Ein Arzt im Rollstuhl

«Es ist ein Wunder, dass ich überlebt habe»

Christian Wenk ist seit einem Unfall im Jahr 2000 querschnittsgelähmt. (Bild: Andrea Schelbert)

Sein Leben änderte sich schlagartig: Christian Wenk wurde vom erfolgreichen Sportler zum Querschnittsgelähmten. Drei Wochen rang er mit dem Tod. Der 40-jährige Arzt aus Schenkon schildert, wie er sich zurück ins Leben kämpfte und womit er manchmal hadert.

85 Prozent Blutverlust, zwei eingefallene Lungen-Flügel, Schädel-Hirn-Trauma, durchtrenntes Rückenmark und eine zerbröselte Wirbelsäule: Mit diesen Verletzungen wurde Christian Wenk vor 14 Jahren in ein Spital in Japan eingeliefert. Der erfolgreiche Duathlet kollidierte am 20. September 2000 bei einer Trainingsfahrt auf seinem Rennbike mit einem falsch parkierten Wagen.

Er war mit 70 Kilometern pro Stunden unterwegs, als er kopfvoran ins Heck des Autos prallte. Drei Wochen lag er auf der Intensivstation. «Als ich aufwachte, war mir sofort klar, dass ich querschnittsgelähmt war. Ich wusste, dass mein Leben an einem seidenen Faden hängt. Alles drehte sich ums Überleben», erklärt der 40-jährige Arzt.

Herausforderung als Hausarzt

In seiner Hausarzt-Praxis in Schenkon empfängt uns Christian Wenk. Er könnte auf der Stelle einschlafen, verrät er zu Beginn des Gesprächs, während er sich einen Kaffee macht. Die letzten neun Monate waren streng. Wenk hatte sich mit grosser Begeisterung und viel Enthusiasmus in seine Arbeit gestürzt. «Mein Beruf als Hausarzt ist so, wie ich es mir erträumt und erhofft habe. Für die Energie die ich investiere, erhalte ich sehr viel zurück. Das ist wunderschön», sagt er.

Keinen Fernseher und Secondhand-Kleider

Auch an diesem Samstagnachmittag ist seine Energie zu spüren. Direkt, offen und ehrlich schildert er sein Leben: Er ist als ältestes von vier Kindern in Zürich aufgewachsen. Seine Eltern seien konservativ gewesen, sodass er ohne Fernseher, mit dem Haarschnitt seiner Mutter und Kleidern aus der Secondhand-Börse gross geworden sei. In der Kindheit sei er «wenig sexy» und ein Aussenseiter gewesen. «Ich war anders als die meisten anderen und wurde in der Schule gemobbt. Ich musste mich oft wehren.» Dies habe dazu geführt, dass er introvertiert und immer stiller geworden sei. Beim Klavierspielen habe er Zugang zu seinen Emotionen gefunden. «Die Musik war für mich eine Zuflucht, eine Art emotionale Insel.» Erst in der Musikszene habe er ähnlich denkende Menschen und zum ersten Mal im Leben Freunde gefunden.

«Ich war in nichts speziell gut und habe vieles einfach brav gemacht.»

«Als Jugendlicher war ich kein Überflieger. Ich war in nichts speziell gut und habe vieles einfach brav gemacht», betont der Doktor. Sein Vater, ein ETH-Professor, sei bei allem was er tat, von einer Hingabe beseelt und sehr leistungsorientiert gewesen. «Wir Kinder haben für ihn wohl kaum existiert. Sein Feedback und seine Anerkennung haben mir gefehlt. Dies war sicherlich nicht so, weil er das nicht wollte, sondern weil er die Bedeutung davon nicht verstanden hat.» Daraus sei das entstanden, was er heute als Vater-Komplex bezeichne.

Der Jugendliche versuchte, immer noch besser zu werden und so die fehlende Anerkennung seines Vaters zu kompensieren. «Darum bin ich so leistungsorientiert geworden. Man realisiert erst später, dass man der Beste auf der Welt hätte sein können und es trotzdem nicht gereicht hätte.» Die Freude und die Begeisterung habe jedoch bei allem was er anpackte, im Vordergrund gestanden. «Ich habe aus Freude und mit viel Herzblut trainiert. Ich war einer von wenigen, der auch anderen Sportlern den Sieg gönnte.»

An der Spitze angelangt

Sein Enthusiasmus und seine Freude führten ihn schliesslich an die Spitze: Der Duathlet wurde im Jahre 2000 Schweizer Meister und stand in der Weltrangliste auf dem vierten Rang. Sein Medizinstudium hatte er für ein Jahr unterbrochen, um sich ganz dem Sport zu widmen. «Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so gut gefühlt wie im September 2000», sagte er später im Interview. Doch es sollte alles anders kommen. Vier Tage vor dem Wettkampf in Komatsu an der japanischen Ostküste verunfallte der Schweizer schwer. Sein Traum vom Weltmeister-Titel platzte in Sekundenbruchteilen. Christian Wenk wurde vom Profisportler zum Querschnittsgelähmten. Drei Wochen lang rang er mit dem Tod. «Ich komme wieder heim», sagte er mehrmals zu seiner Familie am Telefon. Dies, obwohl er nicht wusste, ob er sein Versprechen halten kann. «Mir war klar, dass die medizinische Lage äusserst ernst war. Ich wusste, dass es ein Kampf wird.»

Diesen Kampf hat Christian Wenk gewonnen. «Es ist ein Wunder. Eigentlich hätte ich tot sein müssen. Die einzige Antwort die Sinn macht, ist, dass ich noch eine Aufgabe habe», ist er überzeugt.

Der Schweizer wurde eine Woche nach seinem Unfall nach Zürich geflogen, wo man ihn zweimal am Rücken operierte. Trotz seiner Querschnittslähmung war der Wille des Medizinstudenten ungebrochen. Nach fünf Wochen Rehabilitation besuchte Wenk bereits eine Vorlesung an der Universität Zürich, nach nur zehn Wochen Rehabilitation wurde er aus der Klinik entlassen.

Eine Stärke aus der Schwäche

«Der Hauptgrund, warum mir schwierigste Situationen kaum schwer fallen, ist mein Urvertrauen. Dieses wurde mir quasi in die Wiege gelegt. Als Erstgeborener und dank meiner liebenden Mutter habe ich uneingeschränkte Geborgenheit erfahren», erklärt der Mediziner. Dies habe zu dem tiefen Glauben geführt, «dass alles was passiert, letztlich gut enden wird.» Sein Urvertrauen sei bei seiner Genesung zentral gewesen. «Es gab aber auch diverse Menschen, die mir Mut gemacht und mich gepusht haben. Das war fast ebenso wichtig.»

Er selber habe es zudem geschafft, aus einer vermeintlichen Schwäche, der Querschnittslähmung, eine Stärke zu machen. «Es ist doch implizit klar, dass mein medizinischer Leidensweg länger war, als derjenige meiner meisten Patienten. Das schafft Vertrauen. Und heute kann ich mit meinem Beispiel vielen Menschen Mut machen.»

Mit der Behinderung hadern

Trotz seiner positiven inneren Haltung erlebt Christian Wenk auch Tage, wo er mit seiner Behinderung hadert. «Ich fluche manchmal, wenn ich mir in die Hosen mache. Ich will auch beim Sex wieder normal spüren. Und manchmal möchte ich meine Turnschuhe anziehen und durch den Wald rennen», berichtet er. Alltägliche Dinge würden auch ihn, den ungeduldigen Mann, manchmal unnötig Zeit und Nerven kosten.

«Ich habe extrem Mühe damit, schwach zu wirken.»

«Wenn ich beispielsweise aus dem Rollstuhl falle und auf der Strasse lande, sehe ich hilflos aus. Leute eilen sofort herbei und möchten mir helfen. Ich will das aber nicht, weil ich mir selber helfen kann. In solchen Momenten merke ich, dass ich extrem Mühe habe, schwach zu wirken.»  Wenk will nicht als Mensch mit Schwächen wahrgenommen werden. «Selbstmitleid ertrage ich nicht. Das hat wohl nichts mit meiner Querschnittslähmung, sondern mit meiner Vergangenheit zu tun, als ich wegen meiner Schwächen geplagt wurde.»

Dass ihn seine Frau Jacqueline vor vier Monaten verlassen hat, macht Christian Wenk traurig. «Das ist nicht einfach. Wir haben sieben Jahre lang an einer gemeinsamen Zukunft gebaut. Der Verlust meiner Partnerin tut mir letztlich mehr weh als die Tatsache, dass ich im Rollstuhl sitze.» Auch in solchen schwierigen Situationen schöpft der 40-Jährige Kraft aus seinem Urvertrauen. Er weiss aus Erfahrung, dass das Leben weiter gehen wird. Und seine Erinnerungen an die schönen Momente kann ihm niemand nehmen. «Am Schluss eines Lebens bleibt einem ja sowieso nur die Erinnerung. Das ist letztlich das, was uns Menschen reich macht.»

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