Arzt und Autor Eduard Kloter

«Als Geisel war ich wohl unbrauchbar»

Der Arzt und Schriftsteller Eduard Kloter ist bereit für den Schnappschuss für sein Fototagebuch. (Bild: jav)

Der 89-jährige Eduard Kloter war nicht nur 30 Jahre Landarzt im Entlebuch. Er ist zudem Schriftsteller und schreibt dabei auch über seine zahlreichen Einsätze mit dem Roten Kreuz in Krisenregionen. zentral+ erzählt er von heiklen Momenten, seiner Psychohygiene und davon, was er mit Picasso gemeinsam hat.

In Eduard Kloters Garten, vor seinem Haus am Meggerberg, werden gerade die Bäume auf den Frühling vorbereitet. Die Gärtner haben einiges zu tun.

Wir machen es uns derweil in der Stube gemütlich. Auf dem Esstisch liegen Dokumente und zahlreiche seiner Bücher, die Regale sind voll von fremden Werken über Kunst und ferne Länder. Daneben stehen Schallplatten und viele kleine Figuren aus verschiedenen Kulturen und Religionen.

Spezialist und Alleskönner

Der 89-jährige Schriftsteller setzt sich in seinen Sessel und das Gespräch nimmt sofort Fahrt auf. Kloter war 30 Jahre im Entlebuch als Landarzt, Geburtshelfer und Tropenspezialist tätig. «Ich hatte dazu Glück mit einigen Herzpatienten und plötzlich war ich auch der Herzspezialist», erklärt Kloter amüsiert. Und auch als Amtsarzt war er im Entlebuch unterwegs.

Zwischen 1966 und 1992 begab er sich für das Internationale Rote Kreuz (IKRK) auf zwanzig Einsätze in Krisengebiete. Das Schweizerische Rote Kreuz stellte den Allgemeinpraktiker 1961 jedoch vor allem als Gynäkologen ein. «Sie machen ja bereits Geburtshilfe im Gebirge, hat man mir gesagt», lacht Kloter. Heute sei es schwieriger, geeignete Ärzte für Kriseneinsätze zu finden, meint der 89-Jährige. «Mittlerweile sind alle Ärzte so superspezialisiert, doch bei Kriseneinsätzen braucht es einen Omnipracticien – überall einsetzbar.»

Bücher bis zur Decke

Kloter hat auch über zehn Bücher veröffentlicht, Lyrik und Prosa, die hinterfragt. Mal poetisch, mal ironisch, aber immer in einer schlichten Sprache. Als Arzt konnte er überall helfen, mit seinen Geschichten und Gedichten aber könne er die Leute hier anders erreichen. «Das IKRK muss vor allem mit Worten kämpfen», sagt Kloter. Nun will er noch ein Buch herausbringen, eine Rückschau. «Deshalb habe ich gerade ein wenig ein Puff in meinen Dokumenten», meint er entschuldigend.

«Da sass mal wieder ein Mann, der nicht Feind war.»

Wenn Eduard Kloter von früher erzählt, wirbelt es einem das eigene geografische und historische Wissen durcheinander. Er zitiert auf französisch, erzählt aus dem Kongo, Ruanda, Equitorial Guinea, Vietnam, Bolivien und noch so vielen Orten. Man hat das Gefühl, die Bücher stapeln sich nicht nur an seinen Wänden bis zur Decke, sondern auch in seinem Gedächtnis.

Angst vor Wanzen statt Gefangenschaft

Es wurde bei den Einsätzen einige Male kritisch, erzählt Kloter. Von Kalaschnikows, die plötzlich auf ihn gerichtet waren, als er im Tschad den Fluss Logone überquerte. «Hätte hinter mir am Flussufer nicht ein Reihe Einheimischer gestanden, wäre es vielleicht nicht so gut ausgegangen», so Kloter. Nebenbei, als er ein Foto zeigt, erwähnt er, wie sie dort beschossen wurden. Ganz nebenbei. Schnell bemerkt man Kloters Talent dafür Erlebtes wiederzugeben. Die lauten Arbeiten an den Bäumen vor dem Fenster nehme ich schon eine Weile nicht mehr wahr.

Bei seinen Kriseneinsätzen hat Kloter hauptsächlich Gefangene auf Krankheiten und Torturfolgen untersucht. Diese seien äusserst dankbar, wenn sie mit jemandem sprechen könnten, der ausserhalb des Konflikts stehe. «Vor allem bei den Frauen hat man das gemerkt. Da sass mal wieder ein Mann, der nicht Feind war.»

Generäle und Wärter hätten oft Angst gehabt, die Gefangenen könnten die Ärzte als Geisel nehmen. «Ich hatte mehr Angst vor Abhör-Wanzen», erklärt Kloter. «Ich habe jeweils beim Rundgang durch die Räumlichkeiten Ausschau gehalten und mir für das Gespräch mit den Gefangenen einen anderen Raum ausgesucht, als vorgeschlagen wurde.»

«Ein toter Arzt bringt keine Hilfe mehr.»

Die Gespräche fanden prinzipiell immer unter vier Augen statt, damit die Gefangenen nicht mit Repressalien rechnen mussten, falls sie von Missständen berichteten. «Doch oft trauten sie sich trotzdem nicht, etwas zu sagen.» Verständlich: Er habe in Südamerika von Gefangenentransporten erfahren, bei welchen die, die geredet hatten, auf dem Transport freigelassen und dann flüchtend erschossen wurden – «Ley de la fuga» nannten sie das.

Als Geisel unbrauchbar

Einmal im Libanon habe er dann tatsächlich einen Tag lang nicht recht gewusst, ob er nun als Geisel genommen werde oder nicht. Er wisse bis heute nicht, um welche Gruppierung es sich dabei gehandelt habe. «Ich glaube, sie entschieden sich schlussendlich, dass ich als Geisel unbrauchbar war. Sie wollten dann lieber Medikamente von uns.» Bei dieser Situation sei er alleine unterwegs gewesen. «Das ist immer ein Fehler.» Denn: «Ein toter Arzt bringt keine Hilfe mehr.»

Eigentlich hätte er damals ja mit sowas rechnen müssen, erklärt Kloter. «Wenn ein Einsatz für nur drei Wochen angeboten wird, ist es ein Zeichen dafür, dass die Situation heikel ist.»

Eduard Kloter liest im Bourbaki-Panorama

Am Sonntag, 12.04.2015, um 11 Uhr, findet im Rahmen der Themenmonate «Menschlichkeit» eine Lesung des ISSV statt.

Franziska Greising liest Texte über Krieg und Humanität.
Eduard Kloter hat seine Erlebnisse als Arzt in Stätten des Kriegselends zu Gedichten verarbeitet.
Otto Höschle erzählt von seiner Geiselhaft als IKRK Delegierter in Afghanistan.
Moderation: Daniel Annen.

Weitere Infos hier…

Jeweils zwei bis zehn Wochen dauerten die Einsätze. Begonnen hat Kloter 1966 mit einem Einsatz in Vietnam, der letzte war 1992 in Algerien. Und das bis 1985 mit eigener Praxis im Entlebuch und einer Familie mit fünf Kindern, denen er allen selbst auf die Welt geholfen hat.

Wie ging seine Familie mit den gefährlichen Reisen des Vaters um? Die Kinder würden heute schon manchmal mit Vorwürfen kommen, er sei viel weg gewesen. «Aber ein Fabrikant als Vater wäre wohl auch nicht mehr zuhause gewesen, doch hätte dieser bestimmt weniger spannende Geschichten zu erzählen gehabt.» Obwohl er ja vieles nicht ausführlich erzählen durfte, so Kloter.

«Meine Frau hat mich auf jeden Fall immer sehr unterstützt», so Kloter. Sie seien später auch viel zusammen gereist. Seit drei Jahren ist er nun verwitwet. In seinem Alter habe er nun wegen Abdankungen etwas mehr mit der Kirche zu tun. Religiös ist der 89-Jährige aber nicht. «Ich bin ein christlich sozialisierter Agnostiker, habe aber immer brav die Kirchensteuer bezahlt», sagt er und lacht.

Alle Megger gewählt

Und wo steht der vielgereiste Arzt politisch? «Ich wäre von Haus aus links. Mein Vater hat als Gewerkschaftler bestimmt immer die SP-Liste eingelegt», ist Kloter überzeugt. Für ihn selbst seien Parteizugehörigkeiten ziemlich einengend und ideologisierend. Das simple Rechts-Links Schema sei ihm ein Gräuel. «Beide Seiten haben ihre Argumente. Ich finde wichtig, dass man nicht mit Vorwürfen gegen andere Meinungen hetzt, sondern zuerst bei sich selbst einen zweiten Blick riskiert.» Es gehe ihm beim Wählen vor allem um die Person: «Deshalb habe ich bei diesen Wahlen alle Megger aufgeschrieben.»

A propos aufgeschrieben: Was war der Grund, dass Kloter angefangen hat, auch Bücher über seine Erlebnisse zu schreiben? Ist es Verarbeitung, Psychohygiene? «Das sagen immer alle, mittlerweile glaube ich es selbst», sagt er. Neben dem Schreiben begann Kloter auf seinen Reisen auch Landschaftsskizzen aus aus einem Strich zu zeichnen. «Später fand ich heraus, das war gar nicht meine Erfindung, Klee und Picasso machten das auch schon», lacht Kloter.

Kloter hat immer Tagebuch geschrieben und Skizzen dazu gezeichnet. «Heute mache ich das nicht mehr schriftlich, sondern mittels datierter Fotos.» Pro Tag seien das schliesslich mehr oder weniger Bilder, welche ihn an Erlebnisse erinnern. Schon ist er auf dem Weg in den oberen Stock und holt seine Kamera, um dieses Interview für sein Fototagebuch festzuhalten.

Ein paar von Eduard Kloters Erinnerungen an seine Einsätze finden Sie hier in der Slideshow:

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Andreas Steiner
    Andreas Steiner, 17.12.2019, 09:38 Uhr

    Ich kenne Edi Kloster gut. Wir haben vieles gemeinsam. Ich habe rund während zwanzig Jahren in Afrika, Südamerika und Vorderasien als Arzt gearbeitet, aber weniger in Kurzeinsätzen als in Gesundheitsprojekten während Jahren

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