«Canaille du Jour» – für Luzern auf die Seerose

«Wir bedienen die Sehnsüchte der reiferen Jugend»

Max Christian Graeff (links) und Christov Rolla alias «Canaille du Jour» bei einer ihrer Schreibtischproben. (Bild: jav)

Mit der Carte Blanche kann jeder Gästival-Kanton einen Act seiner Wahl auf der Seerose präsentieren. Luzern hat sich für ein wirklich ungewöhnliches Duo entschieden. «Canaille du Jour» verrät zentral+ während einer Schreibtischprobe unter anderem, welchen Trumpf sie im Ärmel haben.

Schreibtischprobe beim Theaterpavillon im Tribschenquartier – mit Zigaretten, Kaffee und ganz vielen farbigen Mäppchen voller Text- und Notenblätter. Texte austauschen, Proben koordinieren, kreative und weniger kreative Ideen wälzen – eine Schreibtischprobe beinhaltet all das.

«Canaille du Jour» proben oftmals im Pavillon. «Canaille Du Jour», das sind Christov Rolla und Max Christian Graeff. Rolla, 37-jähriger Theatermusiker und Komponist und der 52-jährige Graeff, der sich «Kulturtagelöhner» nennt, oder einfacher: Autor. Die beiden arbeiten mit Hochdruck an ihrem Programm für die Seerose. Es bleibt ihnen nicht mehr viel Zeit, bis sie auf der Bühne des Gästivals stehen werden.

Ein Blind Date mit dem Publikum

Die beiden spielen meistens Chansons, die sie aus verschiedenen Sprachen, aber hauptsächlich aus dem Französischen ins Deutsche übersetzen. «Ich kann halt kein Französisch und wollte all diese tollen Lieder schon immer gerne singen», so Graeff lakonisch. Doch es geht nicht nur um die Musik und ums Singen, sondern stets konkret darum, was in den Liedern erzählt wird. «Chansons beschreiben stets eine Bewegung, eine Entwicklung», erklären die beiden, «oder aber einen stehenden Zustand, durch den sich beim Zuhörer etwas bewegt.»

Für das Gästival entsteht nun jedoch etwas komplett Neues, nicht nur Interpretation oder Übersetzung. Für die Seerose entwickeln die beiden erstmals ein selbstgeschriebenes Programm. Und die rund zehn neuen Songs sollen auch nach dem Gästival noch zu hören sein.

Die fünf Auftritte am Gästival sehen sie als «Blind Date». Es sei noch völlig offen, wie viele Zuschauer in der Arena der Seerose Platz nehmen werden und wie das Programm bei diesen ankommen wird. «Aber wir werden uns bestimmt nicht verstellen, um zu gefallen.» Die beiden bleiben authentisch und eigenwillig.

Das auch bei den Kostümen. Und damit steht die nächste Herausforderung: «Das mit den Kleidern ist eine ziemliche Krux – wegen dem penetranten Pink der Seerose», sagt Graeff. Was aber bereits steht, ist ein historisches Pagenkostüme für den Jüngling am Schlagzeug – ihr Trumpf im Ärmel – in welchen sich alle Damen verlieben würden. «Wir bedienen schamlos die Sehnsüchte der reiferen Jugend», erklärt Graeff.

«Manch ein Hotelgast lebt ja sogar komplett in diesem ‹Irgendwo im Nirgendwo›.»
Christov Rolla, Theatermusiker

Seit vier Jahren sind Graeff und Rolla Canaille du Jour. Vorher hatten sie sich nur flüchtig gekannt. Doch als die «Luzerner Lesebühne» in der Loge einen «literarischen Musiker» brauchte, kamen sie zusammen. «Da war Christov die erste und für uns einzige Wahl», so Graeff. Die Lesebühne geht im Herbst schon in ihre sechste Staffel, und immer noch sind die beiden dabei, Graeff als Conferencier und Rolla als Autor und an seinem alten Harmonium namens «Ernest». Und dank André Schürmann, einer der beiden Logen-Hausherrn, wurde auch das Gästival auf sie aufmerksam.

Zu zweit ist zu wenig

Canaille du Jour et les Maisonettes

Canaille du Jour und die Band «Les Maisonettes» erzählen in einer wilden musikalischen Revue von Gästen, Leidenschaften, Schicksalen und historischen Ereignissen, von der weiten Welt und der Innerschweiz. Und von der Aufgabe des Gastgebers, das Zaudern vor dem Fremden in die Sorge um das Wohl des Gastes zu verwandeln.

Die beiden wurden als Carte Blanche von Seiten des Gästivals angefragt. Doch eigentlich sollte man für die Carte Blanche im Minimum zu dritt sein. Deshalb sind einmal mehr «Les Maisonettes» mit von der Partie. Eine Tradition: Jedes Mal wenn Canaille du Jour eine Band braucht, heisst sie Les Maisonettes, egal wer darin mitspielt.

Canaille du Jour wird eine Revue, ein theatrales Konzert abliefern. Getrieben werden die beiden auch bei dieser Arbeit von einer Fabulierungslust. «Wir wollen Stories erzählen, Innensichten, historische Begebenheiten und mitunter auch Schicksale, natürlich oftmals auch mit etwas Kitsch, Persiflage und Klischee», so Rolla, und Graeff ergänzt: «Menschen in Hotels – gleich ob in Autobahnhotels oder im Luxusressort – hängt ja meistens eine gewisse Verlorenheit an, sie sind oftmals alleine, nicht daheim und in exponierter oder sehr diskreter Situation. Und manch einer lebt ja sogar komplett in diesem ‹Irgendwo im Nirgendwo›.»

«Tourismus ist so viel mehr als der Ärger über die Selfie-Stick-Asiaten auf der Kappellbrücke.»

Max Christian Graeff, Autor

Auch die Menschen, die im Tourismus arbeiten, sind Thema in der Revue. Sie, die ständig von Reisenden umgeben sind, ständig durch die Besucher aus aller Welt in die Ferne schauen. Die doch vielleicht auch lieber selbst die Reisenden wären.

Das Thema hat es den beiden angetan. «Tourismus ist so viel mehr als der Ärger über die Selfie-Stick-Asiaten auf der Kappellbrücke. Tourismus ist die Seele dieser Region – es gab in dieser Region bereits Tourismus, bevor Tourismus existierte. Es ist eine Transfer- und Passagenregion – mit so vielen Durchreisenden, schon seit der Frühzeit unserer Kultur- und Migrationsgeschichte», erklärt Graeff.

Ziemlich unfair

Das Gästival sei daher eine tolle Sache. Natürlich habe ein derart komplexes Projekt auch seine Schwierigkeiten gehabt, so Rolla: «Manche Details wurden sicher ungeschickt öffentlich kommuniziert.» Aber viele negative Reaktionen hätten doch einen anderen Hintergrund und seien in diesem Masse ziemlich unfair. Rolla betont: «Man hat momentan das Gefühl, man müsse sich bei vielen Leuten schon fast entschuldigen, wenn man auf der Seerose auftritt.» Das Gästival hatte in den letzten Monaten mit einigen Kommunikationsfehlern und Missverständnissen auf sich aufmerksam gemacht (zentral+ berichtete). Doch die negative Haltung vieler kulturell tätiger Menschen habe seine Gründe nicht nur im Projekt.

«Seit Jahren wächst hier ein Neidklima.»

Christov Rolla, Theatermusiker

«Seit Jahren wächst hier ein Neidklima, das neu ist für Luzern», so Rolla. Früher habe man sich mehr produktiv in Ruhe gelassen und nicht immer nach dem geschaut, was der Kollege an Arbeitsmöglichkeiten und Unterstützung erhält. «Durch den kulturpolitischen Einfluss wird vieles angreifbar. Die Schaffenden stehen vermehrt in einem Wettbewerb und kurioserweise leiden in Zeiten strikter und unnötiger Budgetkürzungen zunehmend auch die Solidarität und das anregende Laissez-faire», sagt auch Graeff und reagiert ganz überrascht: «Oh, das war ja französisch, quel malheur!»

Hier eine Liste von Arbeitstiteln der Stücke für die Seerose – als kleiner Einblick:

Die Bar zum kleinen Vergessen

Die Prinzessin ist umgefallen

Grandhotel zum gebrochenen Herzen

Der Storch von Luzern

Die Frau im Fauteuil

Greppen-upon-Avon

Der Wüstensohn
Lied der Liftboys

Sie wollte Tango tanzen
Abendlied des Concierges


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