeit, Aggressionen – drei Worte und zugleich die Zusammenfassung eines weiteren Saft-Tages. Den Tag zu meistern, ist eine Herausforderung, selbst Kleinigkeiten werden zu viel, und es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren. Das nett gemeinte «Und was gibt’s zum Zmittag?» des Arbeitskollegen stürzt mich in eine erste Krise. Wie soll ich das nur durchstehen? Während der Duft von Essen durch die Redaktion strömt, entscheide ich mich, durchzuarbeiten und dafür früher nach Hause zu gehen.

Gelächter hallt aus dem Aufenthaltsraum. Was wohl so lustig ist? Essen ist eben mehr als nur Nahrungsaufnahme, es hat auch eine soziale Komponente. Auf diese muss ich diese Woche wohl oder übel verzichten. Ich nippe an meinem Saft und freue mich auf den Feierabend und eine Kopfwehtablette. Doch auch zu Hause wird die Stimmung nicht besser. Im Gegenteil. Der üblichen Abendroutine zu folgen, noch dies und jenes zu erledigen oder auch nur ein bisschen fernzusehen ist nicht möglich. Es ist neun Uhr – und ich gehe schlafen.

Tag 3: Die Stimmung kippt

Am dritten Saft-Tag ist alles anders: Ich wache eine Stunde vor dem Wecker auf – sowas hat Seltenheitswert. Die negative Stimmung vom Vortag ist vergessen, ich strotze vor Energie und fühle mich grossartig. Zumindest bis nach dem Mittag, dann kippt es wieder – dennoch ist es kein Vergleich zum Vortag, an welchem ich die Horrorwoche am liebsten hingeschmissen hätte. 

Trotzdem zweifle ich hin und wieder an meinem Durchhaltevermögen, auch wenn die Hungergefühle längst vergangen sind. Doch Aufgeben liegt nicht drin, schliesslich wissen alle am Arbeitsplatz Bescheid. Das ist Fluch und Segen zugleich. Aber auch könnte ich mir selbst ein Scheitern nicht eingestehen. Also heisst es, auf die Zähne zu beissen. Es wäre zwar schön, dabei etwas dazwischen zu haben – aber eben, das habe ich mir selbst eingebrockt. Augen zu und durch!

Tag 4: Der Ausrutscher an der Kaffeemaschine

Auch an diesem Tag erwache ich voller Energie und fühle mich sehr leistungsfähig. Fast mehr als feste Nahrung vermisse ich jedoch das Kauen an sich. Das merke ich, als ich am Morgen verzweifelt auf ein paar im Mund gebliebenen Leinsamen rumkaue. Ich kaufe Kaugummi, das sorgt für etwas geschmackliche Abwechslung im Mund – und dürfte meinen selbst wahrgenommenen Mundgeruch etwas eindämmen.

Während meine Arbeitskollegen bei den frühlingshaften Temperaturen die T-Shirt Saison einläuten, bin ich immer noch winterlichwarm eingekleidet. Darauf angesprochen, stelle ich fest, dass ich eigentlich ununterbrochen friere. Und es wird immer schlimmer. Zu Hause mache ich mir eine Bettflasche und lege mich hin. Als ich wieder aufwache, ist die Stimmung wieder auf dem absoluten Nullpunkt. Warum tue ich mir das an? Ich fühle mich, als ob ich auf jegliche Lebensqualität verzichten würde. Mir wird bewusst, wie viel Genuss ich mit dem Essen verbinde – und mich diesem zu entziehen, erscheint mir als eine Qual.

Dann passiert es. Ich gehe zur Kaffeemaschine. Und wenn schon Kaffee, dann auch mit Milch. Warum nicht gleich ganz aufgeben? Das lässt mir der Kopf dann doch nicht zu. Doch die Sünde hat sich gelohnt – noch nie hat ein Kaffee so gut geschmeckt, noch nie konnte ich ihn so geniessen. Ich fühle mich wieder wie ein Mensch! Und mit diesem Ausrutscher kommt auch die Motivation wieder zurück. Während ich vorher immer wieder am Schwanken war, steht mein Entschluss nun fest: Nach der Halbzeit aufgeben kommt nicht in Frage. Kaffee hin oder her.

Tag 5: Wie weiter?

Mit dem letzten Saft-Tag naht das Ende. Doch auch dieser Tag ist von Stimmungsschwankungen geprägt, und es gelingt mir nicht sonderlich gut, diese nicht an meine Mitmenschen heranzutragen. Bei der einen oder anderen Person wäre wohl eine Entschuldigung angebracht – wenn dann alles überstanden ist.

Darum drehen sich meine Gedanken heute besonders stark um Folgendes: Wie weiter, wenn die Saft-Woche vorbei ist? Wäre es nicht der ideale Zeitpunkt, um nachher etwas gesünder weiterzuleben? Ich fasse mir jede Menge guter Vorsätze, freue mich darauf, zu kochen, mehr darauf zu achten, was ich esse und mich besser zu ernähren. Auch wenn wieder bereits um neun Uhr abends Feierabend ist und ich im Bett liege, fühle ich mich gut und bin stolz auf mich, dass ich’s bis hierhin durchgezogen habe.

Der Aufbautag: Ein kulinarisches Feuerwerk

Am Aufbautag darf man sachte wieder mit dem Essen beginnen. Zum Frühstück gibt’s drei Scheiben Zwieback, zum Mittagessen eine Bouillon und als Snack einen Apfel und eine Birne. Das Abendessen gedämpfte Kartoffeln und Rüebli mit ein bisschen Magerquark. Was ansonsten nur nach einer Magen-Darm-Grippe auf meinem Speiseplan stünde, entpuppt sich als kulinarisches Feuerwerk! Erstmals seit einer Woche verspüre ich wieder das Gefühl, satt und zufrieden zu sein – habe bewusst gegessen und es genossen wie seit langem nicht mehr. Ohne Zweifel, das war der Höhepunkt der Woche.

Doch hat es sich gelohnt, dafür durchzuhalten? Für mich ja. Hin und wieder braucht es die Hardcore-Variante, um Alltägliches – das man vielfach einfach beiläufig macht – zu hinterfragen und sich dessen Einfluss auf das persönliche Wohlbefinden bewusst zu machen. Sich zu beweisen, dass man das nötige Durchhaltevermögen dazu hat, sorgt für ein gutes Gefühl und lässt es vergleichsweise einfach erscheinen, sich im Alltag einfach gesünder zu ernähren – ohne dabei auf etwas verzichten zu müssen.

Und für alle, die sich wundern, was die Waage nach einer Saftwoche anzeigt: minus 3 Kilo. Der Sommer kann kommen.

 

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