Der zentral+ Rotlicht-Report: Teil 1

Das vielfältige Geschäft mit der Lust

Das Rotlicht-Milieu hat sich in den letzten zehn Jahren gewandelt. (Bild: Club Palace)

Luzern gilt als Hochburg der käuflichen Lust. Das breite Angebot bietet vielfältigste sexuelle Dienstleistungen von der schnellen Nummer über prickelnde Wellness-Erlebnisse, bis hin zur Freundin auf Zeit. zentral+ beleuchtet die Szene in einer mehrteiligen Serie. Den Auftakt bildet ein Streifzug durch das Luzerner Rotlicht-Milieu.

Luzern: Die Stadt. Der See. Die Berge. Das Rotlicht. Ja genau! Luzern hat nicht nur touristische Attraktionen wie das Löwendenkmal, die Kappelbrücke oder die Postkarten-Idylle zu bieten. Auch jene, die ein erotisches Vergnügen suchen, werden schnell fündig. Auf die gesamte Stadt verteilen sich über 70 sogenannter Kontaktbars, Saunaclubs, Studios oder Massagesalons. Im restlichen Kanton sind es nochmals knapp 30. Nicht zu vergessen die Frauen, die sich auf der Strasse anbieten. Aber für einmal soll es nicht um den Strassenstrich gehen. Mit gerade einmal vier Prozent aller Sexarbeiterinnen machen die Frauen auf der Strasse eine gut sichtbare und häufig diskutierte Minderheit aus. Die meisten arbeiten jedoch in weniger gut sichtbaren Etablissements.

Noch vor zehn Jahren waren es zwielichtige Cabarets und Kontaktbars, die einen Grossteil des Angebots ausmachten und dem Geschäft mit der käuflichen Liebe einen faden Beigeschmack verliehen. Zwar wird das Rotlicht-Milieu auch heute noch gerne als etwas Schmutziges verstanden, eine Zone der Illegalität, der Drogen, der Zuhälterei. Mit dem Aufkommen von Saunaclubs und Massagesalons fand jedoch ein Wandel statt, der nicht nur das Image dieses Milliardengeschäfts aufpolierte, sondern Prostitution als Wellness-Erlebnis verkauft, bei dem der Geschlechtsverkehr lediglich ein Teil des Amüsements ist.

zentral+ taucht ab ins Milieu – besucht eine Kontaktbar, spricht mit Freiern und Anbieterinnen, lässt sich durch den grössten Saunaclub des Kantons führen und erhält einen Einblick in die Edelprostitution von Escort-Damen.

«Hola Guapo. Wie wärs mit einem Cocktail?»

Auftakt der Rotlicht-Tour bildet eine klassische Kontaktbar in der Luzerner Altstadt: das Cacadou – eine von insgesamt acht solchen Bars. Es ist 23 Uhr. Mit ein bisschen Überwindung steige ich die schmale Treppe hinauf zur Bar, um mir selbst einen Eindruck zu verschaffen.

Die Bar erinnert auf den ersten Blick eher an ein gewöhnliches Irish-Pub. Nur das gedimmte, rötliche Licht und ein paar Damen in aufreizenden Dessous lassen erahnen, dass es hier um mehr geht, als ums Trinken. Hinter dem hufeisenförmigen Tresen begutachtet eine gelangweilte Barkeeperin ihre Fingernägel. Ein ungefähr 50-jähriger Mann sitzt alleine und gedankenverloren vor seinem Bier.

Nach einem ersten, kurzen Umsehen, lasse ich mich an der Bar neben dem Herren nieder – wie es sich gehört mit einem Barhocker Abstand. Erst einmal vergrabe ich mein Gesicht in der Karte und bestelle eine Stange Bier.

Ich: «Die Preise hier sind ja noch moderat», sage ich zu meinem Nebenan, ohne ihn dabei anzusehen.

Er: «Ja, es geht.»

Dann steht auch schon die erste Dame vor mir. Sie heisse Ana. Mit nur einem «n» und sie komme aus «Brasil», sagt sie in gebrochenem Deutsch. Ich schätze die wohlgenährte, ungefähr 1.60 Meter kleine, dunkelhäutige Frau auf etwa 40 Jahre. Sie scheint schon etwas angetrunken und kichert, während sie ihre Hand auf meinen Oberschenkel legt. Ihre üppigen Rundungen kommen in ihrem mindestens drei Nummern zu kleinen Outfit mehr als deutlich zur Geltung. Ihr grosser Busen scheint nächstens aus dem Dekolletee zu rollen.

Ana: «Eine Drink?».

Ich: «Du möchtest mir einen Drink ausgeben? Cool, ich nehm…»

Ana: «No, no, no.» Sie lacht mit geschlossenen Augen. «Du. Drink für mich.» Anas Zeigefinger pendelt zwischen uns hin und her.

Ich: «Ach so. Nein danke.»

Mit Hundeblick und dem Streicheln meines Oberschenkels versucht sie es weiter. Als sie merkt, dass bei mir heute nichts zu holen ist, rollt sie genervt mit den Augen. Dann dreht sie sich um und verschwindet in einer Ecke der Bar.

Er: «Der mit dem Drink war gut.» Mein Nachbar schmunzelt. Zum ersten Mal blickt er zu mir rüber. «Bei mir versucht sie es erst gar nicht mehr. Zum Glück!»

Ich: «Sie sind wohl öfters hier.»

Er: «Ab und zu. Wenn in den anderen Bars nichts läuft.»

«Die mögen dich hier. Jetzt musst dich aber bald mal entscheiden, Junge.»

Schon steht die nächste Dame vor mir. Gross, dunkel, Kurven. Schnell lege ich beide Hände auf meine Oberschenkel.

Sie: «Hola Guapo. Wie wärs mit einem Cocktail?»

Ich: «Nein, danke. Ein anderes Mal vielleicht.» Ich starre auf mein Bier und warte bis sie wieder geht. Dann wende ich mich erneut meinem Nachbarn zu: «Gibt es hier nur Frauen aus Brasilien?»

Schweigen. Prüfend mustert er mich.»

Er: «Du bist wohl nicht von hier?»

Ich: «Nein.»

Gegenüber an der Bar hat sich eine zierliche Latina hingesetzt und lächelt mir zu. Ich erwidere das Lächeln kurz, aus Höflichkeit. Sie lacht und wickelt eine Strähne ihrer langen schwarzen Haare um ihren Zeigefinger. Den Blick stets auf mich gerichtet, wirft sie mir einen Handkuss zu, gefolgt von der Geste, ob ich ihr ein Getränk spendieren möchte. Ich winke ab. Wirklich wohl ist mir nicht mehr. Wer gibt so vielen Frauen auf einmal schon gerne einen Korb?

Er: «Die mögen dich hier. Jetzt musst dich aber bald mal entscheiden, Junge.» Mein Nachbar lacht, scheint es aber durchaus ernst zu meinen. Er bestellt noch eine Stange und dreht sich zu mir um: «Oder magst du keine Latinas?»

Ich: «Nun ja…»

Er: «Sind auch nicht so mein Fall. Ich mag die vom Osten lieber. Die sind dünner und quatschen nicht so viel. Es gibt eine Ukrainerin… Gabi.» Mein Nachbar spitzt die Lippen und hält Daumen und Zeigefinger daran. «Ein Träumchen! Das sind gut investierte 150 Franken für eine halbe Stunde.»

Ich: «Scheint heute aber frei zu haben, die Gabi.»

Er: «Nein, nein. Sie ist da. Aber sie ist gerade besetzt.»

Ich: «Ach, und Sie warten auf sie?»

Mein Nachbar nickt und nimmt einen Schluck Bier. Fünf Minuten vergehen, ohne, dass wir miteinander sprechen. Dann kommt sie. Eine grossgewachsene, schlanke Blondine in einem durchsichtigen Negligé. Gabi begrüsst meinen Nachbarn mit einem Küsschen auf den Mund. Ein Handzeichen zur Barkeeperin und schon steht ein Cüpli auf dem Tresen. Er zwinkert mir über Gabis Schulter hinweg zu, was wohl soviel heissen soll, wie «habe ich zu viel versprochen?» Ein paar Minuten unterhalten sich die beiden, bis sie ihn an der Hand nimmt und hinter einer Tür verschwindet – das Cüpli bleibt kaum angetrunken auf der Bar stehen.

Von der Bardame erfahre ich, dass Gabi zu den teureren Frauen hier gehöre. Die meisten würden ihre Dienste schon für 100 Franken anbieten. Die Zimmer befänden sich drei Stockwerke weiter oben. Aber heute sei sehr wenig los, sagt sie und fragt mich nach einem weiteren Bier. Ich schüttle den Kopf und schaue mich um. Ana und die grosse Brasilianerin sitzen auf einem Sofa ganz hinten in einer Ecke und unterhalten sich. Obwohl ich jetzt der einzige Mann in der Bar bin, würdigen sie mich keines Blickes mehr. Zeit, zu gehen.

Prostitution als Wellness-Erlebnis

Nächster Halt: Saunaclub. Montagmittag, 13.00 Uhr in Gisikon-Root. Ein Schild an einem unscheinbaren Haus sagt: «Club Palace – Eingang um die Ecke.» Hinter dem Haus angekommen, fordert ein weiteres Schild zum Klingeln auf. Und nach einigen Sekunden öffnet sich die massive Stahltür mit einem lauten Summen. Beim Betreten des grössten Saunaclubs im Kanton Luzern steigt einem als erstes Chlorgeruch in die Nase, wie in einem Hallenbad.

An der Rezeption wird man von einer etwa 1.90 Meter grossen Dame in aufreizenden Dessous und gefährlich hohen Highheels empfangen. Der Empfang ist herzlich und in gebrochenem Hochdeutsch. Der Eintritt beträgt 90 Franken und gilt den ganzen Tag.

Im grossen Aufenthaltsraum rieselt Loungemusik aus den Lautsprechern, das Licht gedimmt, der Boden im Schachbrettmuster, in der Mitte eine Tanzstange. Auf einem der roten Sofas schlummert ein älterer Herr im weissen, geöffneten Bademantel. Eng an ihn geschmiegt kauert eine junge, blonde, nackte Frau – den Kopf in seinem Schoss vergraben. An der Bar genehmigt sich ein weiterer, etwas jüngerer Mann – auch er im Bademantel ­– einen Drink. Gesprochen wird nicht, als befänden sich alle in einer Art Trance.

«Wir haben zwar auch einige Schweizer Damen hier, aber die sind am ‹aussterben›.»

«In diesem Raum spielt sich das meiste ab», sagt Andreas Lemmerer, Geschäftsführer des Club Palace während er durch die Anlage führt. «Hier lernt man sich kennen, trinkt etwas oder relaxt einfach.» Manchmal gehe es auch hier schon heiss zur Sache. «Es kommt vor, dass es auf diesen Sofas zu offenem Sex kommt», so der gebürtige Österreicher. Die meisten «Geschäfte» würden aber hinter geschlossener Tür ablaufen. Lemmerer führt in die oberen Stockwerke und präsentiert die Zimmer: jedes verfügt über ein grosses Bett und einen Whirlpool. Sonst befindet sich nichts im Zimmer.

Auch die Prostituierten bezahlen Eintritt

Der Club erstreckt sich über zwei Ebenen mit Sauna, Dampfbad, Tauchbecken, Solarium, Sexkino, Folterkammer und mehreren Whirlpools. Daher also der Chlorgeruch. Im Sommer ist zudem das Aussengelände mit Swimmingpool, Terrasse und «Liebeslaube» geöffnet. Täglich arbeiten zwischen 15 und 25 Frauen im Saunaclub. «Etwa 60 Prozent der Frauen kommen aus Ostblock-Staaten: Rumänien, Tschechien, Slowakei», schätzt Geschäftsführer Lemmerer die Herkunft der Masseusen – wie sich die Frauen selbst bezeichnen. «Wir haben zwar auch einige Schweizer Damen hier, aber die sind am ‹aussterben›. Einerseits hat die Konkurrenz aus dem Osten stark zugenommen und andererseits üben immer weniger Schweizerinnen diesen Beruf aus.»

In den Saunaclubs sei es üblich, dass auch die Masseusen den vollen Eintritt bezahlen. Was sie hingegen von ihren Kunden einnehmen, gehöre vollständig ihnen. Eine halbe Stunde kostet 140 Franken. Wie viel eine Masseuse durchschnittlich an einem Tag verdient, sei kaum einzuschätzen. «Es kommt auf die Frau an, wie viele Kunden sie bedienen möchte. Das schwankt von 140 Franken bis 2’000 Franken am Tag», sagt Andreas Lemmerer.

«Sie wohnen zu zweit oder zu dritt in einem Hotelzimmer»

Auch wo und wie die Frauen wohnen sei sehr verschieden. «Einige sind schon seit Jahren in der Schweiz, sind verheiratet und sesshaft. Andere, die noch nicht lange im Land sind, leben im Hotel». Ein Hotel-Betreiber, der Sexarbeiterinnen Zimmer vermietet, bestätigt gegenüber zentral+: «Die Prostituierten, die bei uns wohnen, haben es sehr schwer eine eigene Wohnung zu finden. Für sie haben wir einen ermässigten Wochenpreis: Entweder wohnen sie zu zweit oder zu dritt in einem Zimmer. Ein Doppelzimmer kostet 500 Franken pro Woche, ein Dreierzimmer 700 Franken. Aber ‹arbeiten› dürfen sie in den Zimmern nicht. Die sind wirklich nur zum Übernachten gedacht.»

Über seine Kundschaft schweigt sich Andreas Lemmerer aus. Wie viele es seien, möchte er nicht verraten. Einzig, dass einige Kunden extra aus Italien anreisen, lässt er sich entlocken. «In Italien ist Prostitution illegal, obwohl sie eine grosse Tradition hat.» Manchmal fänden auch Paare den Weg in den Saunaclub und holen sich eine Masseuse für ein Abenteuer zu dritt dazu.

Die Führung endet im Büro des Geschäftsführers. Im Minutentakt dröhnt die Klingel der Eingangstür. Hin und wieder guckt er skeptisch durch den Vorhang hinaus auf den Hof. Mehrmals stöckelt eine Dame ins Büro. Gut gelaunt werden mehrere Einkaufstaschen aus Edelboutiquen in einer Ecke des Büros deponiert. Der Club beginnt sich allmählich zu füllen. Im grossen Aufenthaltsraum ist nun Leben eingekehrt – es wird gesprochen und gelacht. Neben jedem Mann im Bademantel sitzt eine leichtbekleidete oder nackte Frau.

Escort: eine Freundin auf Zeit

Während sich Saunaclubs immer grösserer Beliebtheit erfreuen, hat sich eine weitere Form der Prostitution etabliert: der Escort-Service. Die als Edelprostitution bekannte Dienstleistung unterscheidet sich weitgehend von der «gewöhnlichen» Sexarbeit. Frauen werden meist für mehrere Stunden, manchmal sogar für mehrere Tage gebucht. Der Geschlechtsverkehr spiele dabei zwar eine wichtige Rolle, aber längst nicht die einzige. «Eine Escort-Frau ist wie eine Freundin auf Zeit», sagt Iman Walther, Leiterin des Escort-Service «Imperium».

«Unsere Damen sind Liebesgöttinnen.»

In Luzern würden täglich eine bis zwei Escort-Damen der Imperium-Agentur gebucht. Besonders Touristen aus den USA würden sich häufig eine Frau aufs Hotelzimmer bestellen, sagt Iman Walther. Und dafür wird tief in die Tasche gegriffen: Eine Stunde kostet 600 Franken. Jede weitere Stunde 450 Franken. Ein kostspieliges Vergnügen, das sich nicht jeder leisten kann. So überrascht es nicht, dass der Grossteil der Kundschaft aus der Oberschicht stamme. Über 80 Prozent der Kunden seien zudem verheiratet oder in einer festen Beziehung. Manche würden eine Escort-Frau in ihr Büro bestellen oder mieten ein Hotelzimmer. Dennoch komme es oft vor, dass der Kunde die Frau gleich über Nacht bei sich haben möchte. Ab und zu gäbe es sogar Buchungen über ein Wochenende oder eine ganze Woche, so Walther.

Über Geld spricht sie nicht gerne. Aber: «Die Preise sind nach oben offen.» Die Stunden einfach hochgerechnet, belaufen sich die Kosten für eine Escort-Dienstleistung auf knapp 2000 Franken für einen Abend, über 6000 Franken für eine Nacht oder sogar über 20’000 Franken für ein Wochenende. Ein Teil der Einnahmen treten die Frauen der Agentur ab, den Rest behalten sie selbst. Über den festen Prozentsatz, den die Agentur einstreicht, schweigt sich Iman Walther aus. In der Branche spricht man von 30 bis 40 Prozent.

Die meisten Escort-Damen sind Studentinnen

Für die Betreiberin der Escort-Agentur seien die Preise, die den Wert eines Kleinwagens erreichen können, durchaus gerechtfertigt. «Unsere Damen sind Liebesgöttinnen. Man kommt sich sehr nahe und erlebt etwas zusammen – ein romantisches Abendessen, ein Ausflug, eine leidenschaftliche Nacht – und nicht selten ein gemeinsames Frühstück.»

Die Anforderungen an die Escorts seien daher auch wesentlich höher als in den üblichen Etablissements. Ein makellos gepflegtes Äusseres, eine hochwertige Garderobe sowie ein gewisses Bildungsniveau seien nur Teil der Bedingungen. «Die Frauen müssen ihre Arbeit mit Leidenschaft leben und lieben. Bei uns gibt es keine Profis, sondern es sind alles Damen, die sich nebenbei Geld dazuverdienen möchten und einfach Spass am Sex haben», so Walther. Die meisten der Imperium-Escorts seien Studentinnen.

Lesen Sie im zweiten Teil des Rotlicht-Reports wie sich die Prostitution in Luzern historisch entwickelt hat, wo das erste Bordell stand und wo es überall schon einen Strassenstrich gab.

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