zentral+ liefert Antworten auf elementare Fragen

«Kunst ist Grundnahrungsmittel»

Der Zuger Kultur-Leiter Aldo Caviezel und der Künstler Lukas Hoffmann stehen Red und Antwort.

Wir haben Fragen zur Kunst gestellt. Ein Künstler und der Zuger Leiter des Amtes für Kultur geben Antwort. Oder versuchen es zumindest.

Wer an der Kunstpause ausstellen wollte, musste zuerst Fragen stellen: Fragen zur Kunst. Wir haben diese zusammengesucht und wollen jetzt Antworten. Und zwar vom Künstler Lukas Hoffmann und dem Leiter des Amts für Kultur Aldo Caviezel, der ausserdem bei der Band Humanoids spielt. Das Ganze findet bei Keksen und Kaffee statt. Vielleicht wäre Wein besser gewesen.

Aldo Caviezel: Vielleicht noch kurz zu unserer Definition hier. Wir nehmen beim Beantworten der Fragen Kunst als «die Künste» wahr, also nicht nur als die bildende Kunst, sondern auch als Musik, Tanz, Theater, Fotografie und so weiter.

zentral+: Okay. Also los. Ist Kunst Luxus?

Caviezel: (wie aus der Pistole geschossen) Sicher nicht, Kunst ist Grundnahrungsmittel.

Lukas Hoffmann: Auf Luxus kann man verzichten, auf Kunst nicht. Luxus ist ein schwieriger Begriff. Ist Luxus etwas, was man sich finanziell nicht leisten kann oder ist es Luxus, wenn man viel Zeit hat, um Dinge zu tun, die man gerne macht? Für mich ist Luxus das zweite. Wenn ich ein Konzert besuchen kann und dieses geniesse, dann ist das auch Luxus. Es geht da immer auch um eine Erfahrung, die man macht. Und diese Erfahrung kann man auch vor einem Bild oder einer Installation machen.

Caviezel: Das ist doch ein Grundbedürfnis des Menschen. Vielleicht weil er eine Grosshirnrinde hat, weil er das Bedürfnis hat, Dinge schöner zu machen, als es nötig ist. Schaut man sich Kinder an, die ja keine Ahnung haben von Kunstbegriff oder Kunstdiskurs, fällt auf: Die singen, zeichnen, gestalten, tanzen. Die drücken etwas in anderen Formen aus, als sie es den ganzen Tag lernen. Das ist in uns drin.

Hoffmann: Ja, das seh ich auch so. Ich weiss nicht, ob das Tiere auch machen…

Caviezel: Vielleicht… Schaut man den Möwen im starken Wind zu, fällt auf, dass sie sich einfach im Wind treiben lassen, ohne irgendeine Aufgabe wahrzunehmen. Es geht ihnen nur darum, im Wind herum zu hängen. Das hat mit Kunst wenig zu tun, kann aber ein Beispiel dafür sein, mehr zu tun als nötig wäre.

Hoffmann: Ja, das denk ich mir auch, dass Tiere auch mal nur geniessen können. Aber ob sie auch aktiv etwas schaffen können, wage ich nicht zu behaupten.

 

zentral+: Nächste Frage: Kann Kunst die Gesellschaft retten?

(Sie schweigen zunächst)

Hoffmann: Das ist ziemlich dogmatisch gefragt… Ich finde nicht, dass Kunst einen Zweck erfüllen muss. Das kann sie, aber das ist für mich nicht ein Zweck, irgendetwas zu retten. In meiner Kunst ist das Zweckfremde wichtig. Ich habe keine Botschaften. Erst recht keine moralischen.

Caviezel: Als Produzent will ich ja keine Idee von einer Gesellschaftsrettung haben. Sonst werde ich zum Moralisten. Und dennoch gibt es beispielsweise Bands, die sich das Missionieren auf die Fahne schreiben. Dort ist die Botschaft ganz wichtig. Dort ist jedoch die Kunst, also die Musik, viel eher ein Transportmittel und steht nicht für sich selber. Im besten Fall können die Songtexte der Literatur zugewiesen werden. Vielleicht sollte man hier eine Gegenfrage stellen… Ach nein.

zentral+: Fragen ist ebenfalls erlaubt.

Caviezel: Kann die Gesellschaft die Kunst retten? – Hm. Nein also, nochmals zurück auf die Ausgangsfrage. Man darf der Kunst keine solchen Funktionen aufbürden….

«Will man die Erde vor einem in die Erde einschlagenden Meteoriten retten? Kunst alleine reicht da nicht.»

Lukas Hoffmann, Zuger Künstler

Hoffmann: Nein, jedenfalls sicher nicht der Kunst als Gesamtes. Aber ich finde den Begriff auch schwierig: Die Gesellschaft retten. Was heisst das? In welcher Hinsicht will man die Gesellschaft retten? Im Kopf der Leute, durch medizinische Mittel, auf umweltproblematischer Ebene? Will man sie vor einem in die Erde einschlagenden Meteoriten retten? Kunst alleine reicht da nicht.

Caviezel: Dass Künste eine heilende Wirkung haben, ist klar. Siehe alle Therapien: Tanz, Theater, Malen. Das ist logisch, dass die Kunst eine Kraft hat, eine Wirkung.

zentral+: Gibt es nur Filmkunst, oder ist Film Kunst?

Hoffmann: Das ist klar. Es gibt Filme, die mit Kunst so gut wie nichts zu tun haben. Wenn man einen Waschmittel-Werbefilm betrachtet, hat auch dieser eine Mini-Dramaturgie, Protagonisten und typischerweise eine Botschaft. Aber eben diese Botschaft rückt es für mich ins Nicht-Künstlerische. Da können die Bilder noch so schön sein. Der Fokus liegt deutlich auf der Bewerbung des Produktes, dass das für mich klar keine Kunst ist.

Caviezel: Erich Langjahr und Quentin Tarantino. Das sind riesige Unterschiede. Jeder hat seine eigene künstlerische Sprache. Das Handwerk ist bestimmt eine Kunst. Es braucht ein gewisses Handwerk um Kunst zu machen. Aber es braucht viel mehr als das.

Hoffmann: Mir scheint wichtig, dass eine Tradition weitergeführt wird, dass der Film irgendwo anknüpft. Nehmen wir wieder die Waschmittel-Werbung, wo die Mama zuhause ist und das Persil in den Händen hat, dann kommt der Junge nach Hause vom Tschutten und hat Grasflecken auf dem T-Shirt. Da gibt es keine ernsthaften Bezüge zu kunsthistorisch relevanten Dingen.

Caviezel: Das sind dann mehr kulturelle Werte. Die Mutter ist zuhause, der Bub spielt Fussball und sicher nicht das Mädchen, und der Papa kommt erst nach Hause, wenn alles schön sauber ist.

Hoffmann: Genau, und dann können alle in die Kamera grinsen am Schluss. Klar gibt es da ferne Bezüge, wie die Mama gefilmt wurde, ob in einer Totalen oder Halbtotalen, wo man eine Brücke schlagen könnte zur Porträtmalerei der Renaissance, aber das steht nicht im Vordergrund. Und das ist das Entscheidende.

zentral+: Wofür brauchen wir die Kunst eigentlich?

Hoffmann: Die Frage hatten wir ja schon. Die Kunst ist eine wahnsinnige Bereicherung fürs Leben, die man nicht missen möchte.

«Mir ist es  wichtig, immer wieder aus diesem Fenster rausschauen zu können. Alles andere würde an Hospitalismus grenzen.»

Aldo Caviezel, Leiter des Zuger Amtes für Kultur

Caviezel: Man will ja zwischendurch aus dem Fenster schauen. Nehmen wir das Bild von der Kunst als Fenster und der Kultur als Spiegel. Kultur beginnt damit, wie wir miteinander umgehen und bildet das ganze Gefüge um uns und leitet mehrheitlich unser Handeln. Kunst dagegen beflügelt uns, macht uns wütend, traurig, provoziert uns, bringt uns zum Lachen, Träumen und zu neuen Erkenntnissen. Mir ist es wichtig, immer wieder aus diesem Fenster rausschauen zu können. Alles andere würde an Hospitalismus grenzen.

zentral+: Was heisst das?

Caviezel: Das wäre Eingeschlossenheit, Isolation.

Hoffmann: Und Kargheit.

«Kunst muss nichts!»

Aldo Caviezel, Leiter des Zuger Amtes für Kultur

Caviezel: Das sind negative körperliche und psychische Begleitfolgen eines Krankenhaus- oder Heimaufenthalts oder einer Inhaftierung. Hospitalismus kann auch als Foltermethode eingesetzt werden. Man hat beispielsweise Tests gemacht mit Säuglingen, indem man ihnen die ersten paar Monate keine Reize oder Zuneigung gegeben hat. Man kann einem Menschen nichts Schlimmeres antun, als ihn zu isolieren…

zentral+: Muss Kunst überhaupt antworten?

Caviezel: Kunst muss nichts!

Hoffmann: Auf keinen Fall.

Caviezel: Sobald Kunst etwas müsste, wäre es keine Kunst mehr. Eigentlich darf sie nur…. Aber meistens will sie. Vielleicht müsste man das umdrehen. Darf Kunst nur Fragen stellen? Aber nein, nicht einmal das stimmt.

Hoffmann: Kunst muss nur da sein.

Caviezel: Kunst, die selber Antworten liefert, ist doch langweilig.

zentral+: Ist es nicht Kunst, sich keinen Kopf zu machen?

Caviezel: Wenn ich die Frage richtig verstehe, ist es in der heutigen Zeit wirklich eine Kunst, sich keinen Kopf zu machen. Sie verweist auf einen nachwachsenden Kunstbetrieb in der Schweiz, der durch die Hochschulen geformt wird. Sind wir so akademisch, dass Kunst beim jungen Kunstschaffen immer zuerst durch den Kopf gepresst wird? Diese Entwicklung geht mir auf die Nerven. Ich beginne nun nicht, über die heutige Situation der Lehrerbildung zu referienen…

Hoffmann: Dass man eine Matura braucht, um Kunst zu studieren oder um mit Kindern zu arbeiten, finde ich auch fragwürdig.

Caviezel: Ja und dann hat jeder, der ein Diplom der Kunsthochschule im Sack hat gleich das Gefühl, er sei Künstler. Das ist doch absurd.

zentral+: Can we consider artists as mediators of holy, mystical, unseen and powerful things to our lives?

Caviezel: Oho, Esoterik! Meine Antwort lautet: Nein.

Hoffmann: Es gibt gar keine Botschaft, die wir vermitteln müssen.

Caviezel: Ein Künstler sollte gar nicht ein solch grosses Sendungsbewusstsein haben, die geschaffene Kunst jedoch soll einen maximalen Ausdruck haben…

zentral+: Kunst kommt von Können…

Caviezel: Das stimmt nicht unbedingt. Man muss nicht handwerklich gut sein, um Kunst zu machen. Aber, das Handwerk beflügelt. Ob in der Fotografie, bei der Musik, der bildnerischen Kunst.

Hoffmann: Nein, das finde ich nicht. Schauen wir beispielsweise die Arbeiten von Robert Smithson an… Auch in der konzeptuellen Kunst gibt es genug Beispiele wunderbarer Arbeiten, wo es kein perfektes künstlerisches Handwerk braucht.

zentral+: … ähm. Die Frage ist noch nicht fertig. Kunst kommt von Können. Aber wo geht sie hin?

Caviezel: Wer weiss. Zum Glück ist diese Frage unbeantwortbar.

zentral+: Muss Kunst Fragen stellen?

Caviezel: Kunst muss nix.

zentral+: Ist Kunst Dialog:

Hoffmann: Sie ist jedenfalls eine Grundlage für Dialoge.

Caviezel: Ja gut, wenn ich jemanden in den Hintern trete, ist das auch eine Grundlage für einen Dialog.

zentral+: Welche Fragen würden Sie über Kunst stellen?

Hoffmann: Ich stelle gar keine Fragen an die Kunst.

Caviezel: Naja. «Who pays?» ist manchmal eine gute Frage. Das Künstlerduo Marie-Antoinette Chiarenza und Daniel Hauser manifestierte diese oft relevante Frage in einer Installation gleichen Namens.

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