Das fiktive Interview

Urweltmammutbaum der wiederholten Sachbeschädigung schuldig

Der Urweltmammutbaum an der Kreuzbuchstrasse in Luzern erlebt gerade seinen letzten Herbst. (Bild: hch)

Im Dezember wird der Urweltmammutbaum an der Kreuzbuchstrasse gefällt. zentral+ hat sich mit ihm getroffen, um das Luzerner Urgewächs über seine Gefühle zum schnellen Ende zu befragen. Es wurde ein kurzes, dafür aber emotionales Gespräch.

Der rund 80-jährige Urweltmammutbaum an der Luzerner Kreuzbuchstrasse wird diese Weihnachten nicht mehr erleben. Noch im Dezember soll er gefällt werden. «Er hat bereits mehrere Male Schäden an Belag und Stützmauern verursacht», heisst es in der Begründung der Stadtgärtnerei. Weitere Schäden seien absehbar. zentral+ hat den Mammutbaum zum Interview getroffen.

zentral+: Du wirst von der Stadt der wiederholten Sachbeschädigung beschuldigt. Du hast mit Deinen Wurzeln schon eine Strassenbeleuchtung umgeknickt oder Begrenzungssteine abgehoben. Und Besserung ist bei Dir nicht in Sicht, sagte uns der Baumsachverständige der Stadt, Fritz Bächle.

Urweltmammutbaum: Ja, stimmt schon. Das ist mir auch wirklich unangenehm. Doch ich hätte mir trotzdem etwas mehr Entgegenkommen gewünscht. Ab und zu etwas Belagsausbesserung ist doch nicht zu viel verlangt. Andernorts in der Stadt werden ja auch ständig die Strassen aufgerissen. Und noch etwas: Es sind mittlerweile so viele Städter mit 4×4-Fahrzeugen und Offroadern unterwegs, da wird ein kleiner Riss im Belag doch wohl kein Hindernis darstellen, oder?

zentral+: Nun gut, die Marotten der Menschen zu diskutieren übersteigt den Rahmen dieses Interviews. Als Urweltmammutbaum wirst Du auf Wikipedia als lebendes Fossil bezeichnet. Luzern hat nun Dein Todesurteil gesprochen, im Dezember wirst Du gefällt. Die Frage mag taktlos sein, doch was empfindest Du dabei?

Urweltmammutbaum: Blöde Frage. Wäre ich hier nicht so tief verwurzelt, wäre ich bereits auf und davon. In den Innenhof des Regierungsgebäudes oder gleich zurück nach China in meine alte Heimat. Mit meinem Stammumfang von 5,40 Metern kann ich mich auch schlecht im Schatten eines meiner 17 Geschwister verstecken, die in der Stadt auf öffentlichem Grund stehen.

«Wäre ich eine Tanne mit eidgenössischem Stammbaum, dann sähe es vielleicht anders aus.»

zentral+: Das heisst, Du hast resigniert?

Urweltmammutbaum: Was bleibt mir anderes übrig? Auf der anderen Seite hatte ich ja auch ein gutes Leben. Immerhin durfte ich rund 80 Jahre hier stehen. Die Aussicht auf die Stadt und den Pilatus ist wirklich fantastisch. Auch die elegante Nachbarschaft hat mir immer sehr gefallen.

Er ist einer von vielen

118 Bäume in der Stadt Luzern müssen gefällt werden, weil sie alt oder durch Krankheiten geschwächt sind und dadurch teilweise ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen, meldet die Stadtgärtnerei der Stadt Luzern.

An den meisten Orten, an welchen Bäume gefällt werden müssen, werden bis im Frühling 2015 Jungbäume gepflanzt.

zentral+: Du hast dich aber in der Nachbarschaft anscheinend nicht besonders beliebt gemacht. Die Anwohner sind offenbar mit Deinem Ende einverstanden.

Urweltmammutbaum: Das stimmt und ist bedauernswert. Vielleicht sind sie noch immer sauer über den massiven Schattenwurf, den ich mit meinen 30 Metern Höhe verursache. Ich bin auch unsicher, ob die Situation etwas mit meiner chinesischen Herkunft zu tun hat. Wäre ich eine Tanne mit eidgenössischem Stammbaum, dann sähe es vielleicht anders aus.

Immerhin wurden nun die Medien auf mein Schicksal aufmerksam. Es ist schon etwas traurig. Wegen Parkplätzen reichen Parteien Vorstösse ein, diese sollen einem Park mit neuen Bäumen Platz machen. Doch bei einem alten Baum wie mir, da kümmert es keinen.

zentral+: Was würdest Du denn erwarten?

Urweltmammutbaum: Das ist eben das Problem: Ausser zivilem Ungehorsam bleibt mir nichts. Weil die Stadt sowohl Besitzerin des Grundstücks ist wie auch Bewilligungsinstanz, sind keine Rechtsmittel möglich. Doch ich werde so lange wie möglich standhaft bleiben.

«Ausser zivilem Ungehorsam bleibt mir nichts.»

zentral+: Du wirst eine Lücke hinterlassen. An Deiner Stelle wird nichts Neues gepflanzt. Hast Du einen Wunsch, was man mit Deinen sterblichen Überresten machen soll?

Urweltmammutbaum: Ja, natürlich. Ich bin ja ein chinesisches Rotholz. Da drängt es sich doch auf, dass aus mir viele neue Parkbänke geschnitzt werden. Dafür besteht doch Bedarf in der Stadt? So könnten sich wenigstens die Touristen aus meinem Heimat-Land noch an mir erfreuen, wenn mich die Einheimischen schon nicht schätzen und lediglich als Objekt behandeln. Als ob man einen Baum jemals besitzen könnte.

zentral+: Was wäre dein letzter Wunsch?

Urweltmammutbaum: Was ich immer sehr mochte, waren diese langhaarigen Menschen, die mich manchmal umarmen oder um mich herumtanzen. Vielleicht könnten ja noch einige vorbeikommen. Im Advent, der Zeit der Nächstenliebe, um auch noch ein Kerzchen anzünden.

Während 80 Jahren konnte der Doppelstämmige Baum die Aussicht auf See und Pilatus geniessen.

Während 80 Jahren konnte der Doppelstämmige Baum die Aussicht auf See und Pilatus geniessen.

(Bild: hch)

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1 Kommentar
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    Freddy, 12.11.2014, 22:46 Uhr

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