«Prostir» in Reussbühl eröffnet

Luzern hat jetzt ein offenes Haus für Ukrainerinnen

Das Leitungsteam im Garten des Zentrums, von links nach rechts: Ljuba Sumilina, Urban Frye, Susanne Kraus, Gisela Meisen-Nussbaum. (Bild: zvg)

Flüchtlinge aus der Ukraine brauchen einen Ort, an dem sie sich austauschen und zurückziehen können. Dieser Meinung sind Ljuba Sumilina und Urban Frye. Sie haben mit dem «Prostir» in Reussbühl einen neuen Treffpunkt erschaffen.

Ein spezielles Haus war es schon immer: Die Kunst-Box an der Staffelnhofstrasse in Reussbühl. In dem ehemaligen Wohnheim für Ordensschwestern leben heute Musik- und Kunststudierende. Neu verwandelt sich die Kunst-Box mehrmals in der Woche in einen Begegnungsraum für geflüchtete Menschen aus der Ukraine – vor allem für Mütter und ihre Kinder.

Ljuba Sumilina leitet den neuen Begegnungsort. Sie stammt aus der Ukraine, lebt seit bald zehn Jahren in der Schweiz. Die 31-jährige ist Geigerin und Musikpädagogin.

Sie freue sich sehr, das neue Kulturzentrum zu leiten, wie sie sagt. «Wir können so einen wichtigen Beitrag leisten, dass die aus der Ukraine geflüchteten Menschen hier ein kulturelles zu Hause haben und damit den in der Heimat gebliebenen Kraft geben.»

Raum für die kulturelle Identität

Unterstützt wird Ljuba Sumilina von Gisela Meisen-Nussbaum, Susanne Kraus und Grünen-Kantonsrat Urban Frye. Frye ist auch Initiant der beiden Studentenwohnheime Music- und Kunst-Box. «Wir haben realisiert, dass die Geflüchteten jetzt vor allem einen Ort brauchen, an dem sie sich austauschen und zurückziehen können», sagt Frye.

«Geflüchtete brauchen jetzt vor allem einen Ort, an dem sie sich austauschen und zurückziehen können.»

Urban Frye

Das Haus mit grossen Aufenthaltsräumen und Garten bietet Platz für Begegnungen, Musik-, Mal- und Tanzateliers. Unter dem Dach gibt es eine Bibliothek mit ukrainischen Büchern. Hier sollen Kinder in Geschichten eintauchen, Konzerten lauschen – zudem sind Ausflüge geplant. «Der neue Treffpunkt soll den Geflüchteten Raum geben, ihre kulturelle Identität zu leben», so Frye.

Getragen wird das Projekt vom Verein «Freunde der Music-Box»

Wie Ljuba Sumilina erzählt, hatte sie bereits vor einem Monat die Idee, geflüchteten Kinder Musikunterricht zu geben. Die Idee eines wirklichen Begegnungsorts hat sich dann step by step entwickelt.

Frye sagt, dass zu den ersten Flüchtlingen, die in Luzern angekommen sind, fast 30 Kunststudentinnen aus Liew gehörten. Diese wurden in den Studentenheimen der Kunst-Box und Music-Box untergebracht. Diese vernetzten sich mit Musikern aus zahlreichen slawischen Ländern. Schliesslich ging anfangs März in der Sankt-Karli-Kirche ein Solidaritätskonzert über die Bühne.

Daraus entstand die Idee, das bestehende Netzwerk zur bereits in der Schweiz lebenden ukrainischen Gemeinschaft zu nutzen und ein Haus für die ukrainische Kultur aufzubauen. Getragen wird das Zentrum vom Verein «Freunde der Music-Box», welcher bereits während der Corona-Pandemie das Klanghotel Bergsonne und viele junge Musikerinnen unterstützte.

Ein Haus von Ukrainerinnen für Ukrainerinnen

Ljuba Sumilina erklärt, worin sie die Bedeutung eines Kulturorts für die geflüchteten Menschen sieht. «Musik verbindet», sagt sie. «Und es tut den Geflüchteten gut, die neue Kultur hier kennenzulernen und zugleich die eigene Kultur nicht zu vergessen.» So werden im neuen Kulturzentrum ukrainische, aber auch deutsche Lieder gesungen.

«Viele geflüchtete Frauen haben mir erzählt, dass sie sich hier alleine fühlen. Einige fühlen sich verloren. Genau das wollen wir mit dem ‹Prostir› ändern.»

Ljuba Sumilina

Der neue Treffpunkt heisst «Prostir» – das ist ukrainisch für «Raum/Platz». «Das Haus wird von Ukrainerinnen für Ukrainerinnen geführt», so Urban Frye. «Wir stellen den Geflüchteten den Raum zur Verfügung, diesen dürfen sie frei gestalten.»

Geflüchtete finden auch psychologische Unterstützung

Das Zentrum wird jeweils am Mittwoch-, Samstag- und Sonntagnachmittag seine Türen öffnen. Regelmässig finden Events statt. Geplant ist bereits eine Dampferfahrt für Mütter und Kinder sowie eine Besichtigung der Sammlung Rosengart.

Neben dem kulturellen Aspekt stehen ganz praktische Aspekte im Fokus. Durch das neue Begegnungszentrum bekommen Geflüchtete zum Beispiel Zugang zu medizinischen und psychologischen Beratungen. Ljuba Sumilina erklärt, dass sich schon einige Ärztinnen und Kinderärzte bereit erklärt haben, bei Fragen und Unklarheiten zum Schweizer Gesundheitssystem zur Verfügung zu stehen. Unter den Flüchtlingen wurden auch Psychologinnen gefunden, die geflüchteten Menschen helfen, die teils schwer traumatisiert sind.

Ein Ort der Ruhe

An den neuen Kultur- und Begegnungsort «Prostir» glaubt Ljuba Sumilina fest. Sie wurden regelrecht überrannt, hatten bis am Freitag gut 130 Anmeldungen für das orthodoxe Osterfest am Sonntag. «Viele geflüchtete Frauen haben mir erzählt, dass sie sich hier alleine fühlen, dass sie und ihre Kinder nur wenige Menschen kennen. Einige fühlen sich verloren. Genau das wollen wir mit dem ‹Prostir› ändern.»

Urban Frye ergänzt, dass es auch Ziel ist, Einheimische mit den Geflüchteten zusammenzubringen. Mit Musik und Kulinarik. «Aber zuerst müssen die Geflüchteten hier einmal zur Ruhe kommen.»

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Ljuba Sumilina
  • Telefonat mir Urban Frye
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Peter Bitterli
    Peter Bitterli, 24.04.2022, 18:38 Uhr

    Mehr sein als scheinen. Was für eine schöne, bescheidene Devise. Preussisch, protestantisch, ehrlich, zielführend. Wäre auch in katholischen Milieus bedenkenswert.

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