Bund schafft den Sonderprivatauszug

Luzerner gehen gegen pädophile Lehrer vor

Steht ein Pädophiler vor Gericht, wirft das in den Medien jeweils hohe Wellen. (Bild: Collage zentral+)

Mit einer neuen Massnahme soll verhindert werden, dass pädophile Personen an Schulen oder Kinderheimen angestellt werden. In Luzern setzt der Kanton künftig auf dieses Instrument. Der nationale Branchenverband Curaviva verweist hingegen auf zwei entscheidende Mängel.

Die Schlagzeilen erschütterten die Schweiz: Ein damals 43-jähriger Sozialtherapeut aus dem Kanton Bern hat sich während 16 Jahren an mindestens 20 Buben sexuell vergangen. 2011 wurde ein über 70-jähriger Schwimmlehrer verhaftet. In der Zeit zwischen 1998 und 2011 soll er über 400 minderjährige Buben sexuell missbraucht haben. Das Gericht verurteilte ihn zu einer Gefängnisstrafe von elf Jahren.

Neue Überprüfungsmöglichkeit zum Schutz vor Pädophilen

Dies sind nur zwei von vielen Beispielen der letzten Jahre, die bei der Schweizer Bevölkerung eine Null-Toleranz gegenüber Pädophilen auslösten. So sagten im Mai 2014 alle Kantone Ja zur Pädophilen-Initiative. Pädophile sollen nie mehr mit Kindern arbeiten dürfen, so das Anliegen. Obwohl sich der Bundesrat zuvor gegen die Initiative aussprach, verschärfte er auf Druck der Öffentlichkeit das Strafrecht und schuf das Tätigkeitsverbot und das Kontakt- und Rayonverbot. Dieses ist seit Anfang Jahr in Kraft und sieht neu den Einsatz von Fussfesseln zur Überwachung vor (zentral+ berichtete). Heute haben Schulen, Kinderheime, Sportvereine oder Behindertenorganisationen mehrere Möglichkeiten zur Prävention von Pädophilie (siehe Box). Es gibt den Strafregisterauszug, der alle Urteile begangener Verbrechen als Erwachsener auflistet, Schulen führen eine schwarze Liste mit Personen, denen die Unterrichtsbewilligung entzogen wurde – und verschiedene Institutionen haben gemeinsam eine Charta zur Prävention von sexueller Ausbeutung erstellt.

Zu diesen Hilfsmitteln ist seit Anfang Jahr ein neues hinzugekommen: der Sonderprivatauszug. Schulen, Kinder-und Behindertenheime oder Sportvereine können diesen seit Anfang Jahr im Rahmen einer Neuanstellung beim Bund einfordern. Anders als beim Strafregisterauszug sind beim Sonderprivatauszug nicht alle Vergehen ersichtlich.  Der Sonderprivatauszug gibt lediglich Auskunft darüber, ob es der Person gesetzlich verboten ist, eine Tätigkeit mit Minderjährigen oder besonders schutzbedürftigen Personen auszuüben oder mit ihnen in Kontakt zu treten.

Einen Sonderprivatauszug kann nur bestellen, wer regelmässig beruflich oder ausserberuflich mit Minderjährigen oder anderen schutzbedürftigen Personen zu tun hat. Dazu braucht die Person allerdings eine Bestätigung des potentiellen Arbeitgebers, dass sich die Person um eine Stelle bewirbt. Der Sonderprivatauszug kostet 20 Franken.

Sonderprivatauszug künftig Bedingung für kantonalen Leistungsauftrag

Kantonale Anlaufstelle für Luzerner Heime und heimähnliche Einrichtungen ist die Abteilung Soziale Einrichtungen. Diese stellt die Qualität und Finanzierung anhand des Gesetzes Sozialer Einrichtungen (SEG) sicher. Heute sind 32 Heime SEG-anerkannt, haben also einen Leistungsauftrag des Kantons. 16 davon stammen aus dem Bereich Kinder und Jugendliche. Die Anerkennung verpflichte die Institutionen nicht, den Sonderprivatauszug zu nutzen, sagt Abteilungsleiter John Hodel.

Man habe aber die Institutionen auf die neue Möglichkeit hingewiesen und empfohlen, davon Gebrauch zu machen. Die Empfehlung könnte schon bald verpflichtenden Charakter haben. Denn Hodel sagt: «In Zukunft soll der Gebrauch des Sonderprivatauszugs Bedingung sein, um SEG-Anerkennung zu erhalten.»

Kinderheim Titlisblick: Kein Auszug bei Neuanstellungen

Eine dieser 16 Institutionen ist das Kinderheim Titlisblick im Wesemlin. Hier haben die Verantwortlichen beispielsweise noch keine Erfahrungen mit dem neuen Sonderprivatauszug. Auch der Strafregisterauszug werde bei einer Neuanstellung nicht verlangt, erklärt die Heimleiterin Judith Haas. «Wir sind aber sehr sensibilisiert auf das Thema Pädophilie und sprechen es bei Bewerbungsgesprächen gezielt an.» Im Gespräch soll ein klares Signal zur Null-Toleranz gesetzt werden.

«Personen die wir anstellen, müssen unterschreiben, dass sie zuvor kein Strafverfahren in diesem Bereich hatten», sagt Haas. Dieses Vorgehen wende sie seit 15 Jahren so an. «Es hat sich bewährt.» Wie die Heimleiterin sagt, brauche es aus ihrer Sicht keine weiteren Massnahmen. Zudem würden bereits weitere Sicherheitsmassnahmen angewendet. Zum Beispiel werden in der Nacht, wo das Personal alleine ist, keine Männer angestellt.

Schulen nutzen konsequent die Schwarze Liste

Ähnlich klingt es bei den städtischen Schulen. «Aktuell nutzen wir den Sonderprivatauszug noch nicht», sagt Martin Huber, Bereichsleiter der städtischen Schulleitung. Man prüfe momentan den Einsatz. «Heute überprüfen wir bei Neuanstellungen die Personen konsequent mit der schwarzen Liste», sagt Huber. Ebenso würden grundsätzlich sämtliche Referenzen eingeholt, sagt Huber

Braucht es also das neue Instrument überhaupt, oder ist es ein Papiertiger? Dies, zumal der Strafregisterauszug umfangreicher ist. Als Schulleiter stehe er hinter dem Sonderprivatauszug, sagt Huber. «Er erhöht die Verlässlichkeit gegenüber der schwarzen Liste.» Zudem betreffe er die Kernthemen von Lehrern und zeige Verfehlungen mit Kindern auf. «In diesem Fall ist der Strafregisterauszug der Papiertiger. Für uns ist es nicht relevant, ob die Person vor zehn Jahren eine Verkehrsbusse erhalten hat», sagt Huber. 

Zwei Mängel am neuen Sonderprivatauszug

«Aktuell sammeln und prüfen wir erste Erfahrungen und werden unseren Mitgliedern anschliessend eine Empfehlung abgeben», sagt David Oberholzer, Leiter Fachbereich Kinder und Jugendliche des Branchenverbands Curaviva Schweiz. «Für eine fundierte Zwischenbilanz zum Sonderprivatauszug ist es noch zu früh», erklärt er. Oberholzer verweist auf zwei Mängel beim neugeschaffenen Instrument des Bundes.

«Erstens gibt es eine administrative Hürde.» Denn wer einen Sonderprivatauszug beim Bund bestellt, braucht erst die Bestätigung des potentiellen Arbeitgebers, dass die Person sich um die Stelle bewirbt. «Der Zugang zu einem so wichtigen Instrument sollte jedoch möglichst einfach sein», so Oberholzer. «Zweitens sind zwar die Rayon- und Kontaktverbote im Sonderprivatauszug abgebildet, andere relevante Straftaten rundherum aber nicht.» Sei jemand beispielsweise wegen Besitz von kinder- und jugendpornografischen Bildern verurteilt worden, resultiere das nicht im Kontakt- und Rayonverbot – und somit auch nicht im Sonderprivatauszug.

«Nicht alle im Strafregister aufgeführten Verbrechen sind für Arbeitgeber relevant.»

David Oberholzer, Leiter Fachbereich Kinder und Jugendliche bei Curaviva

Also doch ein Papiertiger? «Der Sonderprivatauszug bringt nur dann etwas, wenn damit sichergestellt werden kann, dass darin alle mit der beruflichen Tätigkeit in Zusammenhang stehenden Ereignisse aufgeführt werden», sagt Oberholzer. «Nicht alle im Strafregister aufgeführten Verbrechen und Vergehen sind für Arbeitgeber relevant, aber bei Unsicherheiten ist man mit dem Strafregisterauszug auf der sicheren Seite.» Oberholzer verweist auf die «Charta zur Prävention sexueller Ausbeutung als weiteres Instrument. Curaviva war eine der 12 Institutionen, die an der Charta mitgewirkt haben.

Procap nutzt Strafregisterauszug

Auch die Behindertenorganisation Procap hat sich bei der Charta zur Prävention von sexueller Ausbeutung, Missbrauch und anderen Grenzverletzungen engagiert. Auch hier fehlen die Erfahrungen mit dem neugeschaffenen Instrument. «Der Sonderprivatauszug wird noch nicht genutzt», heisst es bei Procap auf Anfrage. Vorläufig werde noch der herkömmliche Strafregisterauszug eingefordert. «Strafregisterauszüge verlangt Procap Schweiz bei der Anstellung von Reiseleitern, aber auch von Angestellten im Bereich der Buchhaltung», sagt Claude Décoppet, Leiter Personal und Qualitätssicherung.

Denn dieser sei umfangreicher als der Sonderprivatauszug. Die Kosten für den Strafregisterauszug übernehme normalerweise Procap. Weisungen an die regionalen Sektionen gebe es nicht. «Diese sind frei in der Handhabung», sagt Décoppet. Neue Mitarbeiter unterschreiben in jedem Fall eine Selbstverpflichtung, die eine Null-Toleranz-Politik vorsieht.

Die Möglichkeiten zur Prävention

Schulen, Kinderheime, Behindertenheime oder Sportvereine – alle Institutionen, die mit Minderjährigen arbeiten – haben heute mehrere Möglichkeiten, noch vor der Anstellung einer neuen Person zu prüfen, ob diese sich bereits im Zusammenhang mit Kindern strafbar gemacht hatte.

  • Einen Strafregisterauszug für Privatpersonen muss jede Person selber gegen Ausweiskopie und Unterschrift beim Bund bestellen. Dieser kostet 20 Franken und zeigt alle Gerichtsurteile über Verbrechen und Vergehen als Erwachsener. In einigen Branchen ist es üblich, dass bei einer Neuanstellung der Leumund mittels Strafregisterauszug überprüft wird, zum Beispiel in der Bankenbranche.
     
  • Die Erziehungdirektorenkonferenz führt eine schwarze Liste von Schweizer Lehrpersonen, deren Unterrichtsbewilligungen entzogen wurden. Dies kann aus strafrechtlichen Gründen der Fall sein, so bei sexuellen Übergriffen oder Gewalt. Aber auch wegen Drogenabhängigkeit oder einer psychischen Erkrankung. Die Einsicht in die Liste ist nicht öffentlich. Schulen und Behörden mit einem berechtigten Interesse können sich erkundigen, ob ein Name auf der Liste steht.
     
  • Zur Prävention von sexueller Ausbeutung, Missbrauch und anderen Grenzverletzungen, haben zwölf Verbände, Institutionen und Organisationen eine Charta erstellt. Diese besteht aus zehn Grundsätzen. Sie gilt für alle Personen, die in einer der Institutionen tätig sind oder betreut werden. «Die Einreichung eines Strafregisterauszugs ist Anstellungsvoraussetzung für Mitarbeiter, die in direktem Kontakt mit Personen mit besonderem Unterstützungsbedarf stehen», heisst es etwa darin.

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