Forum Gersag: «Islam in der Schweiz leben»

Der Pragmatismus der Muslime

Izeta Saric, ihr Vater und Andreas Tunger-Zanetti (mitte) in der Bibliothek der bosnischen Moschee in Emmenbrücke. (Bild: jav)

An der Veranstaltung «Den Islam in der Schweiz leben» in Emmenbrücke stellten sich am Montagabend eine Schweizer Muslima und ein Islamwissenschaftler gegenseitig Fragen. Auch das Publikum wollte an diesem Anlass so einiges wissen. Dabei kam auch raus, was der Dschihad mit dem inneren Schweinehund zu tun hat.

Zwei «Secondos» tauschen sich an diesem Abend an der Veranstaltung des Forum Gersag in der bosnischen Moschee in Emmenbrücke aus: Izeta Saric, Muslima und Schweizerin mit bosnischen Wurzeln und Andreas Tunger-Zanetti, Islamforscher und Schweizer mit deutschen Wurzeln. Auch deshalb ist die erste Frage des Abends die nach der Heimat. Izeta Saric kommt daraufhin gleich zum Thema Fussball. «Wenn die Schweiz spielt, bin ich klar für die Schweiz. Wenn die Schweiz gegen Bosnien spielt, dann bin ich für Bosnien», sagt sie lachend.

Die studierte Journalistin erklärt am Anfang des Gesprächs, wie sehr ihre Religion auch ihren Alltag formt. «Ich unterscheide hier nicht. Für mich sind Islam und Alltag dasselbe.» Trotzdem sei nicht der ganze Tag damit ausgefüllt. Fünf Gebete pro Tag nehmen je zwischen zwei Minuten bis zu einer halben Stunde ein. «Insgesamt bete ich circa eine Stunde pro Tag», erklärt sie. Der Rest sei normaler Alltag: Essen, Einkaufen, Waschen, sich um die Kinder kümmern, Arbeiten.

Es sei in der Schweiz auch sehr einfach, den Alltag mit den religiösen Regeln zu vereinbaren, so Saric. Man müsse sich nur trauen zu fragen. «Man kann ja den Chef fragen, ob man in der Mittagspause einen Raum zum Beten nutzen kann», so Saric.

In der dritten Generation habe sich bereits sehr viel verändert, so Saric. «Mittlerweile gibt es immer mehr Schweizer Muslime. Es wird nicht mehr so sehr unterschieden zwischen türkischen, bosnischen, tunesischen Muslimen.» Man bemerke das besonders beim Freitagsgebet. «Dabei sind hier in der bosnischen Moschee teilweise bis zu 30 verschiedene Nationen zusammen beim beten», so Saric. Der Austausch finde damit über nationale Wurzeln hinweg und deshalb auch oft auf Deutsch statt.

Scharia, kein böses Wort

Bald schon fällt das Wort «Scharia» ein erstes Mal und führt zu einigen Nachfragen und Erklärungen. «Ich verbinde das Wort mit Steinigungen und Handabhacken», so eine Wortmeldung aus dem Plenum. Man merkt Saric an, wie sehr sie diese Aussage im ersten Moment entrüstet. Doch in ihrer Erklärung wird auch die Schwierigkeit des Begriffs immer klarer. Denn Interpretationen der Scharia gibt es so viele, wie es Muslime gibt.

«Für die ISIS bin ich keine Muslima.»
Izeta Saric

«Würden sie meine Auslegung der Scharia sehen, würden sie sagen: Das ist Schweizer Recht», so Saric. Islamwissenschaftler Tunger-Zanetti merkt dabei an, dass man dabei den Pragmatismus der Muslime im Umgang mit den Schriften beachten muss. Ein grosser Teil des islamischen Glaubens sei das Studieren, Überdenken und Abwägen der verschieden Schriften. «Und dabei geht es auch um einen Einklang mit der sozialen Umgebung, in welcher man sich bewegt, mit der Kultur und den Regeln darin.»

Doch durch gewisse Muslime und die negative Presse der letzten Jahre sei der Begriff in Verruf geraten. «Für mich sind ISIS keine Moslems», wirft Saric dabei ein und ergänzt: «Aber für die ISIS bin ich auch keine Muslima».

Jeden Tag Dschihad

Auch der Begriff Dschihad taucht während des Abends auf. «Das sind Worte, die man heute sagen kann und alle rennen», so Saric und erntet Gelächter. Doch es gehe beim Dschihad in erster Linie auch um einen Kampf mit sich selbst. «Den inneren Kampf zwischen dem eigenen Gut und Böse», so Saric und Tunger-Zanetti ergänzt: «Es ist sowas wie der innere Schweinehund.» Das heisst also, man führe jeden Tag seinen eigenen Dschihad, so Saric.

Schweizerdeutsch und offene Blicke

Auch das Thema Nachbarschaft wirft die Diskussion auf. Saric lebt mit ihrem Mann und den drei Kindern in Horw. Wichtig sei ihr in der Nachbarschaft gewesen, auf die Leute zuzugehen und ihnen zu erklären, wer sie sei und, dass sie praktizierende Muslime seien. «Ich sagte auch, sie sollen mich fragen, falls sie etwas wissen wollen.» Doch bei vielen Nachbarn sei es überhaupt kein Problem gewesen. «Wenn sie merken, dass ich Schweizerdeutsch spreche und ihnen mit offenem Blick begegne, ist es oft gar kein Thema mehr», so Saric, die als Neunjährige in die Schweiz kam. Doch gewisse blieben immer distanziert und das akzeptiere sie.

Tunger-Zanetti ergänzt, dass das für die Schweizer typische «Nume luege», im Falle eines offen Umgangs miteinander vielleicht nicht sehr produktiv sei.

Religiöse Krise

Viele Vergleiche werden von Tunger-Zanetti, aber auch vom Publikum, zum Verständnis angestellt. Lateinische Kirche wird mit den arabischen Gebeten verglichen, das Vater-unser mit Suren.

Auch die Verbindung zwischen den Religionen wird betont. «Alle Religionen sind in der Krise», so Saric. Da müsse man sich gegenseitig helfen, statt sich zu bekämpfen. Glücklicherweise sei es jedoch bei ihnen so. «Als wir unsere Bibliothek der Moschee zu öffnen begannen, waren die ersten interessierten Besucher Vertreter der reformierten und katholischen Kirche.»

Nicht noch einmal flüchten

Saric wird unterbrochen, bald soll das Nachtgebet in der Moschee, gleich zwei Türen weiter, beginnen. Die Diskussion hat etwas länger gedauert, viele Fragen wurden beantwortet, doch viele wären noch zu beantworten. Und auch das Buffet mit bosnischem Gebäck und die kurze Gesangseinlage der bosnischen Frauen sollen noch Platz haben.

Der Vater von Saric, Gründer der bosnisch-islamischen Gemeinschaft in Emmenbrücke, meldet sich zum Schluss noch kurz aus dem Plenum und wünscht sich, dass öfters solche Veranstaltungen zum Austausch stattfinden sollen. «Denn wir leben in einer gemeinsamen Welt.» Das Schlusswort hat seine Tochter, die betont: «Wir sind da. Und wir sind schon einmal geflüchtet, das wollen wir nicht mehr. Deshalb müssen wir uns finden und kennenlernen.»

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