Neue Strategie gegen Verkehrskollaps

«Nicht gerade der grosse Wurf»

Der Verkehr auf den Stadtluzerner Hauptverkehrsachsen (im Bild der Bundesplatz) soll flüssig gehalten werden. Dazu soll auch der Quartierverkehr reguliert werden. (Bild: zentral+)

Um die Verkehrsprobleme im Zentrum endlich in den Griff zu bekommen, planen Stadt, Agglomeration und Kanton Luzern gemeinsam Lösungen. Ob das neue Gesamtprojekt allerdings auch hält, was es verspricht, sehen Experten unterschiedlich. Derweil wird in den Quartieren Kritik laut.

Die Ziele sind hoch gesteckt. Quasi unter dem Motto «gemeinsam stärker» wollen Stadt, Agglomeration und Kanton mit allen Partnern den drohenden Verkehrskollaps verhindern. Mit einer Vielzahl verschiedenster Massnahmen sollen die Hauptverkehrsachsen zugunsten aller Verkehrsteilnehmer entlastet werden (zentral+ berichtete). 

Verdichtung zwingend notwendig

Die bis ins Jahr 2030 erwartete Zunahme des Gesamtverkehrs von rund 30 Prozent soll vor allem über eine Kapazitätserhöhung im öffentlichen Verkehr geschluckt werden. Dazu muss der bestehende Verkehr stark verdichtet werden.

Profitieren würde davon vor allem der öffentliche Verkehr, der so flüssiger rollen und dadurch mehr Passagiere befördern könnte, teilten die Behörden am Montag mit.

Experten begrüssen Massnahmen

Unabhängige Verkehrsexperten zeigen sich gegenüber zentral+ auf Anfrage erfreut über das neue Verkehrskonzept. Sie äussern aber auch Kritik an den Plänen des Kantons.

«Die Massnahmen gehen in die richtige Richtung.»

Andreas Kaufmann, Verkehrsplaner und Geschäftsleiter AKP Verkehrsingenieur AG

Andreas Kaufmann, Verkehrsplaner und Geschäftsleiter der AKP Verkehrsingenieur AG, stimmt der Behördenplanung einerseits zu: «Da ein Ausbau der Verkehrsnetze innerhalb der Stadt kaum und schon gar nicht kurzfristig möglich ist, muss die Mobilität flächeneffizienter abgewickelt werden.» Dies müsse insbesondere durch den Ausbau des öffentlichen Verkehrs geschehen, bestätigt er. Um diesen ausbauen sowie zuverlässig und wirtschaftlich betreiben zu können, seien die «notwendigen verkehrlichen Verhältnisse auf dem Strassennetz zu schaffen und die erforderlichen Infrastrukturen für den Busverkehr zur Verfügung» zu stellen. Genau das sei nun mit den geplanten Massnahmen des neuen Verkehrskonzepts vorgesehen.

Langsamverkehr nicht vergessen

Andererseits dürften Fussgänger und Velofahrer nicht vergessen werden, gibt der Verkehrsplaner zu bedenken. «Diese kommen im neuen Gesamtverkehrskonzept kaum vor», kritisiert Kaufmann. Der Langsamverkehr müsse unbedingt mehr einbezogen werden.

Zu den geplanten Dosieranlagen meint Kaufmann: «Eine Verbesserung des Verkehrsflusses auf den Hauptachsen durch Dosierungen an den Zufahrten in den Perimeter, bei grossen Verkehrserzeugern wie zum Beispiel Parkhäusern und an den Ausfahrten aus den Quartieren ist eine bewährte Strategie.» Diese werde auch andernorts erfolgreich angewendet. «Von einem verbesserten Verkehrsfluss im Stadtzentrum profitieren schlussendlich alle Verkehrsteilnehmer», so Kaufmann. Und der Schleichverkehr in den Quartieren werde wirksam unterbunden. 

Auswirkungen noch unklar 

«Insofern gehen die Massnahmen des Konzepts sicherlich in die richtige Richtung und stellen eine gute Lösung dar, um die Verkehrssituation bis zur Umsetzung der grossen Schlüsselprojekte Tiefbahnhof, Bypass und Spange Nord zu verbessern», fasst Kaufmann seine Beurteilung zusammen.

«Das Verkehrsproblem ist vor allem ein Platzproblem.» 

Widar von Arx, Leiter Kompetenzzentrum Mobilität an der Hochschule Luzern

Allerdings müsse die Umsetzung eng begleitet werden, findet Kaufmann: «Bei den einzelnen Massnahmen sind die Auswirkungen auf das Umfeld genau zu beachten.»  Kritisch beurteilt er die neue Verkehrsführung im Gebiet Dreilindenstrasse, Adligenswilerstrasse und Abendweg (siehe Box). Diese führe durch eine historische Umgebung, welche von ihrer Gestaltung her nicht auf grosses Verkehrsaufkommen ausgelegt sei. Die Umleitung sei deshalb genau zu prüfen.

«Zudem könnte mit weiteren Massnahmen zu Gunsten des Fuss- und Veloverkehrs der Druck auf das Strassennetz und den öffentlichen Verkehr weiter reduziert werden. In diese Richtung sollten weitere Anstrengungen unternommen werden.»

Keine Trendwende

Auch Widar von Arx, Leiter des Kompetenzzentrums Mobilität an der Hochschule Luzern Wirtschaft, beurteilt das Konzept grossmehrheitlich positiv.

«Das Gesamtverkehrskonzept geht in die richtige Richtung. Mit den eher punktuellen Massnahmen kann man natürlich keine Trends brechen, sondern höchstens abschwächen.» Man habe aber in Luzern auch nur während eines Bruchteils des Tages ein Verkehrsproblem, relativiert von Arx. «Das Verkehrsproblem ist vor allem ein Platzproblem.» 

Von Arx gefällt die Stossrichtung des Konzepts. «Verkehrsmanagement macht Sinn, bevor man teure Infrastruktur, die sich möglicherweise an Spitzenlast orientiert, baut.» Es gehe darum, die vorhandenen und oft nicht oder nur sehr teuer ausbaubaren Verkehrswege optimal zu nutzen.

Einschränkungen sind zumutbar

Die Einschränkungen für den motorisierten Individualverkehr (MIV) findet von Arx im zumutbar. «Es ist richtig, platzsparenden Verkehrsarten wie Bussen den Vortritt zu geben und die Nachfrage beim MIV durch Erschwerungen eher zu dämpfen.» Es gäbe kaum andere Möglichkeiten. «In Tokio hat man das schon etabliert. Dort kostet ein Parkplatz 1’000 Franken pro Monat, weshalb der Anteil des öffentlichen Verkehrs auf 85 Prozent stieg.» Letztlich sei das eine politische Frage und eine Güterabwägung im konkreten Fall.

«Dort kostet ein Parkplatz 1’000 Franken pro Monat.»

Widar von Arx, Hochschule Luzern

Busspuren und Dosierstellen würden die Fahrplansicherheit erhöhen und den ÖV in der Stadt damit noch attraktiver machen, so von Arx. «Die damit erzielte Verflüssigung des Verkehrs kommt schlussendlich wieder allen zugute.»

Insofern sei es sehr wichtig, dass das Konzept partnerschaftlich erarbeitet werde, mahnt von Arx. «Sonst macht man sich gegenseitig die Effekte zunichte.» Die vorgeschlagenen Massnahmen seien allerdings relativ alternativlos, sagt der Hochschuldozent. «Das Konzept ist jetzt auch nicht gerade der grosse Wurf.»

Keine andere Wahl

Und wie realistisch beurteilen die Fachleute das Ziel, den bis ins Jahr 2030 erwarteten massiven Mehrverkehr zu bewältigen?

Laut Widar von Arx gehört diese Vorstellung nicht ins Reich der Utopien – auch wenn die Kapazitäten eng begrenzt sind. «Wenn der Verkehr zunimmt, werden sich die Leute von selbst anpassen. Entweder fahren Sie zu anderen Uhrzeiten, nehmen eben das Velo oder kommen gar nicht mehr in die Stadt.»

Andreas Kaufmann pflichtet dem bei: «Unter den gegebenen Rahmenbedingungen bleibt gar keine andere Wahl als die bestehenden Infrastrukturen zu verdichten und zu optimieren.» Entlastung schaffen, würde auch ein geringeres Mobilitätswachstum, meint Kaufmann. «Das hat jede Person selbst in der Hand.»  

Quartiere fürchten Mehrverkehr und Rückstau

Auch in den Quartieren gibt das neue Verkehrskonzept zu reden. Die 21 Quartiervereine der Stadt Luzern sind zur gemeinsamen Interessenvertretung im Verband der Quartiervereine der Stadt Luzern (VQSL) zusammengeschlossen. An der Sitzung vom Dienstag beriet sich der Vorstand des VQSL über das neue Verkehrskonzept.

Vereine wollen angehört werden

Verbandspräsident Hugo P. Stadelmann steht den Massnahmen kritisch gegenüber. «Wir machen keine Freudensprünge.» Der VQSL sieht die Interessen der betroffenen Quartiere noch zu wenig berücksichtigt. «Insbesondere die geplanten Umleitungen im Gebiet Dreilindenstrasse und die Dosieranlagen bei den Quartierausfahrten machen den Leuten Sorgen», so Stadelmann. Er mahnt die Behörden, die Interessen der Quartiere ernst zu nehmen. Bisher fühle man sich allerdings nicht wahrgenommen. Stadelmann fordert deshalb: «Wir wollen in die weitere Planung miteinbezogen werden.»

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