Pfisters Flüchtlingspolitik hat Tradition

Die Schweiz hatte schon früher gewisse Flüchtlinge lieber

Flüchtlinge während des Zweiten Weltkriegs – in dieser Zeit bevorzugte die Schweiz nicht-jüdische Flüchtlinge. Später Flüchtlinge aus kommunistischen Ländern. (Bild: Wikipedia)

Seine Aussage hatte für Furore gesorgt: Christliche Flüchtlinge sollen Vortritt haben, wenn der Bund gezielt Personen aus Syrien holt. Das hatte Gerhard Pfister verlangt. Nun zeigt sich: Damit liegt er gar nicht so quer in der Landschaft. Zumindest wenn man die traditionelle Schweizer Flüchtlingspolitik als Massstab nimmt. Denn sie hat schon früher gewisse Flüchtlinge bevorzugt. Aus nicht sehr lauteren Gründen.

Ob es nun eine gezielte Provokation war oder nicht – er hat die Idee lanciert: Der Zuger CVP-Nationalrat und designierte Parteipräsident Gerhard Pfister hat in einem «Rundschau»-Beitrag gefordert, man müsse Christen bei der gezielten Rettung von Menschen in Syrien bevorzugen. Mittlerweile hat Pfister zurückbuchstabiert und relativiert (zentralplus berichtete): Natürlich seien alle Menschen gemeint, die aufgrund ihrer Religion besonders gefährdet seien – und dabei handle es sich nun mal vor allem um Christen.

Dass in der Schweiz nun überhaupt über eine Priorisierung von asylsuchenden Menschen nach Religionszugehörigkeit diskutiert werden muss, löst wohl beim manchen Unwohlsein aus. Auf den zweiten Blick zeigt sich aber: Es war in der Vergangenheit häufig so, dass die Schweiz oder die Kantone aufgrund politischer und religiöser Opportunitäten entschieden. Seit rund 50 Jahren ist dies allerdings viel weniger der Fall. Das sagt der Historiker Patrick Kury, der Geschichte an den Universitäten Luzern und Bern lehrt. «Es hat immer wieder Phasen gegeben, in denen die Schweiz nach politischen Kriterien Asylgesuche behandelt hat, heute jedoch kaum mehr.»

Flüchtlinge aus kommunistischen Diktaturen hatten es leichter

Im 19. Jahrhundert waren die Sympathien noch klar offengelegt — es bekam Asyl, wer zur Geisteshaltung des jeweiligen Kantons passte. Eine schweizerische Asylpolitik gab es nicht. «Katholische Kantone gewährten eher Royalisten Asyl, in protestantischen Kantonen fanden Hugenotten Unterschlupf», sagt Kury.

Nach dem Ersten und während des Zweiten Weltkriegs versuchte man, Juden an der Grenze abzublocken. Darüber gesprochen wurde allerdings nicht – man argumentierte mit «Überfremdung» und indirekt mit deren volkswirtschaftlichem Nutzen: «Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte man ungebildete Leute bevorzugt, um so indirekt jüdische Immigranten fernzuhalten – diese wurden eher mit urbanem und gebildetem Hintergrund verknüpft.» Nach dem Zweiten Weltkrieg bevorzugte man aus Osteuropa stärker gebildete Flüchtlinge, so Kury.

Dann sollte es besser werden — allerdings nur auf dem Papier. Zwar habe die Schweiz in der Asylwende 1956 beschlossen, ihre Asylpolitik nach rechtstaatlichen neutralen Grundsätzen zu betreiben; auch aufgrund der schlechten Presse wegen ihrer Abweisung von jüdischen Flüchtlingen im Zweiten Weltkrieg. Das schreibt Kury in seinem Artikel über die «humanitäre Tradition» der Schweiz. Trotzdem habe man auch nachher noch Unterschiede gemacht: «Damals gab es politische Kriterien: Flüchtlinge aus kommunistischen Ländern hatten es bis 1989 leichter, in der Schweiz Asyl zu bekommen, als Flüchtlinge aus Ländern mit einer rechtsgerichteten Diktatur», sagt Kury.

«1848 etwa haben die Städte Basel und Zürich verfolgte Juden aufgenommen, als es im Elsass Aufstände gab und sie besonders gefährdet waren.»

Patrick Kury, Historiker

Das passt nur schlecht zum modernen Verständnis der Schweizer Asylpolitik. Und noch schlechter zur vielzitierten «humanitären Tradition» der Schweiz. Gab es denn auch Zeiten, in denen tatsächlich neutrale und rechtsstaatliche Kriterien über Asylgesuche entschieden? «Auf dem Papier, de Jure, betreibt der Bundesstaat seit 1956 eine sich an internationalen Kriterien orientierende, neutrale  Asylpolitik», sagt Kury. Und es habe auch vorher Phasen gegeben, in denen das der Fall war. «1848 etwa haben die Städte Basel und Zürich verfolgte Juden aufgenommen, als es im Elsass Aufstände gab und sie besonders gefährdet waren.»

Pfisters gescheiterter Versuchsballon

Wie passt nun der Vorschlag von Gerhard Pfister in dieses Bild? «Also erstens ist diese Aussage nicht haltbar: Man weiss, dass Christen wie alle Menschen in dieser Region gefährdet sind», sagt Kury. Es gebe nicht nur den IS, sondern auch das Assad-Regime und andere Gruppierungen, die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung anwenden. «Am stärksten bedroht dürfte bisher die ethnisch-religiöse Gruppe der Jesiden gewesen sein.» Insofern werde das Argument in der öffentlichen Debatte nicht standhalten.

«Ich glaube nicht, dass dies salonfähig geworden ist. Die Tatsache, dass Pfister seine Aussage relativiert hat, spricht dagegen.»

Zur Motivation Pfisters kann Kury nichts sagen. «Ich weiss nicht, ob das eine gezielte Provokation war oder einfach eine unbedarfte Aussage. Das ist schwierig einzuschätzen. Aber wenn es eine Provokation war, denke ich, dass sie ihren Zweck verfehlt hat: Pfister hat sich damit wohl mehr politische Feinde als Freunde gemacht.»

Allerdings ist der öffentliche Diskurs nun vorgepfadet: Man kann jetzt wieder darüber diskutieren, Flüchtlinge aufgrund ihrer Religion aufzunehmen oder nicht. Kury widerspricht: «Ich glaube nicht, dass dies salonfähig geworden ist. Die Tatsache, dass Pfister seine Aussage relativiert hat, spricht dagegen.» Man solle die Aussage Pfisters nicht überinterpretieren. «Das war wohl ein Versuchsballon, die Asylpolitik nach religiösen Kriterien auszurichten. Ich denke aber, der Versuch ist gescheitert.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Markus Mathis
    Markus Mathis, 06.03.2016, 18:09 Uhr

    Die Behauptung, dass Christen aufgrund ihres religiösen Hintergrunds im Irak und Syrien nicht besonders gefährdet seien, ist schlicht wahrheitswidriger Unsinn. Genau deswegen wurden und werden sie gezielt terrorisiert und diskriminiert, und genau deswegen sind zwei Drittel von ihnen geflohen (sofern sie noch konnten). Dass Jesiden ebenfalls speziell gefährdet sind, relativiert diese Tatsache in keiner Weise. Dass Menschen in Bürgerkriegsgebieten generell gefährdet sind, relativiert diese Tatsache ebenfalls nicht.

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