125 Anwohner wurden evakuiert

Luzern: Felssturzgefahr noch nicht gebannt

Die Sagenmattstrasse unterhalb des Gütschhügels verläuft parallel zur Kanonenstrasse. Wegen Felssturzgefahr musste eine Liegenschaft evakuiert werden. (Bild: Screenshot)

Mitten in Luzern drohte ein Felssturz, 125 Personen aus dem Hochhaus an der Sagenmattstrasse 11 mussten vorübergehend evakuiert werden. Als Sofortmassnahme wird nun ein Teil der Felswand abgebrochen. Aber auch danach kann ein  Felssturz nicht ausgeschlossen werden.

Ein Schock für die Bewohner: In der Nacht von Montag auf Dienstag, um 02:47 Uhr, hat die automatische Überwachung der Felswand beim ehemaligen Sagenmatt-Steinbruch einen Alarm ausgelöst. Es bestehe momentan eine akute Felssturzgefahr, teilte die Stadt mit. Mitten in der Nacht evakuierte die Feuerwehr das prägnante Hochhaus am Hang zum Gütschwald an der Sagenmattstrasse 11. Die 125 Anwohner wurden in einem benachbarten Feuerwehrlokal untergebracht.

«Wir dachten, es sei der Alarm eines Autos»

Vor Ort sagte eine Anwohnerin zu zentral+: «Um etwa halb drei Uhr wurdem mein Freund und ich vom Lärm einer Sirene geweckt. Wir dachten zuerst, es sei der Einbruchalarm eines Autos. Als dann fünf Polizeiautos vor dem Haus standen und die Sirene seit 20 Minuten hornte, kriegten wir Angst. Wir wussten ja nicht, worum es geht. Dann habe ich selber die Polizei angerufen: Es hiess, wir müssten wegen eines möglichen Felssturzes aus dem Haus raus.»

«Seit circa fünf Jahren bewegt sich die Wand.»

Beat Keller, Geologe

Der Sensor rechts schlug Alarm, die Sirene links weckte die Bewohnerinnen an der Sagenmattstr. 11.

Der Sensor rechts schlug Alarm, die Sirene links weckte die Bewohnerinnen an der Sagenmattstr. 11.

(Bild: lrg)

Was ist passiert?

Der ehemalige Steinbruch wird seit 1992 überwacht, weil die Wand seit langem als gefährlich gilt. Zweimal pro Jahr messen die Geologen, wie sehr sich der Fels bewegt. Der beauftragte Experte Beat Keller sagte an der Pressekonferenz am Dienstagmorgen: «Vor ungefähr fünf Jahren haben wir bemerkt, dass die Felswand sich stärker bewegt als früher.»

2014 hätten die Messungen dann noch mehr Bewegung registriert: «Deshalb haben wir verlangt, dass eine dauerhafte Überwachung installiert wird.» Seit letztem Sommer ist diese in Betrieb und seit zwei Wochen ist sie voll einsatzfähig.

«Letzte Nacht hat sich die Wand mehr bewegt, als in zehn oder gar 100 Jahren.»

Beat Keller, Geologe

Gerade noch rechtzeitig: In der Nacht auf Dienstag registrierten die Sensoren, dass sich ein Teil der Wand um 1.5mm bewegte. Keller: «So viel bewegt sie sich sonst vielleicht in zehn oder gar 100 Jahren». Die Sensoren schlugen automatisch Alarm: Die Feuerwehr und der Geologe wurden informiert und an der Sagenmattstrasse hornten die Sirenen.

«Wir mussten vom Worst-Case-Szenario ausgehen, deshalb haben wir sofort evakuiert.»

Theo Honermann, Feuerwehr

Feuerwehrkommandant Theo Honermann: «Da wir nicht wussten, welche Teile der Wand den Alarm ausgelöst hatten, mussten wir vom Worst-Case-Szenario ausgehen, nämlich dass die ganze Felswand abbricht.» Ein solcher Absturz des ganzen 120 Meter langen und 50 Meter hohen ehemaligen Steinbruchs hätte mehr als viermal so gross sein können wie jener in Wolhusen von letzter Woche. «Deshalb haben wir in der Nacht zeitweise auch die Basel- und Bernstrasse gesperrt.»

Diese Infoblatt erhielten die Anwohner schon in den letzten Wochen.

Diese Infoblatt erhielten die Anwohner schon in den letzten Wochen.

(Bild: lru)

Bewohner konnten zurück

Nachdem Geologen die Gefahr auf eine Felsplatte zwischen den beiden Gebäuden eingegrenzt hatte, konnten sie für die Häuser Entwarnung geben. Geologe Beat Keller: «Bei der Gefahreneinschätzung vor einigen Jahren haben wir berechnet, dass die Gebäude auch bei einem Sturz sicher wären.»

Das Gebäude an der Nummer 7 sei sehr stabil gebaut und würde deshalb den Kräften des fallenden Gesteins widerstehen können. Das evakuierte Hochhaus an der Nummer 11 sei zu weit von der Wand entfernt und liege nicht direkt im errechneten Sturzgebiet. Bis auf weiteres gesperrt bleibt jedoch die Tiefgarage der Sagenmatt 11: Diese liegt direkt unter der Wand und könnte bei einem Felssturz verschüttet werden.

Die Tiefgarage bleibt bis auf weiteres Sperrzone: Beim drohenden Felssturz könnte sie einstürzen.

Die Tiefgarage bleibt bis auf weiteres Sperrzone: Beim drohenden Felssturz könnte sie einstürzen.

(Bild: lrg)

«Nach acht Uhr konnten wir deshalb entscheiden, dass die Anwohner sicher in ihre Wohnungen zurückkehren können und die betroffenen Betriebe ihre Arbeit aufnehmen,» sagt Feuerwehrkommandant Theo Honnermann. Nur die felsseitigen Räume der Bächler-Sidler AG sind noch gesperrt. Die Bewohner im Hochhaus müssen auf der Felsseite die Storen und Fensterläden geschlossen halten. Beat Keller: «Dort könnten fallende Steine die Scheibe einschlagen». Für Anwohner hat die Stadt Luzern eine Info-Hotline eingerichtet. Heute erhalten diese dort weitere Informationen: 041 208 83 00.

«Die instabile Schicht könnte in fünf Minuten runterfallen, in fünf Stunden oder auch erst in ein paar Monaten.»

Beat Keller, Geologe

Gefahr weiterhin akut

Auch wenn die Leute zurück in ihren Wohnungen sind: Die Gefahr eines Sturzes ist noch nicht gebannt. Beat Keller: «Die instabile Schicht könnte in fünf Minuten runterfallen, in fünf Stunden oder auch erst in ein paar Monaten. Wir können das nicht vorhersehen». Die Geologen haben deshalb beschlossen, selber zu handeln: Am Dienstag-Nachmittag wird die gefährdete vorstehende Felsschicht weggebaggert, um das akute Felssturzrisiko zu beseitigen. Weiterhin wird mit den Sensoren die ganze Felswand überwacht. Aber auch dann, kann die Wand noch einbrechen: In der Gefahrenkarte der Stadt Luzern heisst es, dass wenn die ganze Wand einstürzt, mehr als 20’000 Kubikmeter Gestein fallen könnten. Das wären viermal mehr als jüngst in Wolhusen.

«Wenn der Fels sich nochmals stark bewegen sollte, werden wir wieder evakuieren müssen.»

Beat Keller, Geologe

Geologen mussten den Sensor nach der Bewegung wieder in Position bringen.

Geologen mussten den Sensor nach der Bewegung wieder in Position bringen.

(Bild: lrg)

Weshalb bewegte sich der Fels?

Am frühen Morgen wurde spekuliert, dass der Sturz durch die Arbeiten am Fels im Herbst ausgelöst worden sei. Ein Anwohner sagte gegenüber zentral+: «Im Herbst haben sie hier den ganzen Fels geputzt. Ich glaube, dass der sich deswegen so bewegt hat jetzt.»

Hat man die Bewegung also provoziert? Beat Keller: «Nein, ganz sicher nicht. Eine Felswand zu putzen ist, als ob man mit einer Feder ein Bleigewicht streicheln würde.» Weshalb sich der Fels nun so bewegte, wisse man nicht: «Diese Wand ist sehr unberechenbar».

Beat Keller zeigt die installierten Sensoren an der Felswand.

Beat Keller zeigt die installierten Sensoren an der Felswand.

(Bild: lru)

An Stelle des heutigen Gebäudes der Bächler-Sidler und also direkt vor diese unberechenbare Wand soll eine Überbauung der Allgemeinen Baugenossenschaft Luzern (ABL) entstehen. Um dieses Wohnhaus sicher bauen zu können, muss der Fels aufwändig gesichert werden. «Die Sicherheitsmassnahmen waren bereits vor dem heutigen Ereignis geplant, das Baugesuch ist eingereicht», sagte Keller. Die ABL finanziert eine Hangsicherung, die sämtliche Gefahr aus der Felswand bannen soll. Der zuständige Geologe Beat Keller erklärt: «Wir werden Betonrippen bis zu 20 Meter tief in den Felsen verankern.» Diese Sicherung soll im Frühling erstellt werden, bis dahin sind die Sensoren in Betrieb: «Wenn die Wand vor dem Sommer sich nochmals stark bewegen sollte, werden wir wieder evakuieren müssen.»

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