Ausstellung über den Luzerner Strassenphilosophen

Neuer Blick auf Emil Manser

So wie hier sah man den Luzerner Stadtphilosophen Emil Manser früher oft. (Bild: Joséphine Schöb/www.facebook.com/manser.emil)

Emil Manser fasziniert auch mehr als 10 Jahre nach seinem Tod noch wie zu Lebzeiten. Das weiss auch das Historische Museum – und widmet dem Stadtoriginal dieses Jahr eine Ausstellung. Wir blicken mit Kurator Christoph Lichtin hinter die Kulissen. Und fragen uns, ob Manser bereits als historisch gelten darf.

Emil Manser war Künstler, Bettler, Stadtoriginal, Strassenphilosoph. Ein Aussenseiter, ein Störenfried. Vor allem aber ist er eine der faszinierendsten lokalen Persönlichkeiten für viele Luzerner. Das Buch über Manser «Ist mir grosse Ehre von gleicher Sorte zu sein» ist zum Beispiel bereits in der 6. Auflage erschienen und schon über 11’000 Exemplare sind im Umlauf. Ein Selbstläufer mit einem Erfolg, der die Erwartungen weit übertraf.

Emil Manser zu Weihnachtszeit mit einem Adventskranz als Hut.

Emil Manser zu Weihnachtszeit mit einem Adventskranz als Hut.

(Bild: zVg)

Nun nimmt sich auch das Historische Museum Luzern des Stadtoriginals an. Eine Ausstellung über Manser ist kommenden Winter geplant. Christoph Lichtin kümmert sich als Kurator um die Ausstellung. zentralplus hat ihn während der Vorbereitungen getroffen.

Der persönliche Abstand als Vorteil

Seit 2013 ist Lichtin Direktor des Historischen Museums, vorher war er neun Jahre lang als Sammlungskonservator beim Kunstmuseum Luzern tätig. Seit 2004 lebt der Kunsthistoriker gemeinsam mit seiner Frau in Luzern. Im selben Jahr wählte Manser den Freitod. Mit dem Wissen um seine Krebserkrankung ging er beim Rathaussteg ins Wasser. Dem lebenden Strassenphilosophen Emil Manser ist Lichtin also nie persönlich begegnet. «Ich denke, das ist ein Vorteil», sagt Lichtin. «Ich kenne nur die Geschichten über sein Auftreten, seine Art. Diese sind natürlich sehr spannend, aber irrelevant dafür, was seine Plakate uns sagen wollen. Diese haben für sich eine Gültigkeit.»

Die Arbeit für die Manser-Ausstellung sei ein Spezialfall, erklärt Lichtin. Der Grund für die Ausstellung sei ein Geschenk, welches Lichtin seinem Vorgänger zu verdanken hat. Ein Grossteil des Nachlasses – 150 Plakate, Objekte, Kleidung, Kessel zum Sammeln, sein Stab – wurden dem Museum noch vor Lichtins Direktion von Mansers Lebenspartnerin Anita Bucher anvertraut. «Ein Schatz, den wir den Menschen sehr gerne zeigen wollen.»

Einige Plakate aus dem Nachlass von Emil Manser. (Bild: Historisches Museum Luzern)

Einige Plakate aus dem Nachlass von Emil Manser. (Bild: Historisches Museum Luzern)

Ist Manser schon historisch?

Doch trotzdem stellt sich die Frage, weshalb sich ein historisches Museum mit einem noch nicht lange verstorbenen Stadtoriginal beschäftigt. Wo zieht man die Grenze und wann ist etwas historisch relevant?

Natürlich könne man nicht einfach alles bringen, so Lichtin. «Mein Kriterium ist die Bedeutung eines Themas für die Gegenwart. Da können wir jemanden wie Emil Steinberger nehmen oder eben Emil Manser. Es sind zwei Menschen, welche die Gesellschaft auf ihre eigene Art prägten oder prägen.» 

Lichtin betont, für ihn seien besonders Fragen der Kulturgeschichte und der Gesellschaft spannend. «Wie funktionieren wir als Gesellschaft und was hat dazu geführt, dass wir so funktionieren? Was beschäftigt uns heute und wie war es früher? Diese Perspektive macht die Vergangenheit doch erst interessant.»

«Wir wollen gerade nicht den kurligen Cheib zeigen.»

«Wir wollen Geschichte erzählen – das kann biografisch ein. Bei Manser ist die Thematik aber auch die Kommunikation im öffentlichen Raum», so Lichtin. Die öffentliche Person Emil Manser sei zwar ebenfalls wichtig, doch den Fokus will der Kurator auf sein literarisches Schaffen legen. «Wir wollen die Plakate ins Zentrum stellen und deren künstlerisches, politisches, kritisches Gehalt. Wir wollen uns nicht auf ihn als Freak, als Aussenseiter konzentrieren.»

«Die Postkarten von Manser, die wir seit einer Weile verkaufen, zeigen, dass Mansers Schaffen für sich eine Gültigkeit hat, dass sein Werk für sich spricht und noch heute Wichtigkeit hat. So viele Besucher sind fasziniert davon – auch Leute, die zuvor noch nie von ihm gehört hatten.»

Natürlich soll aber auch Privates von Manser Thema sein, um das Bild, welches man von ihm auf der Strasse bekam, zu brechen. «Wir wollen gerade nicht den kurligen Cheib zeigen, den er in der Öffentlichkeit darstellte, sondern seine Persönlichkeit als Ganzes.»

Einige Plakate aus dem Nachlass von Emil Manser. (Bild: Historisches Museum Luzern)

Einige Plakate aus dem Nachlass von Emil Manser. (Bild: Historisches Museum Luzern)

Der Preis für die Ehrlichkeit

Das Vorgehen als Kurator bei einer solchen Ausstellung beinhalte erstmal sicher auch eine Frage nach der Aufmerksamkeit, gibt Lichtin zu. «Wie wecke ich das Interesse der Leute, was ist der Aufhänger? Das Thema muss bei den Besuchern ein Gefühl auslösen, oder eine Erinnerung.» Dann stelle sich die Fragen nach dem historischen Bezug: «Was können wir dazu als Museum zusätzlich leisten? Wo legen wir den Fokus?» Und natürlich stehe auch immer ein persönliches Interesse dahinter. «Als Kurator arbeitet man nie anonym.»

Zur Ausstellung

Die Ausstellung «Wer mich kennt, liebt mich. Emil Manser (1951–2004)» startet am 9.12.2016 und dauert bis am 5.3.2017.

Das Historische Museum Luzern hat aus dem Nachlass von Emil Manser rund 150 Plakate sowie weitere Objekte erhalten, die nun erstmals der Öffentlichkeit gezeigt werden.

Die Vernissage wird am Donnerstag, 8. Dezember 2016, um 18.30 Uhr stattfinden.

Für Lichtin sind es stets existenzielle Fragen, die hinter einer Ausstellung stehen müssen. «Bei Manser zeigt sich ein Modell für eine Extremform von Individualität, Authentizität. Eigentlich möchten wir doch alle so ehrlich sein und kreativ. Aber ein solches Leben hat auch seinen Preis, den man bezahlt – in Bezug auf das eigene Leben und den Status in einer Gesellschaft.» Es gehe um ein Urbedürfnis und eine Faszination nach dieser Art der Existenz.

Auch die Funktion von Manser in unserer Gesellschaft wird dabei Thema. «Nicht dass er mit den alten griechischen Philosophen auf die gleiche Stufe gebracht werden soll, aber seine Rolle in unserer Gesellschaft war vielleicht ähnlich», so Lichtin.

Kurator und Direktor des Historischen Museums Luzern, Christoph Lichtin, in seinem Büro.

Kurator und Direktor des Historischen Museums Luzern, Christoph Lichtin, in seinem Büro.

(Bild: jav)

Eitelkeit und Winkelried

Anschliessend geht es um die Umsetzung: die Szenografie oder Dramaturgie der Ausstellung und auch darum, dass man für die Besucher ein Erlebnis schafft, welches er oder sie beim Lesen eines Buches oder vor dem PC nicht hätte. Natürlich könnte man die Ausstellung sehr theatralisch und nahe am damaligen Geschehen machen. «Oder aber man bricht es und zeigt Mansers Nachlass ganz museal und abstrakt – als historisches Kulturgut. Ich finde, etwas tötelig darf es ruhig werden», sagt Lichtin. Denn die Frage «Was sagt uns das heute?» lasse sich besser mit Abstand zur Figur Manser beantworten. Im Fokus nur auf sein Schaffen.

«Vielleicht kriegt Winkelried dann auch noch ein Plakat umgehängt.»

Schlussendlich die Auswahl zu treffen sei immer ein grosses Thema. «Alles zu zeigen macht keinen Sinn.» Doch das Weglassen sei das Schwierigste überhaupt beim Kuratieren, betont Lichtin. «Man hat im Vorfeld der Ausstellung so viel recherchiert und sich so extrem viel Wissen zu einem Thema angeeignet – das möchte man dann eigentlich auch alles zeigen. Es geht dabei auch um Eitelkeit», schmunzelt der Kurator. Dann seien gute Partner wichtig – Szenografen, andere Kuratoren –, die einem eine andere Sicht auf das Thema aufzeigen.

Schlussendlich sei die Menge an Objekten auch überhaupt nicht das Wichtigste. «Es muss zusammenpassen und als Ausstellung funktionieren», so Lichtin. Vielleicht werde er am Ende tatsächlich fast alle Plakate ausstellen und das im ganzen Haus. «Vielleicht kriegt Winkelried dann auch noch ein Plakat umgehängt.»

Zum 10. Todestag von Emil Manser gedachten wir des Luzerner Strassenphilosophen in diesem Artikel.

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