Wirtschaftsfaktor Lozärner Fasnacht

«Es geht nur noch um die Kohle»

Der Rubel rollt: Für «Künstler-Grende» werden auf dem Occasionsmarkt stolze Preise bezahlt. (Bild: dvm)

Vor und während der Fasnacht herrscht in Luzern Hochkonjunktur. Die fünfte Jahreszeit lässt die Kassen klingeln. Auch das Geschäft mit dem «Grend» brummt. Fakt ist: Das Fasnachts-Business ist längst keine Begleiterscheinung mehr. Mittlerweile hat der Boom gar den Kern der Fasnacht erfasst. Die zunehmende Kommerzialisierung wird scharf kritisiert.

Es gibt gewisse Dinge, ohne die wäre die Luzerner Fasnacht nur halb so gut. Der «Grend» ist das wohl beste Merkmal der Lozärner Fasnacht. Das Basteln und Tragen von Masken sind ein wichtiger Bestandteil der hiesigen Fasnachtskultur.

Ein Sujet ab Stange

«Do it yourself» ist Trumpf, so das Motto. Doch nicht alle spielen mit denselben Karten. Während ein kleiner Teil der Fasnächtler Wert auf Individualität und Gestaltung legt, kauft die grosse Masse ihr Sujet ab der Stange. Das ist vor allem beim «Gwändli» so. Nähen mag heutzutage kaum mehr einer. Der zeitgenössische Durchschnittsfasnächtler scheut den Aufwand noch mehr als die Kosten.

Das ruft das Business auf den Plan. Der Handel mit Fasnachtsartikeln ist eine Goldgrube. «An Spitzentagen vor dem Schmudo registriert unsere Kasse zwischen 500 und 700 zahlende Kunden», sagt Peter Meyer vom Fasnachts-Bazar. Vor 29 Jahren hat er mit dem Handel von Second-Hand-Klamotten begonnen. Heute ist der Laden mit Online-Shop das ganze Jahr hindurch für viele Verkleidungsfreudige die erste Wahl. Dazu Meyer: «Gwändli, Kleiderstücke, Accessoires – unser Sortiment deckt jedes Bedürfnis ab.» Gemäss eigenen Angaben macht die Fasnacht zwei Drittel des Jahresumsatzes aus. Inzwischen tummeln sich auf dem fasnachtsverrückten Markt mehr als zehn spezialisierte Anbieter. Auch die Grossverteiler mischeln seit Jahren mit.

«Ich vermisse bei vielen das Herzblut.»

Bruno Gapp, Maskenbauer

100% Polyester

Auch wenn sich im Sortiment vereinzelt noch Handgemachtes findet, verdient wird insbesondere mit billig produzierter Massenware aus Fernost und teils auch Europa. Günstig, pflegeleicht, bequem soll es sein, die weibliche Kundschaft wünscht es öfters kurz und knapp. Alte «Gwändli» und «Grende» von Guuggenmusigen werden schon lange nicht mehr verkauft. Man habe davon zwar noch wenige Stücke an Lager, das sei aber kaum mehr gefragt. «Die Leute wollen an der Fasnacht einfach anders als im Alltag daherkommen und dabei gut aussehen», sagt Meyer. Dafür würden die Kunden bisweilen sehr viel Geld ausgeben.

Selbst traditionelle Näh- und Bastelspezialisten wie Aeschlimann und Vonarburg sind auf diesen Zug aufgesprungen und bieten nebst dem Stammsortiment auch Fasnachtsartikel aller Art an.

Spiegel der Gesellschaft

Nicht alle profitieren von diesem Boom. Der Kostüm-Konsum fordert seine Opfer. Traditionell genähte, hochwertige Kostüme sind ausserhalb von Film und Theater kaum mehr gefragt. «Mit dem Niedergang der traditionellen Fasnachts- und Maskenbälle haben wir ein wichtiges Standbein verloren», bedauert Heinz Baumgartner, Inhaber und Geschäftsführer der Luzerner Traditionsfirma Heinrich Baumgartner AG. Der Familienbetrieb in dritter Generation hat sich auf den Verleih hochwertiger Kleider und Kostüme inklusive passendem Zubehör spezialisiert. «Nach über 80 Jahren fällt nun Ende März der Vorhang.»

«Die Jungen wollen nur noch Spass haben – ohne Arbeit, ohne Mühe, und dann auch noch möglichst ohne Kosten.»

Matthias Bugari, Maskenbauer

Die Kommerzialisierung der Fasnacht sei eine Folge der modernen Konsumgesellschaft, vermutet Baumgartner. «Die Fasnacht war schon immer ein Spiegel der Gesellschaft.»

Oben ohne

Die Luzerner Fasnachtstradition liege im Argen, monieren eingefleischte Fasnächtler. Steht es denn so schlecht um das Maskenhandwerk? «Basteln braucht Zeit», hält der Luzerner Kunstmaler und Maskenbauer Matthias Bugari fest. Stattdessen würde oft auf billige Massenware zurückgegriffen oder die Maske aus Bequemlichkeit gerade ganz weggelassen. Dafür würde mal etwas Schminke aufgetragen, eine lustige Kappe angezogen oder eine farbige Sonnenbrille aufgesetzt. Das sei offenbar nicht nur bequemer, sondern erst noch günstiger. Bugari findet all den «Fasnachts-Ramsch» schade. «Muss denn immer alles billig sein? Und möglichst schnell und mühelos gehen?» Bugari bedauert, dass die «Jungen nur noch Spass haben wollen – ohne Arbeit, ohne Mühe, und dann auch noch möglichst ohne Kosten».

Auch andere Urgesteine der Luzerner Fasnacht beobachten die Entwicklung mit grosser Sorge. «Alle wollen Fasnacht, aber niemand mehr will den Aufwand. Ich vermisse bei vielen Fasnächtlern das Herzblut», findet Bruno Gapp, Mitbegründer der Kult-Ur-Fasnächtler und Maskenbauer seit 40 Jahren. Der 60-jährige Gapp ist ein vehementer Verfechter der Luzerner Tradition des Maskenbastelns und -tragens.

«Jede meiner Masken ist ein Unikat.»

Bruno Gapp, Maskenbauer

Es sei zwar schon schlimmer gewesen, bemerkt er. «Es wird aber immer noch mehr gepredigt, als leidenschaftlich umgesetzt.» Da müsse jeder Fasnächtler seinen Beitrag leisten. Insbesondere seien die Eltern in der Pflicht, ihren Kindern das Fasnachts-Virus weiterzugeben.

Exklusivität hat ihren Preis 

Wer es sich leisten kann, der bestellt beim Maskenbauer und Fasnachtskünstler seinen ganz persönlichen «Grend». Die Professionalisierung des Maskenbaus habe ihre Schattenseiten, gibt Gapp zu. «Die Ansprüche sind gestiegen.» Die Strahlkraft der Profi-Fasnacht lasse die einfache, kreative Strassenfasnacht geradezu erblassen. «Wer will heute noch mit einer Schuhschachtel auf dem Kopf rumlaufen?», fragt Gapp ironisch. «Das Streben nach Perfektion und Anerkennung lässt uns allzu oft vergessen, um was es bei der Fasnacht wirklich geht.»

«Das sind Schmarotzer.»

Bruno Gapp, Maskenbauer

In der Regel gestalten Fasnachtskünstler Sujets ausschliesslich für ihre Gruppe oder einen engen Kreis von Bekannten und nehmen Aufträge nur selektiv entgegen. Jeder pflegt seinen eigenen Stil, der bisweilen ganze Guuggenmusigen oder Gruppen prägt.Individualität wird hochgehalten. Bruno Gapp, Ehrenpräsident der Kult-Ur-Fasnächtler und Mitglied der Gruppe «Nostradamus», legt sehr viel Wert auf Originalität: «Jede meiner Masken ist ein Unikat.» Ein «Grend» kostet bei ihm «maximal 350 Stutz».

Profiteure sind unerwünscht

Das sei im Vergleich zum Occasions-Handel «frecher Profiteure» wenig. Er verrechne hauptsächlich das Material und kaum die Verarbeitung. «Ich bin eben Fasnächtler und kein Gauner.» Gapp kritisiert die «Geldmacherei» mit gebrauchten «Grenden» scharf.

«Zu mir kommt, wer keine Zeit zum Basteln hat.»

Rolf Radtke, Deco-Display Collection AG

Rolf Radtke vom Dekorationsgeschäft Deco-Display Collection AG zum Beispiel verkauft seit Jahren «Gebrauchte». Radtke, der sich selbst als Fasnächtler bezeichnet, sieht daran nichts Falsches: «Ich decke eine ganz bestimmte Nachfrage ab. Zu mir kommt, wer keine Zeit zum Basteln hat und trotzdem mit einem schönen «Grend» an die Fasnacht will.» Das lassen sich seine Kunden bis zu 600 Franken kosten. Diejenigen Exemplare, welche nicht über den Ladentisch gehen, vermietet Radtke als Schaufenster- und Ladendekorationen. Dafür hat Bruno Gapp, der beruflich in derselben Branche zu Hause ist, überhaupt kein Verständnis. An den Händlern lässt er kein gutes Haar: «Das sind Schmarotzer.»

Lieber einstampfen

Auch andere Kult-Ur-Fasnächtler können mit solchen Geschäftspraktiken nichts anfangen. «Für mich ist klar: Einen ‹Grend› trägt man nur eine Fasnacht lang», kritisiert Maskenbauer Hugo Stadelmann, Mitglied der Gruppe «Bandicoot», das Tragen von «Gebrauchten».

Die Mitglieder der «Rätsch Häxe» würden alle ihre Sujets komplett mit «Grend» behalten und sammeln, erklärt Mitglied und Maskenbauer Peter Spörri. So ein «Grend» sei halt etwas sehr Persönliches. Darum sehe man auch von einem Weiterverkauf ab. «Lieber stampfen wir unsere ‹Grende› nach der Fasnacht ein.»

Bei Guuggenmusigen hingegen sei es verständlich, wenn diese nach der Fasnacht ihre «Grende» verkaufen würden. Da handle es sich ohnehin nicht um Unikate. Trotzdem solle aber darauf geachtet werden, dass das Sujet nicht gerade an der nächsten Fasnacht wieder auftaucht.

«Mit viel Geld etwas zu machen, ist keine Kunst.»

Bruno Gapp, Maskenbauer

Ausverkauf der Tradition

Bruno Gapp missfällt der «Ausverkauf» der Luzerner Fasnachtstradition. «Wenn ein Künstler jeden Auftrag annimmt, sinkt das Niveau seiner Kunst», gibt Gapp, der sein Geld als Bühnenbauer und -Gestalter verdient, zu bedenken. Er setze auf das Credo «weniger ist mehr».

Der Maskenbauer hat Mühe mit Leuten, die sich für viel Geld ein perfektes Sujet zulegen, ohne dafür einen Finger rühren zu müssen. «Mit viel Geld etwas zu machen, ist keine Kunst.» Das schade nur der Kultur. «Hingegen mit wenig Geld etwas zu machen, das ist Kunst!»

Marketing statt Fasnacht

Aus eingefleischten Fasnachtskreisen wird auch Kritik an den grossen Fasnachtsgesellschaften, insbesondere am Lozärner Fasnachtskomitee (LFK) laut. Statt Sinn und Geist der Fasnacht zu pflegen, würden diese zusammen mit der Stadt vermarktet, klagt Gapp. «Es geht nur noch um die Kohle.» Die Fasnacht verliere ihre Seele, befürchtet er.

«Schade, dass die Köfferlifasnächtler nicht verstehen, worum es bei der Fasnacht geht.»

Bruno Gapp, Maskenbauer

«Es ist ein Hohn, dass genau jene Vereinigungen das Wesen der Fasnacht nicht verstehen», so der Ehrenpräsident der Kult-Ur-Fasnächtler. Die Schwerpunkte würden zu einseitig gesetzt. Dabei sei gerade das breite Schaffen von Kultur- und Strassenfasnächtlern so wichtig: «Diese vielen Einzelpersonen und Kleingruppen machen die Fasnacht aus – nicht nur die grossen Umzüge.»

Die grossen Zünfte und Gesellschaften gehörten für ihn zweifellos zur Fasnacht. Aber Fasnacht als Kultur zu verkaufen, sei falsch. «Schade nur, dass diese Köfferlifasnächtler nicht verstehen, worum es bei der Fasnacht geht.»

 

Basteln Sie Ihren «Grend» noch selbst? Oder kaufen Sie ihn schon ein? Reden Sie mit!

 

Begehrte «Grende»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von GH
    GH, 29.01.2016, 16:17 Uhr

    Diesem Artikel ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Voll getroffen. Man verpasst nicht mehr sehr viel, wenn man zu Hause bleibt.

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