Wortgefechte im Luzerner Stadtparlament

Polit-Streithähne gehen aufeinander los

Unter anderen sie liessen es im stadtparlamentarischen Güggelkampf krachen: Stadtrat Adrian Borgula (links) und Dieter Haller. (Bild: Fotolia.com / Bildmontage Thorsten Kreuger)

Hin und wieder fliegen im Grossen Stadtrat zwischen den Politikern die Fetzen. Speziell gehässig wurde es im Stadtparlament letzten Donnerstag, als es um die Themen Verkehr und Verbot von radikalen Gruppen ging. Dabei wurde ein Stadtrat gar der Lüge und eine Parlamentarierin der Hetze bezichtigt.

Verkehr = hitzige Debatte. Auf diese Gleichung kann man sich verlassen wie auf das Amen in der Kirche. Speziell wenn sich das Luzerner Stadtparlament dem Thema annimmt. Nie, wirklich nie ist man sich einig, mit welchen Massnahmen man das Stauproblem in den Griff kriegt. Das hat sich soeben wieder am letzten Donnerstag im Rat gezeigt, als über die SVP-Initiative «Für einen flüssigen Verkehr» gestritten wurde. Diese will an der Strategie des Stadtrates, den Mehrverkehr ausschliesslich mit dem ÖV aufzufangen, rütteln. Dabei kam es jedoch zu einem Zwischenfall, der selbst für eine Verkehrsdebatte ungewöhnlich heftig war. So bezichtigte Dieter Haller – SVP-Grossstadtrat seit 2014 und Kantonsrat seit 2015 – den Grünen Stadtrat Adrian Borgula  der Lüge.

Wortgefecht Nr. 1: mehr Verkehr?

Konkret warf Haller dem Vorsteher der Direktion Umwelt, Verkehr und Sicherheit erzürnt vor, dauernd «Unwahrheiten» in Bezug auf den Verkehr zu erzählen. Haller bezog sich auf das vorangehende Votum von Borgula. Das liess sich dieser aber nicht bieten und forderte Haller sichtlich verärgert auf, sich umgehend zu erklären. Was aber nicht geschah. zentral+ bringt nun Licht ins Dunkle.

Dieter Haller, Direktor des Personalvermittlers Hans Leutenegger Luzern, gibt sich auf Nachfrage etwas gemässigter als noch im Stadtparlament. Zudem hat sich Haller gegenüber zentral+ nach der ersten telefonischen Aussage offensichtlich noch schlau gemacht: In seiner nachträglichen schriftlichen Version wird er um einiges detaillierter und konkreter als noch im Telefongespräch. Möglicherweise ist ihm das Ausmass seines Vorwurfs erst später so richtig bewusst geworden.

Borgula habe nicht mehrere Unwahrheiten erzählt, sondern eine, räumt Haller ein. «Adrian Borgula hat behauptet, der Verkehr habe in der Stadt Luzern nicht zugenommen. Das habe ich mit ‹Unwahrheiten› gemeint.»

Haller, der in seinem Steckbrief auf der SVP-Webseite unter anderem als Ziel aufführt, sich für den Autoverkehr einsetzen zu wollen, beschwört nun aber nicht einfach den Frieden herauf: «Was von linker Seite kommt, nenne ich Schlaumeierei, ist weder ehrlich noch zielführend und hat bei mir Druck aufgestaut. Entsprechend fiel mein Votum ein wenig emotional aus und die Wortwahl kam entsprechend.»

«Die Plafonierung auf dem Stand von 2010 ist schlicht nicht umsetzbar.»

Dieter Haller, SVP-Grossstadtrat

Auf einzelne Messpunkte wie bei der Seebrücke bezogen möge Borgulas Aussage zwar korrekt sein. Aber über die ganze Stadt hinweg betrachtet, zeige sich ein anderes Bild. «Alleine auf dem Abschnitt Korridor Reuss nahm der Verkehr in den letzten zehn Jahren um rund 10’000 Fahrten pro Tag zu.» An diversen neuralgischen Stellen werde deshalb auf Quartierstrassen ausgewichen. «Deshalb sowie aufgrund des Einwohnerwachstums von mehr als 1’000 Personen pro Jahr kann die Plafonierung auf dem Stand von 2010 als gescheitert angesehen werden und ist schlicht nicht umsetzbar.»

Doch genau dies sieht der Luzerner Stadtrat anders. Er beruft sich dabei auf das vom Volk angenommene Verkehrsreglement, welches diese Plafonierung festschreibt. Oft heisst es dann, dass dieses und jenes nicht möglich sei, weil sonst der Verkehr zunehme – was aber wegen des Reglements nicht sein darf. «Verkehrsmassnahmen, welche aufgrund des Reglements mit einer Priorisierung des ÖV ergriffen wurden, fördern das ganze Chaos zusätzlich», ist Haller überzeugt. Und exakt darob überbeissen regelmässig SVP und Teile der FDP.

Hallers Wutausbruch samt Lügenvorwurf an Borgula bezieht sich speziell auf diesen Aspekt. Haller ist überzeugt: «Wir müssen Platz schaffen für den Verkehr, das heisst für den ÖV, die Velofahrer, den Fussgänger, aber auch für den Autoverkehr. Dazu muss die Plafonierung aufgehoben werden, sonst fahren wir die Stadt an eine Wand.» Die Stadt brauche eine gute Erreichbarkeit durch alle Verkehrsarten. Ansonsten werde Wachstum verhindert und Gewerbler würden wegziehen.

Viel Frust, keine Lösungsvorschläge

Nun will die voraussichtlich am 15. November an die Urne kommende SVP-Initiative «Für einen flüssigen Verkehr» die Plafonierung aufheben. Das würde unter anderem laut Stadtrat sowie einer grossen Mehrheit des Stadtparlaments zu mehr Autos auch im Stadtzentrum führen. Und folglich zu noch mehr Stau, was nicht sein dürfe. Auf diesen Punkt sowie alternative Lösungsmöglichkeiten angesprochen, räumt Haller ein, auch nicht das Ei des Kolumbus zu kennen. «Mit der SVP-Initiative schafft man aber die Grundlage, künftig über wirkliche Lösungen zu debattieren. Welche Massnahmen dann als Erstes kommen, zeigt sich in der Debatte.»

«Meine Aussagen waren wohl hart an der Grenze.»

Dieter Haller, SVP-Grossstadtrat

Seinen Lügenvorwurf bereut Haller mittlerweile. Er räumt ein: «Da habe ich wohl etwas zu emotional reagiert. Meine Aussagen waren wohl hart an der Grenze.» Er werde das mit Adrian Borgula noch klären.

Auch Borgula rudert zurück

Das hat Haller denn auch prompt getan. «Dieter Haller hat sich bei mir entschuldigt», sagt Borgula auf Anfrage. Doch wie Haller muss auch der Grüne Stadtrat etwas zurückkrebsen.

Denn Borgulas Aussage im Stadtparlament bezüglich Mehrverkehr war durchaus so zu verstehen, wie es Haller gehört hat: Dass das Verkehrsaufkommen nur im Bereich ÖV noch ansteige. Und der Autoverkehr stagniere. Das detaillierte Gesprächsprotokoll, erstellt vom Einwohnerratsdienst, liegt leider erst in drei Monaten vor. Borgula glaubt aber sicher zu sein, dass er auch erwähnt habe, dass der Autoverkehr in der Peripherie durchaus weiter zunehme. Ganz sicher ist er aber nicht.

«Es hat sich klar gezeigt, dass wir in der Stadt zu Stosszeiten nicht mehr Autoverkehr bewältigen können als heute.»

Stadtrat Adrian Borgula

Betreffend der umstrittenen Plafonierung sagt Borgula: «Es hat sich klar gezeigt, dass wir in der Stadt zu Stosszeiten nicht mehr Autoverkehr bewältigen können als heute. Weil die Bevölkerung aber wächst und die urbane und wirtschaftliche Entwicklung weitergehen soll, müssen wir auf flächeneffiziente Verkehrsmittel setzen. Das schaffe ja dann auch Platz für den wirtschaftlich notwendigen Autoverkehr.

Wortgefecht Nr. 2: Mehr Touristen mit Zug?

Ein weiteres Mal etwas zurückkrebsen musste Borgula ebenfalls gegen einen SVPler, diesmal deren Präsidenten Peter With. Borgula hatte am Donnerstag behauptet, dass immer mehr der Touristen mit dem Zug nach Luzern kommen würden. Davon wusste man auf Anfrage von zentral+ bei Luzern Tourismus allerdings nichts.

«Exakte Zahlen dazu kann ich noch keine vorlegen.»

Stadtrat Adrian Borgula

Auf diesen Widerspruch angesprochen, erklärt sich Borgula wie folgt: «Seitens der SVP hiess es am Donnerstag im Rat, der grösste Anteil der Tagesbesucher komme mit dem Auto in die Stadt. Das stimmt sicher nicht. Ein erheblicher Anteil kommt auch mit dem ÖV.» Regina Waldis von der Luzern Tourismus AG etwa hab ihm erklärt, dass asiatische Touristinnen und Touristen zunehmend individuell anreisen, und dies vor allem mit dem ÖV. Borgula räumt allerdings ein: «Das sind allerdings nur Beobachtungen von Fachleuten. Exakte Zahlen dazu kann ich noch keine vorlegen.» Laut Luzern Tourismus gibts solche auch noch gar nicht.

Langer Rede, kurzer Sinn: Wenn Politiker sich öffentlich zur Stau- und Verkehrsthematik der Stadt äussern, tun sie gut daran, ihre Aussagen hieb- und stichfest belegen zu können. Sonst kriegen sie die Wahrheit schneller um die Ohren gehauen, als sie «motorisierter Individualverkehr» sagen können.

Wortgefecht Nr. 3: Absurde Aussagen?

Auf den Deckel gaben sich ebenfalls letzten Donnerstag im Parlament nicht nur die Herren der Schöpfung. Auch die Damen wussten auszuteilen. Konkret gings um den schlussendlich klar abgelehnten Vorstoss von Sandra Felder-Estermann (FDP). Felder verlangte von der Stadt, dass diese «radikalen Gruppierungen» – wie etwa dem Islamischen Zentralrat – künftig keine Bewilligungen mehr für Standaktionen erteilen darf. Felder begründete ihren Vorstoss recht alarmistisch. Unter anderem schrieb sie: «Die Stadt Luzern darf Gruppierungen mit radikaler Gesinnung keine Auftrittsmöglichkeit geben und als Folge Morde und Unterdrückung in Kauf nehmen.»

«Dieses Postulat ist äusserst reisserisch formuliert.»

Luzia Vetterli, SP, über den Vorstoss von Sandra Felder, FDP

Das provozierte Anwältin und Genossin Luzia Vetterli zu ein paar harschen Bemerkungen: «Dieses Postulat ist äusserst reisserisch formuliert. So wie die Situation darin von Sandra Felder überzeichnet wird, ist das absurd.» Vetterli beendete ihre Verbalattacke mit einem Bildungstipp an die Postulantin: «Sandra soll doch eine Lektion in Staatsrecht an der Uni besuchen.»

«Musterbeispiel von akademischer Arroganz»

Das wiederum fand nicht nur Felder «völlig daneben», sondern auch die Luzernerin Valentina Smajli, die als Besucherin der Debatte lauschte. Smajli ist Co-Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam und Mitglied der Stadtluzerner Integrationskommission. Sie, die selber muslimische Wurzeln hat, macht sich immer wieder für eine härtere Gangart gegenüber radikalen muslimischen Organisationen stark. Auf Facebook machte sich Smajli nach der Ratsdebatte über Vetterli dann so richtig Luft: «Ich durfte heute erleben, wie Frau Dr. Luzia Vetterli ein Musterbeispiel von akademischer Arroganz an den Tag legte. Denn ihrer Meinung nach dürfe sich niemand zum Thema Religion äussern oder als Fachperson gelten, der nicht Akademiker in diesem Bereich sei.» Eine Entschuldigung sei eindeutig angebracht.

Vetterli mochte sich auf Anfrage jedoch nicht weiter zum Thema äussern.

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