Literaturmarathon

Berliner Literatur in Zug

Bringen Berliner Kultur nach Zug: Adrian Hürlimann (links) und Armin Oswald von der Literarischen Gesellschaft Zug. (Bild: Beat Holdener)

Ein neues Lesewochenende soll Zug als Ort der Literaturvermittlung zum Leuchten bringen. Sieben namhafte deutsche Autorinnen hat die Literarische Gesellschaft Zug dafür gewinnen können. Dass mit dem Label «In Berlin geschrieben – in Zug gelesen» geworben wird, unterstreicht die mannigfaltigen kulturellen Verbindungen zwischen den beiden unterschiedlichen Städten.

Berlin verfügt über so manches im Überfluss was in Zug extrem fehlt. Eine spannende Kulturszene, ein Nachtleben, Freiräume, bezahlbare Wohnungen. Der armen Sexyness der Metropole kann Zug höchstens die Erotik des Geldes entgegenhalten. Vielleicht noch den öffentlichen Verkehr: Die S-Bahn an der Spree gibt sicher mehr Anlass zum Schimpfen, als die Stadtbahn an der Lorze. Der «Urban Sundown» etwa von der Modersohnbrücke aus betrachtet bietet hingegen dem Sonnenuntergang an den Gestaden des Zugersees problemlos Paroli. Ob für Studis, Kulturschaffende, Bildungsreisende, Partypeople, Immoblienspekulanten – Berlin weckt hierzulande Träume.

Literarisches Gipfeltreffen

Jetzt will die Literarische Gesellschaft Zug das Faszinosum Berlin nutzen, um Zug als Literaturplatz zu profilieren und um ein breiteres, jüngeres Publikum anzulocken. Mit dem Projekt «Literatur kompakt» bringt sie am 23. und 24. März sieben Schriftstellerinnen in den Burgbachkeller, die in der deutschen Hauptstadt leben und arbeiten. Als «Einbruch urbaner Kultur in die Provinz» umschreibt Adi Hürlimann, Präsident der «Literarischen» die Zielsetzung des Events und bezeichnet das Vorhaben als «vielleicht ein bisschen grössenwahnsinnig».

Beeindruckend nicht nur die Zahl sondern auch die Qualität der Autorinnen, die ganz oben in den Bücherhitparaden auftauchen. Ursula Krechel tritt dank dieser Einladung sogar erstmals in der Schweiz auf, seit sie mit ihrem Roman «Landgericht» 2012 den Deutschen Buchpreis erhalten hat – zwischen Lesungen in Wien und Israel. Die Eingeladenen hätten Zug teilweise anderen Möglichkeiten vorgezogen, sagt Adrian Hürlimann, aber nicht wegen der harten Schweizer Franken: «Wir konnten ihr Interesse wecken, weil wir uns mit ihren Werken auseinandergesetzt und die Autorinnen persönlich angesprochen haben.»

Initiiert wurde der Lesemarathon von Armin Oswald, Vorstandsmitglied der Literarischen Gesellschaft: «Mich hat vor allem die Frage interessiert, warum in Berlin so viele Frauen literarisch tätig sind», sagt Oswald. «Diese Konzentration und das Niveau ihrer Werke sind beeindruckend.» Trotz gemeinsamem Lebensmittelpunkt werden sich die meisten der Autorinnen in Zug zum ersten Mal persönlich treffen und kennenlernen.

Hauptstadt der Kulturwirtschaft

Schon seit Jahrzehnten gilt Berlin als wichtiges Literaturpflaster, das Anfang des 20. Jahrhunderts und nach dem Fall der Berliner Mauer einen besonderen Sog entwickelte. Mit diesem Phänomen beschäftigt sich Christa Baumberger, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Literaturarchiv der Schweizerischen Nationalbibliothek. Sie arbeitet zurzeit im Berliner Atelier der Zuger Landis-und-Gyr-Stiftung, als letzte Nutzerin übrigens, bevor dieses im Sommer aufgegeben wird. «Die Kultur- und Literaturszene in Berlin ist heute sicher nicht mehr so politisch aufgeladen, so brodelnd, subversiv und im Aufbruch wie in der Zeit nach der Wende», beobachtet die Literaturkennerin, «die Stadt entwickelt sich aber seit 2000 immer mehr zur deutschen Metropole der Kulturwirtschaft und mit dem Umzug grosser Verlage nach Berlin, am spektakulärsten der Umzug des Suhrkamp Verlags, auch zur Bücherstadt Nummer 1.» Die vielen Verlage, literarischen Institutionen und die öffentliche Förderung machen Berlin zu einer attraktiven Plattform für Einsteiger, aber auch für etablierte Autoren. Hoch- und Alternativkultur finden Tür an Tür statt. Die Auswahl der Literarischen Gesellschaft Zug mit Vertreterinnen verschiedenster Generationen und Herkunft zeichnet für Christa Baumberger ein spannendes Abbild der Szene: «Wie für alle Metropolen und Kunstzentren gilt auch für die Berliner Autorenlandschaft, dass man sie auf keinen gemeinsamen Nenner bringen kann. Sie ist vielfältig, heterogen, widersprüchlich und unglaublich vital.»

Inspirierender Dreck

Nina Bussmann ist eine diese Vertreterinnen, vor 12 Jahren nach Berlin gezogen, ohne genau darüber nachzudenken warum. In keinem einzigen Text habe Berlin je eine Rolle gespielt. «Oft verlasse ich die Stadt, um zu schreiben, ich stelle mir vor, dass das Schreiben in den Bergen oder auf Inseln besser geht. Immer bekomme ich an diesen entrückten Orten nach einer Weile Furcht, den Verstand zu verlieren, ich fange an, den Dreck zu vermissen, das Kino, die Menschen, die Störungen, ich glaube, es ist gut, gestört zu werden», sagt die Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin 2011 auf die Frage nach ihrem Wirkungsfeld. «Es ist wahrscheinlich sogar gut, dass es hier solche Heerscharen halbprekär lebender Kulturindustriebeschäftigter gibt. Es sollte einen davor bewahren, sich für etwas Besonderes zu halten.»

Fluchtort und Inspiration

Viele Zuger Literaturschaffende wurden durch die deutsche Hauptstadt in besonderer Weise beeinflusst. Thomas Hürlimann lebte jahrelang in Berlin (für diesen Artikel war er leider nicht zu sprechen), andere verbrachten dort mindestens ein paar Monate etwa im Atelier des Kantons Zug. Für Silvano Cerutti bedeutete dieser Aufenthalt im Winter 1999 eine Zäsur, die sein Schreiben verändert hat: «Die Anonymität der Grossstadt hat mir bewusst gemacht, dass ich unter ganz vielen nur ein kleines Würstchen bin. Von der Szene habe ich nicht viel mitbekommen, aber die Distanz hat einen anderen Blick auf die Heimat ermöglicht.» Heute lebt der Zuger in Solothurn, nicht zuletzt weil die günstigeren Lebenskosten – analog zu Berlin – eine Tätigkeit als Schriftsteller überhaupt erst möglich machen.

Der «literarische Allgemeinpraktiker» Michael van Orsouw konnte dagegen bei seinem Aufenthalt in Berlin 2007 richtig abheben. Mit seiner Partnerin Judith Stadlin ist er in die für ihn völlig unbekannte Spoken-Word-Szene hineingerutscht: «Die Zeit war extrem beglückend und inspirierend. Wir konnten uns vor Anfragen für Auftritte kaum retten, in einer literarisch hoch stehenden, aber völlig unkomplizierten Umgebung.» Mit der Satz&Pfeffer-Lesebühne an der Oswaldsgasse hat Michael van Orsouw ein Stück von dieser Faszination nach Zug gebracht und mit den Auftritten von renommierten Gästen auch die Idee von «Literatur kompakt» vorgespurt.

Zug als Literaturstadt profilieren

Mit ihrem neuen Event hegt die Literarische Gesellschaft für die Zukunft grosse Ambitionen. «Literatur kompakt» soll künftig jedes zweite Jahr mit einem anderen Schwerpunktthema stattfinden. Damit hoffen die Initianten eine Nische zu besetzen und Zug als Plattform für Autorinnen und Autoren zu etablieren. Andere Schweizer Kleinstädte haben bewiesen, dass ein Literatur-Festival auch in der Provinz funktionieren kann. Zug kann damit den Vorsprung von Berlin vielleicht ein bisschen reduzieren.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von gideon.lehmann
    gideon.lehmann, 03.04.2013, 15:40 Uhr

    Grüße von einem Leser aus Berlin

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