Luzern durch die Augen historischer Berühmtheiten

Die verkannte Muse

Sophia Loren in der Nähe des Bürgenstocks; Zeitpunkt unbekannt. (Bild: Ron Stocker's United Archives Zurich)

Ob Tolstoi, Kaiserin Sissi oder Audrey Hepburn: Luzern hatte sie alle. Internationale Künstler, Literaten, Politiker, Schauspieler und Adelige verweilten in den vergangenen Jahrhunderten in der Gegend. Manch einer schloss hier sogar den Bund fürs Leben.

«Sie ist so verführerisch vollkommen», schreibt Henry James 1875 über die Aussicht von Luzern auf die Berge, «dass sie wie ein künstliches Spektakel wirkt. Wie eine Oper, bei der unzählige Bühnenarbeiter und emsige Impresarios hinter den Kulissen wirken.» Mit seiner Begeisterung ist der US-Romancier nicht allein.

«Luzern ist eine bezaubernde Stadt.»

Franz Kafka

Auch der deutsche Schriftsteller Heinrich Zschokke notiert 1838, dass es wenige Landschaften gebe, «die eine vergleichbare Theatralik und Kulissenhaftigkeit aufweisen wie der Vierwaldstättersee. Ihm ist etwas Opernhaftes, etwas Effektheischendes eigen». Mark Twain, Schöpfer des berühmten Kinderromanhelden Tom Sawyer, verbringt den Sommer des Jahres 1897 am Vierwaldstättersee und hält in seinem Reisebericht fest: «Luzern ist eine bezaubernde Stadt.» Auch Franz Kafka macht sich Notizen, allerdings fällt sein Fazit zum Ort etwas nüchterner aus: Er bedaure, dass man im Hotel Rebstock zum Nachtessen keine Früchte serviere.

Liebling der Literaten

Luzern, ein Magnet für Literaten? In der Tat zieht die Stadt im 19. Jahrhundert Intellektuelle aus ganz Europa an, nachdem Schiller der Innerschweiz mit seinem Drama um Wilhelm Tell ein Denkmal setzte. Reisende wollen die Schauplätze aus dem gefeierten Werk mit eigenen Augen sehen. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts vereinfacht ein besser ausgebautes Schienennetz den Weg ins Herz der Schweiz, dessen Strahlkraft offenbar nicht nur auf Freunde des geschriebenen Wortes wirkt.

1859 verbringt der Komponist Richard Wagner gleich mehrere Monate in Luzern, quartiert sich im Hotel Schweizerhof ein. Dort scheuen Bedienstete keine Mühen, ihm die gewünschte Ruhe zu verschaffen: Sie verbannen Kinder von seinem Stockwerk, dichten die Tür zum Nachbarzimmer mit einer Matratze ab. Der Aufwand lohnt sich: Am 6. August beendet Wagner in seinem Zimmer mit Seeblick die Oper «Tristan und Isolde».

«Es war die Erhabenheit der Natur, welche die Leute anzog.»

Erwin Horat, Historiker

Was Literaten und Künstler zur Muse ernennen, wird auch zum Liebling der Reichen und Schönen. Ab 1863 verkauft der englische Reiseanbieter Thomas Cook geführte Reisen in die Innerschweiz. Die Hautevolee lässt nicht lange auf sich warten: 1868 besteigt Königin Victoria von England mit ihrer Gefolgschaft die Rigi, erkundet Luzern, Morschach und auf dem Dampfschiff den See. Auf die Monarchin folgen Gutbetuchte vom ganzen Kontinent. «Es war die Erhabenheit der Natur, welche die Leute anzog», sagt Historiker Erwin Horat vom Staatsarchiv Schwyz. Die hat freilich ihren Preis: Zehn Franken kostet ein Retourbillett mit der Rigibahn, die 1871 ihren Betrieb aufnimmt. Kein Spass für den kleinen Mann, wie Horats Vergleich deutlich macht: «Ein Weber verdiente damals 26 Rappen pro Stunde, ein Giesser etwa 50 Rappen.»

Die Bürgenstock-Kapelle, in der Audrey Hepburn heiratete (Bild: Ron Stocker's United Archives Zurich: www.magnusbogucki.com)

Die Bürgenstock-Kapelle, in der Audrey Hepburn heiratete (Bild: Ron Stocker’s United Archives Zurich: www.magnusbogucki.com)

Die Faszination der Bergwelt, die Saga des Tell und der Fussabdruck, den prominente Besucher hinterlassen, schüren die Reiselust und machen ein einst ärmliches Städtchen zum touristischen Epizentrum. Anfang des 20. Jahrhunderts hat Luzern zwar nur 40’000 Einwohner, aber 3’000 Hotelangestellte, 200’000 Gäste und mehr als eine halbe Million Logiernächte pro Jahr. Die Belle Epoque des Luxustourismus erreicht ihren Höhenpunkt. Die Flaggschiffe dieser Ära sind Nobelherbergen, die sich mit illustren Namen schmücken.

Im «Des Balances» residiert der irische Dichter George Bernard Shaw, der «Schweizerhof» beherbergt nach Richard Wagner Ikonen wie die Opernsängerin Nellie Melba oder den russischen Schriftsteller Lew Tolstoi, der sich über die steifen und knausrigen Engländer im Haus ärgert. In seiner Novelle «Luzern», die er im «Schweizerhof» schreibt, bekommen aber nicht nur die Snobs, sondern auch die Hotelangestellten ihr Fett weg. Sie mögen den Schriftsteller kaum bedienen, als er einmal in Begleitung eines Strassenmusikers auftaucht: «Der Kellner blickte uns lächelnd an und lief vorüber, ohne zu antworten. Der Oberkellner musterte die kleine schüchterne Gestalt des Sängers vom Kopf bis zu den Füssen und sagte dann mit strenger Miene dem Portier, er möchte uns in den Saal links geleiten. Dieser Saal war die Schwemme für gewöhnliches Volk.»

«Die Zwischenkriegszeit war zu kurz, um dem Tourismus neue Impulse zu geben.»

Erwin Horat

Das gemeine Volk hat auch im 1871 eröffneten «Grand Hotel National» nichts zu suchen, wo sich Prominenz aus Adel und Kunst die Klinke in die Hand geben. Mitglieder der bourbonischen und der preussischen Königsfamilie logieren im Luxushaus, auch Kaiserin Elisabeth von Österreich, der Nachwelt besser bekannt als Sissi, lässt es sich hier gutgehen. Im Fünfsternehaus sind nicht nur die Besucher, sondern auch die Gastgeber prominent. 1873 übernimmt der berühmteste Hotelier aller Zeiten, Cäsar Ritz, das Zepter. Für die Küche verpflichtet der Gründervater der heutigen Luxuskette Ritz-Carlton den französischen Meisterkoch Georges Auguste Escoffier, der als Schöpfer der Haute Cuisine gilt.

Der Glanz verblasst

Das mondäne Leben nimmt ein abruptes Ende, als 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht. Auch als die Schlachtfelder vier Jahre später geräumt sind, bleiben die Hotels in Luzern leer. «Die Zwischenkriegszeit war zu kurz, um dem Tourismus neue Impulse zu geben», sagt Historiker Horat, «zudem waren grosse Teile der europäischen Oberschicht verarmt.» Berühmte Besucher, die Luzern in der Zwischenkriegszeit die Ehre geben, sind vor allem solche, die Ruhe für ihre Schaffenskraft suchen.

Etwa der russische Komponist Sergej Rachmaninoff, der von 1929 bis 1939 mit seiner Familie auf der Halbinsel Hertenstein wohnt und dort nach einer Sinnkrise wieder zum Komponieren zurückfindet. In Weggis entstehen unter anderem seine «Paganini-Variationen». Diskretion und Ruhe scheinen auch jene Pluspunkte zu sein, die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder berühmte Namen in die Region locken. Zwar gelingt es Luzern nicht, an die goldene Ära der Jahrhundertwende anzuknüpfen, in der die Reichen und Schönen in Scharen anreisten. Man ist nun nicht mehr Ferienoase der Oberschicht, sondern Ausflugsziel für Otto Normalbürger. Luzerns Glamour verblasst zwar etwas, dafür gewinnt sein Umland an Bedeutung.

«Man befindet sich hier an einem der wenigen noch verbliebenen Orte dieser unruhigen Welt, wo man in den tiefsten Frieden eintauchen kann.»

A.J. Cronin

Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Bürgenstock. «Man befindet sich hier an einem der wenigen noch verbliebenen Orte dieser unruhigen Welt, wo man in den tiefsten Frieden eintauchen kann», schreibt etwa der US-Schriftsteller A.J. Cronin in den Sechzigerjahren über den Berg. Fritz Frey, der die drei Bürgenstock-Hotels 1953 von seinem Vater übernimmt, beherbergt Politgrössen wie Jimmy Carter, Henry Kissinger und Konrad Adenauer, sitzt mit Golda Meir und Indira Ghandi beim Fondue. 1954 feiert Audrey Hepburn in Freys privater Kapelle Hochzeit, später wohnt sie im Landhaus nebenan. Auch Charlie Chaplin steigt hier ab, und 1964 flitzt Sean Connery als James Bond im Hammetschwandlift auf den Bürgenstock. Sophia Loren ist Dauergast im Resort, verbringt mit ihrem Mann jeweils mehrere Wochen da. Hotelier Frey stellt sicher, dass die Crème de la Crème unter sich bleibt, verscheucht touristisches Fussvolk von der Pforte seiner Kultstätte, indem er seine Portiers jeden Fremdling, der sich in der Nähe der drei Nobelhäuser aufhält, gnadenlos unter die Lupe nehmen lässt. «Ich bin nicht dafür, dass Touristen da hinkommen, wo Kaviar gegessen wird», sagt er 1963 einem deutschen Journalisten, «das ist einfach nicht gut.»

Wo sind die Stars von heute?

Mag sein, dass die Hoteliers von heute diesem Motto treu geblieben sind und deshalb kaum etwas durchsickert von all den wohlklingenden Namen, die Luzern und Umgebung womöglich heute noch beehren – in aller Heimlichkeit natürlich. Im Internet jedenfalls sonnt man sich im Glanz der Vergangenheit, wenn es um prominenten Besuch geht. Seine Geschichte habe es in sich, schreibt etwa das Luzerner Hotel «Wilder Mann» auf seiner Webseite, hätten doch immer wieder prominente Gäste das Haus beehrt: «Keine aktuellen Stars, sondern Persönlichkeiten, die an gute alte Zeiten erinnern.» Wie eben, schon klar, Sophia Loren. Der altehrwürdige «Schweizerhof» greift auf Winston Churchill zurück, wenn es um hochkarätige Namen auf der Gästeliste geht.

Wo sind sie denn, «die aktuellen Stars»? «Wenn einer eincheckt, schreiben wir das nicht an die Türe», sagt Mike Hauser, Mitinhaber des «Schweizerhofs». Diskretion, sagt er, sei in seinem Metier oberstes Gebot, gerade heutzutage. «Luzern war nie ein ausgesprochener Promi-Hot-Spot», findet derweil Sibylle Gerardi von Luzern Tourismus. «Dafür dürfen wir uns über die Vorreiterrolle freuen, die unsere Region hatte, als es darum ging, den Tourismus einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.» Ins gleiche Horn bläst Historiker Horat. Die Leistung der Destination Luzern bestehe vor allem darin, dass sie es geschafft habe, seit den ersten Pauschalreisenden im 19. Jahrhundert in diesem Segment attraktiv zu bleiben, sich an verändernde Umstände anzupassen und sich, man denke etwa an Asien, immer wieder neue Zielgruppen zu erschliessen. Ja, wer weiss: Vielleicht geht Kim Kardashian auch einfach in einer Schar von Chinesen unter, wenn sie gemächlichen Gemüts durch die Luzerner Altstadt flaniert. So entspannt, als sei sie nie dagewesen.

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