Vortrag in Kirche Emmenbrücke

Sex ist Sünde? Unsinn, sagt der Theologe

Juhu! Sex und Religion sind doch vereinbar, sagt ein Kirchenmann. (Bild: fotolia)

Er ist Theologe und Sexologe und spricht in der Kirche Gerliswil in Emmenbrücke über «Intimität und Zärtlichkeit». Im Interview mit zentral+ sagt Eugen Bütler, warum die Kirche mitschuldig ist an den vielen Fremdgehern und wieso langer Sex für Paare erleuchtend sein kann.

Im Rahmen des 100-Jahr-Jubiläums der Kirche Gerliswil in Emmenbrücke organisiert die Pfarrei vier Abende zu Themen, die die Menschen von heute beschäftigen. Nach Martin Werlen, der im Januar unter dem Titel «Glaube weitete das Herz» zum Thema Vertrauen sprach, ist am 26. Februar Eugen Bütler mit «Intimität und Zärtlichkeit» zum Thema Liebe zu hören.

zentral+: Eugen Bütler, Sie sind Theologe und Sexologe. Ist das nicht ein Widerspruch in sich?

Eugen Bütler: Auf den ersten Blick gehört das wohl nicht zusammen. Ich habe erst Theologie studiert und überlegt, ob ich – wie sich das meine Eltern gewünscht haben – Pfarrer werden soll. Doch ich habe mich auf eine Beziehung eingelassen und geheiratet.

zentral+: Und dann?

Bütler: Ich habe mit meiner Partnerin ein Wochenende bei einer Sexologin besucht. Diese hat auf eine unglaubliche sorgfältige und liebevolle Art über Vagina und Penis geredet. Das hat mich an die spirituellen Exerzitien erinnert. Mir wurde klar: Hier geht es um die gleiche Energie, Sexualität und Spiritualität gehören zusammen. Die Kirche dagegen hat die Sexualität und die Spiritualität auseinander dividiert.

zentral+: Die Kirche hat ja nicht den Ruf, der Sexualität gegenüber positiv eingestellt zu sein. Ausser es geht um Reproduktion.

Bütler: Ich habe mich sehr mit der Sexualgeschichte in der Kirche auseinander gesetzt. Spiritualität ist die intime Beziehung zu Gott, Sexualität die intime Beziehung zu seinem eigenen Körper und zum Partner. Weil die Kirche die Spiritualität und die Sexualität auseinander genommen hat, ist unser Verständnis von Sexualität heute so funktional.

zentral+: Finden Sie denn einen anderen Zugang zur Sexualität in der Kirche?

Bütler: Also, die Aussagen verschiedener Kirchenlehrer, die Sex partout mit Sünde in Verbindung brachten, halte ich für Unsinn. Diese strenge Sexualmoral herrschte in der Kirche vor allem in den letzten 250 Jahren bis in die 70er Jahre vor. Davor hat man das oft auch nicht so eng gesehen.

zentral+: Sie weisen in der Ankündigung Ihres Referates auf die verschiedenen Dimensionen der Liebe hin: die freundschaftliche, die sinnliche, die erotische und die spirituelle. Können Sie diese Dimensionen etwas ausführen?

Bütler: Die spirituelle Liebe (Agape) will nur die reine, selbstlose Liebe um ihrer selbst willen, oft auch als göttliche Liebe bezeichnet. Die freundschaftliche Liebe (Philia) ist platonisch und sucht die Verbindung durchaus auch zum eigenen Gewinn. Die erotische Liebe ist die begehrende leidenschaftliche Form. Und diese wurde von der Kirche abgewertet, unter Schuldverdacht gestellt, ja zum Teil verteufelt. Dabei gehe ich mit den Schöpfungstheologen einig: Gott sagte, alles ist gut. Also auch die Sexualität.

«Die erotische Liebe wurde von der Kirche abgewertet, unter Schuldverdacht gestellt, ja zum Teil verteufelt.»

Eugen Bütler

zentral+: Sie plädieren für eine Verbindung der Dimensionen. Wie macht man das denn?

Bütler: Bei sich selber gilt es zum Beispiel, seinen eigenen Körper zu mögen, sich Gutes zu tun, liebevoll sorgfältig mit sich zu sein. Als Paar ginge es dann nicht darum, einen Run auf den gegenseitigen Orgasmus zu veranstalten, sondern das Ziel vom Sex sollte die Verbindung und die Kommunikation sein. Wenn ein Paar zum Beispiel längere Zeit – eine halbe Stunde oder länger – sexuell verbunden bleibt, mit dem Penis in der Vagina, und diese Verbundenheit länger zulässt, dann erfährt es eine tiefere Ebene, dann wird bisweilen eine spirituelle Dimension erfahrbar, die etwa in pornografischen Filmen völlig fehlt.

zentral+: Das hört sich schön an. Aber die Kirche möchte ja, dass wir die Sexualität nur in einer Ehe leben. Was sollen also Singles oder Unverheiratete tun?

Bütler: Die Schweizer Synode 1972 war sich schon einig, dass das mit der Ehe nicht ganz so eng gesehen werden muss. Es genügt, wenn man in einer verbindlichen Partnerschaft ist. Singles kann ich nur raten, gut zu spüren, wie viel und in welcher Form sexuelle Begegnungen ihnen gut tun und stimmig sind. Also eher nicht wahllos rum zu hüpfen, sondern das richtige Mass zu halten.

«Singles rate ich, nicht wahllos rum zu hüpfen, sondern das richtige Mass zu halten.»

Eugen Bütler

zentral+: Da stellt sich aber schon die Frage: Muss sich die Kirche der Gesellschaft anpassen? Oder müssen sich nicht die Menschen an das  – zeitlose – Wort Gottes halten?

Bütler: Das ist eine gute Frage. Das Problem ist aber, dass wir nicht genau wissen, welche Worte Gottes Worte sind. Jede Regel und Weisung in der Bibel hat einen konkreten geschichtlichen Hintergrund. Sich an alle Regeln in der Bibel zu halten, wäre also schwierig und zum Teil unsinnig. Ich denke eben, dass der Geist Gottes auch heute in unserer Gesellschaft wirkt. Und zu den Geboten zitiere ich gerne Jesus: Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat.

zentral+: Sie wünschen sich eine Verbindung von Sexualität und Spiritualität. Die Realität sieht aber etwas anders aus: Die Schweizer haben das Casual Dating entdeckt, fast die Hälfte hatte schon mal Sex mit einem Fremden, Beziehungen werden offener.

Bütler: Daran ist die Kirche mitschuldig, weil sie lange Zeit Sex und Spiritualität getrennt hat und den Bereich Sex sozusagen der Pornografie überlassen hat. Die Menschen suchen einseitig in Richtung Reizsteigerung, brauchen mehr Reize und verschieben ihre Grenzen, anstatt sich vermehrt auf die Intimität und feineren Ebenen der sexuellen Begegnungen einzulassen.

zentral+: Wenn uns die Sexualität verbunden mit der Spiritualität besser tun würde, weshalb bewegen wir uns als Gesellschaft dann nicht in diese Richtung?

Bütler: Vielleicht weil wir nicht so gut über die spirituelle Seite der Sexualität reden können, da uns die Erfahrung dazu fehlt. Viele fürchten sich auch vor der Nähe und den eigenen Gefühlen, denen man sich dann stellen müsste. Man liefert sich aus, macht sich abhängig und verletzlich.

zentral+: Spüren Sie in Ihren Beratungen, dass die Zentralschweizer mit ihrem katholischen Hintergrund verklemmter sind? Mehr sexuelle Probleme haben?

Bütler: Die Prägung wirkt sicher ein bisschen. Ich würde nicht sagen, dass sie prüder sind. Aber die Zentralschweiz ist überschaubar, die soziale Kontrolle gross. Graduell ist das schon etwas spürbar. Allerdings darf man nicht vergessen: Die Katholiken waren auch früher nicht immer Kinder der Traurigkeit. Sie hatten ja das Instrument der Beichte. Zwar haben sie gesündigt und dadurch Schuld zu tragen. Aber es wurde ihnen durch die Beichte vergeben. Heute ist vielleicht nur noch ein diffuses Schuldbewusstsein im Zusammenhang mit Sex übrig geblieben.

«Ich würde nicht sagen, dass die Zentralschweizer prüder sind als andere.»

Eugen Bütler

zentral+: Weshalb kommen die Menschen zu ihnen in die Beratung?

Bütler: Viele kommen, weil sie zu wenig Sex in ihrer Beziehung haben. Manchmal findet das der Mann, manchmal die Frau. Andere kommen, weil sie in einer schwierigen Partnerschaftssituation stehen, nicht allein weiterkommen. Wieder andere suchen neue Impulse für ihr partnerschaftliches Sexleben.

zentral+: Was ist denn nun das Ziel Ihres Vortrages?

Bütler: Ich möchte zeigen, dass die Trennung der verschiedenen Formen der Liebe etwas Künstliches ist. Und dass Gott ein leidenschaftlicher Gott ist, dass Sexualität ein grosses Geschenk ist, um mit sich selbst und einem Partner, einer Partnerin in eine sehr tiefe Kommunikation einzutreten.

zentral+: Und was wünschen Sie sich?

Bütler: Dass sich die Kirche mehr in den Dialog begeben würde, statt nur mit römischem Kirchenrecht zu argumentieren. Es wäre Aufgabe dieser Institution, den Menschen vermehrt zu helfen, Sex und Spirit miteinander zu verbinden. Ich sage nicht, das finde da und dort in Pfarreien nicht statt, aber in der Öffentlichkeit dürfte sich die Kirche durchaus positiver zur Sexualität exponieren.

Der Vortrag «Intimität, Zärtlichkeit – und Religion» von Eugen Bütler findet am Donnerstag, 26. Februar, um 20.00 Uhr im Pfarreiheim Gerliswil in Emmenbrücke statt.

Kirche sucht den Dialog mit ihren Schäfchen

Im Rahmen des 100-Jahr-Jubiläums der Kirche Gerliswil in Emmenbrücke organisiert die Pfarrei unter der Leitung von Herbert Gut und Walter Amstad vier Abende unter dem Motto «Kirche mitten drin». «Wir haben die Themen Vertrauen, Liebe, Hoffnung und Frieden gewählt, weil es menschliche Grundthemen sind, die in allen Leben wichtig sind. Wir möchten in einen Dialog treten», erläutert Herbert Gut die Themenwahl.

Im Januar fand mit dem Vortrag von Martin Werlen bereits der Event zu «Vertrauen» statt. «Wir hatten 140 Leute im Publikum. Es waren sehr verschiedene Menschen hier, das war toll.  Martin Werlen hat überrascht mit Aussagen wie «Wenn alles klar ist, ist es nicht katholisch», meint Herbert Gut schmunzelnd.

Ob beim zweiten Thema «Liebe», bei dem Eugen Bütler zu « Intimität, Zärtlichkeit – und Religion» spricht, wieder so viele Leute kommen, weiss Gut nicht. «Ich hoffe, dass im Rahmen dieser Abende viele sich getrauen zu kommen, um zu hören, wie die Spiritualität und Sexualität zusammenhängen.» Das Thema sei aber nicht gewählt worden, weil die Zentralschweiz in Sachen Sexualität Aufklärungsbedarf hätte, sondern weil es ein wichtiges Thema sei, das jeden betreffe, so Gut. Die nächsten Vorträge sind am 24. März (Sternenstaub und Spiritualität mit Lorenz Marti) und am 29. April (Beziehung und Umgang mit Konflikten mit Verena Gysin). Weitere Infos: www.gerliswil.kath-emmen.ch/infos/

 

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