Luzern Rock City

«Mimiks ist einfach verdammt gut»

Luzern: Einst «Rock City» und heute auf dem Weg zur Hip Hop-Hochburg. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Im Sommer 2005 ernannte das «Rockstar Magazin» Luzern zur Schweizer Rockstadt Nummer 1. Und tatsächlich: Auf der Bühne wurde vornehmlich gerockt und in der Disco zu Indie Rock-Klängen getanzt. Knapp zehn Jahre später stürmt der Luzerner Rapper «Mimiks» die Schweizer Albumcharts und grüsst von Platz 1. Ein Erfolg, der die Rock City nie erreichen konnte. zentral+ begab sich bei den verbliebenen Gitarren-Bands auf Spurensuche und fragte, was der Hip Hop heute hat, was dem Indie-Rock damals fehlte.

Es waren Bands wie «Neviss», «Solitune», «Zeugen Utopias» (später «Kronzeugen») oder «Lird van Goles», die nach der Jahrtausendwende in Luzern aktiv wurden und so Luzern auf der Schweizer Karte des Rocks bekannt machten. Allen voran genannt werden muss die Band «Highfish», welche mit «Riptide» einen veritablen Hit schaffte. 2006 gründete der Sänger von Highfish dann das Label «Luzern – Rock City», das die verschiedenen Bands unter einem Dach vereinen sollte. Im gleichen Jahr erschien auch der «Hell Yeah – Luzern Rock City-Sampler»: eine CD mit 23 Luzerner Rockbands. So sehr nun 2014 in Luzern der Hip Hop Einzug hält (zentral+ berichtete), verschwand der Rock von der Bildfläche. Mit dem ersten Platz von Mimiks zeigt der junge Rapper, dass es durchaus möglich ist, mit unkonventioneller Musik an die Spitze zu stürmen. Was macht die Hip Hop-Generation «041» heute besser als die Rock City damals? Arbeiten sie einfach besser zusammen oder ist es ein Qualitätssprung? Und was macht eigentlich der Indie-Rock (Definition Indie-Rock?) heute? Wer könnte das besser beantworten als jene Gitarren-Bands, die sich heute noch behaupten.

7 Dollar Taxi

«Gitarrenmusik ist einfach nicht mehr im Trend wie noch vor 5 Jahren», sagt Tizian von Arx, Sänger der Band «7 Dollar Taxi». Die Gruppe formierte sich just in dem Moment, als sich die traditionellen Rock City-Bands der Reihe nach auflösten. Dass sie Teil dieser Übergangsphase waren, zeigt sich auf dem 2006 erschienenen Rock City-Sampler, auf dem das Quartett ebenfalls mit einem Song vertreten ist. Von Arx stellt an Konzerten mit «7 Dollar Taxi» fest, dass die 18-Jährigen von heute häufig einen Electro-DJ einer lokalen Band vorziehen. Für den momentanen Erfolg der Hip Hop-Szene macht er auch deren Vernetzung verantwortlich: «Man sieht das auf Facebook: Wenn zum Beispiel Mimiks etwas postet, dann hat er in nur 15 Minuten über 100 Likes, die zu einem grossen Teil von anderen Rappern stammen.»

Auf die Frage, warum es die Indie-Szene noch nie auf den ersten Platz der Album Hitparade schaffte, nennt von Arx unter anderem die Veränderungen in der Musikindustrie: «Vor zehn Jahren brauchte es einfach noch viel mehr verkaufte Stückzahlen, um auf den ersten Platz zu kommen. Ausserdem war die Hitparade ein Promo-Tool für Labels, die der IFPI (Anm. der Redaktion: Schweizer Branchenverband der Musiklabels) angeschlossen sind – und Chartplatzierungen waren Acts auf IFPI-Labels vorbehalten. Das hat sich zum Beispiel mit Sophie Hunger’s «Monday Ghost» geändert, das 2008 ebenfalls von 0 auf 1 schoss.» Aber alleine auf diese Tatsache will von Arx den Erfolg von Mimiks nicht reduzieren. Eigentlich seien die Voraussetzungen damals gut gewesen, Gitarrenmusik habe eine grosse Beliebtheit genossen, wie Hip Hop oder elektronische Tanzmusik heute. Aber Mimiks Erfolg sei ihm so oder so hoch anzurechnen: «Vor allem deshalb, weil er auf dem Album keine Kompromisse gemacht hat und zweifelsohne einer der technisch versiertesten Rapper ist, den die Schweiz je gesehen hat.»

Von Arx nimmt wahr, dass in der Luzerner Pop-, Rock- und Indie-Szene eher gegeneinander als zusammengearbeitet wird, während sich Hip Hop-Protagonisten gegenseitig puschen und promoten: «Ich spreche viel mit den Rappern, und die sagen, dass Popper und Rocker mehrheitlich übereinander lästern und man den anderen keinen Erfolg gönnt.» Ihm sei «dieses Licht» aufgegangen und er poste auf Facebook regelmässig Posts und Videos anderer Bands. «Promo für Alle», nennt das von Arx. «Schlussendlich sind wir eine Szene. Und wird einer aus dieser Szene gross, werden alle anderen auch grösser.»

«7 Dollar Taxi» selbst profitierten anfangs noch vom Rock City-Hype rund um die Stadt Luzern, konnten sogar einen Deal mit einem japanischen Label abschliessen und standen auch schon mit einem englischen Label in Verhandlungen für einen Künstlervertrag über mehrere Alben. 2012 wurde ihr zweites Album auch in Deutschland veröffentlicht. Anfangs 2014 ist in der Schweiz das dritte Album «Anything Anything» erschienen. «Ob wir dieses Album ebenfalls in Deutschland veröffentlichen, wissen wir noch nicht», so von Arx. Inzwischen erledigt habe sich die Zusammenarbeit mit dem japanischen Label, weil dieses gar nicht mehr existiere. Und von einem Vertrag in England will von Arx im Moment nichts wissen: «Wir mussten in dieser Sache viel Lehrgeld bezahlen. Heute wissen wir, was wir wollen, aber auch, was das kostet.»

Les Yeux Sans Visage

«Die Hip Hoper zeigen uns heute eine ganz neue Selbstverständlichkeit und auch Dringlichkeit, etwas zu reissen. Ich frage mich, ob dieser Anspruch in der Zeit von Luzern Rock City auch so ausgeprägt war», sagt Remo Helfenstein, Sänger der Band «Les Yeux Sans Visage». Zu jener Zeit war Helfenstein selber nicht in einer Band aktiv, war aber als damaliger Musikchef von Radio 3FACH sehr nahe an der Szene dran. Damals habe man eher mit zwei, drei Kollegen wöchentlich geprobt, dann mal eine CD aufgenommen, und dann war die Sache abgeschlossen. «Der unbändige Glaube, Wille oder einfach ein Plan fehlte», nimmt Helfenstein an.

«Hip Hop ist in der Schweiz immer noch tief in der Jugend verankert»

Um das Phänomen Mimiks und das Hoch der Luzerner Rap-Szene fassbar zu machen, suchte zentral+ das Gespräch mit dem aktuellen Radio 3FACH-Musikchef Kilian Mutter. Was dem Rock fehle und was eben der Hip Hop habe, sei die Massentauglichkeit. «Dies jedoch nicht im Sinne davon, dass sich die Rockbands in Luzern für den Erfolg verbiegen sollen. Mimiks musste sich auch nicht verbiegen.» Es liege daran, dass sich eine viel breitere Schicht an Jugendlichen für Hip Hop interessiere und sich damit identifizieren könne. «Der Hip Hop ist in der Schweiz immer noch tief in der Jugend verankert, die Jungen kaufen sich die Songs und Alben ihrer lokalen Helden, tanzen an Konzerten mit, sehen die Rapper als Vorbilder.» Der Mode- und Musikhype des Indies sei dagegen abgeflacht, die Jugendlichen würden sich nicht damit identifizieren.

Für Mutter ist die aktuelle Situation aber eine Momentaufnahme. «Der klassische Indie-Rock ist ja schon unlängst im Mainstream angekommen, es gibt wieder viele Nischen, die sich im Independent-Bereich auftun und in Zukunft vielleicht auf grössere Resonanz stossen könnten.» Aber es sei schon so, dass in Luzern momentan wenige Bands nachrücken. Mutter blick aber in die Zukunft und fragt: «Wer weiss, wie Luzern sich in den nächsten Jahren positionieren wird.»

Heute sei der Indie-Rock immer noch präsent, aber nicht mehr so im Fokus. Helfenstein erinnert sich, wie 2001 die New Yorker Band «The Strokes» ihr Debutalbum «This Is It» veröffentlichten und somit den ganzen Hype um den Indie-Rock auslöste: «Sie galten als die Retter der Rockmusik. Die Welle reichte damals bis nach Luzern. Jetzt ist der Stab an eine andere Szene weitergereicht worden.» Helfenstein sieht das Kommen und Gehen eines Musikstils als natürlichen Zyklus. Hinter dem momentanen Erfolg des Hip Hops stehe die Sprache und ein langer Aufbau, jetzt habe die Stilrichtung ein weiteres Mal wieder voll eingeschlagen.
 
Als Teil der Indie Rock-Szene sieht Helfenstein durchaus, dass die Musiker der verschiedenen Bands zusammenarbeiten, auch genre-übergreifend, wie zum Beispiel «Geiler As Du» zusammen mit «Alvin Zealot». Er selbst spielt noch in zwei Projekten mit, bei «Field Studies» und «Dans La Visage». Versetzt er sich aber in die Rolle eines Betrachters, der die Szene von aussen beobachtet, stellt er fest, «dass viele das Schaffen von anderen mit Argusaugen betrachten». Direkt vergleichen könne man die zwei Szenen aber nicht: «Im Hip Hop herrscht eine andere Mentalität, es wird mit anderen Stilmitteln gearbeitet, und es herrscht ein anderes Verständnis, was Zusammenarbeit bedeutet.»
 
«Les Yeux Sans Visage» arbeiten momentan an ihrem zweiten Album. Der Antrieb dabei sei nicht der grosse Erfolg, der Durchbruch. «Wir machen das ohne Druck, weil wir einfach Lust haben, miteinander Musik zu machen.» Das Ziel, mit einem neuen Album die Nummer 1 in der Hitparade zu belegen, sei dabei nie formuliert oder nur schon angedacht worden. «Les Yeux Sans Visage verfolgen keine kommerziellen Ziele.» Remo Helfenstein huldigt dann aber auch Mimiks, der seine Musik nicht Hitparaden-tauglich angepasst habe: «Dass er es trotzdem geschafft hat auf die Eins zu kommen, ist ja das Schöne an seinem Erfolg.»

Dans La Tente

Christoph Barmettler ist Gitarrist und Sänger der Indie-Rock Band «Dans La Tente». Er empfindet die Stilbezeichnung «Indie» mittlerweile als abgegriffen: «Ich glaube, dass der Begriff Indie Rock heute zu klassisch gewählt wird. Dieses Stildenken löst sich für mich immer mehr auf.» Vielmehr würden neue Kombinationen entstehen und er hält fest: «Es ist nicht das Ziel, etwas zu machen, das es schon gibt.» Deshalb mag er auf die Frage, ob der Indie nun noch eine Relevanz besitzt oder nicht, gar nicht antworten. Den Erfolg von Hip Hop und vor allem von Mimiks kann er nachvollziehen: «Für den Schweizer Markt macht Mimiks etwas, das ankommt. Auch von der Sprache her.» Zudem würden die Songs direkt aus seinem Leben berichten und «das scheint eine breite Masse anzusprechen.» Vielleicht sei der Grund, warum Mimiks derart eingeschlagen hat, auch viel naheliegender: «Weil er halt einfach verdammt gut ist?».

Die Indie-Szene sei in Luzern durchaus noch aktiv, aber auch stilistischer offener. Vor allem wenn man Luzern mit anderen Schweizer Städten vergleiche, würden hier immer noch sehr viele Rock-Konzerte stattfinden. Aufgefallen ist ihm, dass es momentan, aber vor allem unter der Woche, schwieriger geworden sei, ein Publikum für ein Konzert zu begeistern. Auch Barmettler spricht vom Zyklus, dem ein Musikstil unterliegt: «Gewisse Dinge leiern halt aus. Man muss als Musiker selber darauf achten, sich nicht zu wiederholen, sonst geht die Spannung verloren.»

Das Thema Zusammenarbeit ist bei «Dans La Tente» allgegenwärtig. Ein Teil der Band spielt mit Musikern von «Les Yeux Sans Visage» und «Silver Firs», so wie «Wavering Hands». Und im Moment tauscht sich Barmettler gerade mit Mike Walker von der Hip Hop-Band «Geiler As Du» aus: «Ich mag Projekte mit anderen Leuten, der Wille zum Austausch ist sicher da», sagt Barmettler. 

«Dans La Tente» haben soeben ihr zweites Album veröffentlicht und sind nun daran, Konzerte in der Schweiz zu organisieren. «Das Album an sich war schon ein grosses Ziel. Jetzt geht es darum, die Songs live umzusetzen. Grössere Strategien haben wir zur Zeit nicht», erklärt Barmettler. Und so verzichtet die Band im Moment darauf, über die Schweizer Grenzen hinaus aktiv zu werden.

Weekend Phantom

Markus Aregger ist Sänger bei der Luzerner Indie Rock-Band «Weekend Phantom». Er findet klare Worte, wenn es darum geht, den Ist-Zustand der hiesigen Gitarren-Szene zu beschreiben: «Nicht nur in Luzern, in der ganzen Schweiz ist Indie-Rock tot.» Vergleiche man die Szene mit derjenigen vor zehn Jahren, gebe es weniger aktive Bands, weniger Konzertbesucher und der ganze Hype sei weg. Auch fällt ihm auf, dass es heute fast keine Indie Rock-Parties mehr gebe und wenn, dann seien sie schlecht besucht. Die Hip Hop-Szene sei da um einiges lebendiger. Den grössten Erfolgsfaktor von Mimiks sieht er jedoch wo anders: «Mimiks ist einfach verdammt gut, trifft den Nerv seiner Generation haargenau und hat einen enormen Output.»

Aregger findet, dass seine Band gut vernetzt ist. Ein wichtiger und kreativer Austausch mit anderen Schweizer Künstlern finde derzeit im «Studio vom Dach» im Tribschenquartier statt. So würden Bands wie «Japrazz», «My Baby The Bomb», «Kapnorth» oder derzeit der US-Künstler Peter Broderick ebenfalls im Studio vom Dach werken und verkehren. Auch das schweizweite Projekt «Session vom Dach» führe automatisch zu einem Austausch. «Diese Zusammenarbeit führt auch über den Indie-Tellerrand hinaus», so Aregger. Weiter sind zwei Musiker von Weekend Phantom gemeinsam mit Luzerner Musikern aus verschiedensten Sparten bei der Hip Hop-Band Japrazz aktiv.

Im Moment arbeitet die Band an ihrem zweiten Album, das im späten Herbst erscheinen soll. Einen physischen Vertrieb in Form einer CD wird es dann aber nicht geben, «einerseits aus Abneigung gegenüber der billigen Plastikscheibe, andererseits aber auch aufgrund der mangelnden Rentabilität des Mediums. CD’s sind passé», so Aregger. Immerhin presst die Band aber Vinyl für die Liebhaber und bietet ihre Musik zum digitalen Download an. «Wir machen weiterhin die Musik, die uns bewegt», erklärt Aregger. Sie verfolgten nicht das Ziel, von der Musik leben zu können. «Würden wir das tun, ginge uns der Spass wohl sehr schnell verloren». Ein Erfolg wie Mimiks wäre laut Aregger zwar «cool», aber verbiegen wollen sich die Musiker dafür nicht und genau das wäre heute nötig, um mit Indie-Rock Erfolg zu haben.

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