Infoabend zum Krienser Asylzentrum

Diffuse Ängste und aufgeheizte Stimmung

Im ehemaligen Krienser Motel Pilatusblick eröffnet ein Zentrum für unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMAs). (Bild: ©Emanuel Ammon/AURA)

Bald sollen im einstigen Motel Pilatusblick in Kriens 70 unbegleitete minderjährige Asylsuchende untergebracht werden. Was schon seit einiger Zeit in den Medien und der Politik für Aufruhr sorgt, wurde am Montagabend auch im Kreise der Anwohnerschaft äusserst emotional diskutiert.

Der kleine Saal im ehemaligen Motel Pilatusblick ist zum Bersten voll. Zahlreich ist sie erschienen, die Krienser Anwohnerschaft. Sie hat viele Fragen. Bereits in der kommenden Woche sollen hier 70 sogenannte UMA, also unbegleitete minderjährige Asylsuchende, ein vorübergehendes Zuhause finden (zentral+ berichtete). Das bereitet vielen Kopfzerbrechen. Man rückt zusammen, immer mehr, es ist schon jetzt heiss und stickig im Saal. Doch nicht nur temperaturtechnisch heizt es ein – die Stimmung kippt bereits jetzt. Schnell wird nämlich klar, dass der Raum nicht alle Interessierten fassen kann. Weit über hundert Anwohnerinnen und Anwohner haben sich eingefunden.

 

Fehlkalkulation bei der Raumwahl

Es tue ihm leid, entschuldigt sich Gemeinderat Lothar Sidler zur Begrüssung bei den Anwohnern. Er muss seine Stimme heben, damit ihn auch jene verstehen, die gedrängt in der Nähe des Eingangs stehen, weil sie sich keinen Platz mehr auf einem der Holzbänke ergattern konnten. Er hätte nicht gedacht, dass so viele erscheinen würden, und jetzt bitte er jene, die keine Anwohner seien, den Raum zu verlassen, fährt Sidler fort. Verärgertes Raunen ist aus der Menge zu vernehmen. Es würde eine zweite solche Informationsveranstaltung geben, verspricht er. Vereinzelte verlassen kopfschüttelnd den Saal.

Nach einem Hinweis an die Presse – keine Fotos, Ton- und Bildaufnahmen – beginnt endlich die eigentliche Versammlung. Nebst Lothar Sidler haben sich unter anderem Ruedi Fahrni, Asyl- und Flüchtlingskoordinator Kanton Luzern, Pius Ludin von der Luzerner Polizei sowie Patrick Klausberger und Jenny Bolliger, die beide mit Flüchtlingen arbeiten, eingefunden. Was auffällt: Von Anfang an wird eine defensive Strategie gewählt. Man verteidigt sich bereits, bevor die Fragen der verärgerten, der besorgten, fast schon ängstlichen Bewohner überhaupt auftauchen. Doch dazu später.

11.50 Franken pro Tag

Den Anfang macht Ruedi Fahrni. Ausführlich legt er den Ablauf eines Asylverfahrens dar. Dann spricht er den ersten grossen Knackpunkt an: die Finanzen. «Der Kanton trägt die Kosten und auch die Verantwortung», sagt er. 11.50 Franken bekomme ein erwachsener Asylsuchender pro Tag. Er geht schon jetzt auf mögliche Proteste ein; 3.50 Franken könnten da aber auch abgezogen werden, als Sanktionsmassnahme.

Die SVP Kriens zeichnete bereits im Vorfeld ein düsteres Bild von der Situation (zentral+ berichtete): Messerstechereien, Vergewaltigungen, Raubüberfälle und Einbrüche. Zu erwarten von 11- bis 17-Jährigen, wohlgemerkt. Diese Ängste sind bei einigen Anwohnern wohl real. Obwohl andere Worte dafür gewählt werden, so stehen sie doch in aller Deutlichkeit im Raum.

70 Kinder und Jugendliche aus Krisenländern bewohnen ab Mitte November das ehemalige Motel Pilatusblick.

70 Kinder und Jugendliche aus Krisenländern bewohnen ab Mitte November das ehemalige Motel Pilatusblick.

(Bild: zvg)

Strategie der Rechtfertigung

Gewalt werde nicht toleriert, sagt Patrick Klausenberger. Und Jenny Bolliger sieht sich offenbar angesichts der Stimmung genötigt zu betonen, dass das doch ganz normale Kinder seien. Die beiden haben langjährige Erfahrung in der Flüchtlingsarbeit und versuchen, ihre Arbeit zu veranschaulichen; versuchen, einen komplexen Sachverhalt kurz zusammenzufassen; was die Minderjährigen in ihren Heimatländern Schwieriges erlebt haben, welche Strapazen sie auf sich nehmen mussten, um ins sichere Europa zu gelangen. Als dann auch noch Polizist Ludin versichert, dass er noch von keinen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit UMA gehört habe, scheint es, als habe man alles versucht, um den argwöhnischen Fragen von Vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch so einfach ging’s dann doch nicht.

«Ich habe drei Kinder»

Das wohl am häufigsten gebrauchte Wort an diesem Abend: «sensible Zonen». Bereiche also, in denen sich die Asylsuchenden nur in Begleitung ihrer Betreuungspersonen aufhalten dürfen, wie zum Beispiel Areale von Gewerbebetrieben oder Schulgebäude während der Unterrichtszeit. Wie man denn so eine «sensible Zone» beantragen könne? Warum denn dieser oder jene Ort keine «sensible Zone» sei? Das schlagende Argument dabei: «Ich habe drei Kinder» oder «Meine Kinder gehen da abends vorbei, wenn sie ins Training müssen».

«Man weiss doch, dass junge Menschen in diesem Alter nur Flausen im Kopf haben.»

Bewohner von Kriens

Die 11- bis 17-jährigen Flüchtlinge, die bald das ehemalige Motel Pilatusblick bewohnen werden, werden von einigen Anwohnern keineswegs als harmlos eingestuft. Wie man sich das denn vorstelle, mit diesen testosterongeladenen Jugendlichen, lautet eine Frage. «Man weiss doch, dass junge Menschen in diesem Alter nur Flausen im Kopf haben», wirft ein anderer ein.

Man sei vor vollendete Tatsachen gestellt worden, lautet ein weiterer Hauptkritikpunkt. Lothar Sidler übernimmt dafür die Verantwortung und entschuldigt sich. In allen Details erklärt er, wie die Informationskette abgelaufen ist, und fasst die Beweggründe zusammen: Weil die Anwohner sowieso nicht mehr mitentscheiden konnten, habe man sich dafür entschieden, spät zu kommunizieren. Das Asylwesen sei ausserdem schnelllebig, fügt Ruedi Fahrni an, da würden rasch Entscheidungen gefällt und umgesetzt.

«Pflicht und Ehre, zu helfen»

Nebst den besorgten Stimmen gibt es auch andere im Saal. Eine ältere Dame sagt, sie verstehe diese Ängste nicht. Eine andere Anwohnerin empfindet es als «Pflicht und sogar Ehre, in diesen Zeiten Flüchtlingen beistehen zu können», und übt Kritik an der von der SVP Kriens geforderten Bürgerwehr. Sie erntet dafür Applaus. Auch andere Einwohner zeigen sich solidarisch: In seinem Verein könnte man Fussballspiele mit den Jugendlichen organisieren, offeriert ein Gemeindemitglied.

Um 21 Uhr wird die Diskussion beigelegt. Es wäre wahrscheinlich noch lange so weitergegangen; einige Fragen wiederholten sich. Der Vorschlag eines Anwohners kam gut an: In ein paar Wochen soll man sich doch wieder treffen, um darüber zu sprechen, wie sich die jungen Flüchtlinge in Kriens eingelebt haben.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von zombie1969
    zombie1969, 14.11.2015, 21:42 Uhr

    in ein paar Monaten die ersten wirklichen Integrationsprobleme mit den «Flüchtlingen» auftauchen, schwingt das Fähnchen ganz schnell wieder in die andere Richtung. Die meisten Bürger wissen das, und deswegen ergehen sie sich nicht in den gleichen Träumereien wie manche Tagträumer, für die jeder Neuankömmling eine Art verfolgter Heiliger ist.
    Geht auch hier irgendwann eine Bombe hoch, gebaut und gelegt von einem «Verfolgten» mit laufendem Asylantrag, wird sich das Ruder einmal mehr in Richtung Volkes Meinung legen.
    Nur, dass dann Volkes Meinung eben nicht mehr herzensgut ist, sondern vor Ablehnung, gar Hass triefend.
    Man ist daher besser beraten, Gefühle jeglicher Art aus der ganzen Sache herauszuhalten. Nur so kann man sinnvoll helfen, ohne sich zum Clown zu machen.

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