Luzerner führt einstweilig päpstliche Leibgarde

Schweizergarde: Wird Christoph Graf nächster Kommandant?

Oberstleutnant Christoph Graf ist seit 2010 Vizekommandant der Schweizer Garde. Bis zur Ernennung eines Nachfolgers für Daniel Anrig ist er Kommandant ad interim. (Bild: Katarzyna Artymiak)

Am Sonntag ist Daniel Anrig als Kommandant der Schweizergarde im Vatikan zurückgetreten. Der ehemalige Glarner Polizeikommandant geriet wegen seines Führungsstils in die Kritik. Vizekommandant Christoph Graf führt die Garde nun ad interim – der Luzerner wird auch als möglicher Nachfolger gehandelt. Was weiss man über ihn? Und eine Einschätzung des Ex-Kommandanten Pius Segmüller.

Daniel Anrig (42) leitete die Schweizergarde seit 2008. Wie die italienische Zeitschrift «Il Messaggero» berichtete, beschloss Papst Franziskus Ende 2014, Anrig zu ersetzen, weil es offenbar Unmut unter den Schweizergardisten wegen der strengen Disziplin des Kommandanten gab. Anrig war vor dem Vatikan Polizeikommandant im Kanton Glarus. Die Hauptvorwürfe: Die 120 Gardisten hätten während Wachzeiten sieben bis acht Stunden nichts trinken dürfen. Kritisiert wurde auch, Anrig habe sich eine Luxus-Wohnung über der Kaserne der Schweizergarde eingerichtet. Anrig, und auch der Papst, bestreiten Zwistigkeiten, es sei ein normaler Rücktritt.

Der 54-jährige Vizekommandant Christoph Graf wird als mutmasslicher Nachfolger Anrigs gehandelt. Er gilt als weniger streng und könne mit den jungen Gardisten väterlicher umgehen. Ernannt ist Graf nicht. Grafs ist Kommandant ad interim (siehe auch Interview mit dem früheren Kommandanten Pius Segmüller weiter unten). «Wann die Ernennung erfolgt, ist noch nicht bekannt», teilt der Medienverantwortliche der Schweizergarde zentral+ mit.

Graf ist altgedienter Gardist

Was ist über Graf bekannt? Christoph Graf trat 1987 in den Dienst der Schweizergarde ein, als noch ein relativer junger Papst Johannes Paul II. auf dem Stuhl Petri sass. Joseph Ratzinger, als Papst Benedikt XIV, beförderte den Luzerner zum Vizekommandanten seiner Leibgarde, und nun arbeitet er für Papst Franziskus.
Graf diente also in 27 Jahren bereits drei Päpsten und ist einer der dienstältesten Gardisten im Vatikan. Er ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder. Graf stammt aus Pfaffnau, wo er mit acht Geschwistern aufgewachsen ist. Er ist entfernt verwandt mit Guido Graf, dem Luzerner CVP-Regierungsrat. Er ist der Sohn dessen Cousin.

Graf war Pöstler

Luzern und die Schweizergarde

Luzern hat eine spezielle Beziehung zur Schweizergarde. In seiner Eigenschaft als «Vorort» der katholischen Kantone in der Eidgenossenschaft besass Luzern von 1548 bis 1858 ein Privileg: Der Kanton stellte Jahrhunderte lang den Garde-Kommandanten. Nicht immer zur Freude der anderen Innerschweizer. Die Schweizergarde wurde 1506  gegründet. Heute besteht die Schutztruppe aus 110 Mann und ist für den Personenschutz des Papstes sowie für die Sicherung der Eingänge des Vatikans. Die Rekruten verpflichten sich freiwillig für eine zweijährige Dienstzeit. Die meisten Gardisten in der Geschichte der Schweizergarde kamen aus Luzern, aus St. Gallen und dem Wallis.

Christoph Graf ist einer der wenigen Berufsoffiziere in der päpstlichen Leibgarde. Vor seinem Wechsel nach Rom war er Postangestellter. Eines Tages fiel ihm eine Broschüre über die Schweizergarde in die Hände, erzählte er anlässlich seiner Beförderung zum Vizekommandanten der «Neuen Luzerner Zeitung». Er verpflichtete sich zwei Jahre, wurde befördert, blieb in Rom. Auch wegen der Liebe: Er hatte seine norditalienische Frau auf einer Wallfahrt nach San Giovanni Rotondo kennen gelernt und heiratete bald.

«Man muss kein Frömmler sein, um bei der Schweizergarde zu dienen», sagte Graf 2010. Aber gerade beim Wachdienst helfe der Glaube sehr. «Man muss schon religiös motiviert sein, um das durchzustehen.» Graf beklagte den zunehmenden Invididualismus. Manche junge Gardisten sässen den ganzen Abend im Zimmer und beschäftigten sich lieber mit Facebook oder Computerspielen, statt gemeinsam etwas zu unternehmen. Noch ein persönliches Detail: Im letzten Herbst hat die Schweizergarde ein Kochbuch herausgegeben. Kulinarisch ist der Luzerner Christoph Graf noch ein wenig mehr der Heimat verbunden als Vorgänger Daniel Anrig. Das Lieblingsgericht Grafs ist ein sämiges Kalbsrahmgeschnetzeltes mit Reis. Der abgetretene Daniel Anrig hatte sich schon seinem Gastland angepasst: Er bevorzugte einen pikanten Käsekuchen, «alla Italiana», mit Fontana und Gorgonzola sowie italienischen Kräutern.

Christoph Graf wäre nicht der erste Kommandant aus Luzern. Pius Segmüller leitete die Garde von 1998 bis 2002. Er war nach der Ermordung Alois Estermanns und dessen Frau durch einen jungen Gardisten, zu dessen Nachfolger ernannt worden. Später war Segmüller Luzerner Polizeikommandant, sass für die CVP im Nationalrat. Seit zweieinhalb Jahren ist der Luzerner Chef Schiesswesen und ausserdienstliche Tätigkeiten bei der Schweizer Armee. Er pflegt immer noch Kontakte in den Vatikan und verfolgt das Geschehen.

Interview mit dem ehemaligen Gardekommandanten Pius Segmüller

zentral+: Pius Segmüller, Sie waren von 1998 bis 2002 Kommandant der Schweizergarde. Tut es Ihnen nicht weh, wenn gewisse Medien schreiben, der Papst wolle vielleicht die Garde abschaffen?

Pius Segmüller: Das ist eine reine mediale Fantasie. Aus zwei Gründen glaube ich das nicht. Zum einen wurde kürzlich ein neuer Kaplan der Schweizergarde ernannt. Wenn man ein Gremium abschaffen will, besetzt man keine Stelle neu. Der Papst hat ausserdem ausdrücklich gesagt, dass er eine neue Person als Kommandant möchte. Im «Osservatore Romano» habe ich ausserdem gelesen, dass Kardinal-Staatssekretär Parolin, die Nummer zwei im Vatikan, im Januar 2015 ein klares Zeugnis zugunsten der 509-jährigen Schweizergarde abgelegt hat.

zentral+: Trotzdem: Dieser Papst ist kein traditioneller Papst, halten Sie das Ende der Garde für unmöglich?

Segmüller: Ich bin nicht einverstanden mit Ihrer Einschätzung, dass Papst Franziskus nicht traditionell ist. Er berücksichtigt die Tradition der Kirche und seiner Vorgänger, will aber mit gewissen Machenschaften aufräumen. Wo er sich auch unterscheidet, ist die Art und Weise, wie er sein Amt ausübt. Ich glaube nicht, dass er die Schweizergarde abschaffen will.

zentral+: Zum Rücktritt von Daniel Anrig, war er zu autoritär als Kommandant?

Segmüller: Wenn jemand zurücktritt, heisst es sofort, er habe etwas verbrochen. Über mich hat auch man auch alles mögliche geschrieben, als ich Kommandant war. Für mich ist das ein normaler Rücktritt. Anrig war fünf Jahre Kommandant, sein Mandat wurde um eineinhalb Jahre verlängert, jetzt kommt eine neue Person.

zentral+: Sie weichen aus. War Anrig zu streng?

Segmüller: Es braucht eine klare und harte Hand als Kommandant der Schweizergarde, wir sind schliesslich die «Soldaten des Papstes». Zu Daniel Anrigs Führungsstil will ich mich aber nicht äussern, das kann ich nicht beurteilen.

zentral+: Können Sie uns verraten, wie die Ernennung eines neuen Kommandanten funktioniert?

Segmüller: Der Vatikan sucht die Person aus. Es kann jemand sein, der bereits in der Schweizer Garde dient. Christoph Graf würde zu dieser Gruppe gehören. Es kann aber auch eine Person aus der Schweiz sein, das war bei mir der Fall. Nach der Ermordung meines Vorgängers nahm ein Vertreter des Vatikans Kontakt auf mit dem Chef der katholischen Schweizer Feldprediger. Er bat ihn, ihm mögliche Personen für diesen Posten zu melden. Die allermeisten Kommandanten hatten vorher nichts zu tun mit der Schweizergarde. Geschichtlich waren es oft vor dem Ruhestand stehende Söldner-Führer, noble Herren. Man denke nur an die Pfyffer-Dynastie aus Luzern, die viele Kommandanten stellte.

zentral+: Kennen Sie Christoph Graf, wie schätzen Sie ihn ein?

Segmüller: Ja, ich kenne ihn gut und habe ihn zuerst zum Wachtmeister und später zum Feldweibel befördert. Er kennt den Vatikan und die Garde bestens und kann mit den jungen Gardisten sehr gut umgehen, weil er in der Ausbildung tätig war. In diesem Sinne hat er durchaus Chancen als möglicher Kommandant, und ich würde ihm das gönnen.

zentral+: Man hört immer wieder von Reibereien zwischen der Schweizergarde und der Gendarmerie im Vatikan. Könnten die Vorwürfe an Daniel Anrig aus der Gendarmerie gekommen sein?

Segmüller: Es wäre sehr spekulativ, wenn ich dazu etwas sagen würde. Sicher ist aber, dass es zwischen den beiden Korps immer Reibereien gegeben hat, schon zu meiner Amtszeit.

zentral+: Wie unterscheiden sich die beiden Korps?

Segmüller: Die Schweizergarde ist für den Schutz des Papstes und die Kontrolle der Eingänge zum Apostolischen Palast zuständig. Die Gendarmerie ist für polizeiliche Aufgaben auf dem Terrain des Vatikans ausserhalb des Palastes zuständig. Die Gendarmerie besteht aus Italienern. Natürlich gibt es da manchmal gewisse Ressentiments gegenüber der Schweizergarde. Schliesslich ist der Vatikan in Italien. Stellen Sie sich als Gedankenspiel vor, das Bundeshaus würde von Italienern bewacht…

zentral+: Verraten Sie mir ein Geheimnis: Tragen die Gardisten Waffen oder verteidigen sie den Papst mit Hellebarden?

Segmüller: (lacht) Natürlich sind sie bewaffnet. Aber es kann manchmal auch gut sein, dass man denkt, sie seien es nicht.

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