Verdeckte Ermittlung der Zuger Polizei

Auf der Jagd nach kriminellen Pädophilen

(Symbolbild) Er darf nicht provozieren: René Sägesser ist passiv im Chat, sonst kann er keinen Untersuchungsbefehl erwirken. (Bild: fam)

Im Kinder-Chat gibt es nicht nur Kinder. Sondern auch pädophile Erwachsene, die auf Missbrauch aus sind. René Sägesser fahndet für die Zuger Polizei im Chatroom, und gibt sich dabei als Kind aus. Er könnte so jeden Monat einen Straftäter verhaften, sagt er. War aber zuletzt im März im Chat. Reicht das?

Wenn René Sägesser vor den Computer sitzt, dann ist er ein Kind. Denn in dem Chat, in dem er drin ist, «da haben Erwachsene nichts zu suchen.» Und die, die sich trotzdem tummeln, mit sexuellen Hintergedanken, hinter denen ist er her. «Ich bin dann wirklich in der Rolle. Am Anfang war ich immer hochkonzentriert, damit ich ja das richtige schreibe. Aber mittlerweile bin ich einfach Kind, und schreibe, was ein Kind so schreiben will.» René Sägesser ist Polizist, Ermittler der Zuger Polizei, 50 Jahre alt und zuständig für Sexualdelikte. Besonders für solche, bei denen Kinder involviert sind. Und der Chat ist als Ermittlungsform besonders wirksam. «Wenn wir das hundert Prozent machen würden, gäbe es mindestens eine Verhaftung im Monat», sagt Sägesser, denn sie sind da, die Leute mit krankhafter Pädophilie, die sich in Kinderchats einloggen.

«Die Sprache wird immer sexualisierter, immer härter unter der Gürtellinie.»

René Sägesser, Ermittler Zuger Polizei

Und der eine oder andere von ihnen stösst dann, statt auf ein 12-jähriges Mädchen, auf Sägesser. Damit ist aber noch nichts gewonnen. «Es dauert unglaublich lange, das Vertrauen aufzubauen», sagt er. «Kernpädophile, so nennen wir die Pädophilen, die ihr Leben auf ihre sexuelle Neigung ausgerichtet haben, für die das der Lebensinhalt ist. Die sind extrem vorsichtig.» Schreiben in einigen Fällen drei Monate lang mit Sägesser, zuerst über harmlose Dinge. «Aber irgendwann kommen sie dann. Schreiben, ich will dich nur ein bisschen streicheln. Die Sprache wird von da an immer sexualisierter, immer härter unter der Gürtellinie.» Und irgendwann kommt dann der Vorschlag: Wollen wir uns treffen? Sägesser will. Und für den Chatpartner ist das ein heftiger Moment, wenn die Polizei plötzlich dasteht: «Die erschrecken alle. Und die Ausreden sind immer die gleichen: Ich wollte ja nur was trinken gehen mit dem Buben oder dem Mädchen.»

«Die Täter haben ein unglaubliches Gespür»

Fühlt er sich dabei nicht seltsam, Leute in die Falle zu locken? «Ich locke niemanden in die Falle», sagt Sägesser und stellt klar: «Ich darf nicht im Geringsten provozieren. Das ist der Rest Polizist hinten im Kopf, der mir beim Chat-Schreiben über die Schulter schaut. Wenn ich provoziere, dann ist das Vorgehen später nicht zulässig und es kommt zu keiner Verurteilung vor Gericht.» Deshalb bleibt er passiv: «Der andere, klickt uns an, führt das Gespräch und will schlussendlich ein sexuelles Treffen vereinbaren. Klar muss ich da auch reagieren.» Muss sich verhalten wie ein Kind, das ins Schema des Pädophilen passt: Nicht zu selbstbewusst, keine stabilen Verhältnisse vielleicht. «Die Täter haben ein unglaubliches Gespür dafür, welches Kind sie manipulieren können. Und bei uns klappt das, sie manipulieren uns. Nur behalten wir dabei immer die Kontrolle.»

Sexualisierte Jugendsprache: Provokation oder nicht?

Das ist nicht immer einfach: «Wenn er fragt, ob ich schon Brüste habe, und ich schreibe ja. Und dann fragt er, welche BH-Grösse hast du?» Sagt der Polizist und zuckt mit den Schultern, «da kam ich schon ins Schwitzen. Ich hatte keine Ahnung, welche BH-Grössen in diesem Alter aktuell sind.» Aber Provokation sei auch das nicht: «Die Jugendsprache ist zwar sehr sexualisiert, aber da halte ich mich zurück. Ich schreibe nicht: Wie gross ist denn deiner?» Er schreibt stattdessen: Was arbeitest du, welches Auto fährst du, er stellt sich einfach vor, für was sich ein Kind interessieren würde. «Und wenn der Andere zu frech wird, dann kann ich auch empört reagieren, sag mal spinnst du eigentlich? Aber meistens muss ich gar keine Fragen stellen, er fragt: Hast du einen Freund? Hattest du schon mal Sex? Und dann immer weiter in dieser Richtung.»

14 Verhaftungen in Zug

Seltsame Gespräche mit seltsamen Menschen, wie geht er damit um? «Ich bin nicht der Richter, ich verurteile nicht. Auch dann nicht, wenn mir der Mann nach der Verhaftung gegenüber sitzt. Meine Aufgabe ist es, die Wahrheit herauszufinden.» Für die Täter habe er kein Verständnis, aber mit ihnen umgehen, das kann er trotzdem: «Ich finde den Draht zu ihnen.»

«Bei knapp der Hälfte der Straftäter, die wir festgenommen haben, konnten wir dann auch Straftaten mit reellen Opfern aufklären.»

René Sägesser, Ermittler Zuger Polizei

Schlussendlich, nach einigen Wochen chatten, ist er mit dem Treffen einverstanden. Ist das nicht auch eine Provokation? «Das sagt die Verteidigung auch manchmal vor Gericht. Aber es ist nun mal in der Realität auch so, dass die Kinder diesen Leuten ein Treffen zusagen. Sie haben Vertrauen gewonnen. Unser Vorgehen ist gesetzlich legitimiert.» Das Gesetz ist klar, klar auch das betreffende Bundesgerichtsurteil: Wenn der Mensch am anderen Ende während des Chats mehrmals andeutet, dass er sexuelle Handlungen mit dem vermeintlichen Kind vornehmen will, und wenn es zum Treffen kommt, dann ist das ein «Versuch der sexuellen Handlung mit Kindern.» Und damit strafbar.

Ein Versuch natürlich nur, wenn das Kind in Wirklichkeit die Polizei ist. Denn in anderen Fällen bleibt es nicht beim blossen Versuch, sagt Sägesser: «Bei knapp der Hälfte aller 14 pädophilen Straftäter, die wir aufgrund ihres Versuchs in Zug festgenommen haben, konnten wir danach auch reelle Straftaten mit reellen Opfern aufklären.»

Bis hinters Auge, aber nicht ins Gehirn

Und das ist das Ziel der ganzen Sache: Einen Hausdurchsuchungsbefehl zu bekommen. Denn: «Alle, die sich hier in dem Chat mit uns treffen wollten, hatten auch kinderpornografisches Material zuhause.» Das sei wie eine Schwelle, einige übertreten sie, andere nicht. Es gäbe zwar Pädophile, die nie ein Kind zu verführen versuchen, aber zuhause Kinderpornografie horten. «Doch viele missbrauchen früher oder später auch in der Realität Kinder.» Es gibt viel schlimmes Material, das Sägesser sichten muss. Viele Filme, viele Bilder. «Sie gehen mir bis hinters Auge, aber nicht bis ins Gehirn, zu meinem eigenen Schutz.»

Verhaltensregeln für Kinder im Chat

Wenn ein Kind sich in Chats für unter 15-Jährige bewegt, dann wird es durchschnittlich nach 2.6 Minuten sexuell angemacht. Das schreibt die Online-Plattform security4kids. Und 37 Prozent der Primarschulkinder in der Schweiz haben Zugang zum Internet, ohne ihre Eltern fragen zu müssen, so die Plattform elternnet. Deshalb ist es wichtig, dass Kinder die Verhaltensregeln im Chat kennen. «Kinder, die auf der Strasse von Fremden angesprochen werden, reagieren richtig: Sie laufen weg und sprechen mit ihren Eltern» sagt Polizist René Sägesser. «Im Chat machen sie das nicht.» Das müssen sie genauso von ihren Eltern lernen, wie das Verhalten im Umgang mit Fremden. Es ist normal, dass Kinder ihre Chatbekanntschaften manchmal auch im realen Leben treffen möchten. Damit das nicht gefährlich ist, sondern zu erfreulichen Bekanntschaften führen kann, stellt die Stiftung Kinderschutz folgende Verhaltensregeln auf: 

• Als Eltern sind Sie darüber informiert, wo Ihr Kind sich wann mit einem Chat-Freund oder einer Chat-Freundin trifft

• Eine erwachsene Person geht mit zum Treffen

• Ein solches Treffen darf nur an öffentlichen Orten stattfinden

• Ihr Kind soll den Ort nicht mit dem Chat-Freund verlassen dürfen

Blosse Busse und «nichts passiert»

Und für diese Bilder können die Täter verurteilt werden. «Wenn wir jemanden festnehmen, dann gibt das nach der Hausdurchsuchung mindestens eine Verurteilung wegen dem Besitz von Kinderpornografie.» Die Strafen sind allerdings nicht sehr hoch: Wer nach einer Chatbeziehung mit Sägesser zum Treffen auftaucht, der muss oft nur mit einer Busse rechnen. «Ich persönlich finde, die Strafen sind zu tief.» Es gäbe Verurteilte, die nachher sagen würden, mir ist ja gar nichts passiert. «Aber ich als Polizist habe dazu nichts zu sagen. Und unser Gesetz ist wirklich hervorragend, bloss wird der Strafrahmen leider nie ausgeschöpft.» Und da ist nicht nur die Busse, da ist auch die Scham: Der Täter fliegt auf, wenn die Polizei zuhause alles durchsucht, wenn die Frau es mitbekommt. «Wir sagen der Frau gar nichts, das soll der Täter übernehmen.» Sind sie reuig, wenn er sie festnimmt? «Einige sind einfach naiv, gierig: Sie wollen schnellen Sex und ihnen ist egal mit wem, minderjährig oder nicht.» Die würden oft einsehen, dass sie einen Fehler gemacht haben, sind vielleicht schon mit schlechtem Gewissen überhaupt an den Treffpunkt gekommen, weil sie wissen, dass sie da etwas Falsches machen. Aber es gäbe auch die anderen: «Die Kernpädophilen sind oft uneinsichtig, haben kein Schuldbewusstsein, halten sich selber für Opfer. Sie wollten ja dem Kind nur etwas beibringen, wollten ihm nur die Liebe zeigen.»

Neben den «richtigen Ermittlungen» noch ein bisschen im Chat?

Die Chat-Ermittlung ist nur ein kleiner Teil von Sägessers Arbeit, meistens stehen aktuelle Fälle im Raum, die unter Zeitdruck bearbeitet werden müssen. «Dann habe ich keine Zeit für den Chat. Ich kann ja nicht sagen, der Fall muss jetzt warten, ich bin noch am Chatten.» Im März war er zuletzt drin, seither keine Chance. Neben den «richtigen» Ermittlungen noch ein bisschen im Chat, das klingt seltsam abwertend. Ist die Ermittlung im Chat zu wenig wichtig? Braucht es sie überhaupt? «Sie ist sehr wichtig: Damit können wir tatsächlich Verbrechen vorbeugen. Denn wenn er sich nicht mit uns trifft, dann trifft er sich mit Sicherheit mit einem echten Kind.»

Aber es würden schlicht die personellen Ressourcen fehlen, um die Ermittlungen auszubauen. Weshalb muss der kleine Kanton Zug sich auch noch um Chatrooms kümmern, auf denen ja die ganze deutschsprachige Welt sich trifft? «Der Missbrauch von Kindern kennt keine Kantonsgrenzen. Und es gibt keine Bundespolizei, die das Ganze übernehmen könnte. Zudem schützen wir damit ja auch Kinder in Zug.» Das eigentliche Ziel sei es, in die versteckten Kreise vorzudringen. «Das ist organisiertes Verbrechen, ganze Ringe von Pädophilen.» Sägesser erhofft sich, aufgrund tiefgründiger Ermittlungen  zu diesen Kreisen vorzudringen. «Aber dafür fehlen uns wie gesagt schlicht die Ressourcen. Man könnte noch sehr viel mehr machen.»

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