Strassenstrich im Luzerner Ibach

Neu beraten auch Ärztinnen die Sexarbeiterinnen

Ute Straub ist seit Oktober als Beraterin im hotspot tätig. (Bild: aka)

Der Mord an einer Prostituierten im Herbst 2014 löste Erschütterung und grosse Verunsicherung aus. Die Beratungsstelle «hotspot» durchlief darauf eine schwierige Phase. Seit Oktober arbeiten im Container nun neue Beraterinnen. Auch sonst hat sich einiges verändert.

Erst 36-jährig ist die Frau, die im September 2014 in Stansstad tot aus dem Vierwaldstättersee gezogen wird. Sie arbeitete auf dem Luzerner Strassenstrich, im abgelegenen Ibach-Quartier. Ihre Kolleginnen sind besorgt, als sie sie auf ihrem Handy nicht mehr erreichen. Bald darauf die traurige Gewissheit: Die Bulgarin wurde ermordet. Suizid und Unfall schliesst die Polizei aus. Nun geht die Angst im Ibach um.

 

Die Sexarbeiterinnen fühlen sich zunehmend bedroht. Das Industriegebiet liegt fernab des Stadtkerns, die Arbeit ist einsam. Mehr Polizeipräsenz würde die Freier abschrecken. Auch den ehrenamtlich tätigen Beraterinnen des Beratungscontainers «hotspot» wird es immer mulmiger, und bald werden daraus die Konsequenzen gezogen: Ende Oktober 2014 macht der Container für sechs Wochen dicht.

Schärli ist neue LISA-Präsidentin

Im November 2015 wurde die ehemalige SP-Regierungsrätin Yvonne Schärli ins Amt der Präsidentin von LISA gewählt (zentral+ berichtete). Die 63-jährige Ebikonerin bringt nebst ihrer guten Vernetzung auch Fachwissen aus ihrer Tätigkeit als Vorsteherin des Justiz- und Polizeidepartements mit. Schärli pflegt gegenüber den Sexarbeiterinnen eine wertfreie Einstellung: «Es ist eine Erwerbstätigkeit, für die Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen.» Bereits während ihrer Politkarriere dachte sich Yvonne Schärli, dass dies ein Bereich ist, in dem sie sich später gerne ehrenamtlich engagieren würde. «Diese Frauen haben ja keine Lobby. Sie brauchen jemanden, der sich für sie einsetzt», sagt sie.

Informationen zur Einzel- oder Kollektivmitgliedschaft bei LISA finden sich auf der Webseite des Vereins. Vereine oder Organisationen, die sich einen Input zum Thema wünschen, können diesbezüglich mit der Geschäftsstelle Kontakt aufnehmen: Birgitte Snefstrup, [email protected].

«Es fiel uns sehr schwer, den hotspot genau dann zu schliessen, als die Frauen uns am meisten brauchten», sagt Birgitte Snefstrup heute, ein gutes Jahr später, «aber die Sicherheit der Mitarbeiterinnen musste gewährleistet werden.» Die 54-jährige Projektleiterin des hotspots kennt sich im Milieu aus – sie war über zehn Jahre lang als Beraterin in Clubs, Bars und auf dem Strassenstrich unterwegs. Der hotspot ist ein Projekt des Luzerner Vereins für die Interessen der Sexarbeitenden (LISA), der sich für eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitssituationen von Prostituierten einsetzt. Birgitte Snefstrup ist die Geschäftsleiterin von LISA.

Neustart im Oktober

Nach dem Tötungsdelikt im Herbst vor einem Jahr gaben einige hotspot-Beraterinnen ihre Tätigkeit auf; die Verunsicherung war zu gross, auch darüber, wie es mit der Beratungsstelle weitergehen soll. Der Täter ist bis heute auf freiem Fuss. Bis im Sommer letzten Jahres lief die Pilotphase des hotspots weiter, jedoch mit wenig Personal. Ende 2013 hatte die Beratungsstelle ihren Betrieb aufgenommen. Noch bis vor wenigen Jahren spielte sich das Luzerner Sexgewerbe im belebten Tribschenquartier ab. 2012 kam dann ein neues Reglement, das die Branche umkrempelte: Das Anschaffen in der Nähe von Wohnhäusern und öffentlichen Gebäuden wurde illegal. Das Geschäft verlagerte sich daraufhin ins abgelegene Industriegebiet, in den Ibach.  

Ende Juni 2015 sprachen Stadt und Kanton dem hotspot neue Mittel zu, vorläufig bis Ende 2017. Seit Oktober nun ist das hotspot-Team wieder komplett, und die Türen des Beratungscontainers stehen wie zuvor drei Mal wöchentlich offen – für Beratungsgespräche, um Kondome abzuholen, für eine warme Tasse Tee.

 «Die Frauen, die wir beraten, haben eine positive Einstellung. Sie sind lebensbejahend, richtig lebensnah.»

Ute Straub, Beraterin

Der Luzerner Strassenstrich findet hauptsächlich im Gebiet Ibach entlang der Reusseggstrasse (rot eingefärbt) statt.

Der Luzerner Strassenstrich findet hauptsächlich im Gebiet Ibach entlang der Reusseggstrasse (rot eingefärbt) statt.

(Bild: Google Maps)

Beraterinnen erhalten neu einen Lohn

Einiges hat sich im Container getan. Einmal pro Woche ist jeweils eine von drei ehrenamtlichen Ärztinnen zugegen, die den Frauen mit medizinischem Fachwissen zur Seite steht. Die Beraterinnen – es wurden fünf neue eingestellt – werden nun bezahlt. «Ausser einer sind alle über 50, gestandene Frauen also mit viel Erfahrung. Sie sind hochmotiviert», sagt Birgitte Snefstrup.

Eine von ihnen ist Ute Straub. Die rothaarige Mittfünfzigerin strahlt Ruhe aus. «Die  Frauen, die wir beraten, haben eine positive Einstellung. Sie sind lebensbejahend, richtig lebensnah», schildert sie ihre Erfahrungen im Container. Seit dem Tötungsdelikt wurden die Sicherheitsvorkehrungen für die Beraterinnen erhöht. Sie fühle sich sicher, sagt Straub.

Ute Straub ist seit Oktober als Beraterin im hotspot tätig.

Ute Straub ist seit Oktober als Beraterin im hotspot tätig.

(Bild: aka)

Doch wie steht es um die Sicherheit der Sexarbeiterinnen? Vor physischer Gewalt durch die Freier kann sie der hotspot nicht schützen. Und vor ungewollten Schwangerschaften und sexuell übertragbaren Krankheiten? «Risikoverhinderung ist kaum möglich, darum lautet die Devise: Risikoverminderung», sagt Snefstrup. Informations- und Präventionsarbeit hätten manchmal wenig Gewicht – insbesondere dann, wenn Sexarbeiterinnen durch eine Verschärfung ihrer wirtschaftlichen Situation unter Druck geraten. So könne es auch zu einer Art Preis-Dumping untereinander kommen: Die Sexarbeiterinnen wollen einander mit ihren Preisen unterbieten, eine Situation, die von den Freiern schamlos ausgenutzt wird. Das Thema Gesundheit und Sicherheit wird deshalb in den Beratungen immer wieder thematisiert.

Hilfe bei Abtreibungen

Der Alltag der Sexarbeiterinnen ist auch von bürokratischen Schwierigkeiten geprägt: Aufenthaltsbewilligungen, Mietverträge, Steuererklärungen. Die meisten von ihnen stammen aus Bulgarien und sprechen nur wenig bis gar kein Deutsch. Auch hier gibt der hotspot Hilfestellung. Oft stossen die Beraterinnen auch an Grenzen; Tatsachen, die sie nicht ändern können. «Es ist wichtig, dass man sich in diesem Job mit den Rahmenbedingungen abfindet», sagt Snefstrup, die erfahrene Fachfrau Sexarbeit. Beispielsweise ist die Wohnungssuche für die Sexarbeiterinnen nicht einfach, schon gar nicht auf dem teuren Pflaster Luzern. Die Stigmatisierung dieses Berufs sorgt dafür, dass die Sexarbeiterinnen oft abgelehnt werden. «Am meisten wäre den Frauen geholfen, wenn sie zu vernünftigen Preisen wohnen könnten», erklärt Birgitte Snefstrup. So aber seien sie gezwungen, einen grossen Teil ihres Einkommens, das sie eigentlich sparen oder ihren Familien schicken wollen, für die Miete auszugeben.

«Am meisten wäre den Frauen geholfen, wenn sie zu vernünftigen Preisen wohnen könnten.»

Birgitte Snefstrup, Leiterin hotspot

Ungewollte Schwangerschaften – die nicht nur bei der Arbeit entstünden, wie Snefstrup sagt – sind unter den Sexarbeiterinnen keine Seltenheit. Viele von ihnen haben keine Krankenversicherung. Was also, wenn eine Frau abtreiben möchte? Hier kommt dem hotspot eine Vermittlungsfunktion zu: «Wir verweisen an die richtigen Stellen und sorgen dafür, dass Geld für die Abtreibung organisiert werden kann», erklärt Snefstrup.

Die Luzernerin Birgitte Snefstrup ist die Projektleiterin des hotspots und sitzt in der Geschäftsleitung des Vereins LISA.

Die Luzernerin Birgitte Snefstrup ist die Projektleiterin des hotspots und sitzt in der Geschäftsleitung des Vereins LISA.

(Bild: aka)

Gesetz im Herbst abgelehnt

In ganz Luzern sind schätzungsweise 600 Sexarbeiterinnen tätig, eine Minderheit davon auf dem Strassenstrich, der Rest in Clubs und Bars. Nur etwa 20 Sexarbeiterinnen suchen regelmässig den hotspot auf. Oft sind diese Frauen Gewalt ausgesetzt, sei es durch Freier, Zuhälter oder Bordellbesitzer. Gemäss Schätzungen des Kantons arbeiten bis zu einem Drittel der Sexarbeitenden ohne Aufenthaltsbewilligung, was Ausbeutungssituationen begünstigt. Der Kanton arbeitete seit 2009 an einem neuen Gesetz, das vorsah, dass sich die Prostituierten registrieren und Sexetablissements eine Bewilligung einholen müssen. Im September 2015 wurde die Gesetzesvorlage vom Kantonsrat mit 61 zu 51 Stimmen abgelehnt. Das neue Gesetz würde kaum die gewünschte Wirkung erzielen, hiess es von verschiedenen Seiten.

Verein braucht Geld

Das Ziel des hotspots sei es, das Angebot noch weiter auszubauen, sagt Snefstrup, und zu einer Anlaufstelle für alle Luzerner Sexarbeiterinnen zu werden. Durch die Zusammenarbeit mit den drei Ärztinnen hätte man einen wichtigen Schritt in diese Richtung bereits gemacht.

Der hotspot wird mit 50’000 Franken pro Jahr vom Kanton und der Stadt Luzern unterstützt. Der Verein LISA muss 70’000 Franken jährlich selbst beisteuern – eine Herausforderung. Birgitte Snefstrup ist diesbezüglich zuversichtlich. «Mit Yvonne Schärli als neue Präsidentin haben wir eine politerfahrene Persönlichkeit gewonnen, die bestens vernetzt ist», sagt sie (siehe Box).

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