Islamische Gemeinde Luzern im Gespräch

«Wir brauchen Moscheen, nicht Garagen»

Petrit Alimi von der Islamischen Gemeinde Luzern fordert eine Moschee an einem zentralen Ort in der Stadt Luzern. (Bild: zvg)

Nach den Terroranschlägen in Paris brandet eine Diskussion um die Muslime in der Schweiz auf. zentral+ konnte mit dem Luzerner Islam-Theologen Petrit Alimi über die aktuellen Ereignisse sprechen. Er berichtet über die Problematik von Hinterhof-Moscheen, das Leben als Muslim in Luzern und weshalb der eine Schlag ins Gesicht für ihn einer zu viel war.

Vergangene Woche verschickten die sechs Luzerner Religionsgemeinschaften gemeinsam eine Stellungnahme zu den Attentaten in Paris (zentral+ berichtete). Unterzeichnet unter anderem von der islamischen Gemeinschaft. zentral+ sprach mit dem Islam-Theologen Petrit Alimi. Er studierte in Sarajevo Religionspädagogik und Islamwissenschaften. Heute arbeitet der 45-Jährige im Gesundheitswesen und engagiert sich ehrenamtlich für ein besseres Zusammenleben.

Als Erstes will Alimi eine kurze Geschichte erzählen – ein eindrückliches Erlebnis mit seiner damals sieben Jahre alten Tochter. Auf einer Reise in seine Heimatstadt Ohrid in Mazedonien habe sie mitbekommen, wie Kirche und Moschee zwanzig Meter nebeneinander stehen. Zurück in Luzern habe er mit ihr die lokale Moschee besucht. Da habe die kleine Tochter gemeint: «Papi, das ist keine Moschee, sondern eine Garage.» Von Identifizierung mit einem Haus des Glaubens keine Spur. Dies verdeutliche eines der Hauptprobleme der islamischen Gemeinde hier in der Schweiz, so Alimi: «Wir brauchen Moscheen, nicht Garagen».

zentral+: Herr Alimi, vergangene Woche verschickten die Luzerner Religionsgemeinschaften eine gemeinsame Stellungnahme. Wie erleben Sie als Muslim die Zusammenarbeit der Luzerner Religionsgemeinschaften?

17'000 Muslime im Kanton Luzern

Im Kanton Luzern existieren fünf Moscheen. In jeder Moschee sind 300 bis 500 Muslime am aktiven Leben beteiligt. Damit der Glaube aber offen und transparent gelebt werden kann, fordert Petrit Alimi die Abkehr von diesen fünf marginalisierten Hinterhof-Moscheen und die Errichtung eines «echten» Zentrums.

Denn zusätzlich zu den aktiv Praktizierenden gebe es auch in der islamischen Gemeinde bei grossen Festen, etwa dem Opferfest, dem Fastenmonat Ramadan oder dem Fastenbrechenfest einen Anstieg von Besuchern in den Hinterhof-Moscheen. Dort fehle es an Platz für die Frauen und die Jugendarbeit, so Alimi.

Petrit Alimi: Die Muslime pflegen konstruktive Beziehungen mit den drei Landeskirchen des Kantons Luzern und der Katholischen Kirchgemeinde der Stadt Luzern. Wir arbeiten konstruktiv daran, die gegenseitigen Vorurteile und Ängste abzubauen und Vertrauen zwischen den Menschen zu schaffen. Weiter treiben wir die Integrationsprozesse der Islamischen Gemeinde Luzern (IGL) voran und fördern das friedliche Zusammenleben der Religionsgemeinschaften aktiv. Dieser Prozess wurde auf unsere Initiative hin angestossen. Die IGL pflegt auch gute Beziehungen mit anderen Religionsgemeinschaften, etwa dem Hinduismus oder Buddhismus.

zentral+: Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie von den Anschlägen in Paris gehört haben?

Alimi: Ich hatte verschiedene schlimme Gedanken. Mich beschlich ein ungutes Gefühl, als ich das grosse Leid sah. Meine Gedanken drehten sich um die menschlichen Tragödien rund um die Katastrophe, die sich vor unseren Augen abspielte. Das gilt nicht nur für Paris, sondern auch für die Anschläge in Ankara, im Libanon oder für den tagtäglichen Terror und das Chaos in den arabischen Ländern. Da stellt sich die grosse Frage nach dem «Warum?».

zentral+: Diese Terroristen sagen, sie würden im Namen Allahs und des Islam handeln, also Ihrer Religion. Wie erklären Sie sich das?

Alimi: Die Meldung, dass die Attentäter im Namen Allahs, des Islam, diese wahnsinnigen und grauenhaften Anschläge verübten, machten mich tief betroffen. Dieses Verbrechen richtet sich unter anderem auch gegen den Islam als Weltreligion selbst und seine universellen Werte wie Frieden, Gerechtigkeit, Liebe oder Barmherzigkeit. Dieser Akt des inszenierten Terrors, der sich zunächst an Muslime richtet, an die Menschen, die hier in Europa leben und gegen die Menschheit als Ganze, ist grauenvoll. Der Koran und der letzte Gesandte Gottes, Muhammed, sowie alle anerkannten, renommierten Islam-Gelehrten weltweit lehnen diese Barbarei entschieden ab. Lassen Sie mich hierzu vier Stellen aus dem Koran zitieren:

« … wer einen Menschen tötet, ohne dass dieser einen Mord begangen oder Unheil im Lande angerichtet hat, soll wie einer sein, der die ganze Menschheit ermordet hat. Und wer ein Leben erhält, soll sein, als hätte er die ganze Menschheit am Leben erhalten … »

Koran, 5:32

«Siehe, Gott gebietet Gerechtigkeit und das Tun des Guten und Grosszügigkeit und Liebe gegenüber (den) Mitmenschen; und Er verbietet alles, was schmachvoll ist, und alles, was der Vernunft zuwiderläuft, wie auch Neid; (und) Er ermahnt euch (wiederholt), auf dass ihr (all dies) im Gedächtnis behalten möget.»

Koran, 16:90

« … und tue Gutes, wie Gott dir Gutes getan hat; und begehre kein Unheil auf Erden; denn Gott  liebt die Unheilstifter nicht.»

Koran, 28:77

«Und helft einander in Rechtschaffenheit und Frömmigkeit; doch helft einander nicht in Sünde und Übertretung.»

Koran, 5:2

Daher ist für mich als Islam-Theologe und Schweizer Bürger absolut klar, dass ein solcher barbarischer Akt nur von Menschen vollzogen werden kann, welche die Lebensorientierung in dieser Welt total verloren haben. Sie sind von sektiererischer Ideologie der sogenannten «IS-Terror-Miliz» geprägt, von bezahlten hirngewaschenen Mördern, Geheimdiensten des zerfallenen Irak, die als Ziel haben, Chaos, Angst und Unheil auf der Erde zu stiften. Diese Terror-Miliz in Syrien und dem Irak ist aber nicht von ungefähr entstanden. Sie ist ein Produkt eines jahrzehntelangen Prozesses des aggressiven Amerikanismus und des Eurozentrismus, der den Nährboden und das Chaos für dieses Unheil vorbereitet hat.

zentral+: Können Sie das etwas präzisieren?

Islam-Theologe Petrit Alimi

Islam-Theologe Petrit Alimi

Alimi: Statt einer Versöhnung mit dem Islam und der arabischen Welt wurden stellvertretende Kriege in diesen Ländern geführt und Allianzen mit despotischen, brutalen Regierungen eingegangen, welche die Menschen in der Wiege ihrer Kulturen und Zivilisationen, ihrer Freiheit beraubten und jeglichen Fortschritt unterbunden haben. Über Jahrzente ist in Hollywood-Filmen, den Medien und der Politik nach dem Kalten Krieg kontinuierlich das Feindbild Islam konstruiert worden. Das Bild, wonach alle Araber potenzielle Terroristen seien. Dabei waren es gerade die Araber, die dem Westen etwa in Spanien oder ganz Südeuropa Kultur, Wissenschaften und Gebote der Toleranz und Koexistenz zwischen Religionen brachten.

zentral+: Müssen Sie sich hier oft für Ihre Religionszugehörigkeit entschuldigen oder erklären?

Alimi: Ja, da besteht kein Zweifel. Die Muslime stehen unter Generalverdacht und werden für jede Tat – ich betone: un-islamische Tat – sofort gebrandmarkt, stigmatisiert und auf die Anklagebank der Öffentlichkeit gebracht. Sie müssen Rede und Antwort stehen und ihre Hände in Unschuld waschen.

zentral+: Werden Sie seit den Ereignissen in Paris vermehrt angefeindet, weil Sie Muslime sind?

Alimi: Gott sei Dank nicht. Wir haben das Glück, hier in der Schweiz zu leben. Ich bete permanent, dass so ein Unheil in der Schweiz nie passiert und auch sonst nirgendwo mehr in der Welt.

«Die Annahme des Minarettverbots war für mich persönlich ein harter Schlag ins Gesicht.»

Petrit Alimi

zentral+: Wie erleben Sie die Haltung der nicht-muslimischen Luzerner Bevölkerung Ihnen gegenüber?

Alimi: Mir gegenüber persönlich positiv. Ich bin als Schweizer Bürger vollkommen in der Gesellschaft integriert. In meinem Umfeld habe ich viele Schweizer Freunde, die mich schätzen und froh sind, dass sie jemanden haben, der über Islamverständnis verfügt. Ich versuche ihnen ein differenziertes Bild der Muslime zu vermitteln, sei es bei interreligiösen Begegnungen, am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft. Unsere Beziehungen sind von gegenseitigem Vertrauen, Wertschätzung und Freundschaft geprägt.

zentral+: Worin liegt der Reiz, sich dermassen zu radikalisieren und, wie die Pariser Terroristen, sein Leben aufs Spiel zu setzen?

Alimi: Der Hauptgrund liegt im fehlenden offenen und differenzierten Islamverständnis. Es ist unklar, wer was sagt und wer die heiligen Texte des Islam wie interpretiert. Weiter haben wir das Phänomen des Ghettoismus, das Entstehen von Parallelgesellschaften, religiöse Diskriminierung, die Verbreitung von «neoradikalen Salafisten», das von den ultrarechten Parteien in Europa geführte Blockdenken und damit verbunden der Anstieg von Rechtsextremismus, Rassismus, islamophober und xenophober Meinungen, die kontinuierliche negative Berichterstattung aus der islamischen Welt, etwa beim Israel-Palästina-Konflikt und die modernen zerstörerischen Kriege in der arabischen Welt. Alles begünstigt durch das digitale Zeitalter und die rasante Verbreitung durch die sozialen Medien. Speziell hier in Luzern gilt es, die ungenügende Repräsentation sichtbarer Moscheen, die fehlende öffentlich-rechtliche Anerkennung durch mangelnde Organisationsstrukturen, der fehlende Islam-Unterricht an den Schulen und die zu geringe Anzahl an Islam-Theologen und Pädagogen, die sich an Schulen, in Gefängnissen oder in Spitälern am interreligiösen Dialog beteiligen und vor allem Jugendarbeit leisten, zu erwähnen.

zentral+: Vor Ihnen liegt also noch viel Arbeit?

Alimi: Ehrlich gesagt, habe ich mich 2012 etwas zurückgezogen. Wir hatten über Jahre sehr viele konstruktive Gespräche. Aber die Politik weicht völlig ab und ist daran nicht interessiert. Die öffentlich-rechtliche Anerkennung scheiterte (zentral+ liess in einem Pro&Contra Befürworter und Gegner zu Wort kommen), und die Annahme des Minarettverbots war für mich persönlich ein harter Schlag ins Gesicht. Jahrelange Bemühungen wurden zunichte gemacht. Die Enttäuschung war gross, und ich habe mich entschlossen, mir das nicht mehr länger anzutun. Ja, ich habe etwas resigniert und anschliessend die Prioritäten stärker auf meine Familie gesetzt. Die Behörden kennen unsere Ressourcen, und wenn das Interesse wieder aufkommt, bin ich gerne zu Gesprächen bereit.

«Man darf den Islam als solchen nicht für das un-islamische Benehmen so mancher Muslime verantwortlich machen.»

Petrit Alimi

zentral+: Eine weitere Befürchtung ist, dass mit den vielen Flüchtlingen auch Terroristen einreisen könnten. Was sagen Sie dazu?

Alimi: Das kann man nicht ausschließen. Aber jetzt Politik auf Kosten der Menschen zu machen, die vertrieben worden sind und ums nackte Überleben kämpfen, ist fatal. Das verstösst gegen die hochgehaltenen Werte: Humanität, Solidarität oder Nächstenliebe. Diese Politik verstösst gegen die Menschlichkeit und richtet sich gegen die Schwächsten. Ich appelliere an die politischen Machtzentren, Frieden und Fortschritt in die arabische Welt zu bringen: Versöhnung statt Konfrontation, lautet die Lösung. Diesen Menschen soll so geholfen werden, damit sie in ihren Ländern bleiben können. Es ist an der Zeit, dass die westliche Welt ihren guten Willen gegenüber der islamischen Welt beweist. Auch weil sie eben viel stärker ist als die islamische Welt, muss das Abendland Europa den ersten Schritt in Richtung einer besseren Verständigung und Versöhnung tun. Alles andere ist Zynismus und militärische Besatzung und Konfrontation, die uns in Angst versetzen und zu totaler Zerstörung führen.

zentral+: Nach jeder Terrorattacke gibt es hier Stimmen, die sagen, dass sich die Schweizer Muslime vor diesen Anschlägen distanzieren sollten. Das geschieht aber selten. Wie stehen Sie dazu? Was spricht dafür, was dagegen?

Alimi: So kritisch sehe ich das nicht. Die Muslime distanzieren sich permanent von Terroranschlägen, die im Namen des Islam verübt sind. Seit dem 11. September 2001 distanzieren sie sich immer stärker und geben zu wissen, dass wir alle in einem gemeinsamen Haus wohnen – das ist hier in Europa. Christen, Juden und Muslime bilden gemeinsam das Identitätsbild Europas. Sie standen in der Vergangenheit in wechselseitigen Beziehungen, leben in Gegenwart zusammen und werden die Zukunft Europas positiv prägen. Ich möchte aber noch etwas weiteres anfügen: Wir Muslime machen weder Christus noch seine Lehre für etwaige Übeltaten von Menschen, die sich «Christen» nennen, verantwortlich. Als Beispiel dazu etwa Andre Breiviks Terror in Norwegen. Dasselbe Recht verlangen wir auch. Man darf den Islam als solchen nicht für das un-islamische Benehmen so mancher Muslime verantwortlich machen. Falls Freiheit etwas Wertvolles ist, muss sie nicht nur den Völkern Europas, sondern auch den muslimischen Völkern (Arabern) angesichts des Arabischen Frühlings zugestanden werden. Aber ist das tatsächlich mit Ägypten, Libyen und Syrien so geschehen – geschweige denn mit Palästina seit 60 Jahren?

zentral+: Braucht es im Kanton Luzern Massnahmen, damit das Neben- oder Miteinander zwischen den Religionen besser funktioniert?

Alimi: Wir haben bis jetzt ein gutes Neben- oder Miteinander zwischen den Religionen in Luzern. Das müssen wir weiterhin pflegen – wie eine Pflanze, die Licht und Wasser braucht, so brauchen die Religionsgemeinschaften den Dialog und das Wetteifern, Gutes zu tun. Lassen Sie mich hierzu zwei Stellen aus dem Koran zitieren:

«O Volk der Schrift, kommt herbei zu einem gleichen Wort zwischen uns und euch, dass wir nämlich Gott allein dienen und nichts neben Ihn stellen und dass nicht die einen von uns die anderen zu Herren nehmen ausser Gott …»

Koran, 3:64

« … Jedem von euch gaben wir ein Gesetz und einen Weg. Wenn Gott gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinde gemacht. Doch Er will euch in dem prüfen, was Er euch gegeben hat. Wetteifert darum im Guten …»

Koran, 5:48

Weiter ist die Chancengleichheit für Schweizer Muslime zu stärken. Sie müssen gleiche Bildung erfahren und in die Arbeitswelt integriert werden. Um die Beziehungen qualitativ noch besser zu gestalten, ist es die Aufgabe der IGL, mittels Integration und der Zusammenarbeit mit den Behörden, der Politik und der christlichen Partner die Muslime von den Hinterhof-Moscheen zu befreien und ein würdiges zentrales Glaubens- und Kulturzentrum – eine Moschee in der Stadt Luzern zu errichten.

Die Muslime in Kanton Luzern sind mittlerweile Vertreter einer zweiten und dritten Generation. Sie sind hier aufgewachsen und sozial gut integriert. Es muss aber hier im Kanton Luzern und auch schweizweit die gegenseitige Bereitschaft bestehen, einander auf Augenhöhe zu begegnen und besser zu erkennen. Nur so kann ein fruchtbares Verständnis entstehen, das vielleicht eines Tages auch zu wahrem Vertrauen führt. Dies könnte als Pfeiler für ein friedliches Zusammenleben in Gerechtigkeit, Liebe und gegenseitiger Wertschätzung dienen.

Konkrete Forderungen der IGL
  • Öffentlich-rechtliche Anerkennung
  • Repräsentation durch sichtbare Moschee in Luzern
  • Chancengleichheit in Bildung und Beruf
  • Ausgeprägter konstruktiver politischer Diskurs
  • Schaffung einer vollamtlichen Stelle eines Islam-Beauftragten
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