Luzerner Politexperte Olivier Dolder

Der heimliche Wahlsieger, der keiner sein will

Olivier Dolder liest viel und oft Zeitung – dies fast ausschliesslich auf dem Handy.

(Bild: rob)

Er ist der «Claude Longchamp der Innerschweiz»: Olivier Dolder ist immer dann gefragt, wenn es darum geht, die Politik zu erklären und vorauszusagen, welche Partei gewinnen und welche verlieren wird. An den Wahlen war der 30-jährige Luzerner auf allen Kanälen präsent. zentral+ traf den Politexperten, um ihn genauer kennen zu lernen. Und fand heraus, dass er gerne abhebt.

Normalerweise ist er immer prompt zur Stelle, wenn ein Journalist etwas von ihm wissen will. Warum gewinnt die SVP, wie viel legt sie zu, wie stark bricht die CVP ein, wer hat die besten Chancen, in den Ständerat gewählt zu werden: All das beantwortet der Politologe rasch, kompetent und in besonnener Art. Darum ist er in diesem Wahlherbst ein gefragter Mann – Fernsehen, Radio, Zeitungen und Online-Portale reissen sich um seine Analysen, Einschätzungen und Prognosen.

Anders ist es, wenn man ihn als Person zeigen will. Das müsse er sich erst noch überlegen, ist erst einmal die Antwort auf unsere Anfrage. Nach einem Tag Bedenkzeit treffen wir ihn dann doch zum Kaffee in der Luzerner Altstadt. Und sind erstaunt, wie jugendlich der zurzeit meistgefragte Experte in der Luzerner Politlandschaft daherkommt.

«Je mehr ich Auskunft gebe, desto häufiger werde ich angefragt.»

Olivier Dolder, Politexperte

Ein Schneeball-Effekt

Die erste Frage lockt ihn sogleich aus der Reserve: Dass er der heimliche Wahlsieger sei, verneint Dolder heftig. «Das stimmt natürlich überhaupt nicht. Es geht ja nicht um mich, sondern um die Politik.» Aber er bestätigt, dass er derzeit ein viel gefragter Mann ist. Seit er vor fünf Jahren bei der Luzerner Firma Interface, welche unter anderem Politstudien verfasst, begonnen hat, haben sich die Medienanfragen sukzessive gehäuft. Olivier Dolder hat dazu eine einfache Erklärung: «Je mehr ich Auskunft gebe, desto häufiger werde ich angefragt.»

Der Luzerner rührt in seinem Kaffee und schaut auf die Reuss hinaus. Er habe diese grosse Medienpräsenz nicht aktiv gesucht. «Es ist wie ein Karussell, das sich immer schneller dreht.» Dahinter stecke auch ein genereller Trend, der in der ganzen Schweiz zu beobachten sei, fügt er an. «Die Medien schreiben heute kaum mehr politische Artikel, ohne dazu eine Expertenstimme einzubauen.» Das hat möglicherweise damit zu tun, dass der immer schnelllebigere Journalismus dazu führt, dass vertiefte Analysen kaum mehr möglich sind. Diese Lücke kommt dem florierenden Experten-Business zu Gute. Schweizweit sind die Stars der Szene etwa der Politgeograf Michael Hermann und der am Fernsehen omnipräsente Claude Longchamps. In der Zentralschweiz hat sich langsam, aber sicher Olivier Dolder zum sicheren Wert entwickelt.

«Ich zucke immer etwas zusammen, wenn ich das Wort Experte höre. Das tönt nach einem, der alles viel besser weiss.»

Die Angst vor dem Experten-Titel

Ein Polit-Star will Olivier Dolder auf keinen Fall sein. «Ich zucke immer etwas zusammen, wenn ich das Wort Experte höre. Das tönt nach einem, der alles viel besser weiss.» Dolder sieht sich aber nicht als Besserwisser, der die Wahrheit gepachtet hat. «Ich finde die Bezeichnung Politikwissenschaftler treffender.» Er staune auch immer wieder, dass Journalisten, welche ihn anfragen, meinten, er wisse alles. «Das stimmt überhaupt nicht», sagt er. Es gebe viele Fragen, zu denen es keine Studien und Untersuchungen gebe. Deshalb müsse er häufig erst mal nachforschen und recherchieren, bevor er etwas sagen könne. «Die Frage etwa, ob vorfrankierte Wahlcouverts zu einer höheren Wahlbeteiligung führen, ist nicht so einfach zu beantworten.»

«Wenn ich etwas sage, muss es mehr als einfach ein Bauchgefühl sein.»

Warum nicht auch einfach mal die persönliche Meinung durchblicken lassen? Leichte Empörung zeichnet sich in seinem Gesicht ab. «Meine Meinung interessiert die Leute nicht.» Er versuche stets aufgrund vergleichbarer Fakten logische Schlüsse zu ziehen. Mit Kaffeesatzlesen habe seine Arbeit nichts zu tun, betont er. «Wenn ich etwas sage, muss es mehr als einfach ein Bauchgefühl sein.»

Wo steht er politisch?

Olivier Dolder gibt Analysen und Einschätzungen preis – von seiner persönlichen politischen Haltung weiss man nichts. Ist das sozusagen Berufsgeheimnis? Dolder überlegt einen Moment, um dann doch die Katze aus dem Sack zu lassen: Jeder habe schliesslich eine politische Haltung, «eine neutrale Position gibt es nicht». Darum verrät er: «Mein Herz schlägt links der Mitte.» Aber er sei aktuell nicht Mitglied einer Partei und betätige sich auch nicht politisch aktiv. «Mir gefällt die Rolle des Beobachters. Mir ist allerdings nicht egal, wie öffentliche Meinungen zustande kommen. Und vor allem, wie politische Debatten geführt werden.»

Zur Person

Olivier Dolder (30) wuchs in der Stadt Luzern auf, wo er auch heute noch lebt. Er studierte Politikwissenschaften an der Universität Genf sowie Public Management und Politik mit Schwerpunkt Volkswirtschaft am Hochschulinstitut für öffentliche Verwaltung in Lausanne und an der Universität Neuenburg. Seit 2010 arbeitet Olivier Dolder bei Interface im Bereich Organisation und Verwaltungsmanagement. Schwerpunkte seiner Arbeit stellen Organisations- und Strategieentwicklungen, die Evaluationsforschung, die Durchführung von Kosten-Nutzen-Analysen sowie Evaluationen im Bereich Wissenschaft und Forschung dar. Olivier Dolder unterrichtet an der Universität Luzern sowie an der Hochschule Luzern – Wirtschaft.

Als Politologe kann er seine eigenen politischen Meinungen ausblenden, versichert er. «Ich muss mich sowohl in rechte wie auch linke Denkweisen versetzen können, damit ich die jeweiligen Standpunkte nachvollziehen kann.» Das jedoch vor allem vor und nach Wahlen und Abstimmungen, was also keineswegs seine Haupttätigkeit ist: «Ich arbeite in erster Linie bei Interface als wissenschaftlicher Mitarbeiter, führe Evaluationen und Beratungsmandate durch und forsche zur Politikevaluation in der Schweiz».

Kaum mehr Papier in der Hand

Selbstverständlich liest, hört und schaut Olivier Dolder fast alles, was über Politik publiziert wird. Erstaunlich: Eine Zeitung hat der Politologe nicht abonniert. Da wird der eine oder andere gestandene Berufskollege wohl missbilligend den Kopf schütteln. Aber das kümmert ihn wenig. Dolder gehört zur neuen Generation, welche sich auf sämtlichen neuen Kanälen bewegt, egal ob Twitter, Facebook, Blogs oder Online-Medien. «Die relevanten Zeitungsberichte finde ich meist über meine Twitter-Timeline», erklärt er. So ist er immer informiert, wenn irgendwo etwas Spannendes veröffentlicht wird – ohne, dass er eine Zeitung aufschlagen muss.

«Ich lese praktisch alle Artikel auf dem Handy», gibt er zu. Das Smartphone ist denn auch sein ständiger Begleiter. Kann er auch mal abschalten und offline gehen? «Klar», meint dieser, obwohl dies eine Seltenheit sei.

Dreht sich bei ihm auch in der Freizeit alles um Politik? «Es macht mir Spass, mich auch zu Hause mit politischen Themen auseinanderzusetzen, aber mein Leben dreht sich nicht nur um das.» Über sein Privatleben will er nicht sprechen, «weil dies nichts mit meinem Job zu tun hat». Immerhin erfahren wir, was derzeit seine grosse Leidenschaft ist: Gleitschirmfliegen. «Das ist mein neues, grosses Hobby. Fliegen ist äusserst reizvoll, und man kann in der Luft wunderbar abschalten.»

Auch mal ziemlich daneben gelegen

Als Politik-Analyst muss Olivier Dolder immer wieder in die Zukunft schauen und Prognosen erstellen. Da kann man auch mal daneben liegen. So geschehen etwa in einem Artikel auf zentral+ kurz vor den Wahlen: «Das Gerede von einem Rechtsrutsch ist falsch», liess sich Dolder da zitieren. Zwei Tage später war klar, dass die SVP 11 Nationalratssitze gewonnen hatte. «Die Gefahr besteht immer, dass man sich verschätzt», so Dolder. Auch wenn man noch so seriös recherchiere und nachforsche.

Allerdings habe er damals die prozentualen Verschiebungen bei den Wähleranteilen der einzelnen Parteien gemeint. «Die haben sich tatsächlich bloss bei plus 2,8 Prozent bei SVP oder je minus 1,3 Prozent bei BDP und Grüne bewegt. Dass sich der Zuwachs bei der SVP nun gleich auf elf Sitze ausgewirkt hat, überraschte auch mich. Das hängt auch mit den jeweiligen Konstellationen in den Kantonen zusammen. Und da spielen halt sehr unterschiedliche Faktoren mit wie Listenverbindungen, Restmandate, Proporz-Glück und Proporz-Pech.» Schlaflose Nächte habe er deswegen aber nicht. «Sonst dürfte ich mich nicht mehr äussern.»

Dennoch gebe es schon stressige Momente, vor allem, wenn er vor der Kamera stehe. «Manchmal ärgere ich mich nachher, weil ich vielleicht zu wenig kurz und pointiert geantwortet habe.» Oder zu wenig verständlich. Denn das sei ihm wichtig: Was er sage, soll einfach und klar sein; ein Freund von hochintellektuellen Phrasen ist Olivier Dolder nicht. «Komplizierte Analysen, die niemand versteht, gibt es genug.»

Der ultimative Polit-Tipp des Experten

Die Demokratie in unserem Land bezeichnet Dolder als Glücksfall. Selbstverständlich geht er immer wählen und abstimmen. Gibt es auch Dinge, die ihn, den Polit-Insider, manchmal nerven? Auch hier braucht Olivier Dolder kurze Bedenkzeit. Doch, es gebe etwas, das ihn zuweilen störe. «Die Opferrolle gegenüber der SVP – das stört mich.» Ständig werde moniert, dass die SVP so viel Geld habe und mit Populismus punkte. «Aber man muss auch sehen, dass sie vieles richtig machen.» Statt gegen die Rechtspartei zu wettern, sollten die anderen Parteien doch besser schauen, was sie besser machen können. «Es ist schliesslich nicht verboten, etwas richtig zu machen.»

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