Zuger Blockbauten

In 500-jährigen Holzkisten lässt es sich gut leben

Das Haus Unterblacki in Unterägeri: 1510 erbaut, 2008 neu renoviert. (Bild: duf)

Stadtmauern, Schlösser und alte Kirchen sind erhaltenswerte Denkmäler, darüber herrscht breiter Konsens. Jahrhunderte alte Wohnhäuser hingegen betrachten viele Menschen als abrisswürdige Holzhaufen. Aber in Zug geniessen alte Blockhäuser besondere Aufmerksamkeit.

Anette Bieri kennt den Weg in den Hof Blacki in Unterägeri bestens. Vor einigen Jahren war sie regelmässig dort, denn sie begleitete als Bauforscherin und Mittelalterarchäologin den Umbau des Hauses Unterblacki, eines 500-jährigen Blockhauses. Nicht immer ist ihr Arbeitsalltag so gemütlich wie eine Ausfahrt mit einem Journalisten. In letzter Zeit hätten sie einige «Notfälle» auf Trab gehalten, erzählt sie.

Notfälle treten in der Denkmalpflege dann ein, wenn Häuser kurz vor dem Abriss oder Umbau stehen und in Eile gerettet werden muss, was noch zu retten ist: Wissenschaftliche Erkenntnisse über das, was zwar hunderte Jahre Bestand hatte, nun aber endgültig aus der Welt verschwindet.

Ein Baum, ein Balken

Vor zwei Monaten präsentierte Anette Bieri der Öffentlichkeit ihre Dissertation: ein umfassendes Buch zu den Zuger Blockbauten aus dem Spätmittelalter und der frühen Neuzeit. In den voralpinen Kantonen Zug und Schwyz ist die Blockbauweise spätestens seit dem 12. Jahrhundert heimisch, in Zug besonders im östlichen, höher gelegenen Kantonsteil. Im Zuger Unterland und generell im Mittelland dominieren hingegen sogenannte Bohlenständerbauten.

Die ältesten, bislang bekannten Blockbauten im Kanton Zug stammen aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. «Auf den ersten Blick kommen Blockbauten etwas behäbig und plump daher», sagt Anette Bieri. «Schaut man aber genauer hin, entpuppen sich diese Holzkisten als überraschend komplexe Gebäude, als zimmermännische Kunstwerke.»

Ein Eckvorstoss: Man erkennt man die Sorgfältige Holzarbeit.

Ein Eckvorstoss: Man erkennt man die Sorgfältige Holzarbeit.

(Bild: Fabian Duss)

In Blockhäusern wurden grosse Mengen von Fichten und Weisstannen verbaut. Ihr langer, gerader Wuchs prädestiniert sie für den Blockbau. Pro Balken wurde jeweils ein ganzer Baumstamm verwendet. «Es war ein riesiger Aufwand», erläutert Bieri, «denn die Balken wurden nicht etwa gesägt, sondern saftfrisch mit dem Beil zugehauen.» In den Ecken wurden sie verkämmt und mit Dübeln aus Hartholz am Rutschen gehindert. Wie exakt die Zimmerleute damals den Holzschwund berechnen konnten, lässt Bieri heute noch staunen. Im Übrigen waren derlei Blockbauten keine Immobilien: Vielmehr konnten sie problemlos demontiert und andernorts wieder aufgerichtet werden.

Enthüllungen durch Renovation

Im Haus Unterblacki, etwas ausserhalb von Unterägeri, sieht man noch besonders viel von dieser Bautechnik. 2007 kaufte das Ehepaar Mahler das Haus mit Baujahr 1510, renovierte es und zog Ende 2008 ein. «Anfangs verstand niemand, weshalb wir es nicht einfach abreissen und einen Neubau hinstellen wollten», erzählt Ursula Mahler. Mit dem Umbau gelang es, viel der alten Bausubstanz wieder ans Licht zu holen. «Im 18. und 19. Jahrhundert galten derlei Häuser als unmodern, weshalb die meisten mit Schindeln und Brettern verkleidet wurden, um zu verbergen, was dahinter war», berichtet Archäologin Bieri. Ganz zum Leid der Bausubstanz, denn zwischen Fassade und Verschalung richtete die angesammelte Feuchtigkeit Schäden an.

Das Haus Unterblacki wurde entschalt und an den Innenwänden isoliert. Auch im Hausinnern gelang es, durch die Renovation wieder viel Altes freizulegen. «Als wir das Haus kauften, waren die Räume deutlich niedriger», erinnert sich Ursula Mahler. Nun, da mehrere Decken-Schichten entfernt und die Fenster vergrössert wurden, wirken die Räume hell und geräumig – keine Spur von düsterem Bauernhaus-Muff. Mahler, die das Haus mit ihrem Mann und drei Kindern bewohnt, gefällt die ruhige Atmosphäre, die das Holz ausstrahlt. «Stolz» auf ihr Zuhause sei sie aber nicht. «Ich wuchs schon in einem alten Haus auf. Für mich ist es normal, so zu wohnen», sagt Ursula Mahler.

Keine Arme-Leute-Häuser

Das Zuger Amt für Denkmalpflege und Archäologie (ADA) der Direktion des Innern hat seit den 80er-Jahren etwas mehr als 70 Blockbauten auf Kantonsgebiet näher untersucht, oft weil sie abgebrochen werden sollten.

Obwohl viele Blockhäuser dem Baudruck zum Opfer fielen, erstaunt die vergleichsweise stattliche Zahl noch vorhandener Blockbauten. Adriano Boschetti, Leiter der Abteilung Bauforschung und Mittelalterarchäologie am ADA, hat dafür mehrere Begründungen: «In den Kantonen Uri, Ob- und Nidwalden gibt es auch mittelalterliche Blockbauten», meint er. Nur sei dort der Gebäudebestand weniger untersucht – und deshalb die dunklen Flecken grösser.

Entscheidend waren aber auch die sozioökonomischen Verhältnisse im Spätmittelalter. Blockbauten waren keineswegs Arme-Leute-Häuser. «Ende 15. und im 16. Jahrhundert kam etwa die Bevölkerung des Ägeritals zu einem erheblichen Wohlstand, weshalb relativ viel und gut gebaut wurde», erklärt Boschetti.

Unterstützung bei Erhalt

Für die Zuger Denkmalpfleger sind die Blockhäuser «Perlen» spätmittelalterlicher Architektur. «Die Sorgfalt und das handwerkliche Knowhow, mit dem diese Häuser gebaut wurden, sind bestechend», sagt Adriano Boschetti.

Deshalb bestehe auch ein öffentliches Interesse daran. Wie die Natur, seien auch Zeitzeugen der Geschichte eine nicht-erneuerbare Ressource, mit der man sorgfältig umgehen müsse. In Zeiten hoher Boden- und Immobilienpreise sehen das natürlich nicht alle so. Die neulichen Diskussionen um die Dorfbach-Häuser aus dem 14. Jahrhundert in Schwyz oder um beinahe so alte Gebäude in der Küssnachter Rigigasse zeigen deutlich, dass längst nicht alle Eigentümer eine ähnliche denkmalpflegerische Sensibilität beweisen wie etwa die Familie Mahler in Unterägeri. Das Verhalten der Hausbesitzer sei in der Tat sehr unterschiedlich, sagt Adriano Boschetti. «Die Denkmalpflege versucht, abrisswilligen Eigentümern aufzuzeigen, was man mit ihrem Haus noch anfangen könnte und berät sie.»

Gerade vor zwei Wochen habe er mit zwei Eigentümern gesprochen, welche ihr Haus unter Schutz stellen lassen wollen. Bei einer Unterschutzstellung können sie mit einem Beitrag von 30 Prozent an die substanzerhaltenden Aufwände rechnen. «Für manche ist das ein Tropfen auf den heissen Stein», gibt Boschetti zu. Für andere sei es aber auch ein Anreiz. Nicht so für das Ehepaar Mahler in Unterägeri: «Uns lag so viel am Erhalt des Hauses, dass wir es auch ohne den durchaus willkommenen Zustupf renoviert hätten», sagt Ursula Mahler.

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